Zusammenfassung
Das Thema „Juristische Person und Verfassung ” gehört für die deutsche Rechtswissenschaft (1) zu den unbequemen Grenzthemen, für die sich weder Öffentlichrechtler noch Zivilrechtler eigentlich zuständig fühlen. Rechtstheoretisch stellt es Probleme erneut zur Diskussion, die längst ausdiskutiert und wissenschaftlich erledigt schienen: den Bezug der Grundrechte auf den Menschen und die Rechtsnatur der juristischen Person. Freilich zeigt sich bei näherem Zusehen, daß jene wissenschaftliche Erledigung keine Klärung war, sondern die Diskussion nur ermattete, da sie sich auf den Austausch derselben Argumente beschränkte und deshalb letztlich verstummte.
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Anmerkungen
Vgl. hierzu die monographisch dichte, vorzügliche Literatur- und Problemaufbereitung bei von Mutius, Zweitbearbeitung von 1974 des BK zu Art. 19 III GG, sowie die Münsteraner Diss, von Derksch, Juristische Personen und Grundrechtsträgereigenschaften, 1977, und Gerald Beyer, Zur Beschwerdebefugnis von Verbänden wegen Grundrechtsverletzung, 1976.
Vgl. hierzu die eingehenden Nachweise über die Vertreter dieser Ansicht bei von Mutius, a.a.O. (Anm. 1), Rd. Nr. 29 ff.
Der englische Text spricht von “natural or legal person”, der französische von “personne physique ou morale”.
Die entscheidenden Worte des Originals lauten: “Nelle formazione soziali dove si svolge la sua personalità”.
Dieser Begriff wird für den herkömmlichen Bepiff der Koalitionsfreiheit verwandt, der in der WRV — wie auch im GG — nicht aufgenommen worden ist, vgl. hierzu Ramm, Der Koalitionsbegriff, Rd A 1968, 412.
Vgl. hierzu vor allem C. Schmitt in Grundrechte und Grundpflichten 1932 (auch in verfassungsrechtlichen Aufsätzen aus den Jahren 1924,1954, Materialien zu einer Verfassungslehre 1958, S. 181 [215]). Vgl. auch von früher Martin Wolf, Reichsverfassung und Eigentum, Kahl-Festschrift 1923, IV, S. 6.
Vgl. hierzu eingehend Ramm, Der nichtgewerkschaftliche Streik, ArbuR 1971, S. 65 u. 97 (101).
So sehr deutlich für Art. 153, Martin Wolf, a.a.O. (Anm. 6): „Art. 153 betont, gegenüber linksradikalen Ideen, daß an den körperlichen Sachgütern ein Privatrecht möglich bleiben soll, das den Namen Eigentum verdient, bei dem also Beschränkungen des Herrschaftsbeliebens Ausnahmen sind”.
Vgl. zum letzteren das Urteil des RG vom 7.4.1938, RGZ 157, 258: Zur faktischen Ehe nach dem Sowjetreeht.
Vgl. zur Problematik Grundgesetz und Eherecht meine Monographie gleichen Titels von 1972 (dazu die kritisch-weiterführende Besprechung von Dieckmann, AöR Bd. 99 (1974), 491, sowie die Kontroverse mit Wolf, JZ 1973, 647 und 723.
Vgl. hierzu generell Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung. Betrachtung zur möglichen selbständigen Begrifflichkeit im Verfassungsrecht, 1964, insbes. S. 63 ff. und meine Einführung in das Privatrecht/BGB Allgemeiner Teil, Bd. 1, 2. Aufl. 1974, insbes. S. 107 ff.
Vgl. hierzu eingehend Ramm, Der Arbeitskampf und die Gesellschaftsordnung des Grundgesetzes. Beitrag zur einer Verfassungslehre, 1965, S. 58 ff. Weitgehende prinzipielle Übereinstimmung besteht mit der Interpretation des GG als einer objektiven Wertordnung durch das BVerfG. Der Unterschied zwischen beiden Konzeptionen liegt im Grade der juristischen Bindung an die Verfassungsentscheidung, die für den Wissenschaftler naturgemäß stärker sein kann als für den Verfassungsrichter, der stets die Einzelfallgerechtigkeit im Auge haben und die politische Folgewirkung seiner Entscheidung mitbedenken muß.
Vgl. Domming—Füsslein—Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des GG, in: JbdöR NF Bd. 1,1951, S. 180 ff.
Vgl. BVerfG, Not. v. 14.10.70, BVerfGE 29, 260. Vgl. zum Katalog der als anwendbar angesehenen Grundrechte Beyer, a.a.O. (Anm. 1), S. 59 f.
Vgl. hierzu von Mutius, a.a.O. (Anm. 1) RdNr. 18 f.
Vgl. zur letzteren Coing, Der Rechtsbegriff der menschlichen Person und die Theorien der Menschenrechte, in: Deutsche Landesreferate zum III. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in London 1950, Hrsg. von Ernst Wolf, Bd. 1, 191, S. 205. Coing hat dort auch (S. 204) auf die weitere Parallele zwischen Handlungsfähigkeit und Grundrechtsfähigkeit aufmerksam gemacht.
Vgl. Coing, a.a.O. (Anm. 16), S. 203.
Vgl. hierzu Ramm, Einführung (Anm. 11), Bd. 1, S. 18 ff.
Vgl. hierzu Ramm, Der Wandel der Grundrechte und der freiheitliche soziale Rechtsstaat, JZ 1972, 13,7.
Rupp—von Brünneck, Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, Adolf Arndt-Festschrift 1969, 349 (361).
Vgl. hierzu Wolf, Hans J., Organschaft und juristische Person, Untersuchung zur Rechtstheorie und zum öffentlichen Recht, 2 Bde. 1933 u. 1934, sowie die Fortführung bei Rittner, Die werdende juristische Person. Untersuchung zum Gesellschafts- und Unternehmensrecht.
Vgl. hierzu die Nachweise bei von Mutius, Rd.Nr. 67 zu Art. 19 III GG. Als Eselsbrücke dient dabei der Begriff der teilrechtsfähigen Organisationseinheit. Doch führt gerade er nicht weiter, die Teilrechtsfähigkeit ist nur ein neuer juristischer Kunstgriff und eben nicht mit der Rechtsfähigkeit identisch. Die Gesetzeskorrektur wird nur scheinbar abgeschwächt und damit der Blick für die eigentliche Problematik verstellt.
Vgl. hierzu Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, 1963, 187 ff., sowie die neuere Rechtsprechung bei Palandt—Danckelmann, Anm. 2 zu § 54 BGB.
Vgl. hierzu Kübier, Rechtsfähigkeit und Verbandsverfassung. Überlegungen zur Problematik der als nichtrechtsfähige Vereine organisierten Gewerkschaften, 1971.
Vgl. hierzu Kögler, Peter, Arbeiterbewegung und Vereinsrecht. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des BGB, 1974, dazu auch meine Rezension in: AcP 1976, S.
So die Formulierung des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 13.12.1948, a.a.O. (Anm. 13), S. 182. Der Grundsatzausschuß, dem der Hauptausschuß (19.1.1949) folgte, sprach von „Inländischen Körperschaften und Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit”.
So die Anmerkung des allgemeinen Redaktionsausschusses zu der nunmehr endgültigen Fassung vom 25.1.1949, a.a.O. (Anm. 13), S. 183.
Im Recht auf Existenz sind auch Funktionsfähigkeit und Mitgliederbestand enthalten, die von Münch, Zweitbearbeitung des BK (1966) Art. 9 GG RdNr. 47 als selbständige Tatbestände unterscheidet.
Im Anschluß an das Urteü des BVerfG vom 18.11.1954, BVerfGE4, 101, wird ein „Doppelgrundrecht” angenommen. Indessen erscheint dieser Weg als allzu einfacher Rückgriff auf die Rechtslage der WRV. Der Schutz der Arbeitsverbände ergibt sich einerseits durch einen Rückschluß auf die allgemeinen Vereinigungen (Art. 9 II GG) und andererseits aus den Übereinkommen Nr. 87 von 1948 (Art. 3 ff.) und Nr. 98 von 1949 (Art 2) der Internationalen Arbeitskonferenz. Zwar ist nach Art. 9 III GG die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirt Schaftsbedingungen ein Menschenrecht, während die allgemeine Vereinigungsfreiheit nur ein Deutschenrecht ist. Doch ungeachtet der unterschiedlichen historischen Ableitung beider früher getrennter Vorschriften ist nunmehr die systematische Zuordnung maßgebend. Ausländergewerkschaften dürfen nicht gebildet werden. Dieses Verbot läßt sich ebenso wie der Ausschluß von Ausländern aus deutschen Gewerkschaften aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 III GG ableiten.
Vgl. hierzu meine Schrift „Die Freiheit der Willensbildung. Zur Lehre von der Drittwirkung der Grundrechte und der Rechtsstruktur der Vereinigung”, 1960, sowie nunmehr Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 122 ff. und 140 ff.
So z.B. von Münch, Zweitbearbeitung (1966) des BK RdNr. 27 m.w.N.
Vgl. Anm. 11. Auch Art. 123 läßt sich zur Begründung heranziehen. Vorkonstitutionelles Recht gilt nur fort, soweit es dem GG nicht widerspricht, dann muß der Widerspruch durch die Auslegung des GG ermittelt werden. Dies aber bedeutet, daß zur Auslegung des GG das vorkonstitutionelle Recht nicht herangezogen werden kann.
Danach wird als Verein jede Vereinigung bezeichnet, „zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.”
Vgl. etwa die Bemerkung von Münch, a.a.O. (Anm. 31), RdNr. 42 m.w.N., der Begriff der Gesellschaft sei nicht als Gegensatz gedacht, sondern solle nur klarstellen, daß Verein eben nicht Verein des bürgerlichen Rechts sei.
Die historische Erklärung des unpräzisen Vereinsbegriffs, wie er sich etwa auch bei Maunz— Dürig—Herzog, RdNr. 42 zu Art. 9 GG, findet, erklärt sich aus der inhaltlichen Übernahme des umfassenden Begriffs der Vereinsfreiheit in § 162 der Frankfurter RV von 1848 zum Begriff der Vereinigung und der Gesellschaft. Vgl. Ramm, Der nichtgewerkschaftliehe Streik, AuR 1971, 65 und 97 (99).
Die Gruppe untergliedert sich demnach in zwei soziale Untertatbestände: Der erste Tatbestand legt die Gruppen Willensbildung zugrunde, es muß Mehrheitsentscheidungen und abstrakt auch die Möglichkeit wechselnder Mehrheiten geben. Der engere Tatbestand ist demgegenüber die im Text umschriebene körperschaftlich organisierte Personenvereinigung, die vom Mitgliederwechsel unabhängig ist. Nicht als Gruppe ist die Ehe anzusehen. Sie ist zwar auch eine Form menschlicher Gemeinschaft, so daß das GG mit seinem Schutz nach Art. 6 I alle Formen der Vergemeinschaftung erfaßt. Doch beginnt die Gruppe erst mit der Dreierzahl (vgl. Bernsdorf, Art. Gruppe in Wörterbuch der Soziologie, hrsg. von Bernsdorf, 3 Bde., 1969–1972 in Bd. 2), d.h. mit der Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen in einer kollektiven Willensbildung. Zweierbeziehungen werden noch vom Austauschprinzip beherrscht. Die Ehe ist eine besondere Paarbeziehung.
Auf den streng individualistischen Standpunkt ist Wieacker, Zur Theorie der juristischen Person des Privatrechts, E.R. Huber-Festschrift 1973, S. 340, wieder zurückgefallen.
Die Auslegung des Gemein Schaftsbegriffs in Art. 1 III GG ist erstaunlich dürftig. Sie fehlt im BK und bei Maunz—Dürig—Herzog. Mangold—Klein bezeichnet in Am. IV 2 d die Entscheidung des Art. 1 II GG als „unrichtig”.
Diese Auffassung habe ich zuerst in der „Freiheit der Willensbildung. Lehre von der Drittwirkung der Grundrechte und der Rechtsstruktur der Vereinigung” 1960, entwickelt, sodann erneut in „Der Arbeitskampf und die Gesellschaftsordnung des Grundgesetzes. Beitrag zu einer Verfassungslehre” 1965 weiter ausgeführt. Vgl. nunmehr meine „Einführung in das Privatrecht”, 2. Aufl. 1974/75 Bd. 1, S. 111 ff u. S. 324 u. Bd. 3 S. 790 ff., 797 ff., 972 ff und 978 ff.
Vgl. als Beispiel die harmonisierende Gesellschaftskonzeption der DDR, dazu Ramm, Die Mitbestimmung als Teil der Arbeits- und Wirtschaftsverfassung der BRD und der DDR, in: Duden-Festschrift, 1977, 235.
Vgl. hierzu meine Einführung (Anm. 11) Bd. 1, 206.
In meinen in Anm. 39 angeführten Arbeiten habe ich von der „Magna Charta” der Verbände gesprochen, mit der der kollektive Liberalismus anerkannt sei. Dies setzt freilich voraus, daß Art. 2 als Kompetenzentscheidung verstanden wird, und zwar sowohl für das Individuum als auch, mittels Art. 19 III GG, für die körperschaftlich organisierte Personenvereinigung.
Diese Wahlmöglichkeit erklärt auch die Rechtsprechung des BVerfG, nach der die Personalgesellschaften zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde berechtigt sind, obschon sie keine Grundrechtsträgerinnen sind. Vgl. hierzu die Nachweise bei Beyer, a.a.O. (Anm. 1), S. 34 f., daselbst auch der Meinungsstand.
An dieser Stelle zeigt es sich, daß Hilfskonstruktionen wie Begriff der Teilrechtsfähigkeit (vgl. hierzu Anm. 22) den Blick für die klare und weiterführende Lösung versperren. Vgl. hierzu Ramm, a.a.O., Anm. 19.
Vgl. Ramm, a.a.O., Anm. 19.
Der Öffentlichrechtler erliegt einer solchen Versuchung insofern, als die Weimarer Verfassung mit ihrer Aufteilung in besondere Bereiche es nahelegt, die Vereinigung für Wirtschaft, Kultur, Politik und den sozialen Bereich differenziert zu behandeln. Die Übernahme der Art. 136, 137, 138, 139 und 140 WRV durch Art. 140 GG legt zudem eine Sonderbehandlung für die religiösen Vereinigungen nahe. Indessen ist prinzipiell davon auszugehen, daß der Vereinigungsbegriff in Art. 9 GG umfassender Art ist.
Vgl. hierzu Ramm, Einführung (Anm. 11) Bd. 1, S. 18 ff., über den Einfluß der Menschenrechtserklärung auf die Konzeption des bürgerlichen Rechts und Bd. 3, S. 759, über die Rechtsfähigkeit § 16 S. 2 ABGB und Art. 20 ZGB stellen die Zusammenhänge ebenfalls klar.
Vgl. hierzu S. 231.
Vgl. hierzu die Motive zum BGB nach Mugdan, Die gesamten Materialien zum bürgerlichen Recht, Bd. 1, 1899, S. 395. Sehr klar ist auch insoweit § 52 VI BGB, zitiert in meiner Einführung, Bd. 3, S. 969.
Er lautet: „Vereine, die sich einer politischen, religiösen, wissenschaftlichen, künstlerischen, wohltätigen, geselligen oder anderen nicht wirtschaftlichen Aufgabe widmen, erlangen die Persönlichkeit, sobald der Wille, als Körperschaft zu bestehen, aus den Statuten ersichtlich ist”.
Vgl. zum folgenden die eingehende DarsteEung in meiner Einführung, Bd. 3, S. 797 ff.
Vgl. hierzu die Materialien über die Entstehung der GmbH in meiner Einführung, Bd. 1, S. 250 ff.
Vgl. hierzu Nachweise über den Meinungsstand bei Rupp—von Brünneck, a.a.O. (Anm. 20).
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Ramm, T. (1978). Juristische Person und Verfassung. In: Klug, U., Ramm, T., Rittner, F., Schmiedel, B. (eds) Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil- und Prozeßrecht. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-95317-0_19
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