Zusammenfassung
Auch Kinder, Schwangere, alte Menschen mit ihren zum Teil schwerwiegenden Begleiterkrankungen (Hypertonie, Diabetes, Leber- und Niereninsuffizienz) leiden unter akuten und chronischen Beschwerden des Bewegungsapparates, können operationsbedürftig werden und/oder sich verletzen. Hier gilt es, die individuellen Gegebenheiten, Risiken und Interaktionen mit anderen Medikamenten zu kennen und in der Therapie zu berücksichtigen. In diesem Kapitel finden sich einige wichtige Hinweise auf die Besonderheiten bei der medikamentösen Therapie dieser Risikogruppen. Auch ein Hinweis auf die Sinnhaftigkeit der interdisziplinären, multimodalen Therapie von Patienten mit chronischen Schmerzen wird gegeben.
1 Kinder
1.1 Übersicht
Hier explizit nicht besprochen werden schmerztherapeutische Maßnahmen bei Neugeborenen und Kleinkindern, die von den Experten aus der Neonatologie, Pädiatrie und ggf. Anästhesie versorgt werden müssen. Für ältere Kinder gilt die Besonderheit, dass alle schmerztherapeutischen Ansätze durch psychologische Maßnahmen unterstützt werden sollten.
Besonders vor schmerzhaften Interventionen, Operationen, Wundversorgungen u. Ä. hilft eine Mitbetreuung der kleinen Patienten durch speziell geschultes Personal aus der Pädiatrie. Es gilt, die „Angst-Schmerz-Angst-Spirale“ zu durchbrechen bzw. gar nicht erst in Gang zu setzen. Eine Belohnung und Belobigung nach der schmerzhaften Prozedur signalisiert dem Kind, dass diese zu Ende ist und kann die Compliance für einen ggf. nächsten Eingriff verbessern.
Analgetika der WHO-Stufe I können bei Kindern jenseits der Neugeborenenperiode eingesetzt werden. Die Auswahl richtet sich nach der Ursache der Schmerzen und der Situation bzw. der Art der Operation. Ist keine Thrombozytenaggregationshemmung erwünscht, z. B. bei Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko, wird man eher Metamizol oder Paracetamol und Opioide einsetzen, bei Entzündungsschmerz oder nach Prellungen oder anderen Verletzungen am ehesten Ibuprofen, alternativ Diclofenac oder Indometacin als tNSAR.
Für Analgetika der WHO-Stufe I gelten folgende Dosierungen:
1.2 Ibuprofen
30–40 mg/kg KG/Tag können in 3 Einzeldosen verabreicht werden. Ibuprofen ist bei Kurzzeittherapie eher empfohlen als Paracetamol, da es besser wirksam ist bei gleichem (NSAR-typischen) Nebenwirkungsprofil. Von allen NSAR hat Ibuprofen bei Langzeitanwendung bei Kindern das geringste Nebenwirkungsprofil.
1.3 Paracetamol
Kleinkinder und Kinder älter als 1 Jahr:
Bei oraler Gabe: 30 mg/kg KG als Einzelerstdosis, dann 15 mg/kg KG alle 6 h
Bei rektaler Gabe: 35–45 mg/kg KG als Einzelerstdosis bei Therapiebeginn, dann Folgedosis 15–20 mg alle 6 h
Kleinkinder 1–6 Jahre:
Tageshöchstdosis: 75 mg/kg KG/Tag
Kinder ab 6 Jahren:
Nicht mehr als 90 mg/kg KG/Tag, absolut maximal 4 g pro Tag
Intravenöse Gabe:
Alle Altersgruppen dürfen 15 mg/kg KG als Einzelerstdosis bekommen, danach 15 mg/kg KG alle 6 h
Maximal 60 mg/kg KG/Tag, maximal 4 g/Tag
Die analgetische Potenz von Paracetamol ist im Vergleich zu den NSAR eher schwach, dennoch wird es als Basismedikation auch für kleiner Eingriffe postoperativ empfohlen.
1.4 Diclofenac
2–3 mg/kg KG/Tag können in 2 Einzeldosen verabreicht werden.
1.5 Indometacin
2–3 mg/kg KG/Tag können in 3 Einzeldosen verabreicht werden.
1.6 Naproxen
10–15 mg/kg KG/Tag können in 2 Einzeldosen verabreicht werden.
Cave: Gefahr der Photodermatitis bei direkter Sonneneinstrahlung.
1.7 Metamizol
60–75 mg/kg KG/Tag können in 4–6 Einzeldosen verabreicht werden.
Die Gefahr einer Agranulozytose ist im Kindesalter extrem gering, Granulozytopenien sind reversibel. Auch wirksam bei spastischen Schmerzen.
Cave: intravenöse Gabe möglich, immer langsam als Kurzinfusion, auch bei Kindern Gefahr der arteriellen Hypotonie!
1.8 Tramadol
Bei stärkeren Schmerzen (WHO-Stufe II) hat sich Tramadol in der Pädiatrie bewährt. Kinder reagieren seltener mit Erbrechen als Erwachsene, sodass sich der Einsatz auch postoperativ bewährt hat.
Oral können 1 mg/kg KG nicht retardiertes Tramadol alle 4 h oder 2 mg/kg KG retardiertes Tramadol alle 8 h eingesetzt werden.
Für den Einsatz stärkerer Opioide sind unter stationären Bedingungen eine Pulsoximetrie und pädiatrische oder anästhesiologische Mitbetreuung erforderlich.
Die möglichen Nebenwirkungen der verabreichten Medikamente müssen mit den Eltern und den (älteren) Kindern besprochen werden, der Inhalt des Gespräches sollte aus forensischen Gründen dokumentiert werden.
2 Schwangere
Der Einsatz von Analgetika in der Schwangerschaft obliegt naturgemäß strenger Indikationsstellungen, im Einzelfall sollte vor Beginn einer analgetischen Behandlung konsiliarischer Rat des Gynäkologen eingeholt werden. Auch die Beratungsstelle für Embryonaltoxikologie (www.embryotox.de) kann angefragt werden.
Kontrollierte Studien zu den typischen in der Schmerztherapie eingesetzten Substanzen fehlen in der Regel. Viele Medikamente sind nicht zugelassen für den Einsatz in der Schwangerschaft. Für verschiedene Substanzen ist die Toxizität für den Fötus jedoch bekannt, diese sollten unbedingt vermieden werden. Dies gilt für die meisten NSAR, Carbamazepin, Phenytoin und viele andere Präparate.
Das Analgetikum der ersten Wahl in der Schwangerschaft ist Paracetamol, obwohl zuletzt Zusammenhänge zwischen der Anwendung von Paracetamol und hyperkinetischem Verhalten der Kinder im Grundschulalter, Asthma und Hodenhochstand vermutet wurden.
Mit dem Einsatz von Ibuprofen hat man über die Jahrzehnte reichlich Erfahrungen sammeln können. Es ist für die ersten zwei Schwangerschaftsdrittel zugelassen, selbstverständlich unter strenger Indikationsstellung. Im dritten Schwangerschaftstrimenon ist es wegen der Möglichkeit eines vorzeitigen Verschlusses des Ductus arteriosus nicht empfohlen. Bei Langzeittherapie wurden bei allen NSAR gehäuft Nierenversagen beim Fötus und Oligohydramnion beobachtet.
3 Alte Menschen
Schmerzen bei alten Patienten sind häufig Ursache von degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule oder der Gelenke. Mit der demographischen Entwicklung wird das Problem chronischer muskuloskelettaler Schmerzprobleme größer und betrifft früher oder später fast jeden alten Menschen. Zudem können auch Schmerzfasern über die Zeit vorgeschädigt sein, und im Zentralnervensystem werden vermindert Neurotransmitter zur Verfügung gestellt.
Alte Menschen sind oft multimorbid, psychosozial isoliert und leiden nicht selten unter kognitiven Einschränkungen sowie häufig unter nicht diagnostizierter Depressivität und Angst, auch vor der Zukunft. Wenn dann auch noch chronische Schmerzen den alten Menschen plagen, kann – nachvollziehbarer Weise – die „wohltuende“ Wirkung schnellwirksamer Opioide insbesondere in Tropfenform (Tramadol, Tilidin) beim Patienten willkommen sein und sich eine Abhängigkeit entwickeln.
Vor dem Einsatz von Analgetika empfiehlt sich bei Patienten im Alter über 75 Jahre die Durchführung eines strukturierten Schmerzinterviews sowie des Mini Mental Status Tests (MMSE; siehe https://www.praxis-wiesbaden.de/icd10-gm-diagnosen/zusatz-mmse.php) zur Aufdeckung möglicher kognitiver Defizite. Die Behandlung sollte wenn möglich durch in der Schmerztherapie erfahrene Kollegen in engem Austausch mit dem Hausarzt des Patienten erfolgen.
Zu beachten ist im Alter die häufig vorbestehende Medikation von Pharmaka, die Wechselwirkungen mit Analgetika haben. Auch die ggf. verringerte Resorption, Ausscheidung und veränderte Wirksamkeit aufgrund der möglicherweise vorliegenden Erhöhung des Körperfettanteils im Alter muss bedacht werden.
Verringertes Gesamtkörperwasser, unzureichende Flüssigkeitsaufnahme, Verringerung der Leber- und Nierendurchblutung und die Verringerung von Transportproteinen können zur Akkumulation von Wirkstoffen und damit einer Wirkspiegelerhöhung führen.
Für den Einsatz von tNSAR und Coxiben gilt, dass sie aufgrund ihrer potenziellen Leber- und Nierentoxizität und des Risikos gastrointestinaler Blutungen wenn möglich nicht auf Dauer eingesetzt werden sollten.
Opioide erhöhen das Sturzrisiko durch Gangunsicherheit, können Schwindel und Schlafstörungen sowie nächtliche Apnoen verursachen.
Metamizol wird zunehmend gerade bei alten Patienten eingesetzt, da es die oben genannten Nebenwirkungen der NSAR und Opioide nicht hat, in der Regel sehr gut verträglich ist bei hoher analgetischer Potenz und auch in Kombination gut eingesetzt werden kann. Das Risiko einer Agranulozytose ist bei erfolgter Aufklärung der Patienten mit Hinweis auf die typischen, frühen Symptome sowie regelmäßiger Kontrolle des Blutbildes gering.
Immer sollte gerade beim alten Menschen die Therapie multimodal und interdisziplinär erfolgen und durch aktive Therapien, Bewegungs- und Trainingstherapie unterstützt werden. Eine gute Anleitung für Bewegung im Alter (Gleichgewicht und Kraft) findet sich unter https://www.dguonline.de/fileadmin/published_content/2.Aktuelles/News/Textdateien/Broschuere_Sturzpraevention_Uebungen_BZgA.pdf.
4 Patienten mit Niereninsuffizienz
Tab. 1 zeigt die Konsequenzen der medikamentösen Schmerztherapie bei Patienten mit Niereninsuffizienz.
5 Patienten mit Leberinsuffizienz
Tab. 2 zeigt die Konsequenzen der medikamentösen Schmerztherapie bei Patienten mit Leberinsuffizienz.
6 Patienten mit chronischem Schmerz
Halten Schmerzen länger an als 6 Monate bzw. als der Heilungsprozess nach Verletzung, Operation oder akuter Erkrankung es vermuten lässt, gilt es, die Kriterien für die Diagnose „Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ zu überprüfen. 4 Hauptkriterien müssen erfüllt sein sowie 2 von 4 „Psychische Faktoren“-Kriterien:
Hauptkriterien:
Mindestens 6 Monate bestehende Schmerzen
Ursprünglich auslösender somatischer Faktor diagnostiziert und identifiziert, der einem bekannten Krankheitsbild entspricht
Ausschluss von absichtlich erzeugtem Schmerz, vorgetäuschter Störung oder Simulation, Schmerz ausschließlich im Rahmen einer affektiven Angst-, Somatisierungs- oder psychotischen Störung
Mindestens 2 der folgenden psychischen Faktoren mit wesentlicher Bedeutung für Schweregrad, Exazerbation und Aufrechterhaltung liegen vor
Psychische Faktoren:
Stress und Belastungssituationen
Verhalten aufgrund schmerzbezogener Angst (z. B. Passivität, Schon- und Fehlhaltungen, Durchhaltestrategien)
Maladaptive Kognitionen (z. B. gedankliche Einengung auf das Schmerzerleben, Durchhalteappelle, Katastrophisieren von Körperempfindungen und Krankheitsfolgen, Grübeln über schmerzassoziierte Inhalte, rigide Attribution der Ursachen auf organische Faktoren, Angstvermeidungsüberzeugungen)
Emotionale Belastungen (z. B. Verzweiflung, Demoralisierung)
Familiäre, soziale und existenzielle Konsequenzen (z. B. veränderte Rolle in der Familie, reduzierte Kontakte im Freundeskreis, sozialer Rückzug, Probleme im Beruf, Krankschreibung, Kündigung oder vorzeitiger Berentung, Beeinträchtigung in anderen Funktionsbereichen)
12–15 Mio. Menschen sollen in Deutschland an chronischen Schmerzen leiden, häufigste Lokalisation ist mit 23 % der Rücken. Es liegt auf der Hand, dass diese Patienten nicht alleinig durch medikamentöse Schmerztherapie und auch nicht durch einen einzelnen Facharzt behandelt werden sollten. Es braucht die interdisziplinäre Zusammenarbeit schmerztherapeutischer Zentren und – wo möglich – psychosomatische Behandlungsansätze.
Literatur
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Leitlinien
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Deutsche Schmerzgesellschaft (2015) S3-Leitlinie Opioide, Langzeitanwendung zur Behandlung bei nicht tumorbedingten Schmerzen. AWMF online, Stand 2015; LONTS. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/145-003l_S3_LONTS_2015-01.pdf. Zugegriffen am 10.03.2019
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Übersichtsartikel
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Pogatzki-Zahn EM, Englbrecht JS, Pöpping D, Boche R, Zahn PK (2013) Oraler Therapiealgorithmus bei akuten postoperativen Schmerzen. Eine prospektive Beobachtungsstudie. Schmerz 1:26–37
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Eckardt, A. (2020). Medikamentöse Schmerztherapie in der Orthopädie und Unfallchirurgie: Besonderheiten in der orthopädisch/traumatologischen Schmerztherapie. In: Engelhardt, M., Raschke, M. (eds) Orthopädie und Unfallchirurgie. Springer Reference Medizin. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-54673-0_237-1
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