Zusammenfassung
Hier geht es um Problemfälle innerhalb des szenisch-phantasmatischen Systems und um Konflikte mit dem sprachlichen System. Eine Besonderheit ist, dass sich szenisch-phantasmatisches Denken nicht immer an alle Regeln der Logik halten muss. Das zeigt sich z. B. in der neurotischen Verschiebung, Leugnung, Inversion usw. In der Perspektive des einsamen Denkens in nicht-sprachlichen Systemen erscheinen die Prinzipien der Logik eher als Forderungen der kommunizierenden Gemeinschaft und weniger als Regeln, die für die Erhaltung der Lehren der Erfahrung und deren Anwendbarkeit notwendig sind. Eine weitere Schwierigkeit besteht in der Überlagerung von Gefühlen, die aus verschiedenen Quellen stammen, dies ist jedoch ein Problem, das auch das sprachliche System hat, welches viele Bedeutsamkeitsaspekte auch nur mithilfe von Gefühlen darstellen kann. So kann z. B. die gefühlte Sicherheit hinsichtlich des Bestehens eines Sachverhalts durchaus von der Stärke des Wunsches überlagert werden.
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Notes
- 1.
Vgl. Lohmar 2012a. Für alle Teile der folgenden Diskussion, die die Psychoanalyse Freuds betreffen, möchte ich mich für die Hinweise und Anregungen von Jagna Brudzinska bedanken.
- 2.
Vgl. hier Abschn. 4.1.
- 3.
Das philosophische Rätsel eines Subjekts, das sich selbst täuschen will und kann, brauchen wir also nicht zu lösen. Vgl. dazu Rinofner-Kreidl 2012a.
- 4.
Es gibt aber auch unerträglich schmerzhafte Erinnerungen, traumatische Erfahrungen von Gewalt, Mord und Verletzung, die als Erinnerung in der Form von szenischen Phantasmen regelmäßig und ungewollt als Reminiszenzen erscheinen (Flashback), als Albträume wiederkehren, manchmal auch als Halluzinationen. Dies geschieht, weil diese Erinnerung nicht nur gefürchtet wird, sondern auch immer wieder geträumt werden muss. Ihr Inhalt kann wegen der mit ihr verbundenen übergroßen Emotion nicht wie bei Alltäglichem vergessen werden. Das traumatische Ereignis lässt sich daher nicht in eine Reihe mit gleichartigen (und gleich bedeutsamen) Ereignissen stellen. Also schon auf einer vor-begrifflichen Ebene kann es nicht als eines unter mehreren Gleichartigen verstanden werden. Auf einer sprachlich-begrifflichen Ebene würden wir daher sagen, es kann nicht richtig „begriffen“ werden. Es ist in diesem Sinne kein Ereignis unter anderen, es ist einzigartig, und es bleibt auch meines. Oder genauer: Solange es meines bleibt, ist es überwältigend schmerzhaft und unmitteilbar. Also kann eine Verbesserung der Erinnerung schon darin bestehen, dass es schlichtweg „nicht mehr ich bin“, dem dieses Unrecht von dieser Person angetan wurde, sondern ein Anderer. Für die Funktion in alltäglichen Kontexten, also als anschauliche, überzeugende und handlungswirksame Bestimmung meines künftigen Handelns ist die Vorstellung, dass es ein Anderer war, den dieses Unrecht traf, ebenso wirksam.
- 5.
Es ist offensichtlich, dass die Konzeption nicht-sprachlichen Denkens auch geeignet ist, um das Denken von Tieren verständlich zu machen, die nicht oder nur wenig öffentlich kommunizieren. Vgl. Lohmar 2008c. Dieser Gegenfall ist nämlich der des Menschen, da wir in der Regel in Sprache denken und auch kommunizieren. Aber der entscheidende Punkt zum Verständnis der Verschiebung liegt darin, dass wir Menschen nicht nur in Sprache denken, sondern auch noch in den älteren, nicht-sprachlichen Modi. Und hierin liegt der Grund der Möglichkeit solcher Inhaltsveränderung unserer Erinnerungen, die dennoch den wesentlichen Kern der Erfahrung bewahren.
- 6.
- 7.
Die Engführung von Pragmatismus und Logik ist also keineswegs zwingend. Man könnte hier einen pragmatischen Gesichtspunkt im Sinne von W. James sehen.
- 8.
Man fragt sich, ob die neurotische Verschiebung spezifisch menschlich ist: Unterscheiden wir uns durch unsere Neurosen vom Tier? Meiner Meinung nach nicht, denn wenn sie Leistungen auf dem Boden des nicht-sprachlichen Denkens sind, müssten sie für alle Spezies möglich sein, die diese Art des Denkens beherrschen.
- 9.
- 10.
- 11.
Vgl. hier Abschn. 6.2.1.
- 12.
Vgl. Lohmar 1997.
- 13.
Zu der ganzen Problematik vgl. die informative Übersicht über Ergebnisse und theoretische Deutungen bei Steffens und Mecklenbräuker 2007.
- 14.
James 1890, S. 652.
- 15.
Vgl. Fiedler 2002.
- 16.
Vgl. Loftus et al. 1995.
- 17.
Vgl. Loftus 2005.
- 18.
Vgl. Leichtman und Ceci 1995.
- 19.
Hyman et al. 1995.
- 20.
- 21.
- 22.
- 23.
- 24.
Dennoch gibt es einen bemerkbaren Einfluss der kommunizierenden Gemeinschaft auf die Formation und den Gebrauch der Typen. Wenn ein Kind, vor einer Wiese mit Kühen stehend, „Wau Wau“ sagt, wird sein Gebrauch des Begriffs ‚Hund‘ korrigiert, aber auch sein Gebrauch des entsprechenden Typus.
- 25.
Es gibt sogar alltägliche Beobachtungen am Verhalten von Haustieren, die uns das phantasmatische Aufwallen solcher schmerzhaften Erfahrungen anzeigen. Ich hatte eine lange Zeit einen Kater als Haustier, der sich immer dann, wenn ich am Schreibtisch saß, auf meinen Arm oder zwischen mich und das Buch legen wollte. Nachdem ich einen Computer angeschafft hatte, war dieser Platz durch die Tastatur besetzt, und ich hatte große Mühe ihn davon abzuhalten, auf der Tastatur Platz zu nehmen. Eines Tages hatte ich Schnupfen und nahm ab und zu Pfefferminzöl, um wieder eine freie Nase zu bekommen. Dabei bemerkte ich, dass mein Kater diesen Geruch nicht ausstehen konnte, denn das ätherische Öl brannte wohl unangenehm in seinen Augen, und er verließ unter vielem Zwinkern meinen Schreibtisch. Nach dieser Episode brauchte ich das geschlossene Fläschchen mit Pfefferminzöl nur auf den Schreibtisch zu stellen, und mein Haustier begann, mit den Augen zu zwinkern (obwohl der reale Geruch nicht bemerkbar war), und ging dann weg.
- 26.
Ein Vertreter der analytischen Philosophie wäre auf die Idee der Wahrheit und der Wahrheitsfähigkeit, auf die weiterführende Vorstellung des logischen Zusammenhangs aller meiner Erfahrungen so versessen, dass ihm dieses alltägliche Ausweichen entginge, das in einer Unterschicht der Erfahrung, des Fühlens und des Denkens geschieht und für einsame Denker absolut sinnvoll ist. In der Low-level-Organisation unseres Tuns sind wir keine Wissenschaftler, sondern animalia.
- 27.
Vgl. Freud 1909.
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Lohmar, D. (2016). Probleme im szenisch-phantasmatischen System und Konflikte des szenisch-phantasmatischen mit dem sprachlichen System. In: Denken ohne Sprache. Phaenomenologica, vol 219. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-319-25757-0_7
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