Zusammenfassung
Die eigenartige Verwandlung des Begriffs der ARCHE bei Aristoteles führt zur Einebnung eines fundamentalen Unterschieds, der in seiner Unausdenklichkeit das eigentliche Element des Denkens war — des Unterschieds nämlich zwischen Welt und Ding. Die vorsokratischen Denker insgesamt, unerachtet des tiefgehenden Gegensatzes zwischen den jonischen PHYSIOLOGOI und den Eleaten, begriffen das erscheinende Seiende, die Dinge, als abkünftig, als herkommend aus Wurzelgründen, welche nicht das Beschränkte von dinghaft Seiendem an sich haben, sondern in einem verwegenen Sinne das Unbeschränkte und Unbedingte sind: ARCHE TON ONTON TO APEIRON. Die Dinge wachsen hervor aus dem Abgrund, sie gehen aus ihm auf und fallen wieder in ihn zurück; Schoß und Grab, Dionysos und Hades ist eines und dasselbe. Wie immer auch der „Abgrund“ jeweils gedacht wird, ob als das Gegenspiel von Licht und Nacht, Lichtung und Verbergung, oder als das Einfache des Seins (HEN—EON), so ist doch immer der abgründige Unterschied zwischen der Dimension des Ursprungs und derjenigen der entsprungenen Dinge in schärfster Weise bewußt; Philosophieren ist das Heimdenken in den Grund, in welchem alles eins ist. Auch bei Platon noch findet sich diese Tendenz: die Dinge werden begriffen als die EKGONOI, als die Sprößlinge, die aus der Vermischung und Vermählung von lichthafter Idee und nächtiger CHORA hervorgehen; Idee und CHORA haben nicht nur eine Parousie in den Dingen, sie sind ebensosehr durch einen CHORISMOS, durch eine Trennung von ihnen entfernt. Aber gerade gegen den CHORIS Mos der platonischen Idee wendet sich Aristoteles mit aller Leidenschaft, die nicht vor maßloser Verzerrung der platonischen Gedanken zurückschreckt. Bei Aristoteles wird die ARCHE, die Abgrund war, nunmehr zum „Grund”, zur Ur-sache; die ARCHE ist ihm nicht etwas Geheimnisvolles, was allem Seienden vor-aufliegt, sie wird zur Struktur des Seienden, zu seinem ontologischen Gerüst, d.h. zur Seiendheit der Dinge umgedeutet. Aber dabei vollzieht sich die Umdeutung nicht in einer glatten Massivität, sondern mit jener seltsamen Zweideutigkeit, wo immer noch das Ursprüngliche des Ursprungs hereinschillert und doch schon etwas am Seienden zu sein scheint. Die ARCHE kann nicht „eins“ sein, sagt Aristoteles, in dem Sinne, dass sie gleichsam für sich bliebe, — dass sie als in sich ruhend, sich selbst genügend allein ohne die Dinge wäre; für Aristoteles ist der Ursprung zusammen mit dem Entsprungenen, ja sogar etwas am Entsprungenen. HE GAR ARCHE TINOS E TINON, „denn die ARCHE ist eben Anfang eines Anderen oder mehrerer Anderen” (Phys. 185 a4). Das also, wovon der Anfang Anfang ist, hängt mit dem Anfang zusammen; dabei ist es von entscheidender Bedeutung, daß Aristoteles diesen Zusammenhang szs. als einen sei enden Zusammenhang nimmt; das IST nivelliert den Unterschied von ARCHE und DING, ebnet die Differenz ein zwischen Welt als dem Abgrund und den innerweltlich seienden Dingen. Der aristotelische Entwurf der Gegründetheit des Seienden nimmt die ARCHE in die Verfassung des Dinges hinein. Das Grundsein des Grundes wird vom Ding aus verstanden — und nicht mehr primär das Dingsein vom Grunde aus. Das Ding als solches hat die Struktur, aus etwas zu bestehen, ein Aussehen zu haben, ein Gesicht, in Bewegung zu sein: auf ein Ziel zu und angetrieben von einem Bewegenden.
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Fink, E. (1957). Arche und Ding. Raum-Analytik am Platztausch Orientiert Analogie von Gefäß und Raum. In: Zur Ontologischen Frühgeschichte von Raum — Zeit — Bewegung. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-011-9630-7_17
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