Historische (Re-)Konstruktion, moralisches Urteil und bemerkter Wandel

Zusammenfassung

Über historische Sozialisationsprozesse liegen in der Bundesrepublik nur verhältnismäßig wenige empirische Untersuchungen vor; schon deshalb verbietet sich ein genereller Überblick über den Forschungsstand. Besonderes Interesse verdienen die Entwicklungslogik des Geschichtsbewußtseins sowie das Verhältnis zwischen kognitiven, motivationalen, moralischen und affektiven Komponenten beim Geschichtslernen. Eine große Untersuchung mittels eines geschlossenen Fragebogens an fast 2.000 Befragten aus 6., 9. und 12. Schuljahren in Ost- und Westdeutschland 1990 ist hier nur zu erwähnen (vgl. v. Borries 1992). Einige wichtige Ergebnisse sind:

• 1. Motivationale, kognitive, moralische und emotionale Reaktionen lassen sich als vier Dimensionen identifizieren und einigermaßen getrennt messen.

• 2. Kognitive Unterschiede werden weitgehend durch Alter, Schulform und Fachnote erklärt, moralische zu einem erheblichen Teil durch Geschlecht, Parteipräferenz und Gegenwartseinstellungen. Motivationale und emotionale Differenzen sind im wesentlichen von den Sozialdaten unabhängig. Motivation und Wissen korrelieren nur schwach.

• 3. Das herausragende Ergebnis des gesamten (schulischen und außerschulischen) historischen Lernprozesses scheint eine »Grundwerteorientierung« zu sein, d.h. die Internalisierung von »Menschen- und Bürgerrechten«. Diese wird jedoch wahrscheinlich weniger an geschichtlichen Gegenständen gelernt als unmittelbar aus den obersten Normen der Gesellschaft übernommen und auf vergangene Konflikte angewandt.

In Zusammenarbeit mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen.