Skip to main content

‘Rationalität’ und ‘Gefühl’ im feministischen Diskurs. Zur Bewahrung und Überwindung eines Erklärungsmodells

  • Chapter
Rationalität, Gefühl und Liebe im Geschlechterverhältnis

Part of the book series: Soziologische Studien ((SST))

Zusammenfassung

Frauen sind stärker durch ihre Gefühle bestimmt als Männer — sie lassen sich von ihnen leiten, machen sie zur Grundlage von Entscheidungen, sehen in ihnen den primären Antrieb für jede Kommunikation mit anderen, sie bringen sie frei und ungehemmt zum Ausdruck und geben sich mit großer Lust ihren zahlreichen Facetten und Spielarten hin. So und nicht anders geht das alte Lied, das leider immer noch viel zu häufig gesungen wird. Die Kehrseite der Medaille ist ebenfalls bekannt: Frauen fehlt es an Distanz, Kontrolle, Objektivität, Kritikvermögen, kurz an der rationalen Klarheit, die allein dazu in der Lage ist, das überwältigende, alles niederreißende emotionale Chaos einzudämmen und zu ordnen. Nennen wir diese Einschätzungen “Volksmeinung” oder — mit einem wissenschaftlich geziemenderen Terminus — Geschlechtsrollenstereotyp, Tatsache ist, daß sie uns auf mehr oder weniger aufdringliche Weise (immer noch) umgeben und wir uns ihnen nur schwer entziehen können. Und wie ebenfalls bekannt ist, war die Philosophie an dieser geschlechtsbezogenen Konzeptualisierung von Rationalität und Gefühl nicht unschuldig, vielmehr läßt sich ohne Übertreibung sagen, daß sie an diesem bestimmten Punkt der “Volksmeinung” eigentlich um nichts nachstand. Philosophen von Plato über Descartes bis Hegel versicherten uns Jahrhunderte hindurch, daß die eigentlich “menschlichen” Leistungen wie wahre Erkenntnis, moralisches Urteil, soziale Ordnung oder politische Organisation einer recht eindeutig als männlich bestimmten Vernunft zu verdanken sind, während Gefühle und körperliche Befindlichkeiten an Frauen delegiert und kurzerhand mit dem Weiblichen assoziiert wurden. Philosophische Konzepte stabilisierten und verstärkten somit Vorstellungen, die fest verankert in den gesellschaftlichen Praktiken ruhten, und es wurde zum unhinterfragten und unumstößlichen Topos, daß Frauen nicht denken, sondern nur fühlen. Wie heißt es doch so schön bei Kant? — “Ihre Weltweisheit ist nicht Vernünfteln sondern Empfinden.” (1764, S. 853)

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Literatur

  • Cixous, Helene und Clement, Catherine: The Newly Born Woman, Minneapolis 1986.

    Google Scholar 

  • Friedman, Marilyn: Jenseits von Fürsorglichkeit: Die Entmoralisierung der Geschlechter, in: NaglDocekal, Herta und Pauer-Studer, Herlinde (Hg.): Jenseits der Geschlechtermoral. Beiträge zur feministischen Ethik, Frankfurt/Main 1993.

    Google Scholar 

  • Gilligan, Carol: Moral Orientation and Moral Development, in: Kittay, Eva Feder und Meyers, Diana T. (Hg.): Women and Moral Theory, Totowa 1987.

    Google Scholar 

  • Hoagland, Sarah-Lucia: Einige Gedanken über das Sorgen, in: Nagl-Docekal, Herta und Pauer-Studer, Herlinde:(Hg.): Jenseits der Geschlechtermoral. Beiträge zur feministischen Ethik, Frankfurt am Main 1993.

    Google Scholar 

  • Irigaray, Luce: Das Geschlecht, das nicht eins ist, Berlin 1979.

    Google Scholar 

  • Irigaray, Luce: Ethik der sexuellen Differenz, Frankfurt am Main 1991.

    Google Scholar 

  • Irigaray, Luce: Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts, Frankfurt am Main 1980.

    Google Scholar 

  • Jaggar, Alison M.: Love and Knowledge: Emotion in Feminist Epistemology, in: Jaggar, Alison M. und bordo, Susan R. (Hg.): Gender/Body/Knowledge. Feminist Reconstructions of Being and Knowing. New Brunswick, London 1989.

    Google Scholar 

  • Kant, Immanuel: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764), in: Theorie-Werkausgabe in XII Bänden, hg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1960, Bd. I I.

    Google Scholar 

  • Moi, Toril: Sexual/Textual Politics. Feminist Literary Theory, London, New York 1985.

    Google Scholar 

  • Raymond, Janice: The Illusion of Androgyny, in: Building Feminist Theory: Essays from Quest, New York 1981.

    Google Scholar 

  • Spelman, Elizabeth V.: Virtue of Feeling and Feeling of Virtue, in: Card, Claudia (Hg.): Feminist Ethics, Lawrance 1990.

    Google Scholar 

  • Whitford, Margaret: Luce Irigaray. Philosophy in the Feminine, London, New York 1991.

    Google Scholar 

  • Young, Iris Marion: Impartiality and the Civic Public: Some Implications of Feminist Critiques of Moral and Political Theory. In: Benhabib, Seyla and Cornell, Drucilla (Hg.): Feminism as Critique. On the Politics of Gender, Minneapolis 1987.

    Google Scholar 

Download references

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 1995 Centaurus Verlag & Media UG

About this chapter

Cite this chapter

Postl, G. (1995). ‘Rationalität’ und ‘Gefühl’ im feministischen Diskurs. Zur Bewahrung und Überwindung eines Erklärungsmodells. In: Rationalität, Gefühl und Liebe im Geschlechterverhältnis. Soziologische Studien. Centaurus Verlag & Media, Herbolzheim. https://doi.org/10.1007/978-3-86226-452-0_8

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-86226-452-0_8

  • Publisher Name: Centaurus Verlag & Media, Herbolzheim

  • Print ISBN: 978-3-8255-0071-9

  • Online ISBN: 978-3-86226-452-0

  • eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)

Publish with us

Policies and ethics