Skizzen einer Identitätstheorie der Führung

Auszug

In der vorangegangenen Analyse ging es um eine theoretische Verknüpfung von Identität und Interaktion. Interaktionspartner, so die Ausgangsüberlegung, stehen vor dem Problem der doppelten Kontingenz: Sie können die Verhaltensweisen ihrer Interaktionspartner nicht problemlos prognostizieren, sind aber bei der Wahl ihrer eigenen Handlungen auf die zuverlässige Kalkulation eben dieser fremden Verhaltensweisen angewiesen. Die Situation ist daher hochgradig unsicher und ohne zusätzliche Leistungen im Grunde unberechenbar. Besonders drastisch bringt das Goffman zum Ausdruck: „Vielleicht ist das Leben kein Glücksspiel, aber die Interaktion ist es.“¹ Zugleich aber, so die oben auch in Anlehnung an die Systemtheorie formulierte These, lässt sich dieses Problem nicht von Außen beheben. Soziale Rollenerwartungen oder psychologische Prägungen der Interaktionspartner bieten für sich genommen keine sicheren Anknüpfungspunkte; sie können der Interaktion zwar einen Rahmen geben, müssen aber ihrerseits erst dekodiert und in eine geordnete Form gebracht werden. Hierzu, so die These des vorangegangenen Kapitels, müssen die Interaktionspartner im Zuge eines wechsel-seitigen Austausch- und Verhandlungsprozesses die Identitäten festlegen, auf deren Basis sie sich gegenseitig behandeln wollen und die ihnen somit als Orientierungsgröße für eigenes und Interpretationsfolie für fremdes Verhalten dienen.