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Rationalität und Kalkül: Spieltheorie des 20. Jahrhunderts

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Entscheidungstheorie

Zusammenfassung

Ein Spiel lebt davon, dass die beteiligten Spieler Entscheidungen treffenmüssen, die für den weiteren Spielverlauf Konsequenzen haben. In der Tat sind Spielen und Entscheiden sehr miteinander verwoben, denn meist, wenn Entscheidungsprozesse formalisiert und systematisiert werden, zeigen sich die Überschneidungen, sprachlich (wenn etwa von Strategien die Rede ist) und auch inhaltlich. In viele Entscheidungen, die heute von uns zu treffen sind, fließen Spielerfahrungen persönlichster Art und Weise mit ein. Um diese beiden Aspekte, Entscheidungen im Spiel und Spielen, um Entscheidungen zu treffen, geht es in diesem ersten Kapitel. Es geht darum nachzuvollziehen, wie und wozu eine Theorie des Spielens entstand,warumeine eigene Sprache für das Spielen erfunden wurde, kurz:wie undwarum das Spielen formalisiert wurde. Die Spieltheorie, in diesem Sinn verstanden, wie die Entscheidungstheorie im Allgemeinen, ist alles andere als „jung“, aber auch wenn die meisten der Prinzipien, denen wir in der Spieltheorie begegnen, Jahrhunderte alt sind, so ist doch ihre Anwendung auf Probleme etwa aus der Wirtschaft eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts und somit „relativ neu“.

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Notes

  1. 1.

    Häufig wird Blaise Pascal als „Begründer der Wahrscheinlichkeitsrechnung“ bezeichnet, was so nicht korrekt ist. Sicher hat Pascal erhebliche Beiträge zu der Entwicklung der Theorie geliefert, aber die wesentlichen Ideen wurden im Austausch mit anderen entwickelt. Allen voran ist hier sicher Pierre de Fermat zu nennen, mit dem Pascal Mitte des 17. Jahrhunderts einen wichtigen Briefwechsel führte. In diesen Briefen ging es um die systematische Untersuchung altbekannter Probleme, die teilweise mehrere hundert Jahre zurückreichten und für die auch bereits Lösungen oder Lösungsansätze existierten, so etwa auch von Cardano und Tartaglia, deren Namen heute eher mit der Theorie der algebraischen Gleichungen verbunden sind. Pascal hat also die Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht „begründet“, sondern vielmehr Ordnung in das bestehende Chaos gebracht. Auch der Anwalt Pierre de Fermat, mit dem sich Pascal so intensiv austauschte, verfügte über eine großartige mathematische Intuition, wenn er auch kaum Beweise seiner Behauptungen lieferte. Für alle Zeiten wird sein Name wohl mit der berühmten Fermatschen Vermutung verbunden bleiben, für das er nach eigener Behauptung lediglich aus Platzgründen keine Lösung lieferte. ( Hanc marginis exiguitas non caperet.) Nach Fermats Aussage gab es außer den „offensichtlichen“ (die beiden Lösungen mit 0 und 1) keine ganzen Zahlen \(x,y,z\), die die Gleichung \(x^{n}+y^{n}=z^{n}\) erfüllten, sofern der ganzzahlige Exponent \(n\) größer als zwei ist. Erst 1994 konnte der Beweis hierfür von Andrew Wiles und Richard Taylor erbracht werden, hätte allerdings kaum auf den Rand einer Seite gepasst.

  2. 2.

    Der komplette Briefwechsel ist nachzulesen in Oeuvres de Fermat, erstmals herausgegeben von Paul Tannery und Charles Henry, Paris 1894.

  3. 3.

    Die Formulierung ist vorsichtig gewählt, denn das Thema „richtig oder falsch“ verdient einen sensibleren Umgang als den, der üblicherweise in Deutschlands Bildungseinrichtungen gepflegt wird. Im Rahmen strenger Wahrscheinlichkeitstheorie könnte man sagen (und das würden die meisten Lehrer an Schulen wohl auch tun), dass das Ergebnis falsch ist, zaubert eine Formel aus dem Hut, rechnet nach und beweist so die Falschheit des Ergebnisses. Das ist aber kaum befriedigend, weder für den Schüler noch für den Lehrer. Im Rahmen einer vernünftigen Entscheidungstheorie sollten Formulierung, Umfeld und Lösung von Problemen gut zusammenspielen.

  4. 4.

    Die Graphentheorie ist eine verhältnismäßig alte Disziplin, an deren Anfang ein wenig praktisches Problem stand. An Leonhard Euler wurde im Jahre 1737 die Frage herangetragen, ob es über die damaligen sieben Königsberger Brücken einen Weg gebe, der genau einmal über jede Brücke führt. Euler gelang eine Lösung, aber er erkannte zusätzlich die Tiefe und Struktur des Problems und entwickelte daraus die wesentlichen Anfänge der Graphentheorie und der Topologie. Als Einstieg in dieses auch für die Betriebswirtschaft sehr interessante Gebiet empfiehlt sich das Buch von R. Diestel  [21].

  5. 5.

    Ein Argument hierfür lässt sich aus unserer heutigen Sicht schnell finden. Der vierfache Wurf mit einem fairen Würfel kann, sofern man hier nur die Ergebnisse „Sechs“und „keine Sechs“, also \(\{ 6\}\) und \(\{ 1,2,3,4,5\}\), unterscheidet, ähnlich wie die Teilungsprobleme durch einen einigermaßen übersichtlichen Baum dargestellt werden: Nur ein einziger Pfad, nämlich der ganz links, entspricht dem Ereignis, in vier Würfen keine Sechs zu werfen. Nach den Pfadregeln berechnet sich die Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis dann durch

    $$P(\text{keine Sechs in vier Würfen})=\left(\frac{5}{6}\right)^{4}\approx 0{,}482253\;,$$
    (2.2)

    so dass also mit einer mehr als 50 %-igen Chance auf das Würfeln mindestens einer Sechs gesetzt werden kann. Beim 24-fachen Wurf mit zwei Würfeln tritt eine Doppel-Sechs mit der Wahrscheinlichkeit \(\frac{1}{36}\) auf, und man kann in Analogie berechnen:

    $$P(\text{keine Doppel-Sechs in 24 Würfen})=\left(\frac{35}{36}\right)^{4}\approx 0{,}508596\,.$$
    (2.3)

    Damit wird das empirische Ergebnis des Chevalier Antoine Gombaud bestätigt; hier sollte auf das Ergebnis mindestens einer Doppel-Sechs nicht gesetzt werden. Gombauds Problem ist ein zutiefst menschliches und für uns nachvollziehbares. Der Mensch nämlich neigt zum linearen Denken, zur Vereinfachung, und das leider auch dann, wenn es sich um einen nicht-linearen Kontext handelt, so wie hier.

  6. 6.

    Die Kolmogorov-Axiome heben den praktisch motivierten Begriff des Ergebnisraums auf eine andere Ebene, er wird zum Wahrscheinlichkeitsraum. Der Ausgangspunkt aller Wahrscheinlichkeitstheorie und damit auch die Motivation der Kolmogorov-Axiome ist die Betrachtung von Zufallsexperimenten. Ein solches Zufallsexperiment muss einigen wichtigen Bedingungen genügen: Es muss – unter konstanten Rahmenbedingungen – beliebig oft (theoretisch unendlich oft) wiederholbar sein, und der Ausgang des Experiments muss unvorhersehbar sein. Die einzelnen möglichen Ausgänge müssen deutlich voneinander unterscheidbar sein und sich gegenseitig ausschließen. Man nennt sie die Ergebnisse des Zufallsexperiments und fasst sie im Ergebnisraum \(\Omega\) zusammen. Das Zufallsexperiment Einfacher Münzwurf, bei dem eine ungefälschte Münze einmal geworfen wird, hat beispielsweise den Ergebnisraum

    $$\Omega _{{\text{Münzwurf}}}=\{\text{Kopf},\text{Zahl}\}$$

    und für das Zufallsexperiment Einfacher Würfelwurf gilt

    $$\Omega _{{\text{Würfelwurf}}}=\{ 1,2,3,4,5,6\}\;.$$

    Dieser Ergebnisraum erfährt nun durch die Kolmogorov-Axiome eine Formalisierung und steht Pate für den Begriff des Wahrscheinlichkeitsraums. Einem solchen Wahrscheinlichkeitsraum liegt wiederum eine Menge \(\Omega\) zu Grunde, deren Teilmengen als Ereignisse interpretiert werden. Dazu kommt eine Funktion \(P\), die jedem Ereignis \(A\) in \(\Omega\) eine reelle Zahl \(P(A)\) zuordnet. Diese Zahl nennt man die Wahrscheinlichkeit von \(A\), und sie muss die folgenden drei Eigenschaften erfüllen:

    1. 1.

      Jedes Ereignis \(A\) hat eine nicht-negative Wahrscheinlichkeit: \(P(A)\geq 0\).

    2. 2.

      Die Wahrscheinlichkeit des sicheren Ereignisses ist eins: \(P(\Omega)=1\).

    3. 3.

      Wahrscheinlichkeiten von unvereinbaren Ereignissen addieren sich:

      $$P(A\cup B)=P(A)+P(B)\;,\quad\text{falls }A\cap B=\emptyset\;.$$
      (2.4)

    Mit Hilfe dieser Kolmogorov-Axiome sind die Wahrscheinlichkeiten aller Ereignisse berechenbar, wenn nur die Elementarwahrscheinlichkeiten bekannt sind. Die Axiome stellen die „Seele“ der Zufallsexperimente dar, also das, was übrig bleibt, wenn man diese ihres Inhalts beraubt. Sie sind also das, worauf es eigentlich ankommt und was die Experimente eigentlich ausmacht. Alle bekannten Beispiele aus dem Alltag erfüllen diese Axiome. Beim einfachen Münzwurf gilt etwa

    $$P(\text{Kopf})=P(\text{Zahl})=\frac{1}{2}$$

    und beim einfachen Würfelwurf

    $$P(1)=P(2)=\ldots=P(6)=\frac{1}{6}\;.$$

    Über diese Elementarwahrscheinlichkeiten hinaus können nun wie gesagt auch beliebigen Ereignissen Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden. Beim einfachen Würfelwurf beträgt etwa die Wahrscheinlichkeit, mindestens eine Fünf zu werfen,

    $$P(\text{mindestens eine Fünf})=P(5)+P(6)=\frac{1}{6}+\frac{1}{6}=\frac{1}{3}\;.$$
    (2.5)

    Auch komplexere Experimente können betrachtet und analysiert werden, so etwa der zweifache Münzwurf, bei dem der Ergebnisraum

    $$\Omega=\{(K,K),(K,Z),(Z,K),(Z,Z)\}$$

    aus geordneten Vektoren besteht. Hier gilt beispielsweise

    $$P(\text{mindestens einmal Zahl})=P(\{(K,Z),(Z,K),(Z,Z)\})=\frac{3}{4}\;.$$

    Häufig wird auch mit Hilfe des Gegenereignisses argumentiert. Für ein beliebiges Ereignis \(A\) ist \(\Omega\backslash A\) das Gegenereignis, und die Wahrscheinlichkeiten von \(A\) und \(\Omega\backslash A\) addieren sich wegen der Axiome zu 1 auf, was bedeutet, dass

    $$P(\Omega\backslash A)=1-P(A)\;.$$
    (2.6)

    Mit Hilfe dieser einfachen, aber fundamentalen Beziehung wurde bereits das Problem des Chevalier gelöst: Die Wahrscheinlichkeit, beim vierfachen Münzwurf mindestens eine Sechs zu werfen, erhält man über das Gegenereignis, nämlich keine Sechs zu werfen, aus (2.3) und (2.6):

    $$P(\text{mindestens eine Doppel-Sechs in 24 Würfen})\approx 1-0{,}508596=0{,}491404\;.$$
    (2.7)
  7. 7.

    Es sind über John von Neumann einige Anekdoten im Umlauf. Die berühmteste ist wohl seine Lösung des Rätsels, welche Strecke ein Hund zurücklegt, der auf dem Heimweg mit doppelter Geschwindigkeit wie sein Herrchen zwischen diesem und dem Haus hin- und herrennt. Davon, dass man – bei Zeitgleichheit – allein aus der doppelten Geschwindigkeit eben auf die doppelte Strecke schließen kann, ließ von Neumann sich nicht beirren und wählte stattdessen einen deutlich komplizierteren Weg über die Berechnung einer unendlichen Reihe, was bei ihm aber ebenso schnell ging.

  8. 8.

    Die deutsche Übersetzung von The Theory of Games and Economic Behavior hat M. Leppig übernommen. Sie erschien im Jahre 1961 unter dem Titel Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten

  9. 9.

    So der Wortlaut der offiziellen Pressemitteilung vom 11. Oktober 1994; zu deutsch etwa: für ihre bahnbrechende Untersuchung von Gleichgewichten in nicht-kooperativer Spieltheorie.

  10. 10.

    Formale Definitionen gibt es viele. Am häufigsten wird ein Spiel formal durch ein Tripel \(\Gamma=(N,s,u)\) definiert, wobei \(N=\{ 1,2,\ldots,n\}\) die Menge der Spieler, \(S\) den Strategieraum (also die Menge aller möglichen Strategiekombinationen \((s_{1},s_{2},\ldots,s_{n})\) aus den Einzelstrategien der Spieler) und \(u=(u_{1},u_{2},\ldots,u_{n})\) den Vektor der Nutzen- oder Auszahlungsfunktionen bezeichnet (vgl. etwa  [42]).

  11. 11.

    Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies bei der ersten Runde geschieht, beträgt übrigens ein Drittel. Wenn wir nämlich alle neun möglichen Ausgänge als gleichwahrscheinlich annehmen, so beträgt die Wahrscheinlichkeit jedes Einzelergebnisses ein Neuntel, und die Wahrscheinlichkeit für ein Unentschieden drei Neuntel, also ein Drittel. Dass mehrere Unentschieden aufeinander folgen, wird mit der Zeit immer unwahrscheinlicher, so beträgt etwa die Wahrscheinlichkeit für nur drei Unentschieden hintereinander

    $$\left(\frac{1}{3}\right)^{{3}}\approx 3{,}704\,{\%}$$

    und die Wahrscheinlichkeit für zehn Unentschieden hintereinander sogar nur noch

    $$\left(\frac{1}{3}\right)^{{10}}\approx 0{,}0017\,{\%}\;.$$
  12. 12.

    Darunter versteht man einen Würfel, dessen Seiten alle mit der gleichen Wahrscheinlichkeit geworfen werden, also einen „fairen Würfel“. Allgemeiner spricht man von einem Laplace-Experiment , wenn alle Einzelergebnisse eines Zufallsexperiments die gleiche Wahrscheinlichkeit haben. Der Begriff geht auf den Mathematiker Pierre-Simon Laplace zurück.

  13. 13.

    Geht man zu mehr Spielern über, etwa schon zu nur dreien, so geht dieser Aspekt gänzlich verloren, ja wird durch andere, ebenfalls interessante Aspekte abgelöst, wie etwa die Bildung von Koalitionen. Damit beschäftigt sich das zweite Kapitel.

  14. 14.

    Der Begriff des Sattelpunktes kommt in mehreren Bereichen der Mathematik vor. So wird er etwa für Punkte auf Flächen benutzt, die in einer (eindimensionalen) Richtung ein lokales Maximum und in einer anderen Richtung ein lokales Minimum darstellen. Diese Deutung ist bei einem Zwei-Personen-Nullsummenspiel allerdings nur näherungsweise zu verstehen und erschließt sich erst richtig, wenn es sich um stetige Strategieräume handelt, wo man es tatsächlich mit Flächen zu tun bekommen kann. Eine geometrische Deutung dieses Prinzips, die auch den Namen Sattelpunkt rechtfertigt, hat László Merő 1998 in seinem Buch gegeben [53]. Dort bewegt sich eine Schnecke, die in sich zwei Schneckenpersönlichkeiten vereinigt, auf einem Sattel entlang. Das erste Ich steuert die Bewegung in Längsrichtung und will die Schnecke auf den tiefsten Punkt bringen; das zweite Ich ist für die Querbewegung verantwortlich und steuert den höchsten Punkt an. Kommt die Schnecke mitten auf dem Sattel an, so kehrt Ruhe und Stabilität ein: das „Längs-Ich“ kann nicht mehr tiefer und das „Quer-Ich“ kann nicht mehr höher gelangen. Ein solcher Punkt entspricht einem Feld in einer Auszahlungsmatrix, bei dem gleichzeitig Minimum der Spaltenmaxima und Maximum der Zeilenminima erreicht sind.

  15. 15.

    Szenarien mit anderen Rankings sind hier durchaus denkbar, je nach dem wie stark der Wunsch der beiden ist, den Abend miteinander zu verbringen. So könnte etwa Alice doch einen Theaterabend allein einem Stadionbesuch mit Bob vorziehen, falls ihr Fußball sehr zuwider ist. Auch die Symmetrie zwischen männlicher und weiblicher Sicht ließe sich aufheben, wenn etwa weitere Klischees berücksichtigt werden. Alice könnte beispielsweise die Zweisamkeit und Bob der Fußball wichtiger sein.

  16. 16.

    In gewisser Weise war auch die politische Lage, die zum Ausbruch des ersten Weltkriegs führte, eine Gefangenendilemma-Situation. In aller Kürze: Nach der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand im Juni 1914 durch einen serbischen Untergrundkämpfer marschierte Österreich in Serbien ein, woraufhin Russland, auf der Seite Serbiens, seine Armee mobilisierte. Nun stellte sich für das deutsche Reich die Frage, ob Russland wirklich Krieg führen will oder etwa nur droht und eigentlich Verhandlungen wünscht. Das Dilemma ist also: Soll Deutschland selber mobilisieren oder nicht? Auch wenn drohende Verluste des Krieges, vor allem Menschenleben, nicht quantitativ gemessen werden können, ist die Situation klar. Der Ausgang des Dilemmas hängt in solchen Situationen natürlich extrem von den moralischen Werten der politischen Entscheidungsträger ab.

  17. 17.

    Diskrete Mengen bestehen, eng am Wortursprung aus dem Lateinischen (discernere: trennen, unterscheiden), aus „voneinander klar trennbaren“ Objekten. Dazu gehören natürlich alle endlichen Mengen, aber auch unendliche. Die Menge der ganzen Zahlen etwa, unendlich groß, ist doch diskret, weil jedes ihrer Elemente auf dem Strahl der reellen Zahlen von einem kleinen Intervall umschlossen werden kann, das die anderen Intervalle nicht schneidet. Auch der Begriff „stetig“ wird hier nicht im eigentlichen mathematischen Sinn verwendet. Stetig können nur Funktionen (oder allgemeiner Abbildungen) sein, und auch wenn die formal korrekte Definition des Stetigkeitsbegriffs wiederum etwas mit unendlichen Mengen zu tun hat, sind doch Unendlichkeit und Stetigkeit zwei nicht miteinander vergleichbare Konzepte der Mathematik. Stetige Strategieräume jedoch meinen in der Spieltheorie meist einfach unendliche.

  18. 18.

    Augustin Cournot war ein französischer Mathematiker, der im 19. Jahrhundert wesentliche Beiträge zur noch jungen Wirtschaftstheorie lieferte. Vor allem durch sein Modell des Cournot-Oligopols  [14] wurde er bekannt, dessen Duopol-Version hier in aller Kürze vorgestellt werden soll. Cournot schlägt bei zwei Anbietern den Marktpreis

    $$p(x_{i},x_{j})=a-b(x_{i}+x_{j})$$

    vor, wobei \(x_{i}\) und \(x_{j}\) die Angebotsmengen der beiden Anbieter und \(a\) und \(b\) gewisse Parameter sind. Für die Gewinnfunktionen der Anbieter ergibt sich dann

    $$G_{i}(x_{i},x_{j})=px_{i}-cx_{i}\quad\text{und}\quad G_{j}(x_{i},x_{j})=px_{j}-cx_{j}\;,$$

    wobei \(c\) die für beide identischen variablen Stückkosten sind. Maximiert man diese, so erhält man das Gleichungssystem

    $$x_{i}=\frac{a-bx_{j}-c}{2b}\quad\text{und}\quad x_{j}=\frac{a-bx_{i}-c}{2b}$$

    mit der Lösung

    $$x_{i}=x_{j}=\frac{a-c}{3b}\;.$$

    Im Gleichgewicht bieten also beide Anbieter die gleiche, sogenannte „Cournot-Menge“ an, und zwar zum Marktpreis von

    $$p=\frac{a+2c}{3}\;.$$
  19. 19.

    Wenn ein Wahrscheinlichkeitsraum im Kolmogorov-Sinn gegeben ist, dann versteht man unter einer Zufallsvariablen eine Variable \(X\), die den Ausgängen eines auf \((\Omega,P)\) durchgeführten Zufallsexperiments (in der Regel reelle) Werte zuordnet. Der einfache Würfelwurf etwa macht dies per se, denn die Ausgänge sind reelle Zahlen. Aber auch beim zweimaligen Würfelwurf lässt sich beispielsweise durch die Augensumme eine Zufallsvariable definieren. Auch der Münzwurf lässt so etwas zu, indem man beispielsweise das Ergebnis „Kopf“ mit 1 und das Ergebnis „Zahl“ mit 0 bewertet. Der Erwartungswert einer Zufallsvariablen \(X\) ergibt sich dann durch Aufsummieren der mit ihrer Auftrittswahrscheinlichkeit gewichteten möglichen Werte von \(X\):

    $$E(X)=\sum _{{\text{Werte }x\text{ von }X}}P(X=x)\cdot x\;.$$
    (2.37)

    So gilt etwa beim einfachen Würfelwurf für die Zufallsvariable \(X=\) Augenzahl:

    $$E(X)=\sum _{{k=1}}^{6}P(X=k)\cdot k=\sum _{{k=1}}^{6}\frac{1}{6}\cdot k=\frac{1+2+3+4+5+6}{6}=3,5\;.$$
    (2.38)

    Der Erwartungswert muss also selbst kein Element des Ergebnisraums sein. Beim einfachen Würfelwurf „erwartet“ man, eine 3,5 zu werfen, in einem statistischen Sinn. Beim Zufallsexperiment Zweifacher Würfelwurf können wir die Zufallsvariable \(S=\) Augensumme betrachten. Für den Erwartungswert von \(S\) ergibt sich \(E(S)=7\), was man nach Formel (2.37) durch Aufsummierung über alle 36 Einzelergebnisse berechnen kann. Hierbei sollte man sich beim Abzählen das Leben erleichtern, indem man Vielfachheiten berücksichtigt; so gilt ja \(S=5\) für die Würfe \((1/4)\), \((2/3)\), \((3/2)\) und \((4/1)\). Noch eleganter ist es, sich die wichtige Linearitätseigenschaft des Erwartungswertes

    $$E(X+Y)=E(X)+E(Y)$$
    (2.39)

    für zwei Zufallsvariablen \(X\) und \(Y\) zu Nutzen zu machen und so aus (2.38) einfach durch Verdoppelung des Wertes auf \(E(S)=7\) schließen. So ist dann der oben erwähnte statistische Sinn wiederum auch realistisch, denn wir interpretieren den Wert 3,5 dahingehend, dass wir bei zehn Würfen die Augensumme 35, bei hundert Würfen die Augensumme 350 usw. erwarten, denn nach (2.39) ist ja der Erwartungswert des hundertfachen Würfelwurfs gleich dem Hundertfachen des Erwartungswertes des einfachen Würfelwurfs. Dies hat, sehr vereinfacht gesprochen, mit dem Gesetz der großen Zahlen zu tun, und wir verweisen hierzu auf gängige Statistikbücher. Der Erwartungswert einer Zufallsvariablen tritt bei den gemischten Strategien in Form einer „erwarteten Auszahlung“ auf und ersetzt dort die Auszahlungen bei den reinen Strategien. Bei den Zwei-Personen-Spielen hat man es mit einer sehr einfachen Verteilung zu tun, denn dort hat der Ergebnisraum \(\Omega\) nur zwei Elemente. Damit ist in dem Fall eine Wahrscheinlichkeitsverteilung durch einen einzigen Wert \(p\) zwischen 0 und 1, der Wahrscheinlichkeit des einen Ergebnisses, gegeben. Die Wahrscheinlichkeit des anderen Ergebnisses beträgt dann \(1-p\). Für Drei-Personen-Spiele hat man entsprechend eine Verteilung der Form \((p/q/1-p-q)\) zu betrachten. In dem Zusammenhang bedienen wir uns auch des einfachen Bildes einer sogenannten „\(p\)-Münze“. Dazu betrachtet man bei einem einfachen Münzwurf die Zufallsvariable \(X\), die das Ergebnis „Kopf“ mit 1 und „Zahl“ mit 0 bewertet. Falls die Wahrscheinlichkeit für Kopf \(p\) (mit \(0<p<1\)) und für Zahl \(1-p\) beträgt, so gilt für den Erwartungswert von \(X\):

    $$E(X)=p\cdot 1+(1-p)\cdot 0=p\;.$$
    (2.40)

    Wir sprechen dann von einer „\(p\)-Münze“. Die \(0{,}5\)-Münze entspricht einer fairen Münze. Neben dem Erwartungswert einer Zufallsvariablen gibt es eine weitere wichtige Größe, die Varianz. Sie ist ein Maß dafür, wie weit die Werte einer Zufallsvariablen um den Erwartungswert streuen, und sie berechnet sich durch

    $$V(X)=E((X-E(X))^{2})\;.$$
    (2.41)

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Wessler, M. (2012). Rationalität und Kalkül: Spieltheorie des 20. Jahrhunderts. In: Entscheidungstheorie. Gabler Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-8349-3734-6_2

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