Zusammenfassung
Dem Beginn einer akademischen Psychiatrie in Heidelberg mit der Gründung eines Lehrstuhls und der Eröffnung einer Klinik im Jahre 1878 war eine 50-jährige Geschichte von Auseinandersetzungen vorausgegangen, die zu einer klaren Dominanz der versorgungsorientierten Psychiatrie in der Region in dieser Zeitspanne geführt hatten. 1827 hatte das Innenministerium von Baden Christian Friedrich W. Roller (1802–1878) beauftragt, an der Universität Heidelberg Psychiatrie zu unterrichten und Pläne für eine moderne psychiatrische Klinik auszuarbeiten. Die medizinische Fakultät in Heidelberg hatte sich aber geweigert, Roller die venia legendi zu erteilen, weil er keine Dissertation vorgelegt hatte. Ob nun persönliche Gekränktheit oder eher konzeptuelle Gründe den Ausschlag gaben — Roller entwickelte jedenfalls nach einer Studienreise durch Europa, bei der er die psychiatrischen Asyle seiner Zeit besuchte, eine Philosophie der Klinikversorgung psychisch Kranker, die den akademischen Bedürfnissen von Forschung und Lehre entgegenstand. Er empfahl dem Innenministerium von Baden, dass psychisch Kranke in einer ländlichen Umgebung isoliert und getrennt von ihren Familien und anderen sozialen Einflüssen untergebracht werden sollten, um ihre seelische Entspannung und Beruhigung zu fördern. Außerdem wies er daraufhin, dass die Aufgaben eines Klinikdirektors und eines Lehrstuhlinhabers jeweils für sich so fordernd seien, dass nicht ein und dieselbe Person beide Funktionen ausfüllen könne — eine Sichtweise, die absolut aktuell ist.
Ich danke Fr. Dr. S. Bienentreu für das sorgfältige Regidieren und für Ergänzungen des Textes.
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Mundt, C. (2004). Zur Geschichte der Heidelberger Psychiatrischen Klinik. In: Hippius, H. (eds) Universitätskolloquien zur Schizophrenie. Steinkopff, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-7985-1957-2_1
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