Zusammenfassung
Ob etwas als Frauen-oder als Männersache Geltung hat, versteht sich bekanntlich nicht in jedem Belang allein von Natur her. Unstrittig, Geschlecht ist ein biologisches Faktum. Wahrnehmung und Verhaltenskonsequenzen dessen aber werden durch kulturelle Einflüsse überformt. Man nennt die normativen Richtgrößen, die hier wirksam sind, auch Geschlechtsstereotype. Als tradierte, gleichwohl wandelbare Meinungssysteme prägen sie unser soziales Weltbild in wesentlichen Aspekten (vgl. Bischof und Preuschoft 1980; Signorella 1993). Der Versuch, diese Auffassungstendenzen im ganzen als platte „Spekulation“, gar als bloße Ideologie entlarven zu wollen, würde freilich übers Ziel hinausschießen. Oft nämlich bergen sie einen wahren Kern, sind also nicht samt und sonders aus der Luft gegriffen, in die sie nähere Betrachtung vorgeblich wieder auflösen könnte (vgl. Halpern 2000). Viele Stereotype jedoch bauschen Unterschiede zwischen den Geschlechtern künstlich hoch oder verallgemeinern unzulässig den speziellen Fall. Ein Beispiel aus einer Interviewstudie von Rubin et al. (1974) mag das verdeutlichen. Am Tag nach der Geburt ihres Kindes wurden Mütter und Väter u.a. zu Größe und Gewicht des Säuglings befragt (die Eltern hatten die genauen Maße noch nicht erfahren). Die Antworten waren durch einen systematischen Fehlertrend überlagert: Mädchen wurden im Stichprobenmittel für kleiner gehalten als Jungen, obschon rein objektiv keine Größenunterschiede zu Buche schlugen. In den irrigen Einschätzungen kamen scheinbar gutgesicherte Wis-sensbestände zum Tragen, die für den konkreten Sachverhalt allerdings wenig Informationswert besaßen. DasserwachseneMänner meist größer sind als gleichaltrige Frauen, hatte die Auskünfte offenbar verzerrt. Kurzum: Erwartungen und „Sehgewohnheiten“ können das Urteilsspektrum spürbar verengen; Eindrücke werden dann mitunter zweifelhaften Orientie rungsstandards angepasst. Das geschieht zuweilen auch bei der Beurteilung psychischer Eigenschaften. Geschlechtsspezifik wird denn im Alltagsdenken gern überbetont — nicht selten zu Unrecht (vgl. u.a. Feingold 1994; Golombok und Fivush 1994; Knight et al. 1996; Asendorpf 1999). Ein zweiter Blick kann deshalb lohnen. Wir wollen einen solchen auf ein Berufsfeld werfen, das viele möglicherweise als typische Männerdomäne einordnen würden: Unternehmertum. Ist jene Laufbahnentscheidung für Männer und Frauen in gleicher Stärke an bestimmte personale Eignungsvoraussetzungen gebunden, ja lassen sich geschlechtsspezifische Determinanten geschäftlichen Erfolgs aufdecken? Die Frage selbst fußt bereits auf einer erörterungsbedürftigen Annahme. Der nämlich, Personenmerkmale verrieten etwas über unternehmerische Tüchtigkeit. Die These mag den unbefangenen Leser zunächst überraschen. Hängen Entwicklungschancen eines Gründungsprojekts nicht vielmehr von Marktgesetzen und regionaler Infrastruktur ab? Booten die „harten“ Kriterien der ökonomie nicht die „weichen“ personaler Eigenart klar als Karriereinstanzen aus? Gewiss, niemand wird den Einfluss wirtschaftlicher Randbedingungen zur Zweitrangigkeit klein reden können. Dennoch berechtigt eine Vielzahl von Befunden zu dem Fazit, die Persönlichkeit des Gründers spiele beim Schritt in die Selbstständigkeit und bei der Behauptung im Geschäftsleben sehr wohl eine Rolle (vgl. Miner 1997; Brandstätter 1997 und 1999; Kieschke 2002). Der zweite Abschnitt wird das tiefenschärfer ausleuchten.
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Kieschke, U. (2004). Personale Merkmale unternehmerischer Tätigkeit im Geschlechtsvergleich. In: Chefinnensache. KfW-Publikationen zu Gründung und Mittelstand. Physica, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-7908-2653-1_5
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