Zusammenfassung
Wiener medizinische Zustände von 1826.
Die hygienischen Verhältnisse Wiens ließen viel zu wünschen übrig. Große Temperaturschwankungen erzeugen eine Menge Katarrhe, Rheumatismen und akute Entzündungen, die Wasserversorgung war mangelhaft, das Trinkwasser schlecht, das Latrinenwesen im argen. In der Altstadt wurde die Ventilation beschränkt durch die hohen Festungswälle, welche, durch die neuere Kriegskunst überflüssig geworden, in Gedanken stehen geblieben sind, in stolzer Erinnerung der Dienste, welche sie 1529 und 1683 gegen die Türken geleistet haben; sie sind erst 1857 gefallen. Die großen Zinshäuser können bei dem Mangel aller Ventilationsvorrichtungen und bei mangelhaften Latrinen nicht anders wirken wie schlechte Kasernen. Daher kommt zum Teil die instinktive Sehnsucht der Wiener nach ihren Landhäusern und nach ländlichen Exkursionen, welche doch die Gefahren des nächtlichen Aufenthaltes in einer animalisierten Luft nicht aufheben. Der Typhus hört fast nie auf, Skropheln bei den Kindern und Lungenschwindsucht bei den Erwachsenen gehören zu den gewöhnlichsten Krankheiten. Da die Skropheln meistens mit Augenentzündungen auftreten, so leitet man diese und die Lungenschwindsucht von dem vielen Staube auf den Glacis und den Landstraßen her, gewiß mit Unrecht, wie Friedrich Jäger in Betreff der Augenentzündungen schon bemerkte…
1) In wahrhaft fesselnder Weise berichtet der große Kriegschirurg Stromeyer (1804 bis 1876) in seiner vom September 1874 datierten Selbstbiographie über die Eindrücke, die er während seines Aufenthaltes in Wien (22. Juni bis 1. September 1826) empfangen hat (Seite 255 bis 289). Wir greifen aus dem vielseitigen Inhalt nur das Medizinische heraus und beschränken uns auf das rein Tatsächliche, unter Weglassung aller späteren Reflexionen des feinsinnigen und über überlegene Kritik verfügenden Verfassers.
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In wahrhaft fesselnder Weise berichtet der große Kriegschirurg Stromeyer (1804 bis 1876) in seiner vom September 1874 datierten Selbstbiographie über die Eindrücke, die er während seines Aufenthaltes in Wien (22. Juni bis 1. September 1826) empfangen hat (Seite 255 bis 289). Wir greifen aus dem vielseitigen Inhalt nur das Medizinische heraus und beschränken uns auf das rein Tatsächliche, unter Weglassung aller späteren Reflexionen des feinsinnigen und über überlegene Kritik verfügenden Verfassers.
Rust (vgl. Seite 31, Anmerkung 14), der in Wien wie andere unter der Feindschaft des Leibarztes v. Stifft schwer gelitten hatte, folgte einem Rufe nach Berlin, wo er Professor an der dortigen militärärztlichen Bildungsanstalt, 1818 auch an der Universität wurde und es 1822 zum Generalstabsarzt der preußischen Armee brachte. Von Rust entwirft St. folgende Charakteristik: „Er war ein kleiner, dicker Mann, sehr kurzsichtig, seine rechte Hand war ebenso ungeschickt wie seine linke, man freute sich bei jeder seiner Operationen, wenn der Assistent unverletzt davonkam, aber er war doch ein guter Lehrer. Sein Genre war das Kapitel von den Entzündungen, besonders der Gelenke und der Haut, mit ihren Folgen, den Geschwüren. Er verfolgte diese Prozesse mit einem nicht geringen Grade von Beobachtungsgabe. Er studierte fortwährend die objektiven Kennzeichen der mit äußeren Entzündungszufällen verbundenen inneren Krankheiten. Die Geschwüre bildeten für ihn den Ausgangspunkt solcher Forschungen.… Seine Lehre von den Gelenkkrankheiten (Arthrokakologie) hatte das Verdienst, die Aufmerksamkeit diesem Gegenstande zuzuwenden. Von längerer Dauer sind seine Bemühungen um die Einführung der Inunktionskur gewesen. Am besten gefiel mir Rusts sokratische Lehrmethode.“ (L. c. pag. 183 bis 185.)
Rosas stand damals im 36. Lebensjahre. Er war ein vorzüglicher Lehrer, seine Privatkurse über Augenoperationen wurden außerordentlich gerühmt, die Klinik förderte er durch Vermehrung der Sammlung von Instrumenten, Handzeichnungen und Präparaten, auch ließ er durch den Wundarzt J. N. Hofmayer schöne Wachsnachbildungen seltener Augenkrankheiten anfertigen.
Jäger war seit 1825 Professor am Josephinum, er stand damals im 43. Jahre.
Jäger hatte in seiner Wohnung eine Privat-Augenheilanstalt eingerichtet.
Das Doppelmesser erkannte J. aber alsbald als überflüssig und zog das Be ersehe Starmesser in Anwendung.
„Über die ägyptische Ophthalmie“ veröffentlichte Friedrich Jäger, der eine große Abneigung gegen Schriftstellerei hatte, erst im Jahre 1840 eine Abhandlung, welche, wie er fast entschuldigend hervorhebt, zufolge allerhöchsten Auftrages gedruckt worden ist. Dort finden sich auch zweckmäßige prophylaktische Maßnahmen empfohlen, auch wird berichtet, daß es im Jahre 1833 gelang, in Klagenfurt die Epidemie in dem Peterwardeiner Grenzregiment ganz zu beseitigen. — Außer dieser Abhandlung und seiner Dissertation hat er nichts veröffentlicht.
30 Jahre hindurch.
J. Sichel ging auf Jägers Veranlassung 1826 nach Paris, woselbst er die neue französische Schule der Augenheilkunde ins Leben rief.
Kern hatte 1825 die Lehrtätigkeit aufgegeben; gestorben ist er 1829. Zang hatte die von ihm (1806 bis 1824) geleitete chirurgische Klinik an Hager übergeben, blieb aber noch bis 1833 als Professor der theoretischen Chirurgie tätig.
Michael Hager war ein fleißiger Lehrer und ein ungemein fruchtbarer Schriftsteller, doch entbehrten seine Arbeiten zumeist der Originalität.
Seit 1816.
Joh. Nep. Raimann war damals 46 Jahre alt.
J. Chr. Schiffner war seit 1815 Primararzt und Vorstand der Irrenabteüung im Allgemeinen Krankenhause.
Vgl. Seite 67, Anmerkung 17.
Ignaz Rud. Bischoff wurde 1826 der Nachfolger Castellitz’ als Leiter der internen Klinik des Josephinums und hatte sich insbesondere durch seine pathologisch-anatomischen und klinischen Arbeiten über Typhus verdient gemacht. Als medizinischer Schriftsteller hat er eine reiche und vielseitige Tätigkeit entwickelt.
Giov. Battista Borsieri (de Kanilfeld), Professor in Pavia († 1785), schrieb ein Lehrbuch der Medizin (Institutiones medicinae practicae), welches lange den ersten Rang behauptete.
Rensi war 1797 bis 1836 Primararzt, diente aber schon seit 1784 als Sekundararzt.
Wieder ein Beweis, wie weit die exspektative Methode der Wiener Schule zurückreicht! Es war ein Schüler Raimanns, Dietl, der später den Kampf gegen den Aderlaß bei Pneumonie energisch aufgenommen hat.
Der Assistent Biermayers und Lehrer Rokitanskys, Johann Wagner, starb 1832. Er hatte schon Jahre hindurch die Obliegenheiten für Biermayer erfüllt und die pathologisch-anatomischen wie gerichtlichen Sektionen vorgenommen, bis er 1830 Prosektor wurde. Wiewohl man damals in Wien noch wenig Verständnis und Interesse für die pathologische Anatomie hatte, erweckten doch seine verdienstvollen Arbeiten (über Darmgeschwüre, Lyssa u. a.) die Aufmerksamkeit, und insbesondere waren es fremde Ärzte, die sein Wirken zu würdigen wußten. Beispielsweise schreibt Bur dach in seiner Selbstbiographie, daß er gelegentlich seines zweiten Wiener Aufenthaltes (im Jahre 1826) mit Wagner Umgang pflegte, bei dessen Obduktionen er öfters vormittags anwesend war, während er nachmittags mit ihm die pathologisch-anatomische Sammlung durchging. (Burdach „Rückblick auf mein Leben“, Leipzig 1848, Seite 373.)
Elisabethinerinnen.
Auch Burdach verkehrte 1826 mit Graf H. Er sagt von ihm: „Graf Harrach war unverändert; ich war oft bei ihm, und nachdem ich schon Abschied von ihm genommen hatte, brachte er mir noch sein Brustbild zum Andenken; ich sollte ihn nicht Wiedersehen, denn er starb 1829“. Vgl. bezüglich Harrach meine Schrift „Das alte medizinische Wien“ (Wien 1921).
Carl Gustav Himly (1772 bis 1837), Professor in Jena und Göttingen, bekannt als Verfasser eines großen Lehrbuches der Augenheilkunde, die er durch Einführung der Mydriatica und Vervollkommnung der künstlichen Pupillenbildung förderte.
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Stromeyers, G.F.L. (1921). „Erinnerungen eines deutschen Arztes“. In: Die Wiener Medizinische Schule im Vormärz. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-5705-3_6
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-7091-5705-3_6
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