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Beweisen und Überprüfen. Die Rolle der Mathematischen Gemeinschaft

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Die Innenwelt der Mathematik

Part of the book series: Ästhetik und Naturwissenschaften ((4358))

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Zusammenfassung

Während im letzten Kapitel der individuelle Entdeckungs- und Validierungsprozess im Vordergrund gestanden ist, geht es in diesem Kapitel um den «context of persuasion» und die Bedeutung, die in diesem Zusammenhang der mathematischen Gemeinschaft zukommt. Was geschieht nach Abschluss eines Beweises? Unter welchen Bedingungen wird ein mathematischer Satz als wahr akzeptiert? Welche Auswirkungen haben sog. Computerbeweise und sehr lange Beweise? Können die etablierten Kontrollverfahren aufrechterhalten werden, oder kommt es zu einer Änderung der Kontrollmechanismen, und was sind die Konsequenzen? (5.1.). Die Mathematik zeichnet sich nicht nur durch epistemische Besonderheiten aus, sondern unterscheidet sich auch in sozialer Hinsicht von anderen Disziplinen. In einem zweiten Abschnitt werde ich anhand einer Studie zur Arbeitsorganisation in verschiedenen Disziplinen einige spezifische Strukturmerkmale der Mathematik beschreiben (5.2.). Den strukturellen Besonderheiten der Mathematik entspricht eine spezifische Kultur mit eigenen Werten und Normen. Wie diese Kultur aussieht und inwieweit sie dem von Robert Merton postuliertem «ethos of science» entspricht, ist das Thema des letzten Abschnitts (5.3.)

Und wie mit sichtlicher Genugtuung die Geschichte der Alpenbesteigung immer neue durch Gletscherbeil und Eisschuh unterworfene Ferner verzeichnet, so zeigt der Mathematiker nach harter Arbeit, Lust der Erfindung, Schmerz der Enttäuschung die endlich, endlich durchgesetzte Lösung des von ihm lange belagerten Problems freudig bewegt seinen Fachgenossen, die seine Befriedigung verstehen und teilen.

Paul du Bois-Reymond 1

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Referenzen

  1. Du Bois-Reymond 1874: 193

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  2. Hardy 1929: 18.

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  3. James Fetzer bezieht sich hier kritisch auf Richard de Millo, Richard Lipton und Alan Perlis (1979), die in einem breit rezipierten Aufsatz gegen die mathematische Programmverifikation Stellung bezogen hatten. Unter «Programmverifikation» versteht man den mathematischen Nachweis, dass ein Programm fehlerfrei ist. Ein verifiziertes Programm ist m.a.W. ein Programm, dessen Korrektheit mathematisch bewiesen wurde. Die Debatte rund um die Programmverifikation, bei der es gleichzeitig auch um verschiedene Auffassungen von Informatik geht, ist in dem von Timothy Colburn, James Fetzer und Terry Rankin (1993) herausgegebenen Sammelband gut dokumentiert. Vgl. zur Programmverifikation aus soziologischer Sicht die interessante Fallstudie von Donald MacKenzie (MacKenzie 1992; 1993.)

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  4. Dieses Zitat ist in verschiedener Hinsicht instruktiv. Zum einen zeigt es, dass Mathematiker verschiedene Validierungsstrategien benützen. In diesem Fall: Beweisen und Berechnen. Zum anderen macht es deutlich, wie die Überprüfung von Resultaten konkret funktioniert. Nicht nur über den offiziellen Referee-Prozess, sondern auch über die Verwendung von Resultaten in der praktischen Arbeit.

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  5. Eine gewissermassen zweite Kontrollebene stellen Rezensionszeitschriften wie das Zentralblatt für Mathematik oder die Mathematical Reviews dar. In den Mathematical Reviews wurden bis vor kurzem praktisch alle Publikationen, die auf dem Gebiet der Mathematik erschienen sind, rezensiert. Pro Jahr erscheinen 50.000 Reviews, der Seitenumfang pro Jahr liegt bei 7.000 bzw. bei 11.000 Seiten, wenn man den Index miteinbezieht (Jackson 1997).

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  6. Thomas Tymoczko hat in einem breit diskutierten Aufsatz die Auffassung vertreten, dass computergestützte Beweise ein aposteriorisches Element in die Mathematik einführen. Der Vier-Farben-Satz sei «the first mathematical proposition to be known a posteriori» (Tymoczko 1979: 58). Tymoczkos These einer computerinduzierten «epistemologischen Revolution» (Levin 1981) ist nicht unbestritten geblieben. Viele Autoren vertreten die Ansicht, dass der Einsatz des Computers nichts grundsätzlich Neues in die Mathematik einbringt. Zwischen einem menschlichen und einem maschinellen Beweis bestehe keine prinzipielle Differenz. In beiden Fällen enthalte das Wissen ein <empirisches> und folglich unsicheres Element. «The 4CT», so Israel Krakowski, «does not, I conclude, raise any new issues of philosophical importance. Yet there is something distinctive about the proof: I think it is that the proof highlights the already existing empirical elements of mathematical knowledge» (Krakowski 1980: 95; vgl. ähnlich auch Detlefsen/Luker 1980). In den meisten Repliken auf Tymoczkos Aufsatz (und das gilt auch für Tymoczko selber) wird jedoch nicht deutlich genug zwischen «empirischem» und «quasi-empirischen» Wissen unterschieden. Vgl. zu dieser Diskussion auch Shanker 1987: Kap. 4.

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  7. Dies macht auch deutlich, weshalb die Bezeichnung «Computerbeweis» missverständlich ist. Der Beweis wurde nicht von einem Computer gefunden, sondern der Computer hatte ausschliesslich Hilfsfunktion. Anstatt von «Computerbeweisen» sollte man in solchen Fällen besser von «computergestützten Beweisen» sprechen.

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  8. Viele Mathematiker, mit denen ich gesprochen habe, haben dem Vier-Farben-Beweis gegenüber ähnliche Vorbehalte angemeldet wie Halmos. Der Vier-Farben-Beweis sei «Gottseidank ein unwichtiges Ergebnis», und die Tatsache, dass man jetzt einen «Riesenbeweis» habe, schliesse ja nicht aus, dass man irgendwann doch noch «einen kleinen, schönen, einfachen Beweis» finde.

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  9. Zu einer frühen Diskussion der Differenz zwischen Computerbeweisen und menschlichen Beweisen vgl. Cerutti/Davis 1969.

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  10. Sehr vereinfacht formuliert, wurde mit dem Klassifizierungsbeweis nachgewiesen, dass die endlichen einfachen Gruppen aus einer bestimmten, genau festlegbaren Anzahl von Gruppen bestehen, nämlich aus 18 regulären, unendlichen Familien von Gruppen und aus den 26 sporadischen Gruppen. Der Nachweis ist abgeschlossen, wenn man die oben genannten Gruppen vollständig beschrieben und bewiesen hat, dass die endlichen einfachen Gruppen genau diese und nicht mehr Gruppen enthalten. Als verständliche Darstellung des Klassifizierungsbeweises vgl. Gorenstein 1986.

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  11. Norbert Wiener, zit. in Hagstrom 1966: 200.

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  12. In den 60er und 70er Jahren waren die Prozesse der disziplinären Differenzierung ein relativ breit untersuchtes Forschungsfeld, das in verschiedenen Studien zu den Entstehungsbedingungen, dem Wandel und Niedergang von Disziplinen und Fachgebieten einen Niederschlag fand (vgl. u.a. Ben-David/Collins 1966; Blume/Sinclair 1974; Fisher 1974; Lemaine u.a. 1976). Die Einzelfallmethodologie der konstruktivistischen Wissenschaftsforschung und ihre These, dass Disziplinen durch trans- oder subdisziplinäre Kommunikationszusammenhänge abgelöst werden, hat zu einer Verlagerung des Forschungsschwerpunkts auf die sub- und transdisziplinäre Ebene geführt. Neuerdings scheint die Disziplinenfrage jedoch eine gewisse Renaissance zu erfahren, vgl. exemplarisch die Arbeiten von Stichweh (u.a. 1984; 1988; 1993); Becher 1989; Lenoir 1997 und den Sammelband von Messer-Davidow u.a. 1993.

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  13. Die Studie beruht auf einer schriftlichen Befragung der Professorinnen und Professoren und des oberen Mittelbaus. Bei den ProfessorInnen und den Frauen des oberen Mittelbaus wurde eine Vollerhebung durchgeführt, bei den Männern des oberen Mittelbaus handelt es sich um eine Zufallsstichprobe.

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  14. Es wurden nur Disziplinen berücksichtigt, bei denen über 60 Prozent der Antwortenden angaben, eng mit anderen Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten. In der Tabelle sind die durchschnittlichen Prozentwerte für einige dieser Disziplinen aufgeführt. «Teamgrösse»: Teams mit max. 6 Personen. «Kontakt»: Häufigkeit formeller Sitzungen und informeller Besprechungen. «Koautorenschaft»: die Zahlen in der ersten Zeile geben an, wie hoch der Anteil der Personen ist, die mindestens 30% ihrer in den letzten 5 Jahren veröffentlichten Aufsätze alleine geschrieben haben. Die Zahlen in der zweiten Zeile geben an, wie hoch der Anteil der Personen ist, die mindestens 30% ihrer in den letzten 5 Jahren publizierten Aufsätze gemeinsam mit mindestens vier anderen Autoren verfasst haben. «Technisierung» wurde über die Fragen operationalisiert, ob im Team auch technische Mitarbeiter beschäftigt sind.

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  15. Ich danke Regula Leemann für die folgenden Berechnungen.

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  16. Die Fields-Medaille ist die höchste Auszeichnung in der Mathematik. Sie wird alle vier Jahre vergeben. Im Unterschied zum Nobelpreis liegt das Preisgeld allerdings sehr viel tiefer, und die Vergabe ist altersgebunden. Wer sie erhält, muss seine entscheidenden Arbeiten vor dem vierzigsten Lebensjahr veröffentlicht haben. Mit dieser Altersbegrenzung wird die in der Mathematik verbreitete Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass Wissenschaft «a young person’s game» ist. Dies zeigt sich auch in der erwähnten Studie. Das Durchschnittsalter bei der Promotion, der Habilitation und der ersten Professur ist in der Mathematik tiefer als in der Physik, der Chemie oder der Biologie.

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  17. Der Begriff Big Science wird nicht immer einheitlich gebraucht (vgl. als Überblick Capshew/Rader 1992). Einige Autoren verstehen darunter Grossforschungseinrichtungen wie etwa das CERN, andere die quantitative Expansion der Wissenschaft im 20. Jahrhundert und dritte schliesslich die zunehmend arbeitsteilig organisierte Forschung in grossen Teams. Hier ist dieser dritte Aspekt gemeint.

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  18. Viele Mathematiker, mit denen ich gesprochen habe, haben die Bedeutung von solchen informellen Kooperationen betont, aber Vorbehalte gegenüber stabilen Arbeitsbeziehungen angemeldet. «Ich würde gerne mit Leuten zusammenarbeiten, aber ich treffe wenig Leute, von denen ich den Eindruck habe, ich könnte wochenlang mit ihnen zusammenarbeiten. Es muss nicht nur inhaltlich zusammen passen, auch die Wellenlänge muss genügend gleich sein.»

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  19. Da die Arbeitsbeziehungen in der Regel informell sind und auf privater Initiative beruhen, müssen sie von persönlichem Vertrauen getragen sein. Dies hat zur Folge, dass Kooperationspartner tendenziell nach dem Prinzip der sozialen Homologie ausgewählt werden. Warren Hagstrom bezeichnet die Anbahnung solcher informellen Beziehungen als «courtship» (Hagstrom 1966: 114), ein Begriff, der sehr genau wiedergibt, was Luhmann über die Einleitung und Stabilisierung von persönlichen Vertrauensbeziehungen schreibt (Luhmann 1989: 47f.).

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  20. Dafür ist die Kommunikationsstruktur der Mathematik ausgesprochen international. Gemäss der szientometrischen Analyse von Luukkonen u.a. (1992) weist die Mathematik den höchsten Anteil von Aufsätzen mit Autoren aus verschiedenen Ländern auf. Der Grund dafür liegt einerseits darin, dass die Mathematik eine vergleichsweise kleine Disziplin ist, und zum anderen in ihrer hohen internen Spezialisierung, die Austauschbeziehungen über nationale Grenzen hinweg notwendig macht.

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  21. Der Ausschnitt gibt einige Unterkategorien des Hauptgebietes «Assoziative Ringe und Algebren» wieder.

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  22. Weil 1950: 296.

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  23. Stichweh vermutet, dass die disziplinäre Stabilität durch die Institutionalisierung von disziplinenspezifischen Rollen im Bildungs- und Beschäftigungssystem begünstigt wird. Die Disziplinen fungieren in diesem Fall als Adressen für externe Erwartungen (Stichweh 1993). Daneben gibt es jedoch auch interne Stabilitätsbedingungen. Dazu gehört neben einer disziplinenspezifischen Kultur auch die Einheitlichkeit der Arbeitserfahrung. Disziplinen, in denen unterschiedliche Kooperations- und Arbeitsmodelle realisiert sind, haben grössere Schwierigkeiten, eine gemeinsame Kultur und Identität auszubilden. Wie homogen die Arbeitsbedingungen sind, lässt sich über die Bandbreite der Antworten ermitteln. In der im vorangehenden Abschnitt beschriebenen Studie ist die Streuung in der Mathematik um einiges geringer als in den beiden Vergleichsdisziplinen — ein Indiz dafür, dass die Arbeitsorganisation relativ homogen ist.

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  24. Es ist auffallend, wie häufig die Beziehung zwischen Physik und Mathematik in geschlechtlichen Metaphern beschrieben wird. Auf der einen Seite die strenge, disziplinierte und männliche Mathematik, auf der anderen Seite die weibliche, unzuverlässige, aber gleichzeitig auch verführerische theoretische Physik. Oder wie es ein anderer Mathematiker in einem Interview formulierte: «Die Physik ist wie eine Frau. Sie schaut dich an, winkt und läuft dann weg — und wir laufen immer zwei Schritte hinterher.»

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  25. Zwischen 1960 und 1990 hat sich die Mitgliederzahl der American Mathematical Society nahezu vervierfacht. Sie ist von 6.725 im Jahre 1960 auf 25.623 im Jahre 1990 angestiegen (Odlyzko 1993: 2). Gleichzeitig ist die Publikationsrate massiv angestiegen. Während die Mathematical Reviews 1940 gut 2.000 Besprechungen enthielten, waren es 1996 50.000 (Jackson 1997: 331). Die Zahlen sind insofern aussagekräftig, als die Mathematical Reviews bis vor kurzem nicht selektiv rezensierten. Die Wachstumsraten verlaufen jedoch nicht linear, sondern sind grossen Schwankungen unterworfen (Wagner-Döbler 1997: 138ff.).

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  26. Die «Industrialisierung» der Forschung — oder wie es Helmuth Plessner bereits in den 20er Jahren formulierte: «die zunehmende Verdrängung des Handwerklichen zugunsten der maschinellen Produktionsform» (Plessner 1924: 131) — hat in gewissen Disziplinen zwar schon im 19. Jahrhundert eingesetzt (vgl. 7.3.2.), sie ist aber erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem verbreiteten Phänomen geworden. Wie Geser (1977) in einer vergleichenden Studie zeigt, ist der Zusammenhang zwischen Technisierung, Arbeitsteilung und Grösse jedoch variabel. Das Industrialisierungsmodell, das eine hohe Kovarianz zwischen diesen Dimensionen unterstellt, ist so gesehen ein Spezialfall, der nur unter spezifischen Kontextbedingungen realisiert ist. Zu alternativen Organisationsformen von Grossteams vgl. auch Knorr Cetina 1995.

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  27. Vgl. als historisches Beispiel den (potentiellen) Prioritätsstreit zwischen Richard Dedekind und Georg Cantor, der von beiden Seiten mit beträchtlicher Gelassenheit behandelt wurde: «Cantor hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass er den Unterschied zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen schon 1877 (Crelle, Bd. 48, S. 242) hervorgehoben habe, dass er aber keine Reclamation wegen Priorität beabsichtige. (...) Man besitzt bisweilen Etwas, ohne dessen Werth und Bedeutung gehörig zu würdigen. Zu einem Prioritätsstreit habe ich aber auch nicht die geringste Lust» (Dedekind an Heinrich Weber 1888, in Dedekind 1932: 488). Zu einem vergleichsweise harmlosen Fall von Prioritätskonflikt in der Mathematik vgl. Smale (1990) sowie Fisher (1972), der sich in seiner Studie ebenfalls auf die Poincaré-Vermutung bezieht.

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  28. Seit kurzem werden allerdings auch mathematische Formeln unter Patentschutz gestellt. Attraktiv für Patentierungen sind insbesondere kryptographische Verfahren. Eine neuartige Entwicklung ist die sog. «Zero Knowledge»-Beweistechnik. Zero-Knowledge-Beweise sind Beweise, von denen man zeigen kann, dass sie geführt wurden, ohne aber den Beweis selbst offenzulegen (vgl. Landau 1988). Diese Entwicklungen sind zwar auf wenige Gebiete, insbesondere auf die Kryptographie, beschränkt, gerade in der Mathematik, in der die Kommun(al)ismus-Norm breit verankert ist, wird diese Privatisierung des Wissens jedoch besonders argwöhnisch betrachtet.

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  29. In einer späteren Arbeit unterscheidet Hargens (1975) deutlicher, als Hagstrom dies getan hat, zwischen Konsens und Anomie, wobei er «Anomie» als geringe gegenseitige Abhängigkeit bzw. soziale Isolation definiert. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Mathematik im Vergleich zu anderen Disziplinen (Chemie, Physik, Soziologie, Politikwissenschaft) durch einen hohen kognitiven Konsens auszeichnet, die Mathematiker aber weniger sozial eingebunden sind (Zeit für berufliche Korrespondenz, Teilnahme an Konferenzen) und häufiger Phasen erleben, die durch geringe Produktivität und Unsicherheit hinsichtlich der Relevanz ihrer Arbeit gekennzeichnet sind. Anstatt diese Ergebnisse als Ausdruck von Anomie zu lesen, können sie ebensogut und weniger dramatisch als Hinweis auf eine Arbeitsform interpretiert werden, die durch geringe Teamarbeit charakterisiert ist.

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  30. Whitley hat seine Typologie im Kontext seiner organisations- und professionssoziologischen Arbeiten zur Wissenschaft entwickelt. Sie bildet einerseits ein Klassifikationsschema für den Vergleich von Disziplinen und dient andererseits als Instrument, um wissenschaftliche von nicht-wissenschaftlichen Arbeits- und Professionsgemeinschaften abzugrenzen. Im Unterschied zu Mertons funktionalistischer Argumentation interessiert sich Whitley vor allem für die organisatorischen Voraussetzungen wissenschaftlicher Autonomie. Disziplinen werden dabei als Professionsgemeinschaften verstanden, die im Falle hoher Autonomie eigenständig Forschungsziele und -strategien steuern und kontrollieren.

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  31. Whitley 1984: 169.

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  32. Der kognitive Konsens einer Disziplin wird in der Regel über folgende Indikatoren erhoben: Rückweisungsrate bei Zeitschriften; Übereinstimmung bei der Beurteilung von Forschungsanträgen und hinsichtlich der Leistung einzelner Wissenschaftler; Erfolgschancen jüngerer Wissenschaftler und Dauer der Dissertation (Cole 1992: 111 ff.; Hargens 1975). Zuckerman und Merton (1973) führen für die Beziehung zwischen kognitivem Konsens und Alter zwei Gründe an: in Disziplinen mit hohem Konsens bestehen allgemein akzeptierte Kriterien für die Beurteilung von Leistungen. Zugeschriebene Kriterien spielen entsprechend eine vergleichsweise geringe Rolle. Zudem ist das Wissen in diesen Disziplinen kodifizierter, d.h. für jüngere Wissenschaftler ist es einfacher, sich das notwendige Wissen in relativ kurzer Zeit anzueignen. Teilweise messen diese Indikatoren allerdings nicht den kognitiven Konsens selbst, sondern eher dessen Effekt.

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  33. Stichweh (1979) definiert die <harten> Wissenschaften über folgende Merkmale: (1) vergleichsweise hohes Konsensnivau und entsprechend wenig konkurrierende Schulen, (2) Konzentration auf wenige Kern-Journale, (3) geringe Berücksichtigung der Literatur aus anderen Disziplinen, (4) niedrige Ablehnungsquoten, (5) Teamarbeit und Koautorenschaft, (6) unpersönlicher wissenschaftlicher Stil und (7) Zeitschriftenaufsätze als primäre Publikationsform. Wie man aus dieser relativen bunten Liste ersieht, ist die Unterscheidung zwischen <harten> und <weichen> Disziplinen nicht unbedingt ein Beispiel härtester Wissenschaftlichkeit.

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  34. Die Leistung wurde über die Zitationshäufigkeit und die Zeit zwischen Bachelor und PhD gemessen; das Prestige der Ausbildungs- bzw. PhD-Institution wurde dagegen im Anschluss an die Untersuchung von Long u.a. (1979) als zugeschriebenes Merkmal interpretiert. Es ist allerdings eine offene und kontrovers diskutierte Frage, ob der Umstand, dass zwischen dem Prestige der Ausbildungsinstitution und der erreichten Position ein direkter und von den wissenschaftlichen Vorleistungen unabhängiger Zusammenhang besteht, tatsächlich als Indiz füir ein partikularistisches Funktionieren der Wissenschaft interpretiert werden kann.

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Heintz, B. (2000). Beweisen und Überprüfen. Die Rolle der Mathematischen Gemeinschaft. In: Die Innenwelt der Mathematik. Ästhetik und Naturwissenschaften. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-3699-7_6

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