Zusammenfassung
Diese Arbeit ist ein theoretisch-konzeptioneller und kritischer Diskurs über die Frage nach der Position der Psychopharmakotherapie innerhalb des Therapieprozesses eines Individuums. Die Antwort, welche dieser Diskurs auf mehreren Argumentationsebenen zu geben versucht, ist, daß die Position des Psychopharmakons, innerhalb der integrierten Bedienungsstruktur des Therapieprozesses und im Einzelfall eines Patienten, grundsätzlich unbestimmbar sei (der Autor nennt dies die „Unschärferelation“ in der Psychopharmakotherapie). Oder praxisnah ausgedrückt: Die Größe des Anteils des Psychopharmakons an der manifesten psychotherapeutischen Wirkung ist im Einzelfall eines Patienten immer ungewiß.
Im speziellen schlägt der Autor einige konzeptionelle Korrekturen vor, die diesem Sachverhalt Rechnung tragen und Mißverständnisse abbauen könnten: (1) Psychopharmaka sollte man nicht „psychotrop“ nennen, sondern „neurotrop“ bzw. „zerebrotrop“; ferner sollte man die manifeste Gesamtwirkung im Rahmen einer Psychopharmakatherapie im Erfolgsfalle „psychotherapeutisch“ nennen (durchaus in dem gleichen Sinne, in welchem man die Symptomremission, z.B. bei einer erfolgreichen Verhaltenstherapie, ebenfalls psychotherapeutisch nennt. (2) Psychopharmaka sind zwar psychotherapeutisch wirksam (im Sinne der Symptomremission), dies aber nicht auf individuell spezifische Weise, denn man könne im Einzelfall eines Patienten nicht entscheiden, ob die manifeste therapeutische Wirkung dem Pharmakon, oder aber einem unspezifischen Placeboeffekt zuzuschreiben sei. Somit reduziert sich die sog. Spezifität der Psychopharmaka auf ihre neurotropen Wirkungen und auf ihre — keineswegs in jeder Forschungsstudie — nachweisbare therapeutische Überlegenheit über Placebo im statistischen Mittelwertvergleich von Gruppen von Patienten. (3) Psychopharmaka interagieren mit anderen Therapieformen, von den leiborientierten Therapien über die Patient-Arzt Beziehung bis hin zu den Gruppentherapien, ebenfalls in einer im Patienteneinzelfall grundsätzlich unbestimmbaren Weise. Diese Art der Unschärferelation der Psychopharmakotherapie beruht u. a. darauf, daß das Psychopharmakon innerhalb des somatopsychosoziokulturellen Therapieprozesses (welchen die ganze Person eines Menschen integriert), an hierarchisch unterster Stelle zur primären Wirkung gelangt (nämlich an zellulären Bindungsstellen). Somit besteht für das Pharmakon eine „vertikale“ Interaktion mit anderen Therapieformen, welche grundsätzliche Beurteilungsprobleme der Beziehung aufwirft, sofern man nicht die beliebte Ausflucht in den naturwissenschaftlichen Reduktionismus wählen will (wo hierarchisch unterschiedliche Ebenen auf eine einzige Untersuchungsebene reduziert werden).
Im Verhältnis zwischen Psychopharmakotherapie und struktureller Psychotherapie sollte, neben ihrer Gemeinsamkeit (s.psychotherapeutisch), auch ein wesentlicher Unterschied festgehalten werden: Die Psychopharmaka kann man als Induktoren zur Desinvolution der Bewußtheit eines Individuums auffassen, wohingegen strukturelle Psychotherapien als Induktoren für Evolutionsprozesse der Bewußtheit einer Person konzipiert werden können.
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Literatur
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Langer, G. (1991). Über die „Unschärferelation“ in der Psychopharmakotherapie angesichts des ganzheitlichen somatopsychosoziokulturellen Therapieprozesses in einem individuellen Menschen. In: Danzinger, R. (eds) Psychodynamik der Medikamente. Schriftenreihe der Wissenschaftlichen Landesakademie für Niederösterreich. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-3371-2_2
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