Zusammenfassung
Die Entwicklung der Grundsätze der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts2 und seines Vorrangs vor dem nationalen Recht3 durch den Gerichtshof warf alsbald weitere Fragen betreffend die effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts vor den nationalen Gerichten auf. Für den Gerichtshof ging es einerseits darum, die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten und zu diesem Zweck das Potential der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten im Vorabentscheidungsverfahren zu nützen. Dies konnte ihm nur dann gelingen, wenn sichergestellt wurde, dass entscheidungserhebliche Fragen des Gemeinschaftsrechts vor die Gerichte gebracht werden konnten, die gemäß Art 234 EGV (nunmehr Art 267 AEUV) zur Vorlage an den EuGH berechtigt bzw — als letztinstanzliche Gerichte — verpflichtet waren. Andererseits entbehrt das Gemeinschaftsrecht über weite Strecken4 eines eigenen Verfahrensrechts zur Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Ansprüche. Für diese Durchsetzung war man somit auf das nationale Verfahrensrecht angewiesen. Griff der Gerichtshof zu stark in dieses nationale Verfahrensrecht ein, so bestand die Gefahr, dass die Mitgliedstaaten dies als Anmaßung von Kompetenzen durch den EuGHund durch die Gemeinschaft ansehen würden5. Vor diesem Hintergrund wählte der Gerichtshof zunächst einen vorsichtigen Ansatz6.
Mitglied des Juristischen Dienstes der Europäischen Kommission. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wieder.
Seit EuGH, Rs 26/62, Van Gend & Loos, Slg 1963, 1, 3. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1.12.2009 ist grundsätzlich nicht mehr von „Gemeinschaftsrecht“, sondern nur noch von „Unionsrecht“ zu sprechen. Für die historische Darstellung wird im vorliegenden Text allerdings am Begriff des „Gemeinschaftsrechts“ festgehalten. Die gewonnenen Erkenntnisse werden gemäß der aktuellen Rechtslage auf das Unionsrecht übertragen.
Seit EuGH, Rs 6/64, Costa/ENEL, Slg 1964, 1251, 1253.
Siehe aber die Auflistung sekundärrechtlicher Verfahrensregeln bei Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des Europäischen Gemeinschaftsrechts (1997), 362 ff, sowie bei Frank, Gemeinschaftsrecht und staatliche Verwaltung (2000), 300 ff. Ferner Holoubek, Rechtsschutz und Verwaltungsautonomie: Die Rechtsschutzanforderungen des europäischen Verwaltungsrechts als Begrenzung der institutionellen Autonomie der Mitgliedstaaten, in Iliopoulos-Strangas/Bauer (Hrsg), Die Neue Europäische Union (2006), 262 ff.
Craufurd Smith, Remedies for Breaches of EU Law in National Courts: Legal Variation and Selection, in Craig/De Búrca (Hrsg), The Evolution of EU Law (1999), 297; Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext2 (2007), Rdnr 804.
Im Folgenden kann nur auf die wesentlichen Linien der Rechtsprechung eingegangen werden. Ausführlichere Darstellungen finden sich in der zitierten Literatur, jüngst insb bei v Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht (2008), 277 ff, 476 ff und 579 ff. Nicht Gegenstand dieses Beitrags sind im Übrigen die Entwicklung eines europäischen Zivilprozessrechts und dessen Auswirkungen auf das österreichische Verfahrensrecht. Ebenso wenig wird den Auswirkungen nachgegangen, die das abgeleitete Unionsrecht in verschiedenen Bereichen — etwa dem Vergaberecht — nicht nur auf das gerichtliche, sondern auch auf das verwaltungsbehördliche Verfahren haben kann. Siehe nur EuGH, Rs C-81/98, Alcatel Austria, Slg 1999, I-7671.
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Schima, B. (2010). Unionsrechtliche Vorgaben für den gerichtlichen Rechtsschutz. In: Hummer, W. (eds) Neueste Entwicklungen im Zusammenspiel von Europarecht und nationalem Recht der Mitgliedstaaten. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-0237-4_11
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