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Martin Walsers „Sauspiel“

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Part of the book series: Lesen ((LES))

Zusammenfassung

Martin Walsers Drama Das Sauspiel ist das dritte der in kurzer zeitlicher Abfolge in der Bundesrepublik erschienenen Dramen, die die historischen Ereignisse um Reformation und Bauernkrieg zum Gegenstand haben. Gleichwohl unterscheidet sich Walsers Drama auffallend sowohl von Fortes Martin Luther und Thomas Mtintzer als auch von Yaak Karsunkes Bauernoper. Diese beiden Stücke knüpfen direkt an die historischen Auseinandersetzungen zwischen römisch-katholischer Kirche und protestantischem Anspruch auf Erneuerung dieser Glaubenslehre, zwischen dem Machtstreben der Territorialfürsten und dem Aufbegehren der Bauern, ihrem Versuch der Befreiung von feudaler Repression, an. Sie spielen, insbesondere Karsunke, in einzelnen Szenen authentische Ereignisse — aufbereitet für unser aktuelles Verständnis — nach. Walser findet dagegen an den bäuerlichen Erhebungen kein unmittelbares Interesse, sondern erachtet es als lohnender, jene politischen Maßnahmen, die als Reaktion auf die Bauernerhebungen folgten, dem heutigen Theaterpublikum zu präsentieren. Erklärtes Ziel Walsers ist es, uns die „Stimmung der Jahre nach dem Bauernkrieg“ dramatisch zugänglich zu machen, die „Stimmung also nach einer niedergeschlagenen Revolution“ (Walser, Das Sauspiel. Szenen aus dem 16. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1975, S. 159). Dies aus der Sicht Walsers mit gutem Grund: seine Intention besteht weniger darin, ein Stück verdrängter deutscher Geschichte dem aktuellen historischen Bewußtsein wieder einzugliedern, vielmehr fahndet er, wie im besonderen Fall der Niederlage der Bauern, nach den politischen Entwicklungen, die maßgeblich an diesem Verdrängungsprozeß beteiligt waren. Diese Intention ist von der Überzeugung getragen, daß auch das gegenwärtige politische Klima im wesentlichen durch Maßnahmen geprägt ist, die gegen Emanzipationsbewegungen gerichtet sind — deswegen besteht eine hohe Affinität zwischen den historischen Ereignissen nach dem Bauernkrieg und der aktuellen politischen Situation. An anderer Stelle verdeutlicht Walser, wie er sich ein kritisches historisches Bewußtsein, ein emanzipatives gegenwartsbezogenes politisches Engagement und die Synthese dieser beiden Bereiche vorstellt: „Ich wohne in einem Land, das seit den Zeiten Luthers so gut wie keine Revolution mehr hatte. Bei uns löste jeder Ansatz zu revolutionärer Bewegung gleich eine lang anhaltende Gegenrevolution aus. Unsere Geschichte ist bestimmt von Gegenrevolutionen. Offenbar liegt es uns nicht, mit den Folgen dieser Gegenrevolutionen im Handumdrehen fertig zu werden. Wir müssen die Anachronismen abtragen wie Trachten aus zähem Tuch.“ (Walser, Ein sehr bescheidener Vorschlag, Kürbiskern, Heft 4, 1967, S. 92). Walser bezeichnet sich zwar als „unfreiwilligen Erben“ dieser in der deutschen Geschichte dominierenden Entwicklung; um sich aber mit dieser aufgezwungenen Rolle kritisch auseinanderzusetzen, genügt es ihm nicht, hinter dieser beständig den Fortschritt hemmenden Tradition nach zukunftsträchtigen historischen Ereignissen zu suchen; er versucht vielmehr, diesen zwanghaften Mechanismus in der deutschen Geschichte aufzudecken und sieht darin einen ersten notwendigen Beitrag zu dessen Überwindung. Damit die Denunzierung der gegenrevolutionären Kräfte das von Walser gewünschte Ziel erreicht, bindet er sein Konzept an eine zweite Bedingung: er vertraut auf die Lernfähigkeit seines Publikums, sie ist ihm Ziel und Voraussetzung seiner Arbeit zugleich. Diese Lernprozesse verlaufen dann in der gewünschten Richtung, wenn sie auf der Kritik an den System-stabilisierenden Handlungen der gegenrevolutionären Kräfte fußen, wenn „beim sogenannten Gegner in die Schule“ gegangen wird (Walser 1967, S. 92). Damit schließt sich für Walser der Kreis zwischen kritisch-historischem Bewußtsein und gegenwartsbezogenem politischem Engagement in der Initierung von Lernprozessen, die von der Einsicht in die Bedingungen von Entstehung und Befestigung gegenrevolutionärer Macht ausgehen und dadurch resistent machen gegen Einbrüche gegenrevolutionärer Verhaltensweisen.

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© 1976 Springer Fachmedien Wiesbaden

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Siblewski, K. (1976). Martin Walsers „Sauspiel“. In: Raitz, W. (eds) Deutscher Bauernkrieg. Lesen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-16294-0_8

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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