Zusammenfassung
Langsam, aus unscheinbaren und dunklen Anfängen heraus, entwickelt sich das geistige Leben des Menschen im ßaufe vieler Jahre; je reicher die Persönlichkeit sich entfaltet, besto länger pflegt der Weg zur vollen Höhe ihrer Entwicklung zu sein. Es ist eine wunderbare Tatsache der vergleichenden Biologie: ein lebendes Wesen ist bei seiner Geburt um so hilfloser, seine Lebensäußrungen sind um so unselbständiger, je höher seine Stellung im Tierreich ist. Das eben aus dem Ei geschlüpfte Hühnchen kann laufen, es pickt Römer auf, befriedigt seine wichtigsten Lebensbedürfnisse in zweckmäßiger Weise; das neugeborene Menschenkind dagegen liegt als ein hilfloses Geschöpf im Bette, vermag außer ungeordneten Bewegungen und unartikuliertem Schreien nur wenige zweckmäßige Lebensäußerungen zu bekunden. Was wir an solchen wahrnehmen, trägt fast durchweg den Eharatter reiner Reflexbewegungen, also von Bewegungen, die auf äußere und innere (d. h. im Rörperinnem entstehende) Reize ohne einzutreten von bewußten seelischen Borgängen mit notwendiger Monotonie erfolgen. Die Rindheit des Tieres ist viel kürzer als die des Menschen. Der neugeborene Mensch ift viel ärmer an fertigen Instinkteinrichtungen als das Tier; zahlreiche Instinkte treten erst spät im Laufe des ßebens zutage (z.B. Sexualtrieb). Je länger die Rindheit eines Leberoesens dauert, besto länger währt auch die Periode der geistigen Reifung
Glücklicher Säugling, dir ist die unendliche Welt noch die Wiege; Werde ein Mann, und dir wird klein die unendliche Welt. (Schiller.)
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Gaupp, R. (1925). Die frühe Kindheit. In: Psychologie des Kindes. Aus Natur und Geisteswelt. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-15838-7_5
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-15838-7_5
Publisher Name: Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-663-15272-9
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