Zusammenfassung
Von den Untersuchungen der Experimentalpsychologie angeregt, wurden in der zweiten Hälfte des 19Jahrhunderts Zusammenhänge von Genialität und Wahnsinn erforscht und diskutiert. 1 Konfabulation, d. h. verselbständigtes Assoziieren, bei dem die Empfindungen unabhängig von den Bedingungen, die diese im Normalfall ins Verhältnis setzen, frei gestaltet werden, schien Halluzination und schöpferische Phantasie in gleicher Weise erklären zu können. 2
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
In Gang gebracht wurde die Diskussion vor allem durch Cesare Lombrosos außerordentlich erfolgreiches Werk ’Genio e Follia’, Mailand, 1864.
S. Wilhelm Dilthey: Dichterische Einbildungskraft und Wahnsinn. A. a. O., S. 12
A. a. O.
Dilthey, a. a. O., S. 13f.
A. D.: Gedächtnisstörungen bei der Korsakoffschen Psychose. Berlin, 1905; S. 35f.
Ebd.; Max Dessoir: “Teleologischer Unterschied zwischen Genie und Wahnsinn: Das Genie weist nach vorwärts, der Geisteskranke nach rückwärts.” Max Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. Stuttgart, 1906; S. 263.
Den Reichtum an anschaulichen Vorstellungsverbindungen macht Dilthey zum wesentlichen Unterscheidungsmerkmal zwischen Genie und den Zuständen des Wahnsinns, des Traums oder der Hypnose. Dilthey, a. a. O., S. 14ff.
Nach Dilthey unterscheidet sich Genialität durch die vollständige Beziehung der Vorstellungen und Begriffe aufeinander von der gewöhnlichen, nur äußerlichen Vergleichung nach dem logischen Schlußverfahren des Verstandes. Dilthey, a. a. O., S. 15f.
Dilthey, a. a. O., S15
Aufmerksamkeitsstörungen bei Hysterie. Zuerst veröffentlicht in: Archiv f. Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 45. Bd., Berlin, 1909; S. 464–488; im folgenden zitiert nach der Ausgabe von Paul Lüth: Alfred Döblin als Arzt und Patient. A. a. O..
Lüth, a. a. O., S65
Ebd.
Ähnliche Ansichten über hypertrophe Veranlagungen äußert auch Max Dessoir in seiner ’Allgemeinen Ästhetik und Kunstwissenschaft’: “In jedem Betrieb, so auch in dem unseres Organismus, kommt die Mehrleistung eines Teiles nur auf Kosten anderer Teile zustande. (...) Man darf biologisch das Bewußtsein auffassen als eine allmählich entstandene Schädigung des Körpers, als eine zum Tode führende Krankheit, von der das reine Leben frei ist und man darf vermuten, daß dem Regenwurm bereits der Hund als ein Gehirnneurastheniker erscheint.” A. a. O., S. 264. Dessoir, den Döblin rückblickend als einen seiner Lehrer bezeichnete, hielt in Berlin Vorlesungen über Psychologie, Ästhetik und Philosophie.
S. Z. B. die Rundfunksendung “Aus einer Sezessionssitzung. Döblin spricht über Bilder und Malerei. Berlin, 11. 4. 1931”. L. Huguet: Bibliographie. A. a. O., S. 143, Nr. 977; Typoskript im handschriftlichen Nachlaß: Deutsches Literaturarchiv (Marbach/N), Konvolut Rundfunkansprachen.
Ebd.; “Der Dichter (...) — oft ein kindliches, schlecht diszipliniertes, haltloses und perverses Geschöpf, das auch durch Narkotika und Alkohol in andere Sphären zu dringen versucht, auch um dem ärgerlichen Druck der Realität zu entgehen — (...).” A. Z. L., S. 264
In einer Rundfunksendung über seine eigene schriftstellerische Produktion teilt Döblin mit: “Da steht das also, was meine Tage ausgefüllt und aufgefressen hat. (...) Sie (die Bücher, J. B.) habe ich in Kost gesetzt und gepflegt und bin selber darüber alt und schwach geworden. Da stehen meine Blutsauger, meine Parasiten. Ich wollte mich immer von ihnen befreien, aber gegen ein keimendes Buch ist kein Kraut gewachsen. (...) Und ich könnte sagen, wenn ich mich ganz einer Bitterkeit hingeben wollte, sie florieren und mich haben sie zur Strecke gebracht. (...) Aber es ist mir wirklich oft, ja meistens wirklich, eine Wohltat gewesen, ja eine Wohltat dieses sich zum Opfer machen den Blutsaugern, den entstehenden und wachsenden Büchern, Parasiten.” Rundfunksendung (5. 5. 1946). ’Etwas über den Autor Alfred Döblin’ (Huguet, Bibliographie a. a. O., S. 162, Nr. 1081); Typoskript im handschriftlichen Nachlaß: Deutsches Literaturarchiv (Marbach/N), Konvolut: Rundfunkansprachen.
S. Textvar. 102, 34.
Schiller: “Es wird also erfordert, daß die Natur nicht durch ihre blinde Gewalt als dynamische, sondern daß sie durch ihre Form als moralische Größe, kurz daß sie nicht als Nothdurft, sondern als innre Notwendigkeit über die Kunst triumphiere. (...) wenn der Wille das Gesetz der Notwendigkeit frei befolgt und bei allem Wechsel der Phantasie die Vernunft ihre Regel behauptet, geht das Göttliche oder das Ideal hervor.” Friedrich Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung. Werke. Hg. v. Benno v. Wiese. Bd. 20, Weimar, 1962; S. 415, 419.
Schiller charakterisiert die naiven und die sentimentalischen Dichter folgendermaßen: “Sie werden entweder Natur seyn, oder sie werden die verlorene suchen.” A. a. O., S432
S. die ironische Bemerkung des ’Alten’ bereits im ersten Gespräch: “Du bist hier auf der Hochschule für Sentimentalität.” (12)
Der ’Dumusiker’ scheint mit Nietzsches Wort ernst machen zu wollen: “Man muß tyrannisiren, um überhaupt zu wirken.”. Nietzsche Werke. VIII, 2, a. a. O. (Nachgel. Fragm. Herbst 1887 — März 1888), (1970), S. 136.
S. Karl Heinz Bohrer: Plötzlichkeit. Zum Augenblick des ästhetischen Scheins. Frankfurt/M., 1981; S. 43ff. Die philosophische Rechtfertigung des Intuitionismus wird u. a. von Döblins ’Lehrer’ Rickert kritisiert. S. Bohrer, a. a. O., S. 50.
S. o. d. Kap. ’Schlaf und Wachsein’. Auch Nietzsche bringt den Schlaf mit dem Schrecken in Verbindung.”Kennt ihr den Schrecken des Einschlafenden?- Bis in die Zehen hinein erschrickt er, darob, daß ihm der Boden weicht und der Traum beginnt.” Nietzsche: Also sprach Zarathustra. Nietzsche Werke. VI, 1, a. a. O. (1968), S. 183.
Vgl. Heinrich Rickert: Die Philosophie des Lebens. Darstellung und Kritik der philosophischen Modeströmungen unserer Zeit. Tübingen, 1920; S. 61.
UD, S. 168–174
IN, S. 44; auch Nietzsche definiert den Willen zur Angleichung, d. i. der Wille zur Macht, physiologisch: “... der Geist will Gleichheit, d. h. einen Sinneneindruck sub-sumiren unter eine vorhandene Reihe: ebenso wie der Körper Unorganisches sich assimilirt.” Nietzsche Werke. VIII, 1, a. a. O. (1972), (Nachgel. Fragm., Herbst 1885 -Herbst 1887); S. 104.
Textvar. 105, 2
Döblin hatte während seiner Studienzeit den Ruf eines “unduldsamen Hegelianers”. S. Oskar Loerkes Nachwort in: A. D. / O. L.: Alfred Döblin. Im Buch — Zu Haus — Auf der Straße. Berlin, 1928; S. 127.
Martin Buber bezeichnet die zwei Grundhaltungen des Menschen durch eine ’Eswelt’ und eine ’Duwelt’. M. Buber: Das dialogische Prinzip. A. a. O., S. 37f.
Buber, a. a. O., S. 33f.
Im ’Das Ich über der Natur’ propagiert Döblin ein ’Denken mit den Muskeln’ (IN, S. 84). Trotz transzendentalphilosophischer Annäherung an Kant und Schopenhauer zieht er nicht deren ästhetische Konsequenzen. S. a. S. 82f..
Buber: “Das Du kennt kein Koordinatensystem.” A. a. O., S. 34
S. IN, S. 141ff., UD, S. 50f.. Taoismus und Buddhismus sind die zentralen Themen des chinesischen Romans ’Die drei Sprünge des Wang-lun’ (Olten, Freiburg i.B., 1960) und des Versepos ’Manas’. Für seine Vorarbeiten zum ’Wang-lun’ bat Döblin Buber, ihm “Bücher betreffend chinesische Religion oder Philosophie und Verwandtes” zu nennen (Brief vom 18. 8. 1912). A. D.: Briefe. Hg. v. W. Muschg. Olten/Freiburg i.B., 1970; S. 57f. Über Döblins Nähe zum Buddhismus: M. Weyembergh-Boussart: A. D. Seine Religiosität in Persönlichkeit und Werk. Bonn, 1970; S. 188f.
A. D.: Manas. A. a. O., S. 354f..
Buber: Das dialogische Prinzip. A. a. O., S. 61
Die Befreiung von dem kreatürlichen Wollen wirkt als mystische Tradition (Meister Eckehart) bis ins frühe 20Jh. fort. S. Z. B. Mauthners ’Gottlose Mystik’ und Musils ’Mann ohne Eigenschaften’. Fritz Mauthner: Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande. 4. Bde., Berlin, 1920; Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften (zuerst 1931/33). Hg. v. A. Frisé; 2 Bde., Hamburg, 1978.
IN, S. 222
S. A. D.: Prometheus und das Primitive. Schriften zur Politik und Gesellschaft. A. a. O., S. 354ff..
A. D.: Reise in Polen. (zuerst 1926) Olten/ Freiburg i.B., 1968; s. z. B. S. 220.
Bereits die ’Gespräche mit Kalypso’ feiern die Wiederentdeckung des Ich in der Kunst: “Ja, es ist das Ich, das wahrhaft lebt, das um sich sammelt das Wahrste des Wahren, sich in Zusammenhang und Gleichmaß ergeht und findet, sich mit ihm krönt in der Kunst.” (110)
S. Anhang: ’Schreiben als Experiment’.
S. Blessings Untersuchung indirekter Verweisungszusammenhänge im ’Wallenstein. Karl Herbert Blessing: Die Problematik des modernen Epos im Frühwerk Alfred Döblins. Meisenheim, 1972; S. 77–116.
Döblins Abkehr von realistischen Erzählformen in seinen frühen Erzählungen hat Ernst Ribbat untersucht. S. E. R.: Die Wahrheit des Lebens im frühen Werk Alfred Döblins. München, 1970; S. 29ff..
S. o. d. Kap.: ’Der innere Dialog’; s. u. im Anh. das Kap.: ’Expansion und Ordnung’.
S. o. das Kap.: ’Das Ich in und über der Natur’.
Fritz Mauthner: “Nun ist aber auch die biologische Einheit eine tief verhüllte Metapher, hergenommen sicherlich (nach einem uralten Instinkte) von dem menschlichen Ichgefühl, das wir in die Erscheinungen der belebten Natur hineinlegen.” Wörterbuch der Philosophie (zuerst 1910/11). 1. Bd., Zürich, 1980; S. 361.
Polare Gegensätze als Konstruktionsprinzipien der Romane Döblins hat Wolfgang Kort im Zusammenhang mit Döblins Menschenbild untersucht. W. K.: Alfred Döblin. Das Bild des Menschen in seinen Romanen. Bonn, 1970
In ’Wissen und Verändern’ (1931) schreibt Döblin: “Bei den Dialektikern, den Naturalisten (!) zittert sich die Göttlichkeit gerade in den Widersprüchen, den nie zu beseitigenden Unvollkommenheiten und Spannungen des Daseins aus. Wir haben einen unvollendeten Gott vor uns. Es ist ein historischer Gott. Dialektik ist die Göttlichkeit und Geistigkeit der raum-zeitlichen Welt.” A. D.: Der deutsche Maskenball. Wissen und Verändern. Hg. v. H. Graber. Olten, Freiburg i.B., 1972; S. 193ff.
Döblin war sich der Aporie bewußt. In einer Parodie aud die Jäger-Gedichte aus Brentanos/Arnims ’Des Knaben Wunderhorn’ läßt er den beiden Ichs den Rat geben, sich einander aufzufressen; s. Anhang: Trühe Notizen’, “Aus dem Ms. von ’Unser Dasein’” (Ms. im handschriftlichen Nachlaß. Deutsches Literaturarchiv. Mar-bach/N).
A. D.: Der deutsche Maskenball. Wissen und verändern. A. a. O., S. 149ff.
Friedrich Schlegel über die romantische Poesie: “Nur sie kann gleich dem Epos ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters werden. Und doch kann sie am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frei von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexionen immer wieder potenzieren und wie eine endlose Reihe von Spiegeln vervielfachen. (...) Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann.” Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Hg. v. E. Behler. Bd. 2, München, 1967; S. 182f.; 116. Athenäums-Fragment.
Rights and permissions
Copyright information
© 1990 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Balve, J. (1990). Der Künstler. In: Ästhetik und Anthropologie bei Alfred Döblin. DUV Sprachwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14668-1_6
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-14668-1_6
Publisher Name: Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8244-4055-9
Online ISBN: 978-3-663-14668-1
eBook Packages: Springer Book Archive