Zusammenfassung
Im Anschluß an die Gesprächsanalysen soll nicht nur eine bloße Rückkoppelung der Ergebnisse an die Untersuchten erfolgen, sondern auch das Rückkoppelungsgespräch selbst wird zum Gegenstand einer erneuten Analyse. Auch diese Analyse kann wieder rückgekoppelt und dieses Rückkoppelungsgespräch wiederum Gegenstand der Analyse werden usw. Das kann im Prinzip unbegrenzt oft wiederholt werden. Dieses Verfahren nennt Cicourel “unendliche Triangulation”.188
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Literature
Aaron V. Cicourel: Sprache in der sozialen Interaktion, München 1975, S. 158; zum Begriff und zur Methode bzw. dem Methodenmix auch: Siegfried LAMNEK: Qualitative Sozialforschung. Bd. 1: Methodologie, München/Weinheim 1988, S. 229–239.
Ein solches Verfahren ist von Sonja Bredehöft/Franz Januschek/Rainer Pat-Zelt: Analyse eines Dreiergesprächs, unveröff. Ms., Oldenburg 1987 zum Thema Arbeitslosigkeit durchgeführt worden. Es ergab drei verschiedene Lesweisen ein-und desselben Gesprächs, in denen zwar unterschiedlich akzentuiert wurde, die einander aber in keinem Punkt widersprachen.
In dem Sinne, daß Sprachwissenschaftlerinnen nichts Inhaltliches beizutragen hätten, was den Gesprächspartnern wichtig sein könnte. Vielmehr sieht man sich in der Rolle derjenigen, von denen die Interviewer etwas wollen, und bemüht sich in den Antworten, möglichst das zu sagen, was den eigenen Vermutungen nach diese gerne hören wollen.
Das Interpretationsverfahren orientiert sich an dem von Konrad Ehlich/Jochen Rehbein: Halbinterpretative Arbeitstrankskriptionen (Hiat), in: Linguistische Berichte 1976, Nr. 45, S. 21–46. Es hat den Vorteil, daß es nicht von vornherein dazu zwingt, sämtliche prosodische Merkmale wiederzugeben. Sie werden im Laufe des Arbeitspro-müssen, fragen, zuhören, Vorwurf-Rechtfertigung-Muster aufbrechen, positives Feedback geben, keine Deutungen aufzwingen, gemeinsam nach Formulierungsalternativen suchen, Brücken bauen.
Möglicherweise werden sich Fachkundige über die Verwendung der Anführungs-zeichen wundern; sie werden dort eingesetzt, wo offenkundig aus den Transkriptionen zitiert wird, was ebenfalls der leichteren Lesbarkeit dienen soll.
Schließlich ist es nicht damit getan, auf seiten der Interviewer den Gesprächspart-nern ihr Gesprächsverhalten vorzuwerfen, bzw. auf seiten der Interviewten, sich vor-zunehmen, das Thema Arbeitslosigkeit nicht mehr zu meiden, zu tabuisieren, zu einem unangenehmen Gesprächsgegenstand zu konstituieren, von sich weg auf andere Bevölke-rungsteile zu projizieren usw.
Nun greifen Supervisionsgespräche gerade diesen therapeutischen Aspekt auf und setzen ihn in produktives Lernen um. Über die hierzu notwendigen fachlichen Voraussetzungen verfügen Diskursanalytiker in der Regel nicht, weshalb sie auch keine therapeutische Verantwortung übernehmen können, dürfen und wollen. Ihre Verantwortung zielt auf die Art und Weise des Redens über Arbeitslosigkeit, kann aber nicht darüber hinausgehend dem umfassenderen therapeutischen Anspruch gerecht werden, den Individuen bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu helfen.
Ich meine, daB die bisherige Diskussion innerhalb der Handlungsforschung den Problemkomplex Subjekt-Objekt-Experten nicht hinreichend gelöst hat. Es geht nicht an, a) den Expertenstatus zu leugnen, b) den Expertenstatus zu instrumentalisieren, c) sich selbst als Subjekt zurückzunehmen, d) den Gesprächspartner als Objekt vorzuführen. - In Frage kommt meines Erachtens ebensowenig, im Gespräch selbst den Standpunkt des Gesprächspartners zu akzeptieren, ein eher taktisches Verfahren, da man ja auf seine Kooperation angewiesen ist, und im Anschluß in der Analyse einen eigenen “Expertenstandpunkt” zu vertreten. Dies wäre nichts anderes als die Reproduktion des Widerspruchs von Theorie und Praxis.
Der Höreindruck, hier werde das Präteritum verwendet, wurde nicht von allen Hörern des Interviews geteilt. Als Hamburger sprach Al. das “t” kaum hörbar, weshalb auch nur die mit der Hamburger Aussprache vertrauten Hörer sich sicher sind, daß das Verb in dieser Äußerung im Präteritum steht. Die nächste Frage von F. zeigt zudem, daß auch im Interview selbst die Form des Präteritums verstanden wurde.
Stephan Toulmin: Der Gebrauch von Argumenten. Kronberg/Ts. 1975.
Ich danke dem Arbeitskreis Angewandte Gesprächsforschung für die Diskussion der Analyse und für einen wertvollen Hinweis: Ich selbst hatte dieses Gespräch dort als ein scheiterndes vorgestellt, als eines, in dem der Gesprächspartner seine Kooperativität aufkündigt. Es ist aber durchaus wahrscheinlich, daß diese Einschätzung das Resultat akademischer Gesprächsnormen ist. Denkbar wären ja auch Gesprächsfortsetzungen folgender Art: “Bist du doch” - “Nee, bin ich nicht!” - “Aber sicher!” - “Wieso denn?”, wie sie in Alltagsgesprächen vorkommen, ohne daß darin von den Beteiligten eine Aufkündigung von Kooperativität oder überhaupt eine Gesprächskrise gesehen wird.
Vgl. Walter Andreas Schobel: Was ist Supervision?, Göttingen 1988, S. 115.
Daß hier tatsächlich von Abwehr gesprochen werden kann, ist nicht das Ergebnis einer psychoanalytischen Deutung, sondern eines dritten Gesprächs mit Al. zwei Monate nach der Rückkopplung. Es fand ohne Tonbandgerät statt, und Al. fiel es gerade deswegen leicht zuzugeben, es gebe problematische Dinge in seinem Leben, die er sich nicht sehr gerne ansehe. In dem von mir gebrauchten erweiterten Arbeitslosenbegriff könne er sich ohne weiteres wiederlinden. Diese Aussage zeigt aber auch, daß eine Gesprächsaufnahme das Gespräch im Bewußtsein der Beteiligten zu einem öffentlichen, nicht einem unter vier Augen macht.
I Interventionstechniken finden sich in den im Literaturverzeichnis angegebenen Sammelbänden zum Thema Supervision. Hier sei exemplarisch genannt: Gerhard Wrrtenberger: Zur wissenschaftstheoretischen Situation der Supervision. Einige Probleme der Supervisionsforschung, in: Haus Schwalbach (Hg.): Supervision. Ein berufsbezogener Lemprozeß, Wiesbaden 1977, S. 102f.
Eine Alternative könnte sein, sowohl das Erst-als auch das Rückkopplungsgespräch für beide Seiten als diskursiven ‘Selbstversuch’, als Spiel zu konzipieren. Die Teilnahme an einem Experiment dürfte zwar das Interesse der Untersuchten an den Ergebnissen aufrechterhalten, würde aber den Inhalt des im Gespräch Gesagten als unernst konstituieren und kommt deshalb nicht in Frage.
Hin und wieder ist es vielleicht nützlich, sich in Erinnerung zu rufen, daß die Anstrengung nur sehr mittelbar auf gesellschaftliche Veränderung zielt und daß der unmittelbare Gegenstand, an dem gearbeitet wird, der Diskurs über Arbeitslosigkeit ist.
Die Wiedergabe der Rückkoppelungsgespräche erfolgt hier chronologisch, und nicht in der Reihenfolge der Erstinterviews, da ich A3. früher als A2. zu einem Rückkoppelungsgespräch gewinnen konnte.
Anekdote… heute kurze, schmucklose, oft in e. heiteren Ausspruch gipfelnde Erzählung zur scharfen Charakterisierung e. histor. Persönlichkeit, merkwürdigen Begebenheit, Zeitepoche, Geistesrichtung, Gesellschaftsschicht oder Charaktertype in ihrer besonderen Eigenart an e. episod., doch typ. Fall.“ (Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur, 7. Aufl., Stuttgart 1989, S. 31.)
A. W. Schlegel und bes. Tieck betonen bei aller stoffl. Vielseitigkeit neben dem Symbolcharakter das Auftreten eines völlig unerwarteten, doch natürlich entwickelten und scharf herausgearbeiteten Wendepunkts in der psychologischen bruchlos gestalteten Charakterentwicklung; Goethe definierte die N. [Novelle; S. B.] (zu Eckermann 29.1.1827) als ‘e. sich ereignete unerhörte Begebenheit’…. man erzählt natürlich unbekannte und merkwürdige, nicht ‘typische’ und dennoch glaubhafte Ereignisse in spannungsreicher Form von ihren Ursachen bis zum Abschluß der Handlung mit allen für das Verständnis notwendigen Zügen.“ (Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur, 7. Aufl., Stuttgart 1989, S. 629 zur ”unerhörten Begebenheit“ unter dem Begriff Novelle.)
Man denke an Urlaubsgeschichten, in denen der Erzähler zum Gaudi der gesamten Reisegesellschaft vom Kamel gefallen war. In der Retrospektive wird er die Geschichte
Jacqueline Authier: “In Gänsefüßchen reden” oder Nähe und Distanz des Subjekts zu seinem Diskurs, in: Argument. Sonderband 98 (1983): Das Subjekt des Diskurses, S. 59–75.
Daher bestätigt sich noch einmal die Notwendigkeit, zumindest den Einstieg in ein Rückkoppelungsgespräch selbst vorzubereiten. Denkbar neben einem Thesenpapier und einem Fragenkatalog wäre auch ein Opening in Form einer Provokation (Frage, Behauptung).
Zur Funktion der Wiederaufnahme von Partnerformulierungen zum Zwecke der Imagepflege siehe auch: Werner Holly: Imagearbeit in Gesprächen. Zur linguistischen Beschreibung des Beziehungsaspekts, Tübingen 1979, besonders S. 132ff.
Neben kodifizierten Normen (Ratgeberliteratur) zeichnet sich der akademische Diskurs durch eine Reihe von subsistenten Normen aus. Studierende, die sich nicht der Kritik aussetzen, sondern vermeintlich an sie gerichtete Erwartungen erfüllen wollen, orientieren sich an Hochschullehrern und älteren Semestern und haben bereits vorgeprägte Vorstellungen von Wissenschaft (objektiv, abstrakt, erfahrungsfern).
Zum Problem der eigentlichen und nicht-eigentlichen Sprache siehe Judith Mcauster-Hermann/Utz Maas: Der Wechsel vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen in den norddeutschen Städten in der frühen Neuzeit, Osnabrück 1982, S. 30ff.
Sicherlich spielt auch die Aufnahmesituation eine Rolle, die aber während des gesamten Gesprächs gegeben ist und deshalb nicht als Erklärung für Phänomene in einer speziellen Äußerung herangezogen werden kann.
Vgl. hierzu auch Holly, der als korrektive Sequenzen bei einer Partnerkritik folgende rituelle Handlungsmuster analysiert: 1. Zwischenfall, 2. Veranlassung, 3. Korrek-tiv, 4. Entgegenkommen. (Werner Holly: Imagearbeit in Gesprächen. Zur linguistischen Beschreibung des Beziehungsaspekts, Tübingen 1979, S. 53ff.)
Die Funktion des Lachens scheint mir hier dieselbe zu sein wie die in der vorherigen Analyse: anekdotische Distanzierung.
Eduard Benes: Die formale Struktur der wissenschaftlichen Fachsprache in syntaktischer Hinsicht, in: Theodor Bungarten (Hg.): Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischer Fundierung und Deskription, München 1981, S. 190.
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Bredehöft, S. (1994). Diskursanalysen II: Die Rückkoppelungsgespräche. In: Diskurse über Arbeitslosigkeit. DUV: Sprachwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14632-2_7
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