Zusammenfassung
Seit gut drei Jahren wird die Privatisierung staatlicher Tätigkeiten von zahlreichen Stimmen empfohlen: Die Verlagerung öffentlicher Aktivitäten in den privatwirtschaftlichen Bereich1 soll die Defizite in den öffentlichen Haushalten verringern. Privatunternehmen seien in der Lage, wegen ihrer effizienteren Arbeitsweise ohne oder mit (im Vergleich zum Status quo) geringeren öffentlichen Zuschüssen auszukommen. Als Paradebeispiel wird der Kölner Schlachthof angeführt, der als kommunale Einrichtung jährlich 800 000 DM Defizit verursacht habe, während er nunmehr als Privatbetrieb „Millionengewinne“ einbringe2. Der Kreis der „Privatisierer“ ist beträchtlich: er reicht von Wissenschaftlern wie Kaltefleiter3, Engels4 sowie Hauff und Scharpf5 über das Institut der deutschen Wirtschaft6 bis hin zum Zentralverband des deutschen Handwerks7 und zum Bund der Steuerzahler8. In der CDU und FDP haben maßgebende Gremien für die Privatisierung votiert9; selbst der Deutsche Städtetag zeigt sich nicht gänzlich ablehnend10. Im einzelnen wird der zu privatisierende Bereich weiter oder enger bestimmt, doch gibt es praktisch keine staatliche Aufgabe, die nicht im Katalog des einen oder anderen „Privatisierers“ auftaucht. Den größten Einfallsreichtum hat insoweit der Bund der Steuerzahler entwickelt, der nicht nur große Teile von Bundesbahn und Bundespost, sondern auch Krankenhäuser, Universitäten, Schulen und zahlreiche kommunale Einrichtungen von der Straßenreinigung und Müllabfuhr bis zum Campingplatz in Privathand überführen möchte11.
Das Manuskript wurde im Frühjahr 1977 abgeschlossen. Später erschienene Literatur konnte nicht mehr berücksichtigt werden.
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Anmerkungen
So die Definition bei Tofaute WSI-Mitt. 1976, 373.
So FAZ vom 7.10.1975; Handelsblatt vom 13.11.1975 und Münchener Merkur vom 25.11.1975 beziffern den Gewinn mit „einer Million“. Daniels (Rheinischer Merkur vom 19.12.1975) spricht davon, an die Stelle von 183 städtischen Bediensteten seien nunmehr 62 Mitarbeiter der Privatfirma getreten, die jetzt Gewinn erwirtschaften würden. Zur Kritik der Privatisierung des Kölner Schlachthofs siehe Blum, öffentliche Sicherung privaten Wohlstands, hrsg. vom Hauptvorstand der ÖTV, Stuttgart 1976, S. 32.
Wirtschaftswoche Nr. 37 vom 5.9.1975.
Wirtschaftswoche Nr. 39 vom 20.9.1974.
Hauff-Scharpf, Modernisierung der Volkswirtschaft. Technologiepolitik als Strukturpolitik. Frankfurt/Main — Köln 1975, S. 109 ff.
iwd-Informationsdienst Nr. 8 vom 19.2.1976.
Neue-Rhein-Zeitung vom 27.9.1975 (zitiert nach Tofaute WSI-Mitt. 1976, 379).
Bund der Steuerzahler, Entstaatlichung. Wie man die öffentlichen Haushalte durch Verlagerung von Aufgaben auf Private entlasten kann, Wiesbaden 1975.
Übersicht und Nachweise bei Tofaute WSI-Mitt. 1976, 374 ff.
Deutscher Städtetag, Privatisierung öffentlicher Aufgaben, in: Reihe A, DST-Beiträge zur Kommunalpolitik, Heft 2, insbesondere S. 42 ff.
Tofaute WSI-Mitt. 1976, 376.
Vgl. ÖTV-Magazin Heft 7/8 1976, S. 2.
Siehe etwa die Privatisierung der Reinigungsdienste in Kassel, Hannover und Dortmund (ÖTV-Magazin Heft 5/1976, S. 15) oder Privatisierungspläne in Westberlin (ÖTV-Magazin Heft 12/1976, S. 12).
Abgedruckt etwa in ÖTV-Magazin Heft 9/1976, S. 11.
Blum (aaO. oben Fn 2) S. 32; einen kursorischen Überblick bringt Tiemann BayVB1 1976, 262.
Hier sieht Bahl (Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und Gewerkschaften, Berlin, Dezember 1976, unveröffentlichtes Manuskript) S. 8 wohl mit Recht den bisherigen Schwerpunkt.
Siehe als Beispiel die Privatisierung der Müllabfuhr in Neuss (Münchener Merkur vom 25.11. 1975.
Siehe die Beispiele in: Münchener Merkur vom 25.11.1975 und Handesblatt vom 27.11.1975.
Neben Köln insbesondere Essen, Minden, Lübeck, Kaiserslautern — Münchener Merkur vom 25.11.1975.
Daniels, Rheinischer Merkur vom 19.12.1975 (Übergabe an Schwimmverein).
FAZ vom 7.10.1975: Paracelsus-Klinik in Osnabrück.
Übersicht bei Tofaute WSI-Mitt. 1976, 389.
Siehe ÖTV-Magazin Heft 5/1976, S. 14.
Vgl. Scheer NG 1976, 151 f.; Tofaute WSI-Mitt. 1976, 373.
Vgl. Bahl (a.a.O. oben Fn. 16) S. 18 sowie ÖTV-Magazin 5/1976, S. 14.
So etwa im Landkreis Pinneberg, wo die bisherigen Müllwerker zu den alten Bedingungen vom Kreis weiterbeschäftigt und dem Privatunternehmer „ausgeliehen“ wurden (vgl. Pinne-berger Tagblatt vom 19.5.1976).
Siehe die Zusammenstellung bei Tofaute WSI-Mitt. 1976, 375–377.
Siehe die Fallstudie im ÖTV-Magazin Heft 2/1977 S. 18 f.
Vgl. etwa eine in der Fragestunde des Deutschen Bundestags vom 18.2.1976 (223. Sitzung) zitierte Äußerung von Gerhard Stoltenberg, nur in wenigen Fällen seien durch Privatisierung Kosteneinsparungen zu erzielen (siehe den Auszug aus dem Bundestagsprotokoll in DDB 1976, 44).
Richtig Kluncker ÖTV-Magazin 1/1976, S. 3.
Hickel in: Goldscheid-Schumpeter, Die Finanzkrise des Steuerstaats, hrsg. von Rudolf Hickel, Frankfurt/Main 1976, S. 9.
Kluncker ÖTV-Magazin Heft 1/1976, S. 3; vgl. Bull DDB 1976, S. 173.
Grauhan, Grenzen des Fortschritts? München 1975, S. 55.
Dazu zählt auch das (zumindest tendenzielle) Gewaltmonopol und die von diesem vorausgesetzte Rechtssetzungsbefugnis, da andernfalls die formale Gleichheit aller Warenproduzenten auf dem Markt nicht gesichert wäre. Siehe Esser, Einführung in die materialistische Staatsanalyse, Frankfurt/Main 1975, S. 156 ff.
Marx, Das Kapital, Bd. I, MEW Bd. 23, S. 185.
Zu diesen Strategien Hickel (aaO. oben Fn. 31) S. 19 ff.
Jahresgutachten 1975, BT-Drucksache 7/4326 S. 138 Ziff. 335.
Und sei es durch das disziplinierende Argument, die Unterstützung der gegenwärtigen Regierung sei unter dem Gesichtspunkt des kleineren Übels geboten.
Die DKP scheint das Problem Privatisierung noch nicht „entdeckt“ zu haben; jedenfalls findet sich in den Jahrgängen 1975 und 1976 der „Marxistischen Blätter” kein einziger einschlägiger Beitrag.
Vgl. den Beschluß des Geschäftsführenden Hauptvorstands der ÖTV (ÖTV-Magazin Heft 2/1977 S. 4) sowie Scheer NG 197\, 154.
Tofaute WSI-Mitt. 1976, 370, 373.
Vgl. Blum (aaO. oben Fn. 2) S. 27.
Tofaute, Probleme des Personaleinsatzes im öffentlichen Dienst, Köln 1975, S. 168 ff.
Vgl. Kluncker ÖTV-Magazin Heft 1/1976 S. 3.
Vgl. etwa Kluncker ÖTV-Magazin Heft 1/1976, S. 3; Steffen ÖTV-Magazin Heft 12/176, S. 11; Tofaute DDB 1976, 43 sowie den Beschluß des ÖTV-Gewerkschaftstags 1976 zur Privatisierung (abgedruckt in ÖTV-Magazin Heft 7/8 1976, S. 12).
Vgl. etwa die Arbeit von Blum (aaO. oben Fn. 2), die in abgekürzter Form als Referat auf dem ÖTV-Gewerkschaftstag gehalten wurde und die sich ausdrücklich zur sozialen Marktwirtschaft bekennt, sowie den Aufsatz von Pehl (Die Quelle 1977, 49 ff.), der nachhaltig dazu aufforderte, die „Vorzüge der Marktwirtschaft zu nutzen“.
Abgedruckt u.a. in: Nachrichten-Verlag (Hrsg.), Dokumente der Gewerkschaften, Frankfurt/Main 1970, S. 21.
Rosenberg ÖTV-Magazin Heft 12/1976, S. 10. Es ist jedoch davor zu warnen, die Privatisierung allein mit dem Vorwurf des Rosinenprinzips bekämpfen zu wollen, da dieses Argument versagt, wenn ein defizitärer Bereich privatisiert werden soll.
Scheer NG 1976, 153.
Vgl. Tofaute WSI-Mitt. 1976, 387.
Reuß, Die Organisation der Wirtschaft, in: Bettermann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, Bd. III/1, 1958, S. 119, 128 ff., bestätigt von Reuß DVBI 1976, 930; Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, Opladen 1975, S. 102; anders z. B. von Mutius JuS 1976, 655 ff; Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, Hamburg 1975; Tiemann, BayVB1 1976, 261 ff.
Ossenbühl VVdStRL 29, 169 ff.
Exemplarisch Biedenkopf-Säcker ZfA 1971, 246, 257.
Gamillscheg AcP 164, 396, 397; Ramm, Der Arbeitskampf und die Gesellschaftsordnung des Grundgesetzes, Stuttgart 1965, S. 138. Weitere Nachweise bei Däubler, Das Grundrecht auf Mittbestimmung, 3. Aufl., Frankfurt/Main 1975, S. 177 Fn. 14.
BVerfGE 4, 96, 102; 19, 303, 319.
Dies läßt sich zumindest als rechtsfortbildendes Richterrecht begründen, da es bislang keine Stimmen zu dieser Art Besitzstandswirkung des Tarifvertrags gibt.
ÖTV-Magazin Heft 7/8, 1976, S. 7.
Grauhan (aaO. oben Fn. 33) S. 86 ff.
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Däubler, W. (1978). Privatisierung — Speerspitze der Gegenreform?. In: Krise des Steuerstaats?. Leviathan Sonderheft, vol 1. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14377-2_9
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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