Zusammenfassung
Wir tun uns schwer mit unserer Geschichte, der jüngeren zumal, das ist eine der unausgestandenen Folgen Hitlers zuerst, der deutschen Teilung sodann und schließlich der Rolle, die die anklägerische Intelligenz im Prozeß der Sinnvermittlung bei uns spielt. Unsere Geschichte steht im Schatten Hitlers, ist ein Stück Vorgeschichte Hitlers, oder ist Geschichte — der ach so klugen Nachgeborenen — von Ungleichheiten, Unfreiheit, Ungerechtigkeit. Erst langsam setzt sich wieder die Einsicht durch, daß diese Geschichte auch Vorgeschichte der Bundesrepublik oder des ja keineswegs zum Untergang verdammten Weimarer Experiments war. Auch wo die politischen Perspektiven und das Eifern neutralisiert werden, ergibt sich in den angebotenen Geschichtsbildern wie in der Wissenschaft Streit über die Vergangenheit. Das Kaiserreich — noch nah und doch so fern — ist einer der Brennpunkte solchen Streites. War es Obrigkeitsstaat, Untertanen- und Klassengesellschaft und altmodisch im Grunde, oder war es im Aufbruch zur Modernität, zur Bürgergesellschaft dieses Jahrhunderts? War es in der Sackgasse, nicht mehr entwicklungsfähig ohne Krieg und Revolution, oder lief es auf zivilere, liberalere, demokratischere Formen zu? War es mehr Vorgeschichte von 1933 oder mehr von Weimar und der Bundesrepublik? Und wenn es jeweils beides war — wie sollen wir das gewichten, wie das Janusgesicht zusammensehen, verstehen, so daß wir jenen Menschen und ihrem Wollen Gerechtigkeit (und nicht Selbstgerechtigkeit) widerfahren lassen?
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Nipperdey, T. (1986). Wie modern war das Kaiserreich?. In: Wie modern war das Kaiserreich?. Gerda-Henkel-Vorlesung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-14260-7_1
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-14260-7_1
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