Zusammenfassung
Während der Arbeit an seinem großen Altersprojekt, der «Ontologie des gesellschaftlichen Seins», schreibt Lukács am 22. 11. 1967 einen Antwortbrief an den Wiener Philosophen Günther Anders, worin er sich für die Übersendung von dessen Buch «Die Schrift an der Wand» bedankt und zugleich auf die Gemeinsamkeiten ihrer Fragestellungen hinweist. «Ich bin überhaupt der Ansicht, daß das, was dort [in «Die Schrift an der Wand» (W. J)] in Angriff genommen ist, zu den wichtigsten Fragen der Erkenntnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit gehört: nämlich die genaue Untersuchung dessen, was ich eine Ontologie des Alltagslebens nennen würde. Das ist ein Fragenkomplex, an der Philosophie, Soziologie etc unserer Tage achtlos vorbeizugehen scheinen, und die gegenwärtige Literatur ist in ihrer Mehrzahl derart in einem artistischen Naturalismus steckengeblieben, daß man aus ihr über diese Frage so gut wie nichts lernen kann. Hier ist der Gegensatz zur alten großen Literatur (denken Sie an Balzac oder Stendhal, an Tolstoi oder Tschechow) vielleicht am auffallendsten. Und ich glaube, daß man das Denken und Fühlen der Menschen auf ihrer höchsten Höhe, also in der besten Poesie und Literatur und natürlich auch in der Philosophie nie wird begreifen können, wenn man die in jeder Periode verschiedene Ontologie des Alltagslebens nicht erfaßt und nicht analysiert.» (Brief Lukács’ an Günther Anders, 22. 11. 1967; Lukács-Archivum) Unabhängig von Lukács’ Einschätzung, daß es eine gewisse Übereinstimmung zwischen ihm und Günther Anders gebe, was mit gutem Recht bezweifelt werden kann, klingt doch unüberhörbar aus dieser Briefstelle Lukács’ großes Thema seiner letzten Schaffensjahre heraus: die Ontologie des gesellschaftlichen Seins und damit und im eigentlichen eine konkrete Ontologie des Alltags und der Alltäglichkeit. Auch der Zusammenhang von Ästhetik und Ontologie, von Kunst und Alltag wird deutlich ausgesprochen.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Agnes Heller: Das Alltagsleben. Frankfurt/M. 1978.
Karel Kosik: Die Dialektik des Konkreten. Eine Studie zur Problematik des modernen Menschen. Frankfurt/M.21986.
Henri Lefebvre: Kritik des Alltagslebens. 3 Bde. (Hg.) Dieter Prokop. Kronberg/Ts. 1977. Gerhard Lehmann: Das Subjekt der Allttiglichkeit. Soziologisches in Heideggers Fundamentalontologie,in: Archiv für angewandte Soziologie 5. 1932/33. S. 15–39.
Georg Lukâcs zum 10. April 1970. (Hg.) Soziologisches Lektorat des Luchterhand Verlags. Neuwied und Berlin 1970.
Georg Lukäcs: Die Seele und die Formen. Sonderausgabe der Sammlung Luchterhand. Neuwied und Berlin 1971.
Georg Lukács: Geschichte und Klassenbewußtsein. Sonderausgabe der Sammlung Luchterhand. Darmstadt und Neuwied 31976.
Georg Lukács: Kunst und objektive Wahrheit. ( Hg.) Werner Mittenzwei. Leipzig 1977.
Georg Lukács: Gelebtes Denken. Autobiographie im Dialog. Red.: Tstvan Eörsi. Frankfurt/M. 1980. Georg Lukacs: Die Eigenartdes Ästhetischen. 2 Bde. Textrevision Jtirgen Jahn. Berlin und Weimar 1981.
Georg Lukâcs: Wie ist die faschistische Philosophie in Deutschland entstanden? Hg. T.szlô Szildai. Budapest 1982.
Georg Lukacs: Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins. 2 Bde. Hg. Frank Benseler. Bd. 1. Darmstadt und Neuwied 1984; Bd. 2. Darmstadt und Neuwied 1986.
Georg Lukács: Ethikkonspekte; Briefwechsel [unveröffentlichte Texte aus dem Budapester Lukacs-Archivum] Heinz Paetzold: Die Ästhetik des sputen Georg Lukkcs,in: Gvozden Flego
Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hg.): Georg Luki cs — Ersehnte Totalität. Bochum 1986. S. 187–195.
Hans-Georg Pott: Alltäglichkeit als Kategorie der Ästhetik Studien zur philosophischen Ästhetik im 20. Jahrhundert. Frankfurt/M. 1974.
Dénes Zoltai: Das homogene Medium in der Kunst. Zur Aktualität und Potentialität der ästhetischen Theorie beim späten Luk4cs,in: Udo Bermbach, Günter Trautmann (Hg.): Georg Lukäcs. Kultur — Politik — Ontologie. Opladen 1987. S. 222–232.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 1995 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Jung, W. (1995). Zur Ontologie des Alltags. In: Dannemann, R., Jung, W. (eds) Objektive Möglichkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-12263-0_13
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-12263-0_13
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-12791-0
Online ISBN: 978-3-663-12263-0
eBook Packages: Springer Book Archive