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Predigten, Moralpredigten und Moral predigen

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Zusammenfassung

Man kann zwar annehmen, daß infolge der gattungsbedingten elementaren Gegebenheiten des menschlichen Lebens moralische Kommunikation zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften und Kulturen unter den verschiedensten Lebensbedingungen gemeinsame Grundzüge aufweist. Doch sind die historischen Unterschiede in den sozialstrukturellen Bedingungen der Lebensführung (und dadurch auch des von ihr sowohl bedingten wie sie auch mit-erzeugenden kommunikativen Handelns) groß — so groß, daß es leicht verständlich ist, warum auch die historischen Formen moralischer Kommunikation, ebenso wie die historischen Formen der Moral, unterschiedliche Konturen aufweisen.2 Sogar Formen des Moralisierens, von denen man annehmen darf, daß sie recht unmittelbar den Grundgegebenheiten menschlichen Zusammenlebens entstammen, wie Klagen, Preisen, Vorwerfen usw., dürften, wiewohl universal, von Gesellschaft zu Gesellschaft und Epoche zu Epoche in verschiedenen-sozialen Milieus eigene Ausprägungen erhalten haben; also auch in unserer Zelt. Der kommunikative Haushalt einer Gesellschaft enthält aber nicht nur historische Varianten universaler oder fast universaler Formen moralischer Kommunikation. Der Grad der Komplexität der gesellschaftlichen Organisation des Lebens ist von archaischen Gemeinschaften über Hochkulturen zu modernen Gesellschaften so unterschiedlich und die Gesellschaftsstrukturen weichen voneinander so stark ab, daß es sehr wahrscheinlich ist, daß in ihren kommunikativen Haushalten spezifische Formen, unter Umständen sogar voll ausgebaute Gattungen, vorhanden sind, die in anderen Epochen und Gesellschaften fehlen.

Eine frühere Fassung eines Teils dieses Beitrags erschien unter dem Titel „Moralpredigten in der modernen Gesellschaft?” in: Tyrell, Hartmann/Krech, Volkhard/Knoblauch, Hubert (Hrsg.), Religion als Kommunikation. Würzburg: Ergon, 1998, 391–416.

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Literatur

  1. In der klassischen Rhetorik der Gerichtssphäre wird durch die anticategoria “die Kompromittierung des Anklägers und damit Erweisung seiner Unzuständigkeit bezweckt”, und zwar entweder durch Vorwurf des gleichen crimen,oder es wird wie hier “dem Ankläger ein anderes factum als crimen” vorgeworfen (Lausberg 1990, 108).

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  2. Ein gut zugängliches Werk zur Predigtgeschichte ist W. Schütz (1972). Siehe auch Niebergall (1955). Ein älteres, auch für die frühen Phasen der Predigtgeschichte ausfihrliches katholisches Gegenstück findet man im Handbuchartikel (Art. Predigt, sign. Keppler) bei Wetzer und Weite (1897). Ein neuerer evangelischer, mit einer umfangreichen Bibliographie versehener Handbuchartikel (Art. Predigt, sign. Gert Otto) im Evangelischen Kirchenlexikon (1992) beklagt, daß “eine neuere Gesamtdarstellung der Predigt und der Predigtlehre fehlt”.

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  3. Die Praxis des Synagogen-Gottesdienstes, zeitgenössische Redeformen wie z. B. die kynisch-stoische Diatribe und nicht zuletzt der kerygmatisch-missionarische Charakter der neutestamentlichen Überlieferung sind neben den sozialgeschichtlichen und politischen Rahmenbedingungen mitbestimmende Faktoren in der Entstehungsgeschichte der christlichen Predigt.” (Evangelisches Kirchenlexikon 1992, 1305; Handbuch-Querverweise ausgelassen)

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  4. Nach Trillhaas (1974, 20) setzt diese frühe Form die fortlaufende Lesung (lectio continua) voraus; nach der karolingischen Reform der Messe “löst sich diese fortlaufende Schriftlesung deutlich auf, und es werden den einzelnen Sonntagen bestimmte epistolische und evangelische ‘Abschnitte’ (‘Perikopen’) zugeordnet”.

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  5. Gemäß der allegorischen Methode aber hatte doch jede Schriftstelle ihren moralischen Sinn,. war also zur Gesetzespredigt verwendbar.” (Fendt 1970, 54)

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  6. Die Entfaltung des als “Gesetzespredigt” verstandenen moralisierenden Predigens jedoch mußte sich erst gegen das paulinische Konzept der “Freiheit des Christenmenschen” durchsetzen. Der Widerspruch wurde theologisch überwunden: “Soweit das A.T. Zeremonialgesetz ist und Volksgesetz, ist es abgetan, aber soweit es sittliche Vorschriften gibt, bleibt es auch im neuen Bund bestehen (…). Die christliche Gesetzespredigt war fertig. Sie wurde im 1. und 2. Jahrhundert nach Chr. reichlich geübt.” (Fendt 1970, 53) Freilich wird die Moralpredigt als sittenermahnender Predigttyp oder gar Untergattung der Predigt erst in der späteren homiletischen Diskussion erwähnt. Vgl. z.B. Schulze (1894).

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  7. Vgl. dazu Tangberg (1987, 198): “Der Vergleich mit weisheitlichen Mahnworten und deuteronomischer Paränese (…) konnte die Ansicht nur bestätigen, daß die Mahnrede (…) Elemente anderer Gattungen als Einkleidung verwendet.” Die prophetische Umkehnnahnung tritt nach Tangberg (1987, 140) schon bei den ältesten Schriftpropheten auf. Der Umkehrruf bestehe aus Appell und Motivation.

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  8. Diese Perikopenordnungen der abendländischen Kirche (die orientalischen Ordnungen sind komplizierter) haben sich im lateinischen Katholizismus bis zur neuesten Reform der Liturgie und in der lutherischen Tradition bis heute erhalten.” (Trillhaas 1980, 20)

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  9. Vgl. dazu insgesamt Schmidt (1992, 307), der auf die moralisierende Stoßrichtung der Mendikantenpredigten hinweist: “Die moralische Korrektur der Mißstände der merkantilen Wirtschaft und des städtischen Regiments verbanden sich mit der Warnung vor Häretikern, der Ermahnung zum regelmäßigen Empfang der Sakramente und mit der Aufforderung zur Buße und Umkehr.”

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  10. Eine Formulierung, die Zielemann (Seidel 1982, 6) auf Alarms ab Insulis (12. Jahrhundert) zurück- fuhrt.

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  11. Die admonitio ist das ganze Mittelalter hindurch der übliche modus fir die Parochialpredigt.” (Zielemann, zitiert nach Seidel 1982, 12) Die admonitio ist ein in der mittelalterlichen Predigttheorie unterschiedener modus,der keine Schriftexegese, sondern eine moralisatio enthält.

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  12. Für thematische Predigten fand die Barockzeit mit der Concetti-Predigt und der an die allgemeine Bildlichkeit anknüpfenden emblematischen Predigt zu eigenständigen Formen.” (Knape 1992, 1326)

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  13. Eine einprägsame Formulierung des politischen Konzepts der Predigt findet sich bei dem ukrainischen Rhetoriklehrer und Prediger, Feofan Prokopovic, der mit seinen Predigten bei der Propagierung der petrinischen Reformen eine hervorragende Rolle spielte: “Argumentorum genera eadem et totidem sunt in sacris, quot et quae in politicis orationibus” (zitiert nach Lachmann 1994, 243). Die politische Bedeutung der Predigt ist nicht auf die barocken Staatswesen, Reformation und Gegenreformation beschränkt. Sie ist auch für das Mittelalter bezeugt. So bemerkt z.B. Zielemann (zitiert nach Seidel 1982, 23), daß “jede Rede des Mittelalters predigtähnlich ist”.

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  14. hi diesem Zusammenhang ist die disziplinierende Wirkung des angedrohten Unheils, nämlich der Hölle zu verfallen, unzweifelhaft. Welche Wirkung (Relativierung der Hölle?) die später hinzugekommene Vorstellung des Fegefeuers ausübte, ist eine vieldiskutierte Frage. Vgl. z.B. Le Goff (1984) und Ebertz (1993).

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  15. Die Predigten als Medium der Massenkommunikation debattierten freilich nicht die philosophischen Probleme möglicher Erkenntnisaussagen. Der Prediger besaß das Redemonopol, seine Aussagen beanspruchten auch kirchlich sanktionierte Autorität, vertrugen keine Diskussion und beabsichtigten nicht, Argumente gegeneinander abzuwägen. Sie haben aber - gerade in einer Zeit mühseliger Verfahren der schriftlichen Vervielfältigung - den unzweifelhaften Vorteil der Breitenwirkung. Prediger und Zuhörer sprengten den engen Kommunikationsrahmen der Intellektuellen des Mittelalters.” I (Schmidt 1992, 330 )

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  16. An Materialmangel sollte diese Aufgabe nicht scheitern: “Kein literarisches Genre wäre besser geeignet, den Abstand zwischen der Leidenschaft gattungssoziologischer Systembildung und der Verlegenheit faktischer Literaturgeschichtsschreibung überwinden zu helfen, als die geistliche Rede. In der Präsentationsform der zyklischen Sammlung hält es zahlreiche Angaben bereit, die nach einer Systematik literarischer Funktionen abgefragt und im geschichtlichen Zusammenhang dargestellt werden könnten. (…) Kein literarisches Genre kennt schließlich ein so breites und gut analysierbares Spektrum von Adressaten - Widmungsempfänger aus Adel und höherer Geistlichkeit, geistliche und weltliche Benutzer, d.h. Prediger, Pfarrer und Hausväter, und endlich das große, in sich wiederum heterogene, vom “gemainen Mann” auf dem “Gey” bis zu “villerley Stands-Persohnen” reichende mittelbare Publikum der Hörer - liefern literatursoziologische Daten von seltener Reichhaltigkeit, die zu sammeln und auszuwerten angesichts des allgemeinen Appells zu einer funktionsorientierten Literaturgeschichtsschreibung eine naheliegende Aufgabe wäre.” (Welzig 1979, 1f.)

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  17. Ein ähnliches Verhältnis dürfte zwischen mündlichen Konversionserzählungen und “klassischen” schriftlichen Vorlagen, wie vor allem des Berichts über die Bekehrung des Saulus in der Apostelgeschichte, bestehen. Vgl. Ulmer (1988) sowie Luckmann (1987).

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  18. Der Besuch nicht nur evangelischer, sondern auch katholischer Gottesdienste ist in den letzten Generationen in Europa sehr stark zurückgegangen. Um ein eindringliches Beispiel anzuführen: In den letzten dreißig Jahren ist der Gottesdienstbesuch in den Bistümern der Bundesrepublik von knapp der Hälfte der Katholiken auf etwas weniger als ein Fünftel zurückgegangen (IKSE 1996).

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  19. So schreibt z.B. Grünberg (1973, 11) im ersten Satz der Einleitung zu seiner Arbeit über das Verhältnis von Homiletik und Rhetorik: “Die Predigt steckt in einer ‘Krise’. Diese Aussage ist stereotyp und beinahe altmodisch geworden.” Und kritisch zum Stand der Debatte: “In dieser Diskussion wird immer pauschal von der Predigt gesprochen, deren Problematik erörtert wird, ob es sich dabei um eine Erweckungspredigt, eine Lehrpredigt oder eine Moralpredigt handelt, oder wie immer man dogmatisch unterscheidbare Predigtgattungen bezeichnen will.”

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  20. Vgl. Band 1, Kapitel 2.2. Insgesamt zum Datenbestand: Er enthält verhältnismäßig wenige Gesprächssequenzen, die Ähnlichkeiten mit Moralpredigten zeigten. Auch die Familientischgespräche bilden da keine Ausnahme. (Eine “unserer” Familien hatte auch kleine Kinder. Vielleicht kommen in der Kommunikation zwischen Eltern und kleineren Kindern ganz einfache moralpredigtähnliche Sequenzen häufiger vor. Ob aber daraus auf einen Traditionseinfluß kirchlicher Moralpredigten zu schließen wäre, ist zweifelhaft, da ja die elementare Androhung böser Folgen fir begangene Frevel nicht auf spezifische historische Gattungen beschränkt ist.) Von der Annahme ausgehend, daß Moralpredigten am ehesten in asymmetrischen sozialen Beziehungen auftreten würden, hätte man erwarten können, daß man bei informellen Gesprächen unter Bekannten und Freunden nicht allzu häufig fündig werden würde. Diese Erwartung bestätigte sich aber nicht. Relevante kommunikative Episoden wurden im “Feld” gar nicht so selten angetroffen, aber die Erlaubnis, die Aufnahmen zu verwenden, wurde gerade bei solchen Passagen oft nachträglich entzogen. Die Feststellung, daß sie Moralpredigtcharakter hatten, da das Paar Unheilsschilderung und -prophetie zusammen mit einem Ruf zur Umkehr dialogisch realisiert wurden, beruht auf Beobachtungen der Mitarbeiterinnen, die die Gespräche im eigenen Bekanntenkreis aufgenommen hatten.

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  21. Wenn es nicht eine Art Sympathiewerbung ist, mit der sich der Sprecher auch als ein zu Ermahnender darstellt. Ein Fall der indirekten confessio criminis (Laosberg 1990, §274).

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  22. Zu solchen und weiteren Merkmalen vorentworfener Rede vgl. Ayaß (1997a. 125ff.).

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  23. In Analogie zu der “kleinen” Prophetie des “Worts zum Sonntag” (vgl. Ayaß 1997b) könnte man vielleicht von einer “kleinen” Moralpredigt sprechen.

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  24. Wie jeder Monolog enthält auch dieser (virtuell) dialogische Elemente: den Zuhörerzuschnitt der Ansprache, das gelegentliche Einnehmen der Adressatenperspektive, sogar das sprechen “fiir” den Adressaten (das “Wirtshausklischee”) usw. Vgl. auch die Analyse des ‘monologischen “Worts zum Sonntag” (Ayaß 1997a).

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  25. Wenn es so etwas wie eine Zivilreligion gibt - hier ist nicht der Ort, sich in die Diskussion des Für und Wider zu diesem Begriff einzulassen -, spricht nicht nur das analysierte Beispiel dafür, daß die hier gepredigte staatsbürgerliche Toleranz- und Beistandsmoral ihren gegenwärtigen Hauptinhalt ausmacht. Vgl. dazu die Analyse einer Weizsäcker-Rede in einer Arbeit über Zivilreligion (Vögele 1994, 24 ff.).

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  26. Zum Gedanken, daß kommunikativen Gattungen die eigene Gattungshaftigkeit zum Problem werden kann, siehe Ayaß (1997b).

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Luckmann, T. (1999). Predigten, Moralpredigten und Moral predigen. In: Bergmann, J., Luckmann, T. (eds) Kommunikative Konstruktion von Moral. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-12193-0_3

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