Zusammenfassung
Wenn man unter moralischer Kommunikation das Reden von Menschen über andere Menschen mit positivem oder negativem Vorzeichen versteht, wie dies unserer Definition entspricht,1 mag man sich am Ende zweier Bände empirischer Analysen fragen, wo denn genau im Verlauf des Forschungsprozesses das Interesse an den positiven Moralisierungen abhanden kam Waren wir auf einem Auge blind, als wir vorwiegend negative Moralkommunikation analysierten? Tatsächlich haben jedoch in unserem Material2 negative Moralisierungen eine so überwältigende Präsenz, daß unser induktives und hermeneutisches Vorgehen notwendig zu einer Analyse dessen führte, was auch das Material dominierte: Vorwerfen, Entrüsten, Stereotypisieren usf. Es liegt in unserer Gesellschaft eine deutliche Präferenz für negative Moralkommunikation vor. Positive Formen waren dagegen im Material nur spärlich enthalten. Dabei besteht fir positive Moralkommunikation ein ebenso ausdifferenziertes ethnosemantisches Bezeichnungsfeld wie für negative: Es gibt den “Schleimscheißer”, den “Süßholzraspler” und den “Charmeur”; sie “schwärmen”, “loben” und machen “Komplimente”, sie “prahlen”, sie “begeistern” sich, sie “schmieren” jemandem “Honig ums Maul” oder “sülzen” einfach nur “rum”.3 Auf institutioneller Ebene werden “Laudationes” oder “Elogen” gehalten und “(Lobes-) Hymnen” gesungen. An sprachlichen Bezeichnungen für positive moralische Kommunikation scheint zumindest kein Mangel zu bestehen. Was aber wurde aus den zugehörigen kommunikativen Formen?
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Literatur
Siehe hierzu Band 1, Kapitel 1.
Siehe hierzu die Beschreibung unserer Datenbasis in Band 1, Kapitel 2.
Man liest und hört schon hier: Positive Formen moralischer Kommunikation werden keineswegs, wie dies a priori erwartbar wäre, von den kommunikativen Teilnehmern gleichermaßen geschätzt. Die meisten der genannten Bezeichnungen sind ausgesprochen negativ konnotiert (vgl. hierzu auch Abschnitt 4 dieses Beitrags).
Das Eigenlobverbot läßt sich schon im Alten Testament nachweisen: “Laß dich von einem anderen loben und nicht von deinem Mund, von einem Fremden und nicht von deinen eigenen Lippen.” (Sprüche 27,2). Plutarch (1838) beschäftigte sich explizit damit, wie man dieses Verbot des Eigenlobs umgehen könne: “Wie man, ohne anzustoßen, sich selbst loben kann”.
In bisherigen (vor allem konversationsanalytischen) Studien werden die kommunikativen Formen Kompliment, Lob und Begeisterung (“compliment”, “praise” etc.) weitgehend pauschal behandelt. So zählt Pomerantz z.B. zu den “activities in which praise is proferred” “compliments, appreciations, and so on” (1978b, 95/96), Mulkay bezeichnet zeremonielle Laudationes gar als “ultimate compliment” (1984). Die Unterschiede zwischen Kompliment und Begeisterung behandelt der folgende Abschnitt 3; von Laudationes ist in Abschnitt 4 die Rede. Schwieriger ist, vor allem im Deutschen, die Abgrenzung des Kompliments zum Lob. Das deutsche Wort “Kompliment” ist im frühen 17. Jahrhundert dem französischen “compliment” entlehnt, welches seinerseits ein Lehnwort aus dem spanischen “complimiento” ist, das “Fülle, Überfluß, Überschwang” bedeutete (Kluge 1995, 467). Kaum folgen mag man dem “Duden” bei seiner Deutung des Begriffs: “Das Wort bezeichnet demnach etwa die von der feinen Gesittung und Lebensart her gebotene Hochachtung dem anderen gegenüber, die gerade beim Temperament des Südländers zu einer überschwänglichen Geste von übertriebener Höflichkeit und Schmeichelei wird.” (DUDEN 1997, 369; zur moralischen Qualität von Kommunikation über ethnische Stereotypen siehe jedoch Kapitel 2.1 in diesem Band) Für das “Lob” hingegen nennen etymologische Wörterbücher verschiedene Quellen. Während Kluge das “Lob” der Sippe des “Laubs” zurechnet und dabei erwähnt, daß hierbei auch “an Zweige als Zeichen des Lobes und der Ehrung zu denken ist” (1995, 522), rechnet der “Duden” wiederum das “Lob” als “lieb halten, lieb nennen, gutheißen” zur Wortgruppe “lieb” (1997, 424). Im Unterschied zum “Kompliment” ist aber vor allem das “Lob” ein aktiveres Wortfeld, das neben dem Verb “loben” auch Begriffe wie “lobhudeln” und “Lobhudelei”, “ausloben”, “belobigen”, “löblich” usf enthält, während das entlehnte “Kompliment” als Verb nur in der Verbindung “Komplimente machen” aktiv ist. Das Verb “komplimentieren” (ursprünglich im 17. Jhd. für “bewillkommnen”) ist im Deutschen des 20. Jhds. nur mehr im Sinne von “hinauskomplimentieren’ aktiv, was heute nichts anderes bedeutet, als einen Gast mit freundlichen Worten hinauszuwerfen. Zur Schwierigkeit, ”Lob“ von ”Kompliment“ empirisch zu trennen, siehe auch Abschnitt 2.4 dieses Beitrags.
Von “candidats privilégiés” spricht Kerbrat-Orecchioni (1987, 9).
Der Begriff des “sicheren” Kompliments stammt von Harvey Sacks (19926, 461ff. und 597ff.), der ihn allerdings in einer etwas anderen Bedeutung benutzt. Sacks versteht unter “safe compliments” Komplimente, die anwesende Dritte nicht brüskieren: “So that one is not, by making the compliment, setting up the possibility of comparisons, which would perhaps negatively characterize other persons present.” (1992b, 464), die sich sonst ihrerseits fragen müßten: ‘Well what about me?’.“
In der Literatur zu Komplimenten ist genau diese charakteristische Eigenschaft der Komplimente nicht gesehen worden. So meinen Manes/Wolfson an einer Stelle, an der es um die Adressierung der gemeinten Person geht: “(…) compliments are typically addressed directly to the person being complimented, and deixis is nearly always present unambiguous identification of the object of the compliment” (1981, 123; Hervorhebungen RA). Auch Kerbrat-Orecchioni geht durchweg unausgesprochen davon aus, daß sich Komplimente auf Objekte beziehen (1987, 5, 9 et passim).
Dies mag auch daran liegen, daß unser Material vorwiegend aus informellen Kontexten stammt. Im Rahmen von formellen, institutionellen oder massenmedialen Kontexten, in denen sich eine größere Zahl von Beteiligten findet, kann durchaus kollektiv gelobt werden kann. Für ein Beispiel aus einer päpstlichen Ansprache (’Ihr habt so schön gebetet und so wunderbar gesungen…) siehe Bergmann/Soeffner/Luckmann (1993, 147). Der Komplimentrezipient “antwortet” übrigens in diesem Beispiel kollektiv - mit Applaus. Wie Clayman (1992) zeigt, haben Kollektivadressaten neben Applaus durchaus die Möglichkeit, auf Moralkommunikation moralisch zu antworten: mittels wohlwollendem oder höhnischem Gelächter, Auspfeifen, Buhen, Zischen. Zu institutionellen Formen positiver Moralkommunikation vgl. zudem Abschnitt 4 dieses Beitrags.
Siehe hierzu auch die Untersuchung von Bailey (1997), der aufzeigt, wie in Verkaufsgesprächen in “liquor stores” die kulturell unterschiedlichen Formen der Achtungskommunikation zu fortwährenden Spannungen zwischen koreanischen Verkäufern und afi oamerikanischen Kunden führen. 11 Von “compliments perfides” spricht Kerbrat-Orecchioni (1987, 7) in solchen Fällen.
Wie Pomerantz ( 1984, 77) zeigt, gibt es zumindest eine Situation, in der negative Bewertungen einen Widerspruch geradezu herausfordern: Selbstbeschimpfungen bzw. Selbsterniedrigungen (“self-deprecations”).
Vergleiche hierzu vor allem Abschnitt 4 dieses Beitrags.
Solche Beispiele sind in unserem Material jedoch nicht enthalten, die Beispiel-Zitate entstammen Kerbrat-Orecchioni (1987; 22, 25 und 19).
Aus Gründen der Lesbarkeit finden sich die beiden verschiedenen Gesprächsthemen parallel notiert.
Im Standarddeutschen würde der Satz etwa lauten: “Mein Gott, was habe ich nur für Kinder aufgezogen!”
Im Standarddeutschen würde dieses “No: ii: do: au::?” in etwa lauten: “Ja, aber ich doch auch!”
Die Drohung ist zwar nicht richtig ernst gemeint, jedoch keineswegs spaßhaft. M befindet sich in einem Zustand zwischen Schmollen und Beleidigt-Sein. Zu “Drohungen” siehe Paris/Sofsky (1987), zum “Schmollen” siehe Wenderoth (1998).
Die hier zwischen den Transkripten RAFFAELLO #1 und RAFFAELLO #2 ausgelassene kurze Passage wird unter dem gleichen Namen in Kapitel 3.1 unter dem Aspekt der Thematisierung von Geld diskutiert.
Zur autorisierenden Funktion solcher “Medienreferenzen” vgl. Ulmer/Bergmann (1993).
Zudem ist eine Zurechtweisung bzgl. hohen Obstverzehrs verglichen mit Süßigkeiten ohnehin recht fragwürdig.
Zu Wenn-dann-Konstruktionen als Kategorischen Formulierungen siehe Kapitel 3.3 in Band 1.
Zum Risiko moralischer Kommunikation vgl. Band 1, Kapitel 1.
Das Verb “begeistern” stammt aus dem 17., das Substantiv “Begeisterung” aus dem 18. Jahrhundert. Es bedeutete ursprünglich “beleben, sich mit Geist erfüllen”. “Sich-Begeistern” bedeutet heute, “in freudige Erregung” zu geraten. Das Gegenstück ist “entgeistern”, welches ursprünglich (17. Jhd.) “der Lebenskraft berauben” meinte, das Partizip “entgeistert” bedeutete, “überrascht, fassungslos” zu sein.
Ulmer (1988) zeigt anhand einer anderen kommunikativen Gattung, den Konversionserzählungen, wie Nicht-Mitteilbares kommunikativ vermittelt wird.
Unter “blurtings” versteht Goffman (1981) verbale Ausrufe, mittels derer Interagierende ihren inneren Zuständen eine äußere Ausdrucksform geben. Our blurtings make a claim of sorts upon the attention of everyone in the social situation, a claim that our inner concerns should be theirs (…)“ (1981, 121).
Vergleiche hierzu die Analyse der Entrüstungssequenzen in Band 1, Kapitel 4.2.4.
Genauer: Nicht eine der Begeisterungssequenzen im Material zielte auf eine Person, die als Interaktionsteilnehmer zum sozialen Feld der Beteiligten gehörte. Wir fanden hingegen einige schwärmerische Passagen über “ferne”, aber über Medien bekannte Dritte, wie etwa berühmte Musiker, Schauspielerinnen oder Sängerinnen. Ein solches “Schwärmen” für oder “Anhimmeln” von Personen wird z.B. in jugendlichen Fangruppen betrieben.
Vgl. für diese und andere Beispiele aus Vorwurfs-, Beschwerde-, Entrüstungs-und Klagesequenzen die Kapitel 4.2.1, 4.2.2, 4.2.3 und 4.2.4 in Band 1.
Eine exzessive Begeisterung Ober Dinge findet sich z.B. in massenmedialer Produktwerbung, die von Komparativen, Superlativen, Hyperbeln und Extremformulierungen durchsetzt ist. Dort finden sich überschwengliche Schilderungen von Vorzügen eines Gegenstandes, die im Rahmen von alltäglichen Formen positiver Kommunikation undenkbar wären. Semantische Adelungen von Gegenständen wie “vollendet veredelter Spitzengeschmack” (aus einer Kaffeewerbung) würden schon in der stark markierten Form der Begeisterung übertrieben wirken und wären im Rahmen von Komplimenten völlig deplaziert. Man stelle sich nur anstelle des ‘schmeckt sehr gut’ aus dem in Abschnitt 2 diskutierten Transkript HACKBRATEN eine solche Gegenstandsbewertung wie “vollendet veredelter Spitzengeschmack” vor. C wäre außerstande gewesen, dies als Kompliment zu hören, und M als Person würde zumindest befristet dem Verdacht unterliegen, keine kompetente Interaktionsteilnehmerin zu sein. Zu Bewertungen in Werbung vgl. z.B. Rippe (1965), Römer (1968), Grosse (1969) und Sandig (1996).
Diese Suche nach positiver Moralkommunikation, die auf die ganze Person zielt, überschreitet die Grenzen jener kommunikativen Situationen, die unser Material dokumentiert: Die folgenden Überlegungen stützen sich auf Analysen, die kommunikative Formen wie Todesanzeigen und Laudationes einer meist textlinguistischen Analyse unterziehen - ohne eine spezielle Fragestellung hinsichtlich ihrer moralischen Qualität zu verfolgen. Insofern handelt es sich hier um erste Überlegungen zur Verfaßtheit von Moral in institutionellen Kontexten, die einer eigenständigen empirischen Untersuchung bedürfen.
Zu den formalen Merkmalen von Todesanzeigen vgl. besonders Lage-Müller (1995).
Nichts spricht dafür, daß dies sich ändert. Gerhards/Melzer (1996) zeigen beispielsweise in einer empirischen Zeitreihenuntersuchung, daß der Transzendenzbezug in Todesanzeigen im Laufe dieses Jahrhunderts zu-und nicht abgenommen hat.
Dies sind typische Selbst-und Fremdbeschreibungen in Heiratsanzeigen (vgl. Ramge 1988; Gern 1992).
Ähnlich rituellen Charakter haben “Danksagungen”, in denen den nicht offiziell an einer Veranstaltung oder einem Werk Beteiligten rituell Dank für bestimmte Tätigkeiten ausgesprochen wird. In der Regel wird hierbei betont, daß ohne deren Hilfe das Resultat nicht das wäre, was nun vorliegt. Grußworte und Danksagungen stellen meist eröffnende Rahmen sozialer Veranstaltungen dar.
Daß im Fernsehen neben starker negativer auch starke positive Moralkommunikation möglich ist, ändert nichts an seiner Eigenschaft, moralische Anstalt par excellence zu sein, es verstärkt diesen Charakterzug nur. Zu Massenmedien als moralischen Unternehmern siehe auch Kapitel 1.4 und 2.5 in diesem Band.
Mulkay (1984) spricht wörtlich von den Laudationes als “the ultimate compliment” und versucht eine direkte Übertragung der Ergebnisse von Pomerantz’ ( 1978b ) Studie zu Komplimenten auf diesen zeremoniellen Kontext. Eine notwendige Differenzierung der Formen positiver Moralkommunikation untereinander geht dabei allerdings verloren.
Man kann sich des Verdachts nicht erwehren, daß sich in solchen zeremoniellen Veranstaltungen eine elitäre Gemeinschaft selbst feiert und das Licht der luziden Gipfel-und Glanzmetaphorik (so auch Zimmermann 1993, 160 über die Georg-Büchner-Preis-Verleihungen) vorzugsweise auf die Anwesenden selbst zurückfällt. Beim deutschen Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung fallt zudem eine extreme Spiegelung der Rollen Laureat/Laudator auf: Helmut Heißenbüttel hält die Laudatio auf Ernst Jandl, Heinrich Böll auf Manès Sperber, Walter Jens auf Peter Weiss, Marie Luise Kaschnitz auf Paul Celan usf Laudatoren rekrutieren sich beim Büchner-Preis offensichtlich häufig aus den vormaligen Laureaten. Aus den jährlichen Verleihungen des Büchner-Preises ist sogar ein Fall dokumentiert, in dem ein ehemaliger Laureat die Funktion des Laudators übernimmt - bei seinem eigenen vormaligen Laudatoren (siehe für dieses Beispiel Zimmermann 1993, 89 ). Diese Beobachtung stützt auch Vogts (1997a) These, daß sich mittels Ordensverleihungen eine recht homogene soziale Gruppe selbst ehrt.
Die Formelhaftigkeit entlastet die Interagierenden - wie im Fall der alltäglichen Komplimente auch - von Entscheidungsdruck und Verhaltensunsicherheit (siehe hierzu Abschnitt 2).
Darauf weisen - indirekt - alle Untersuchungen hin, die sich mit dem Thema Kommunikation und Tod in westlichen Kulturen empirisch befassen, z.B. Charmaz (1975), Sudnow (1973, 151–196), Holt (1993) und Glaser/Strauss (1995).
Doch prägt es sich kommunikativ unterschiedlich aus. Malinowski (1973) zeigt, daß auf den Trobriandinseln ein fir seine Ohren eher respektlose Art des Redens über Tote möglich war. Kapitel 1.2 in diesem Band zeigt auf, wie im ländlichen Georgien die Toten über rituelle Totenklagen betrauert werden. Wie stark sogar bei uns ironische Brechungen in diesem Zusammenhang zu Entsetzen führen, zeigte zum Beispiel die Reaktion der Leserschaft der Tageszeitung “taz” (also eher kein konservatives Publikum) auf eine ironisch-zynische Glosse über Todesanzeigen (taz vom 12.6.1996). Die Leserbriefe fielen ungewöhnlich heftig aus: “Was ich hier lese, ist so unglaublich, daß es ein schlechter Scherz sein muß. ” - “Es ist nicht nur dumm, sondern auch zynisch und menschenverachtend.” - “Verlust des guten Geschmacks” usf. (vgl. taz vom 21. 6. 1996 ).
Zum Herrscherlob als eigenständiger Gattung (“basilikos logos”) siehe vor allem Curtius (1948, 184f); zum Status der Komplimente und des komplimentierenden Höflings siehe vor allem Beetz (1981; 1990) und Elias (1983).
Interessanterweise kann heute daher mit der kommunikativen Form des Kompliments in weitgehend egalitären Sozialbeziehungen eine kleine Re-Hierarchisierung erzielt werden.
Nicht in Dom oder Fürstengruft /Er ruh in Gottes freier Luft /Draußen auf Berg und Halde /Noch besser: tief, tief im Walde; /Widukind lädt ihn zu sich ein: /“Ein Sachse war er, drum ist er mein, /Im Sachsenwald soll er begraben sein.” //Der Leib zerfällt, der Stein zerfällt, /Aber der Sachsenwald, der hält; /Und kommen nach dreitausend Jahren /Fremde hier des Weges gefahren /Und sehen, geborgen vorm Licht der Sonnen, /Den Waldgrund im Efeu tief eingesponnen /Und staunen der Schönheit und jauchzen froh, /So gebietet einer: ‘Lärmet nicht so! - /Hier unten liegt Bismarck irgendwo.“’ - zitiert nach Enzensberger (1984, 121).
Als es geschah an jenem zweiten März, /Daß leiser, immer ferner schlug sein Herz; /Da war ein Schweigen wieder und ein Weinen, /Um Stalins Leben bangten all die Seinen. //Und als verhaucht sein letzter Atemzug, /Da hielt die Taube ein auf ihrem Flug /Und legte einen gold’nen Ölzweig nieder. /Die Völker sangen alle stille Lieder. //(…) //Seht! Über Stalins Grab die Taube kreist, /Denn Stalin: Freiheit, Stalin: Frieden heißt. /Und aller Ruhm der Welt wird Stalin heißen. /Laßt uns den Ewig-Lebenden lobpreisen.“ - zitiert nach Enzensberger ( 1984, 122 ).
Wie sollte ein abgeschwächtes Herrscherlob aussehen? Es wäre ein Widerspruch in sich. Scherz und Ernst waren zwar im Herrscherlob der Antike und des frühen Mittelalters enthalten (vgl. Curtius 1984, 423f.), doch scheint der Spaß das Ausmaß der Anbetung nicht eingeschränkt zu haben, da er sich nicht auf die Person bezog.
Religion ist nach C.P. Tiele “zu allen Zeiten nichts anderes als Anbetung gewesen” (zitiert nach Heiler 1957, 356).
Die Analysen über Lamentationen und Trinksprüche im ltndlichen Georgien (vgl. Kapitel 1.1 und 1.2 in diesem Band) weisen darauf hin.
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Ayaß, R. (1999). Versachlicht oder veraltet: Positive Moralisierungen in alltäglichen und institutionellen Kontexten. In: Bergmann, J., Luckmann, T. (eds) Kommunikative Konstruktion von Moral. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-12193-0_11
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