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Soziale Bewegung und pädagogisches Denken in der Weimarer Republik

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Erziehung durch Arbeit

Zusammenfassung

Walter Hornstein sprach kürzlich von der Herausforderung der Pädagogik durch die neuen sozialen Bewegungen, deren Existenz und Intentionen nicht nur bestimmte Grundpositionen „kritischer Erziehungswissenschaft“ zu revidieren zwinge, sondern gar die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels anzeige (Hornstein, 1984). Die von den neuen sozialen Bewegungen thematisierten Fragen bedürften auch seitens der Pädagogik einer Antwort, vor allem und in erster Linie erforderten sie „konkrete Forschungs- und Reflexionsaufgaben“:

  • Kritik des pädagogischen Denkens soweit es einem ungebrochenen Fortschrittsparadigma folgt.

  • Analyse und Kritik gegenwärtiger pädagogischer Verhältnisse im Kontext der konkreten geschichtlichen Situation.

  • eine Reorientierung der verschiedenen auseinanderdriftenden Teil- und Bereichspädagogiken auf eine „pädagogisch-zentrale Frage“ (Hornstein, 1984, S. 165), die der geschichtlichen Lage eher gerecht wird als die Produktion pädagogischer Praxisanleitungen „unter dem Druck gesellschaftlich-politischer Nützlichkeits- und Verwertungsforderungen“ (S. 164).

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Anmerkungen Kapitel 2

  1. Damit soll die in der europäischen Diskussion stark betonte Anbindung des Begriffs soziale Bewegung an eine bestimmte Programmatik (etwa im Sinne emanzipatorischer Gehalte) entkoppelt werden. Erinnert sei deshalb an Rammstedts Postulat: „Sich mit sozialer Bewegung zu beschäftigen heißt, sich ständig die faschistische Bewegung zu vergegenwärtigen…“ (Rammstedt, 1978, S. 9).

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  2. Damit soll nicht der Wert ideologiekritischer Analysen bestritten werden, aber die Brauchbarkeit von Arbeiten angezweifelt werden, die Ideologiekritik über ein vordergründiges „Entlarvungs-Motiv“ organisieren. In diesem Sinne vgl. z. B. Kupffer, 1984.

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  3. Auf eine systematische Darstellung der Begriffsgeschichte und konkurrierender Theorieansätze wird hier verzichtet. (vgl. Beckmann, 1979) Ziel der folgenden Überlegung ist die Entwicklung eines heuristischen Untersuchungskonzepts, das vorliegende Studie anleitet. Auf eine Differenz zur pädagogischen Geschichtsschreibung soll aber hier schon hingewiesen werden. Unter sozialer Bewegung wird hier gemeinhin nicht die Arbeiterbewegung, sondern der Beginn sozialpädagogischen und sozialpolitischen Engagements (Wichern, Ketteler, Kolping) verstanden (vgl. Scheibe, 1984, S. 30ff.).

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  4. Schon Robert Park, der 1921 den Begriff „kollektives Verhalten“ in die amerikanische Soziologie einführte, hatte das Institutionalisierungsproblem thematisiert. „The history of almost any single social movement — woman’s suffrage, prohibition, protestantism — exhibits in a general way, if not in detail, this progressive change in character. There is at first a vague general discontent and distress. Then a violent, confused, and disorderly, but enthusiastic and popular movement arises. Finally the movement takes form; develops leadership, organization; formulates doctrines and dogmas. Eventually it is accepted, establihed, legalized. The movement dies, but the institution remains.” (Park, 1967, S. 235 )

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  5. Smelsers „value-added-approach“ will die Entstehung von sozialen Bewegungen als ein stufenbezogenes Prozeßmodell, in dem jede Stufe für die nächste eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung darstellt, theoretisch fassen. Drei Entstehungsbedingungen zeichnet Smelser für das Auftreten „kollektiven Verhaltens” aus (vgl. Smelser, 1972, S. 36ff.): Strukturelle Anfälligkeit und strukturelle Spannung innerhalb einer Gesellschaft sowie das dadurch bedingte Entstehen einer generalisierten Vorstellung, die mobilisierend, norm-und wertgebunden ist. Ob diese handlungsinduzierend wirkt, hängt von „Beschleunigungsfaktoren“ ab. Über die Chancen einer Bewegung entscheidet, ob sie über eine effektive Mobilisierung verfügt, die letztendlich wiederum abhängig ist von der sozialen Kontrolle durch die Instanzen des herrschenden Systems. Diese braucht keineswegs repressiv zu sein. Das Oppositionspotential einer sozialen Bewegung kann vielmehr auch dadurch abgedämpft werden, daß politische Entscheidungsträger das „Thema” übernehmen und in politisches Handeln einführen.

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  6. Generell geht Weniger davon aus, daß wahre „pädagogische Gesinnung“ sich nicht ideologisch oder parteipolitisch fragmentieren lasse, sondern alle „Menschen erzieherischen Willens” (1952, S. 54) verbinde. Erziehungstheoretisch erhält dieses Argument in der Konzeptualisierung der Volk-Bildung (vgl. Kap. 6.3.) und im Erziehungsfeld „Volkslager“ seine spezifische Präzisierung.

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  7. Der 1932 erstmals publizierte Aufsatz „Kulturkritik, Schulreform und pädagogische Bewegung“ (Weniger, 1952, S. 59ff.) ist nochmals im August 1948 in aktualisierter Form erschienen. Dort macht Weniger den Scheingebrauch der Argumente der pädagogischen Bewegung und ihre Instrumentalisierung durch den Staat dafür verantwortlich, daß sie 1933 kaum Widerstand geleistet hat. Wilhelm Flitner periodisierte die reformpädagogische Bewegung anders als Nohl und Weniger, aber nicht in Widerspruch zu beiden, in drei Phasen. Die erste sei durch eine Vielfalt einzelner Reformversuche gekennzeichnet, die zweite Phase erweiterte diese zu pädagogischen Gesamtprogrammen, während die dritte Phase schließlich zu nüchterner Reflexion führte und eine kritische Synthese der pädagogischen Programmatik anbahnte.

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  8. Nohl, 1949b, S. 219; Hervorhebung im Original.

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  9. Wie allgemein im Bildungsbürgertum als dem Träger des Kulturkrisenbewußtseins spielt der Gemeinschaftsbegriff in Nohls Theorie eine zentrale Rolle. Die anvisierte neue Kultur sollte auf die Basis eines neuen Gemeinschaftsgefühls wachsen. Hier kommen vor allem die geschlossenen Erziehungsgemeinschaften zum Tragen wie sie in der Landerziehungsheimbewegung und der Jugendbewegung praktiziert werden. Denn auch für Nohl gilt, daß Gemeinschaft nicht verstanden, in Begriffe gefaßt werden kann, sondern „gefühlt“ und „erlebt” werden muß. Hier ergeben sich zu den Zielsetzungen der Arbeitslagerbewegung ebenso zahlreiche Bezüge wie bei der von Nohl geforderten Aufgabe der Sozialpädagogik, an der „Personalisierung der Masse“ mitzuwirken.

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  10. Auf die Schwäche dieser Konzeption verweist Schulze: „Sie unterschätzt das Gewicht und Beharrungsvermögen der pädagogischen Institutionen, und sie überschätzt die Integrationskraft der pädagogischen Theorie.“ (Schulze, 1979, S. 557)

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  11. Im folgenden werden die Begriffe „Arbeitsdienstbewegung“ und „Arbeitslagerbewegung” synonym verwendet. Zur Binnendifferenzierung der Bewegung (Kap. 4.1.); zum Flügel der Volkslagerbewegung (Kap. 6).

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  12. Gekoppelt war die Siedlungsideologie im Osten stets mit antipolnischen Ressentiments, von denen auch Nohl nicht frei war. So zitierte er zustimmend den preußischen Historiker Otto Hinzte, der 1903 vom „Vordringen des Polentums“ und vom „polnischen Bazillus” sprach (Nohl, 1932b, S. 451) und forderte selbst „den Wall von deutschen Menschen“ im Osten zu verstärken, sonst „brechen die Polen wirklich über kurz oder lang dort ein, das braucht nicht kriegerisch zu sein, sondern gewissermaßen schon rein mechanisch herüberströmend…” (Nohl, 1932a, S. 67 ).

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  13. Kritisch gegen Nohls Pestalozzi-Bezug und die dort vorgetragene „Gemüthaftigkeit“ der Wohnstubenerziehung und mit der Forderung nach Rückbesinnung auf das germanische Bauerntum (Schwartz, 1933, S. 332f.). Positiv dagegen rezipiert Laack (1932b, S. 342ff.) für die Deutsche Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung Nohls Überlegungen (Nohl, 1932 a) und hebt als „gutes Beispiel” die „einheitliche Ausgestaltung der Kulturarbeit im Flatower Grenzkreis“ hervor, „wo systematisch unter vorbildlicher Leitung alle Gruppen und Organisationen, veranlaßt durch die gemeinsame Front gegen das Polentum, zusammen arbeiten.” (S. 346)

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  14. Für die Zeit von 1925 bis 1942 konnten 28 Dissertationen zum Thema FAD/RAD/Arbeitsdienstpflicht gefunden werden. Davon wurden 20 im Zeitraum zwischen 1932 und 1936, also zwischen der Einführung des FAD (1931) und des RAD (1935) an philosophischen, wirtschaftswissenschaftlichen und juristisch-staatswissenschaftlichen Fakultäten angenommen. Nach 1945 erschienen 2 Dissertationen zum Thema in der DDR und 3 in der Bundesrepublik (vgl. Kap. 3). 15 der 28 Dissertationen wurden an juristischen-staatswissenschaftlichen Fakultäten eingereicht, 8 an philosophischen, 4 an wirtschaftswissenschaftlichen und 1 an einer landwirtschaftlichen Fakultät. 11 von ihnen gehen auf erziehungswissenschaftliche Fragestellungen überhaupt nicht ein, 14 Arbeiten beschäftigen sich zumindest in einem Kapitel mit Erziehungsfragen im Arbeitsdienst, in 1 Arbeit dominiert dieser Aspekt und 2 Arbeiten sind ausschließlich der Erziehungsproblematik gewidmet. Will Decker, „Leiter der Inspektion des Erziehungs-und Bildungswesens in der Reichsleitung des Deutschen Arbeitsdienstes nennt 1935 die Zahl von 21 „wissenschaftlichen Arbeiten, die bisher insgesamt an den deutschen Hochschulen über den Arbeitsdienst geschrieben worden sind.“ (Decker, 1935, S. 6) Bei Deckers Arbeit handelt es sich um seine Antrittsvorlesung an der Berliner Hochschule für Politik, der vor 1933 Ernst Jäckh vorstand. Er wurde von Paul Meier-Benneckenstein abgelöst, der die Hochschule im NS-Wissenschaftsverständnis formierte. In diesem Zusammenhang sei auf die bedeutsame Reglementierung verwiesen, daß die intensive wissenschaftliche Bearbeitung und Begleitung des Arbeitsdienstes durch die Nationalsozialisten schon frühzeitig politisch präjudiziert wurde. In einem von Leo von Funcke im Auftrag des Reichskommissars für den Arbeitsdienst am 3. Mai 1933 veröffentlichten Erlaß heißt es zur Förderung wissenschaftlicher Forschungen: „Während früher der freiwillige Arbeitsdienst die Vermehrung der Arbeitsgelegenheiten schlechthin zum Ziele hatte, ist es eine der Hauptaufgaben des staatlichen Arbeitsdienstes, die Idee der Volksgemeinschaft dadurch zu verwirklichen, daß Angehörige aller Berufsschichten, Hand-und Geistesarbeiter, im gemeinsamen Dienst mit Hacke und Schaufel zusammengeführt werden. Es ist künftig nicht mehr vertretbar, wissenschaftliche Forschungsarbeiten, die sich als eine Sondermaßnahme für eine bestimmte Berufsschicht ( Akademiker, Ingenieure) darstellen würden, im Arbeitsdienst ausführen zu lassen. Ich bitte daher, in Zukunft derartige Arbeiten nicht mehr als Arbeitsdienst neu anzuerkennen.” (RGBI. I, 1933, S. 125 )

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  15. So auch der in der Führerschulung aktive spätere Arbeitsführer Alfred Krüger zum RAD: „Nur aus einem neuen Erlebnis wird eine neue Wirklichkeit. Wir werden ein Volk nicht durch neue theoretische Erörterungen, sondern dadurch, daß wir jeden hineinstellen in das Erlebnis seines Volkes, wie es im Arbeitsdienst geschieht. Nationalsozialist wird man nur im Lager, in der Kolonne, in der gemeinsamen Arbeit. Die Arbeit ist das stärkste Erziehungsmittel. Im Arbeitsdienst aber trifft sich Arbeit und Erziehung im Erlebnis.“ (Krüger, 1936, S. 292; Hervorhebung im Original)

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  16. So sah Wilhelm Flitner den deutschen Erzieher in den Tagen um den 5. März 1933 „teils mitgerissen“, „teils in der Beklommenheit” und kritisiert die „pluralistische Aufteilung der Staatsmacht“ in der Weimarer Republik. Gegen die Partikularinteressen hätte der Staat nicht die „Erziehungsansprüche der Nation” durchgesetzt. „So hat er noch zuletzt das große Werk des Arbeitsdienstes pluralistisch in die Hände der Verbände geraten lassen, statt es aus der Unmittelbarkeit des pädagogisch verantwortlichen Führers zu Staat und Nation heraus zu gestalten.“ (Flitner, 1933, S. 410) Eine solche über die pädagogische Verantwortung legitimierte Zentralisierung des FAD dürfte innerhalb der Volkslagerbewegung und der Jugendpflegeorganisationen auf wenig Gegenliebe gestoßen sein.

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  17. Zur internationalen Entwicklung des Arbeitsdienstgedankens vgl. Schulz, 1925, S. 75ff.; Brauer, 1935, S. 10ff.; Müller-Brandenburg, 1937.

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Dudek, P. (1988). Soziale Bewegung und pädagogisches Denken in der Weimarer Republik. In: Erziehung durch Arbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-12096-4_2

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