Zusammenfassung
Das “male breadwinner/female homemaker model”, das Ernährermodell, gilt seit Beginn der feministischen Sozialpolitikforschung als Grundpfeiler der Geschlechterungleichheit im modernen Wohlfahrtsstaat. Kaum eine geschlechtersensible Analyse von Sozialpolitik versäumt es, wie das „Amen in der Kirche“ irgendwie darauf Bezug zu nehmen. Fast könnte man meinen, die „Welten des Wohlfahrtskapitalismus“ (Esping-Andersen 1990) — oder zumindest die feministischen Interpretationen derselben — hätten sich in den letzten 25 Jahren nicht wesentlich verändert. Solch eine sehr oberflächliche oder besser gesagt: einseitige Einschätzung wird dadurch gefördert, dass sozialpolitische Reformen zumeist traditionellen Geschlechterstrukturen verhaftet geblieben sind und sich daher die empirische Ausgangslage fir die feministische Analyse in dieser Hinsicht heute offensichtlich nicht grundlegend anders darstellt als vor einem Vierteljahrhundert. Gleichzeitig aber scheinen wir im Moment an einem entscheidenden (Wende-)Punkt zu stehen, an dem die jahrzehntelange Kumulation einer Politik der kleinen Schritte in Richtung Geschlechtergleichheit auf eine öffentliche politisch-ökonomische Debatte trifft, in der das traditionelle Emährermodell zunehmend in Frage gestellt wird. Selbst die OECD und die EU setzen sich inzwischen mit geschlechtsspezifischen Aspekten der Beschäftigungsentwicklung auseinander (vgl. CEC 1993; 1995; OECD 2001; 2002). Sie analysieren den Beitrag der Sozialpolitik zum “gender gap”, zur ungleichen Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern, und zum “family gap”, zu den Beschäftigungsunterschieden zwischen Frauen mit und ohne familiale Betreuungs- und/oder Pflegeaufgaben. Der wirtschaftliche Wert der unbezahlten Sorgearbeit rückte so in das Blickfeld einflussreicher Ökonomen und Politiker. Selbst negative (ökonomische) Folgen einer forcierten weiblichen Erwerbsbeteiligung, z. B. die Vergrößerung von Lohnunterschieden zwischen Frauen oder neue Formen der Segregation, werden diskutiert (vgl. OECD 2002). Was deutsche Politik zur Zeit unter dem englischen Stichwort “work-life-balance” auf den Weg bringen will, entstammt direkt den Think Tanks von EU und OECD.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Berger, Johannes und Claus Offe, 1982: Die Zukunft des Arbeitsmarktes: Zur Ergänzungsbedürftigkeit eines versagenden Allokationsprinzips, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 24, 348–371.
CEC — Commission of the European Communities, 1993: Growth, Competitiveness and Employment — The Challenges and Ways forward into the 21st Century, Luxemburg.
CEC, 1995: Equal Opportunities for Women and Men — Follow-up to the White Paper on Growth, Competitiveness and Employment, Brüssel.
Esping-Andersen, Gosta, 1990: The Three Worlds of Welfare Capitalism, Cambridge.
Esping-Andersen, Gosta, 1996: Welfare States without Work: the Impasse of Labour Shedding and Familialism in Continental European Social Policy, in: Gosta Esping-Andersen (Hrsg.), Welfare States in Transition. National Adaptations in Global Economies, London, 66–87.
Esping-Andersen, Gosta, 1999: Social Foundations of Postindustrial Economies, Oxford.
Esping-Andersen, Gosta (unter Mitarbeit von Duncan Gallie, Anton Hemerijk und John Myles ), 2002: Why we need a New Welfare State, Oxford.
Hobson, Barbara (Hrsg.), 2002: Making Men into Fathers, Cambridge.
Knijn, Trudie und Ilona Ostner, 2002: Commodification and De-commodification, in: Barbara Hobson, Jane Lewis und Birte Siim (Hrsg.), Contested Concepts in Gender and Social Politics, Cheltenham, 141–169.
Leimer, Sigrid, 2003: Varieties of Familialism. The Caring Function of the Family in Comparative Perspective, in: European Societies 5 (4), 353–375.
Leimer, Sigrid und Ilona Ostner, 2000: Von „geordneten“ zu unübersichtlichen Verhältnissen: Nachholende Modernisierung des Geschlechterarrangements in der deutschen Sozialpolitik?, in: Stephan Leibfried und Uwe Wagschal (Hrsg.), Der deutsche Sozialstaat: Bilanzen, Reformen, Perspektiven, Frankfurt a. M., 199231.
Lewis, Jane, 2001: The Decline of the Male Breadwinner Model: Implications for Work and Care, in: Social Politics 2, 152–169.
McLaughlin, Eithne und Caroline Glendinning, 1994: Paying for Care in Europe: Is there a Feminist Approach?, in: Linda Hantrais und Steen Mangen (Hrsg.), Family Policy and the Welfare of Women, Loughborough, 52–69.
O’Connor, Julia S., Ann Shola Orloff und Sheila Shaver, 1999: States, Markets, Families: gender, liberalism, and Social Policy in Australia, Canada, Great Britain, and the United States, Cambridge u.a.
OECD, 1999: Employment Outlook, Paris.
OECD, 2001: Employment Outlook, Paris.
OECD, 2002: Employment Outlook, Paris.
Offe, Claus, 1984: Some Contradictions of the Modern Welfare State, in: Claus Offe (Hrsg.), Contradictions of the Welfare State, London, 147–161.
Offe, Claus, 1985: The Future of the Labour Market, in: Claus Offe (Hrsg.), Disorganized Capitalism, Cambridge, 52–79.
Ostner, Ilona, 1998a: Quadraturen im Wohlfahrtsdreieck. Die USA, Schweden und die Bundesrepublik im Vergleich, in: Stephan Lessenich und Ilona Ostner (Hrsg.), Welten des Wohlfahrtskapitalismus. Der Sozialstaat in vergleichender Perspektive, Frankfurt a. M., 225–252.
Ostner, Ilona, 1998b: The Politics of Care Policies in Germany, in: Jane Lewis (Hrsg.), Gender, Social Care and Welfare State Restructuring in Europe, London, l 1 1–137.
Ostner, Ilona, 2002: Am Kind vorbei — Ideen und Interessen in der jüngeren Familienpolitik, in: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 3, 247–266.
Ostner, Ilona, 2003: „Individualisation“ — The Origins of the Concept and its Impact on German Social Policy, in: Social Policy and Society 2, i.E.
Ostner, Ilona, Sigrid Leitner und Stephan Lessenich, 2001: Sozialpolitische Herausforderungen. HBS-Arbeitspapier 49, Düsseldorf.
Sainsbury, Diane, 1996: Gender, Equality and Welfare States, Cambridge u.a.
Schratzenstaller, Margit, 2002: Familienpolitik — wozu und für wen? Die aktuelle familienpolitische Reformdebatte, in: WSI Mitteilungen 3, 127–132.
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2004 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Leitner, S., Ostner, I., Schratzenstaller, M. (2004). Einleitung: Was kommt nach dem Ernährermodell? Sozialpolitik zwischen Re-Kommodifizierung und Re-Familialisierung. In: Leitner, S., Ostner, I., Schratzenstaller, M. (eds) Wohlfahrtsstaat und Geschlechterverhältnis im Umbruch. Jahrbuch für Europa- und Nordamerika-Studien, vol 7. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11874-9_1
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-11874-9_1
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-3934-7
Online ISBN: 978-3-663-11874-9
eBook Packages: Springer Book Archive