Zusammenfassung
Nachdem sich Mitte der neunziger Jahre schon deutliche Ermüdungserscheinungen in der Diskussion um das unerschöpfliche Stasi-Thema gezeigt hatten, ist die Debatte überraschenderweise im Jahr 1998 doch noch einmal aufgelebt. Zündstoff lieferte vor allem Jürgen Fuchs mit seinem Roman „Magdalena“, eine Mischung aus literarischer Verarbeitung der eigenen Akteneinsicht und eines Insiderreports aus den Gängen und Vorzimmern der „Gauck-Behörde“.1 Fuchs knüpft mit diesem Buch an seine bereits früher geäußerten, fundamentalen Vorbehalte gegen die Form des zweiten deutschen Aufarbeitungsprozesses an, vor allem gegen die als typisch deutsch kritisierte Institutionalisierung und Bürokratisierung. Insofern sieht er auch in der Etablierung der „Gauck-Behörde“ und der gesetzlichen Gängelung der Akteneinsicht durch das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) ein von der westdeutschen Führungselite verursachtes „bürokratisches Ausbremsen einer Revolution“. Im Mittelpunkt seiner Betrachtungen steht somit die Perzeption des DDR-Repressionssystems durch die Westdeutschen bzw. die Nachwirkungen der nicht verarbeiteten NS-Vergangenheit auf den heutigen Aufarbeitungsprozeß. Vom Feuilleton nicht ganz so beachtet wurde der ebenso spannend zu lesende, essayistische Bericht des britischen Osteuropaexperten Timothy Garton Ash über die eigene Akteneinsicht.2 Die gelassene Distanz des Engländers, sein persönlicher Versuch zum Verständnis von Tätern und Opfern der Diktatur und der stark subjektivierende, mißtrauische Blick von Fuchs, dem es vor allem um das Aufzeigen nationaler Neurosen und unseliger Traditionen geht, werfen ein Licht auf die Besonderheiten der gegenwärtigen deutschen Vergangenheitaufarbeitung.
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Literatur
Jürgen Fuchs, Magdalena. MfS. Memfisblues. Die Firma. VEB Horch & Gauck — ein Roman, Berlin 1998; vgl. dazu auch die Stellungnahme von Joachim Gauck, der die Kritik des selbsternannten revolutionären „Wohlfahrtsausschusses der Erleuchteten“ strikt zurückweist (Der ungenaue Blick. Interview mit Joachim Gauck, in: „Die ZEIT” vom 2. April 1998).
Timothy Garton Ash, Die Akte „Romeo“, München 1997.
Vgl. dazu Ulrich Herbert und Olaf Groehler, Zweierlei Bewältigung. Vier Beiträge über den Umgang mit der NS-Vergangenheit in beiden deutschen Staaten, Hamburg 1992; Jürgen Danyel (Hrsg.), Die geteilte Vergangenheit. Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten, Berlin 1995 sowie Werner Bergmann u.a. (Hrsg.), Schwieriges Erbe. Der Umgang mit Nationalsozialismus und Antisemitismus in Österreich, der DDR und BRD, Frankfurt a.M. 1995.
Paradigmen der vergleichenden Bewältigungsforschung entwickelte vor kurzem Norbert Frei, NS-Vergangenheit unter Ulbricht und Adenauer, in: Jürgen Danyel, Geteilte Vergangenheit (s. Anm. 3), S. 125 ff.
Christa Hoffmann, Stunden Null? Vergangenheitsbewältigung in Deutschland 1945 und 1989, Bonn 1992; Manfred Kittel, Die Legende von der „Zweiten Schuld“. Vergangenheitsbewältigung in der Ara Adenauer, Frankfurt a.M./Berlin 1993.
Ludwig Elm, Nach Hitler. Nach Honecker - Zum Streit der Deutschen um die eigene Vergangenheit, Berlin 1991.
Friso Wielenga, Schatten deutscher Geschichte. Der Umgang mit dem Nationalsozialismus und der DDR-Vergangenheit in der Bundesrepublik, Greifswald 1993.
Clemens Vollnhals (Hrsg.), Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945–1949, München 1991 sowie Klaus-Dietmar Henke und Hans Woher (Hrsg.), Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991.
Hier ist die Forschung zur Zeit noch im Fluß; siehe dazu z.B. den Beitrag von Hubert Rottleuthner zur Aufarbeitung von NS-Justizverbrechen in Ost und West: Das Nürnberger Juristenurteil und seine Rezeption in Deutschland, in: Neue Justiz (NJ) 12 (1997), S. 617 ff.
Für die westdeutsche Seite sind in den letzten Jahren einzelne empirische Studien entstanden, die ein differenzierteres Bild vermitteln; so konnte hinsichtlich der KZ-Prozesse die These vom vorübergehenden „Stillstand der Rechtspflege“ im wesentlichen widerlegt werden; vgl. dazu Stefan Wittke, Teilexkulpation von KZ-Verbrechen?, in: Kritische Justiz (Hrsg.), Die juristische Aufarbeitung des Unrechts-Staats, Baden-Baden 1998, S. 547 ff.
Timothy Garton Ash, Diktatur und Wahrheit. Die Suche nach Gerechtigkeit und die Politik der Erinnerung, in: Lettre International 40 (1998), S. 10 ff., hier: S. 10.
Wielenga (s. Anm. 7), Schatten, S. 110.
Deshalb forderte der Berliner Landesbeauftragte Martin Gutzeit auch in seinem jüngsten Jahresbericht die Stasi-Überprüfung für West-Berliner Lehrer, Polizisten und leitende Beamte, in: „die taz“ vom 29. Mai 1998.
Hubertus Knabe, Die Stasi als Problem des Westens. Zur Tätigkeit des MfS im „Operationsgebiet“, in: APuZ B 50/97 vom 5. Dezember 1997, S. 3 ff., hier: S. 3.
Ash (s. Anm. 11), Diktatur und Wahrheit, S. 11.
Diese selektive Wahrnehmung thematisiert auch Knabe, wenn er schreibt: „Während die Fehler der Väter und Großväter hinsichtlich ihres Verhaltens gegenüber den Machthabern einer Diktatur die Feuilletons beherrschen, schweigt man sich zu den eigenen lieber aus“ (Knabe [s. Anm. 14], Stasi, S. 15).
Marion Dönhoff, Die Nürnberger Prozesse: Ein abschreckendes Beispiel, in: Ein Manifest II. Weil das Land Versöhnung braucht, Reinbek bei Hamburg 1993, S. 79 ff.; Herwig
Roggemann, Die strafrechtlich Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit am Beispiel der „Mauerschützen“- und Rechtsbeugungsverfahren, in: NJ 1997, S. 226 ff.
Kritisch dazu Norbert Frei, Wider die falschen Analogien. Zum Vergleichsbedarf der gegenwärtigen Amnestiedebatte, in: „Süddeutsche Zeitung“ vom 10. März 1995.
„Der Spiegel“ Nr. 43 (1994); „Die ZEIT” vom 6. Januar 1995.
Prägnant dazu die Kritik von Falco Werkentin, 68er im Dienste der Diktatoren, in: „die taz“ vom 20. Oktober 1995; Thomas Blanke, Der „Rechtshistorikerstreit” um Amnestie: Politische Klugheit, moralische Richtigkeit und Gerechtigkeit bei der Aufarbeitung deutscher Vergangenheiten, in: Kritische Justiz 28 (1991), S. 67 ff. sowie Jörg Wollenberg, Der B. Mai 1945: Eine Stunde Null?, in: ders., Den Blick schärfen — Gegen das Verdrängen und Entsorgen. Beiträge zur historisch-politischen Aufklärung, Bremen 1998, S. 42 f.
Kritik an den deutschlandpolitischen Positionen der altbundesdeutschen Linken übte vor allem Jens Hacker, Deutsche Irrtümer. Schönfärber und Helfershelfer der SED-Diktatur im Westen, Frankfurt a.M. 1992; in eine ähnliche Richtung zielen auch einzelne Beiträge des SED-Forschungsverbunds an der Freien Universität Berlin.
Hoffmann (s. Anm. 5), Stunden Null?, S. 241 f.
Stéphane Courtois u.a. (Hrsg.), Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München 1998; ein extremes Beispiel für die selektive, zielgerichtete Rezeption der Kommunismusforschung durch die Politik der Artikel von Peter Gauweiler, Pardon der Nation, in: „Wochenpost“ vom 24. Mai 1995.
In diesem Sinne äußerte sich vor kurzem auf einer Vortragsveranstaltung der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg der Rechtshistoriker Wolfgang Schuller in seinem Beitrag zu „Vergangenheitspolitik zwischen individueller Erinnerung und öffentlicher Auseinandersetzug“; gegen die Tendenz, komparatistische Ansätze „a priori mit einem Tabu zu belegen”, wenden sich Günther Heydemann und Christoph Beckmann, Zwei Diktaturen in Deutschland, in: DA 1 (1997), S. 12 ff., hier: S. 18.
Blanke (s. Anm. 20), Rechtshistorikerstreit.
„Da die Tätigkeit der Staatssicherheit in ihrer Wirkung aber auf eine zerstörerische Stabilisierung des Gemeinwesens hinauslief, war das MfS selbst einer der Faktoren, der die Weltanschauungs-Diktatur DDR schließlich ruinierte“. Klaus-Dietmar Henke
Staatssicherheit, in: Werner Weidenfeld und Karl-Rudolf Korte (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Einheit, Bonn 1996, S. 646 ff., hier: S. 651.
Ebd., S. 646.
Joachim Gauck, Die Stasi-Akten. Das unheimliche Erbe der DDR, Reinbek bei Hamburg 1991, S. 11.
Karl Wilhelm Fricke, Zur Geschichte der DDR-Staatssicherheit, in: Bernd Florath, Arnim Mitter und Stefan Wolle (Hrsg.), Die Ohnmacht der Allmächtigen. Geheimdienste und politische Polizei in der modernen Gesellschaft, Berlin 1992, S. 123 ff.; zur bis 1990 fehlenden gesetzlichen Grundlage von BND und MAD vgl. auch den Beitrag von Falco Werkentin, Die politische Moral der Bundesdeutschen und die Effektivität der Dienste, in: ebd., S. 241 ff., hier: S. 243.
Rainer Eckert, Geheimdienstakten als historische Quelle, in: Florath, Mitter und Wolle (s. Anm. 29), Ohnmacht, S. 263 ff. sowie die Beiträge in: Klaus-Dietmar Henke und Roger Engelmann (Hrsg.), Aktenlage. Die Bedeutung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes für die Zeitgeschichtsforschung, Berlin 1995.
Jens Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, in: Klaus-Dietmar Henke (Hrsg.), Anatomie der Staatssicherheit. Geschichte, Struktur und Methoden. MES-Handbuch, Berlin 1995.
Jürgen Kocka, Nationalsozialismus und SED-Diktatur in vergleichender Perspektive, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Formen und Ziele der Auseinandersetzung mit den beiden Diktaturen, Bd. IX, S. 596.
Erst vor kurzem stellte sich anläßlich der Spionagevorwürfe gegen den BND-Direktor Volker Foertsch heraus, daß der US-amerikanische Geheimdienst CIA offenbar im Besitz größerer HVA-Bestände ist, die aus Sicherheitsbedenken dem deutschen Partnerdienst vorenthalten werden; siehe dazu den Beitrag von Andreas Förster, Der Verdacht und das Vertrauen, in: „Berliner Zeitung“ vom 10. Juni 1998, S. 3. Hier zeigen sich anhand eines hochsensiblen Teilbereichs die Tücken von versiegelten bzw. außer Kontrolle geratenen Geheimdienstakten für den Demokratisierungsprozeß. Die unbefugten Besitzer dieser Akten können nahezu jede Personalentscheidung durch Erpressung, Gerüchtestreuerei oder Aktenmanipulation rückgängig machen.
Siehe dazu die in Form von Video-und Tonbandaufnahmen überlieferten Besprechungen am Zentralen Runden Tisch; die Aufnahmen sind über das Robert-Havemann-Archiv/Berlin zugänglich.
Mittlerweile ist in der Forschung unumstritten, daß die Erstürmung des MfS-Hauptquartiers am 15. Januar auf eine gezielte Provokation der Stasi zurückzuführen war.
Zum Verlauf der politischen Debatte bis zur Vereinigung siehe den Beitrag von Michael Strotmann, Die Last der Vergangenheit. Zum Umgang mit den Stasi-Akten. Teil I, in: DA 12 (1993), S. 1372 ff.
Dies geschah z.B. in der Form, daß mit einem formellen Beschluß des Runden Tisches vom 19. Februar die elektronischen Datenträger vernichtet wurden und wenige Tage später von der „AG Sicherheit“ die Selbstauflösung der HVA beschlossen wurde; vgl. dazu Hans-Hermann Lochen, Der Umgang mit den Stasi-Unterlagen, in: Georg Brunner (Hrsg.), Juristische Bewältigung des kommunistischen Unrechts in Osteuropa und Deutschland (Osteuropa-Forschungen, Bd. 34), Berlin 1995, S. 251 ff., hier: S. 256.
Wolfgang Schäuble, Stasi-Mitarbeiter amnestieren, in: „FAZ“ vom 28. März 1990; Robert Leicht, Unter bösem Fluch, in: „Die ZEIT” vom 6. April 1990; den im Spätsommer eintretenden Sinneswandel in der westdeutschen Öffentlichkeit illustriert der Beitrag von Leicht, Wer öffnet die Tür zur Aktenhölle?, in: „Die ZEIT“ vom 21. September 1990.
In diesem Sinne auch Wielenga (s. Anm. 7), Schatten, S. 91.
Peter Michael Diestel, „Aus der Bundesrepublik zwei Millionen bespitzelt“, in: „Die Welt” vom 24. April 1990.
Auch Verteidigungsminister Rainer Eppelmann sprach sich für einen Schlußstrich aus: „Wir haben Lynch-Stimmung“, in: „Der Spiegel” vom 2. April 1990.
Strotmann (s. Anm. 36), Last der Vergangenheit I, S. 1384, Anm. 59.
Selbst die MfS-Sachakten, etwa ein Drittel des Gesamtbestandes, wurden zu dieser Zeit mit dem Argument des Personenschutzes unter Verschluß gehalten.
Das großzügige Integrationsangebot erstreckte sich auch auf die Justiz, wo es zwar gesetzliche Vorbereitungen zu einer politischen Überprüfung gab, diese faktisch aber zu DDR-Zeiten nicht mehr stattfanden.
Der ungeregelte Handel mit Geheimdienstdokumenten, der im übrigen für die Entwicklung in den meisten anderen ehemaligen Ostblockstaaten typisch ist, beeinflußte auch in Deutschland den Verlauf der Stasi-Debatte in hohem Maße.
Michael Strotmann, Die Last der Vergangenheit. Teil II, in: DA 8 (1995), S. 806 ff.
Bis Ende 1991 gingen beim Bundesauftragten 342.000 Überprüfungsanträge ein (Strotmann [s. Anm. 46], Last der Vergangenheit II, S. 809).
Strotmann (s. Anm. 36), Last der Vergangenheit I, S. 1384.
Besonderes Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang der Fall der Historiker Arnim Mitter und Stefan Wolle, beide 1989 Angehörige der Bürgerkomitees und seit 1990 Mitarbeiter des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU); als sie im Jahr 1991 trotz fehlender gesetzlicher Grundlagen Material an die Medien herausgaben, wurden sie von Gauck fristlos gekündigt.
In diesem Sinne auch Wielenga (s. Anm. 7), Schatten, S. 78.
Ein Hauptkritikpunkt der DDR-Bürgerrechtler am StUG blieb die fehlende parlamentarische Kontrolle der Behörde; eine Zusammenstellung der wichtigsten rechtspolitischen Forderungen der Bürgerkomitees findet sich in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Kontinuität des Wegsehens und Mitmachens. Stasi-Akten oder die schwierige Bewältigung der DDR-Vergangenheit, Köln 1991.
Die Vermischung von Stasi-Debatte und der Amnestie-Diskussion kritisiert auch Johann-Georg Schätzler, der von einem Denkfehler spricht: Die versäumte Amnestie. Vorwärts gelebt, rückwärts nichts verstanden, in: NJ 2 (1995), S. 57 ff., hier: S. 59.
In diesem Sinne auch Stefan Wolle, Der Kampf um die Erinnerung. Vergangenheitsbewältigung im vereinigten Deutschland, in: Eckhardt Jesse und Ralf Altenhof, Das wiedervereinigte Deutschland. Zwischenbilanz und Perspektiven, Düsseldorf 1995, S. 99 ff.
Hier sind für die östliche Seite vor allem die Fälle Manfred Stolpe, Heinrich Fink, Gregor Gysi und Sascha Anderson zu nennen; weitaus weniger Aufsehen erregten für die westliche Seite die Fälle „Bommi“ Baumann, Till Meyer, Klaus Croissant, Dietrich Staritz und William Borm.
Zu einem anderen Schluß kommt Olaf Groehler, der die Entnazifizierungsmaßnahmen durch den rigorosen und überharten Umgang mit früheren MfS-Mitarbeiter sogar noch übertroffen sah (Groehler, Personenaustausch in der neuesten deutschen Geschichte, in: Klaus v Suhl [Hrsg.], Vergangenheitsbewältigung 1945 und 1989. Ein unmöglicher Vergleich?, Berlin 1994, 5.167 ff., hier: S. 173); Groehler mußte seine Arbeit im Zentrum für zeitgeschichtliche Studien Potsdam wegen Stasi-Tätigkeit aufgeben.
Die Interpretation von Karstedt, nach der die Staatssicherheit bei der rechtlichen Vergangenheitsbewältigung den Status einer „verbrecherischen Organisation“ analog zu den Entnazifizierungsverfahren übernommen hätte, erscheint allerdings aufgrund der Fakten als zu weitreichend (Susanne Karstedt, Die doppelte Vergangenheitsbewältigung der Deutschen: Die Verfahren im Urteil der Öffentlichkeit nach 1945 und 1989, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 17 [1996], S. 58 ff., hier: S. 90); außerdem wurden im 6. DDR-Strafrechtsänderungsgesetz von 1990 die Tatbestände für „kriminalistische Vereinigungen” gestrichen.
Ebd.
Redebeitrag Bernd Gehrke/Vereinigte Linke in der 2. ZRT-Sitzung vom 18. Dezember 1989.
Blanke (s. Anm. 20), „Rechtshistorikerstreit“, S. 739.
Hans Hubertus von Roenne, „Politisch untragbar…?“ Die Überprüfung von Richtern und Staatsanwälten der DDR im Zuge der Vereinigung Deutschlands, Baden-Baden 1997 sowie Hans-Ulrich Derlien, Elitenzirkulation in Ostdeutschland 1989–1995, in: APuZ B 5/98 v. 23. Januar 1998, S. 3–17, hier: S. 13.
Vgl. dazu die Angaben bei Clemens Vollnhals, Nomenklatur und Kaderpolitik. Staatssicherheit und die „Sicherung“ der DDR-Justiz, in: DA 2 (1998), S. 221 ff., hier: S. 237.
Im Bereich des Polizeidienstes gab es eine Überlagerung zwischen dem notwendigen Personalabbau und der Wahl der Kriterien für die MfS-Überprüfung, so daß hier oftmals nicht stark genug gesiebt wurde und z.B. die K1-Mitarbeiter der Volkspolizei übernommen wurden; kritisch dazu Fritz Arendt, Verifikation im öffentlichen Dienst, in der Justiz, bei Polizei und Geheimdiensten in Deutschland — Erfolg oder Fehlschlag?, in: Transroda 16 (1997). Dokumentation zur Konferenz „Umgang mit der Vergangenheit in Deutschland und Polen — Aufdecken oder Zudecken?“, S. 64 ff.
Wielenga (s. Anm. 7), Schatten, S. 88; im Gegensatz dazu lag die durchschnittliche Entlassungsquote im öffentlichen Dienst nach 1945 bei etwa 10%.
Dagegen hatte der BGH in seiner Rechtsprechung zur Kontinuität des deutschen Beamtenrechts die These aufgestellt, die Beamtenschaft im „Dritten Reich“ habe weitgehend unbeeinflußt von den ideologischen Vorgaben der Partei gearbeitet; vgl. dazu Michael Kirn, Verfassungsumsturz oder Rechtskontinuität? Die Stellung der Jurisprudenz nach 1945 zum Dritten Reich insbesondere die Konflikte um die Kontinuität der Beamtenrechte und Art. 131 GG, Berlin 1972.
Peter Hantel, Tätigkeit für das MfS und die fehlende Verfassungstreue, in: NJ 4 (1995), S. 169 ff. sowie Martin Kutscha, „Politische Säuberung“ des öffentlichen Dienstes?, in: NJ 6 (1995), S. 284 ff.; überwiegend kritisch dagegen Rosemarie Will, Das Bundesverfassungsgericht und der Elitenwechsel in Ostdeutschland, in: NJ 10 (1997), S. 513 ff.
Als besonders problematisch werden die Regelungen im Sächsischen Beamtengesetz angesehen; vgl. dazu Wolfgang Loschelder, Die Weiterbeschäftigung von Funktionsträgern des SED-Regimes im öffentlichen Dienst, in: Brunner (s. Anm. 37), Juristische Bewältigung, S. 188 ff., hier: S. 198.
Christoph Schaefgen, Vergangenheitsbewältigung durch Justiz. Die Strafverfolgung von DDR-Regierungskriminalität (Schriften der Juristischen Gesellschaft Mittelfranken zu Nürnberg e.V., H. 6), Regensburg 1996 sowie ders., Probleme der Strafverfolgung totalitären Unrechts, in: Transroda 16 (1997), S. 44 ff.
Siehe dazu auch den vor allem von ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern unterzeichneten Aufruf „Gegen ‘Schlußstrich’, gegen Amnestie und Verjährung“, in: „die taz” vom 13. März 1995.
Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 18.5.1995 betr. „Weiterer Umgang mit DDR-Unrecht“ (BT-Drucksache 13/1619).
Laut einer Statiktik der Berliner Staatsanwaltschaft H vom März 1998 gab es bis dahin 56 Anklagen gegen insgesamt 78 ehemalige hauptamtliche MfS-Mitarbeiter, davon endeten 14 Verfahren mit einer rechtskräftigen Verurteilung.
Horst Luther, Denunziation als soziales und strafrechtliches Problem in Deutschland in den Jahren 1945–1990, in: Günter Jerouschek u.a. (Hrsg.), Denunziation. Historische, juristische und psychologische Aspekte, Tübingen 1997, S. 258 ff.
In einem brilliant geschriebenen und zudem auch für Nichtjuristen gut verständlichen Fachaufsatz hat Everhardt Franßen die wechselvolle und widersprüchliche strafrechtliche Behandlung von NS/DDR-Denunziation beschrieben: Der Denunziant und sein Richter, in: NJ 4 (1996), S. 169.
Laut Franßen geistert dieses Bild seit nunmehr fast fünf Jahrzehnten durch die deutsch-deutsche Rechtsprechung und hat zuletzt in einer Entscheidung des OLG Dresden vom 31. August 1993 seinen Niederschlag gefunden.
Im Jahre 1952 hat der BGH in einem Grundsatzurteil diese Rechtsprechung zwar eingeschränkt, indem er feststellte, daß Richter und Denunziant bei zutreffenden Anzeigen einheitlich behandelt werden müßten; gleichzeitig entwickelte er jedoch in einem Denunziationsfall zwischen Eheleuten die Möglichkeit, das moralisch verwerfliche Verhalten eines Ehepartners, hier der Ehebruch, als Indiz für den Tatvorsatz zu werten (BGHSt. 3, 110).
Franßen (s. Anm. 72), Denunziant, S. 171.
„Denunziation hat finanzielle Folgen. Auseinandersetzung zwischen Tätern und Opfern könnte sich zu den Zivilgerichten verlagern“, in: BZ vom 26. Juli 1993.
BGHSt. 40, 125.
Diese Sichtweise orientiert sich an den Bewertungsmaßstäben, die der BGH am 13.12.1993 in seinem Grundsatzurteil zu DDR-Rechtsbeugung aufgestellt hat; vgl. dazu Friedrich-Christian Schroeder, Die Ahndung des SED-Unrechts durch den Rechtsstaat, in: APuZ B 38/95 vom 15. September 1995, S. 17 ff.
Instruktiv dazu Hans-Joachim Maaz, Das verhängnisvolle Zusammenspiel intrapsychischer, interpersoneller und gesellschaftlicher Dynamik - am Beispiel der Denunziation in der DDR, in: Jerouschek (s. Anm. 71), Denunziation, S. 241 ff.
Im vorliegenden Fall ging es um einen weiblichen IM, die die Fluchtpläne ihres Freundes bei der Staatssicherheit angezeigt hatte.
Vgl. dazu Gisela Diewald-Kerkmann, Denunziantentum und Gestapo, in: Klaus Michael Mallmann und Gerhard Paul (Hrsg.), Gestapo - Mythos und Realität, Darmstadt 1995, S. 288 ff., hier: S. 298.
Wolle (s. Anm. 53), Kampf um die Erinnerung, S. 118.
Bis 1995 gingen etwa 300.000 Anträge auf Akteneinsicht bei der „Gauck-Behörde“ ein. 84 Einen Überblick geben Christoph Kleßmann und Martin Sabrow, Zeitgeschichte in Deutschland nach 1989, in: APuZ B 39/96 vom 20. September 1996, S. 3 ff.
Richard Bessel und Ralph Dessen (Hrsg.), Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996.
Hubert Rottleuthner, Zur Steuerung der Justiz in der DDR, in: ders. (Hrsg.), Steuerung der Justiz in der DDR. Einflußnahme der Politik auf Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, Köln 1994, S. 9 ff.; hier: S. 37.
Vor allem das Gutachten von Clemens Vollnhals/BStU hat eine Vielzahl neuer Erkenn-tisse zu dem Thema zutage gefördert; siehe dazu auch Vollnhals, „Partner des politisch-operativen Zusammenwirkens“ — ein trübes Paar, in: Das Parlament Nr. 25–26 vom 12./19. Juni 1998, S. 16.
Frei (s. Anm. 18), Falsche Analogien.
Karol Sauerland, Die Lust an der Denunziation. Fallstudien in zwei Diktaturen, in: Universitas 11/1994, S. 1021 ff.
Gerhard Paul, Deutschland, deine Denunzianten, in: „Die ZEIT“ vom 10. September 1993.
Siehe dazu vor allem Helmut Müller-Engbergs (Hrsg.), Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Richtlinien und Durchführungsbestimmungen, Berlin 1996.
Werkentin (s. Anm. 29), Politische Moral.
„Die ZEIT“ vom 21. September 1990.
Faktisch haben die fortlaufenden Verschärfungen im Ausländergesetz dazu geführt, die Denunziationsbereitschaft der Bevölkerung zu erhöhen; vgl. dazu auch Till Müller-Heidelberg u.a. (Hrsg.), Grundrechte-Report 1998. Zur Lage der Bürger-und Menschenrechte in Deutschland, Reinbek bei Hamburg 1998.
In diesem Sinne charakterisierte Wolfgang Engler die späte DDR (Engler, Die kleine Freiheit. Leben und Überleben in Ostdeutschland, in: Kursbuch 115: Kollaboration, März 1994, S. 22 ff., hier: S. 25).
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Weinke, A. (1998). Der Umgang mit der Stasi und ihren Mitarbeitern. In: König, H., Kohlstruck, M., Wöll, A. (eds) Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Leviathan Sonderhefte, vol 18. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11730-8_9
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