Zusammenfassung
Die Bildungsreform in der Russischen Föderation ist im vergangenen Jahrzehnt wiederholt zum Gegenstand des internationalen wissenschaftlichen Interesses an den Transformationsprozessen im ehemaligen Ostblock geworden. Besonderes Augenmerk galt dabei der neuen bildungspolitischen Agenda, die in ihren radikalliberalen Leitgedanken und Zielsetzungen teilweise den neoliberalen bildungspolitischen Paradigmenwechsel noch übertraf, der in den westlichen Staaten in den 1980er Jahren eingesetzt hatte. In diesen Analysen zur russischen Bildungstransformation wurde jedoch die ethnisch-nationale Bildung, deren Hintergrund die Nationalitätenproblematik Russlands und dessen Selbstverständnis als Vielvölkerstaat bildet, weitgehend ausgespart. Dieser Lücke, die auch unter dem Aspekt vergleichender Bildungsforschung Aufmerksamkeit verdient, soll im folgenden nachgegangen werden.
Im Russischen umfasst der Begriff »Nation« ethnische, sprachliche sowie historische, soziale und politische Merkmale; der Begriff »Nationalität« ist auf den ethnischen und sprachlichen Aspekt begrenzt. Im vorliegenden Text wird den russischen Originalformulierungen gefolgt. Im Alltagsgebrauch, aber auch im wissenschaftlichen Diskurs werden die Begriffe nicht streng unterschieden; anstelle der hierarchischen sowjetischen Begrifflichkeit von Nation, Volk, Völkerschaft, Volksgruppe wird heute in der Regel Volk (narod), »Ethnos« oder »ethnische Gruppe« verwendet (Drobiževa 1996). Der Begriff der Minderheit ist nur noch in begrenzten Zusammenhängen anzutreffen. In Verbindung mit Bildung und Kultur wird häufig das Adjektiv »ėtno-nacional’nyj«,aber auch »ėtnokul’turnyj« gebraucht.
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Schmidt, G. (2002). Das Bildungswesen Russlands ein Jahrzehnt nach dem Umbruch — Die ethnisch-nationale Bildung und Erziehung und die »Bildungstransformation«. In: Döbert, H., Fuchs, HW., Weishaupt, H. (eds) Transformation in der ostdeutschen Bildungslandschaft. Schriften der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE). VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11654-7_10
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