Zusammenfassung
Die Anthropologiekritik Ballauffs zeigt eindrücklich, daß die Pädagogik, will sie Aufklärung über sich selbst erhalten, nicht mit einer Anthropologie beginnen kann: Der bewegte Grundlegungszusammenhang — wie er im ersten Kapitel ausgearbeitet worden ist — zeichnet sich durch Anfänglichkeit aus. Die Pädagogik beginnt immer wieder neu, da sich die Frage nach Erziehung, Bildung und Unterricht stets erneuert. Das Wissen der Bildungslehre, nicht zu endgültigen Antworten zu kommen und daher zu Reformulierungen der Bildungsproblematik angehalten zu bleiben, läßt bereits vermuten, daß die Geschichte und das Verhältnis zur Tradition für Ballauff eine wichtige Rolle spielen.
„historisches Apriori“ Foucault
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Literatur
An dieser Stelle ist auf Ballauffs eingeschränkten Phänomenologie-Begriff hinzuweisen, der rein,statisch’ angesetzt und verkürzt erscheint.
Vgl. für diese Bedeutung des Geschichtlichen für das systematische Denken den Artikel Jörg Ruhloffs (1986, 94ff.; für Ballauff insbesondere S. 97). Weiterhin hat Wolfgang Fischer in der Einleitung von „Kleine Texte zur Pädagogik in der Antike“ einige Hinweise gegeben, „warum systematisches Denken gut beraten ist, der Geschichte nicht zu spotten” (vgl. Fischer 1997a, 12ff.). Abgesehen von der bereits erwähnten „systematisch-korrektivkritischen“ Funktion nennt Wolfgang Fischer mit Verweis auf Karl Helmer eine,,rhetorisch-argumentative Funktion”.
Die hier besprochenen Beispiele sind von Interesse, weil es in dieser Form Rückbezüge auf Heidegger gibt (vgl. PaB 82f.). Im Vordergrund steht ganz konsequent der demonstrative und exemplarische Charakter. Der Rekurs geschieht folglich nicht, um sich das Denken zu ersparen. Vielmehr kommt das Denken in Gang: Das Vorliegende kann bestätigt, relativiert oder aber überschritten werden; in jedem Fall wird es kritisch befragt.
Der Ausdruck mag zunächst befremdlich erscheinen, ebenso wie die sprachlichen Ausführungen Ballauffs, der zur Konkretion einen Vergleich zur experimentellen Empirie unternimmt (über die Begriffe,Probandenzahl`,,Kontrollexperiment` usw.). Diese Vorgehensweise hat vor allem eine veranschaulichende Funktion — es geht nicht um den Entwurf einer Mischmethode. Die These der,historischen Empirie’ gewinnt an Plausibilität, wenn die bisherigen Ausführungen zur Geschichtlichkeit berücksichtigt werden.
Ballauff ist vor allem an den Motiven interessiert, welche der Abwendung vom Selbstgewinn Vorschub leisten, sowie an der Frage, wie jene Motive möglicherweise immer schon eine „innere Peripetie ins Gegenteil“, eine geheime „Ermächtigung“ oder „Instrumentalisierung der Menschen“ enthalten (vgl. PBA 141).
Vgl. ebd. Michel Haar spricht an dieser Stelle von einem „double return“ zur Tradition — mit der Destruktion erfolgt mithin eine verstärkte Zuwendung zur Tradition (Haar 1993, 81). Die Doppelung, die in dem Begriff genannt wird, weist darauf hin, daß die Wendung nicht einfach bei der Tradition stehenbleibt, sondern auf deren Quellen zurückgeht.
Der Titel Phänomenologie“, so Heidegger, „ist demnach hinsichtlich seines Sinnes ein anderer als die Bezeichnungen Theologie u. dgl. Diese nennen die Gegenstände der betreffenden Wissenschaft in ihrer jeweiligen Sachhaltigkeit.,Phänomenologie’ nennt weder den Gegenstand ihrer Forschungen, noch charakterisiert der Titel deren Sachhaltigkeit“ (SZ 34).
Wesenhafte Verdeckung und nachdriickliche Aufweisung (philosophische Gewaltsamkeit) sind durchgehende Motive der heideggerschen Philosophie. Vgl. hierzu Raffoul 1998, 124ff
Vgl. für den Bezug der Schwierigkeit bzw. Zweideutigkeit, die im Ungedachten Heideggers liegt, auf „Das Ende der Philosophie als Anfang des Denkens“: Ijsseling 1988, 286f.
So könnten Ballauffs positive Bezugnahmen auf die Phänomenologie erklärt werden (vgl. z.B. UA 31f.).
Vgl. PaB 38: „Sozialisation kann als die in der Synchronie exponierte Tradition, Tradition als diachrone Sozialisation bezeichnet werden. […] Tradition nimmt unsere Zukunft vorweg: Immer kommt das Gewesene auf uns zu. Je älter wir geschichtlich werden, desto überreicher und undurchsichtiger wird die Überlieferung in ihrem Bevorstehen. Wir sind Gefangene der Tradition und ihrer Praokkupation der Zukunft. Wir kennen keinen archimedischen Punkt außerhalb der Tradition.“
Eine aufschlußreiche Erläuterung dieses Begriffs gibt Heidegger durch das Beispiel des Schmerzes, welches Figal erläutert: Wird ein Schmerz verwunden, so wird er nicht beseitigt; vielmehr wird er ausgehalten und tritt aus der vordringlichen Aufmerksamkeit heraus (vgl. Figal 1997, 458 ).
Den Textabschnitt „Geschichte und Pädagogik“ beginnt Banki beispielsweise mit einer knappen Besprechung der,Destruktion` nach Heidegger und stellt Ballauffs Verhältnis zur Geschichte, nachdem der Begriff im Heidegger-Teil der,Philosophischen Begründungen’ aufweisbar ist, in den Zusammenhang der Destruktion bei Heidegger. Auch Webers Aufsatz „Die Aktualität einer Pädagogik der Entsprechung“ und Hagers Aufsatz „Heideggers Lehre von der Seinsvergessenheit und Ballauffs Kritik an der Selbstermächtigung des Menschen durch Bildung“ können dahingehend bestimmt werden, daß sie der ballauffschen Gedankenentwicklung nicht als eigenständiger folgen, sondern durch ein patchwork-Verfahren Ballauffs Gesamtentwurf als,Heidegger-Pädagogik interpretieren; auch hier werden wieder fast ausschließlich die besagten frühen Texte zitiert.
Können wir so zwar bestimmte vorliegende Gedanklichkeiten — Metaphysiken, Axiomatiken — in ihrer Bedingtheit aufhellen und damit ihre fraglose Selbstverständlichkeit erneut infrage stellen, so bedeutet das jedoch nicht, daß wir nun grundsätzlich aus dieser sich selbst fixierenden, verdinglichenden Weise des Denkens heraus wären,,daß wir ohne Axiomatik, ohne theoretischen Horizont, ohne generelle,Konstrukte und Propositionen auskämen’ [Zitat Ballauff, SD 14] “ (Heim 1993, 63f ).
Daß diese Antithetik und Hervorhebung des Widerstreits bei Ballauff übersehen wird, führt in der Dissertation von Tabea Mertz zu dem Fehlschluß, daß in der Bildungslehre entweder „platte Widersprüche“ oder radikale Richtungswechsel vorliegen (vgl. Mertz 1997, 127f.).
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Thompson, C. (2003). Geschichte und Tradition in der Bildungslehre. In: Selbständigkeit im Denken. Schriftenreihe der Kommission ‚Bildungs- und Erziehungsphilosophie‘ der DGfE. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11351-5_3
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