Zusammenfassung
Gotterfüllt und von Sinnen, durch den Musenanruf inspiriert, voll von göttlicher Macht und Besessenheit, so stellt Platon die Quelle literarischer Produktion vor. Schon der Begriff Produktion scheint an der platonischen Vorstellung vorbeizuzielen, da sie gerade jede Art erklärbaren und geregelten Verfahrens verwirft. Heilige Gottbesessenheit macht die Dichter zu Enthusiasten. In einem Zustand des Außer-sich-Seins, in einer Art musischer Trunkenheit vollbringen sie ihr Werk. Der Schöpfungsprozeß entzieht sich ihrer bewußten Einsicht und Kontrolle, denn sie wissen nicht, was sie tun.
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Literatur
M. Kommerell, Lessing und Aristoteles. Untersuchung über die Theorie der Tragödie. 2. Aufl. Frankfurt/M. 1957, S. 247.
E. Kris, Asthetische Mehrdeutigkeit. In: M. Curtius (Hg), Seminar: Theorien der künstlerischen Produktivität. Frankfurt/M. 1976, S. 92–116; Zitat: S. 105.
H. Kuhn, Artikel: Dichtung und Dichter. In: W.-H. Friedrich/W. Killy (Hg.), Das Fischer Lexikon. Literatur II, 1. Teil, 103. - 107. Tausend Frankfurt/M. 1979, S. 115–151; Zitat: S. 148.
O. Gigon, Einleitung. In: Aristoteles, Poetik. Übersetzung, Einleitung und Anmerkungen v. O. Gigon, Stuttgart 1981, S. 3.
Ebd.
Ebd., S. 21.
W. Oelmüller, Zu einem Diskurs über Kunst und Schönes im Spannungsfeld Kunst/Schönes und Geschichte. In: Ders./R. Dölle-Oelmüller/N. Rath (Hg), Diskurs: Kunst und Schönes. Philosophische Arbeitsbücher Bd. 5. Paderborn, München, Wien, Zürich 1982, S. 11–62; Zitat: S. 27.
Ebd., S. 28.
H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. 4. Aufl. Tübingen 1975, S. 269.
Platon, Ion. In: Platon, Sämtliche Werke, Bd. 1. In der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher mit der Stephanus-Numerierung hg. v. W.F. Otto, E. Grassi, G. Plamböck. 136. -140. Tausend Hamburg 1976. - Zitiert wird in der Folge im Text oben nach der Stephanus-Numerierung.
Der Ansatz einer etymologischen Rekonstruktion der Begriffe “Kunst” und “techne” erfolgt weiter unten in Zusammenhang mit der “Poetik” des Aristoteles. Er liefert gewissermaßen den Schlüssel für die Gegenüberstellung der Auffassungen über die Dichtkunst von Platon und Aristoteles. Bereits an dieser Stelle kann deutlich werden, daß Platon spezifischen Regeln zur Herstellung von Dichtung zutiefst mißtraut, daß er dichterisches Werk und handwerkliches Gebrauchswerk sorgsam trennt.
Vgl. hier auch die Ausführungen über die Dichtung als Gottesgabe im Dialog Phaidros: “Wer aber ohne diesen Wahnsinn der Musen in den Vorhallen der Dichtkunst sich einfindet,, meinend, er könne durch Kunst allein genug ein Dichter werden, ein solcher ist selbst ungeweiht und auch seine, des Verständigen, Dichtung wird von der des Wahnsinnigen verdunkelt” (Phaidros 245a).
E. Zilsel, Die Entstehung des Geniebegriffs. Ein Beitrag zur Ideengeschichte der Antike und des Frühkapitalismus. Tübingen 1926, S. 14.
Vgl. A. Hauser, Sozialgeschichte der Kunst und Literatur. 14. -19. Tausend München 1969, S. 119.
Zilsels Arbeit über die “Entstehung des Geniebegriffs” (a. a. 0., S. 95) stellt heraus, daß der platonischen Enthusiasmuslehre die entscheidende Bedeutung bei der Neukonzeption des Geniebegriffes in der bürgerlichen Gesellschaft zukommt. Die Lehre vom Genie als produktiver Urinstanz der Dichtung taucht in modifizierter Form in der Renaissance und in der ästhetischen Theoriebildung seit dem 18. Jh. immer wieder auf. Die nächsten Kapitel werden sich damit kritisch auseinandersetzen.
Zilsel spricht von einer unüberbrückbaren “Kluft zwischen Werk und Dichter” (a. a. 0., S. 15); und Hausers “Sozialgeschichte der Kunst und Literatur”, die sich im Abschnitt über die Enthusiasmuslehre Platons ganz Zilsels Ausführungen verpflichtet weiß, insistiert ebenso auf den “Abstand zwischen ihm (dem Dichter, H.R.) und seinem Werk” (a. a. 0., S. 100).
H. Kuhn, Artikel: Dichtung und Dichter. A. a. 0., S. 140 f.
G. Thomson, Frühgeschichte Griechenlands und der Agäis. Berlin 1960, S. 395.
Vgl. H. Flashar, Der Dialog Ion als Zeugnis Platonischer Philosophie. Berlin 1958, S. 61 ff.
Im Werk Platons ist wiederholt von Selbstaussagen der Dichter über ihr eigenes Tun die Rede. In der Apologie prüft der fragende Sokrates die Weisheit der Politiker, Dichter und Handwerker. Die Dichter haben den subjektiven Anspruch, das Wahre zu verkünden, Eine Deutung ihrer Werke gelingt allerdings den Rezipienten weit besser als ihnen selbst. Dichter sind nicht imstande, ihr Hervorbringen nach Prinzipien zu begründen, die regulativ der Vernunft unterworfen sind. Gleich Wahrsagern und Orakelkündern leitet sie der Enthusiasmus und nicht die Weisheit: “Denn auch diese sagen viel Schönes, wissen aber nichts von dem, was sie sagen” (Apologie, 22e).
H.-G. Gadamer, Plato und die Dichter. Frankfurt/M. 1934, S. B.
Vgl. ebd., S. 9 ff.; H. Flashar, Der Dialog Ion…, a. a. O., S. 106 ff.
Platon, Politeia. In: Platon, Sämtliche Werke, Bd. 3. A. a. O. Auch bei der Politeia wird in der Folge im Text oben nach der Stephanus-Numerierung zitiert.
Eine ausführliche Darstellung dieser Theorie würde den Rahmen vorliegender Arbeit sprengen. Es kann hier lediglich eine knappe Skizzierung geliefert werden. Zur ausführlichen Interpretation vgl. A. Koller, Die Mimesis in der Antike. Nachahmung, Ausdruck. Bern 1954; M. Fuhrmann, Einführung in die antike Dichtungstheorie. Darmstadt 1973; E. Grassi, Die Theorie des Schönen in der Antike. Neuausgabe. Köln 1980.
Zu bedenken ist hier freilich, daß auch diese affirmative Dichtung der ontologischen Bestimmung nach nur Darstellung (Mimesis) des Ethos ist und nicht dieses selbst. Vgl. dazu H.-G. Gadamer, Plato und die Dichtung. A. a. O., S. 28 ff.
Ebd., S. 15.
Ebd., S. 29.
Damit geht die Untersuchung über die vorherrschende Aristoteles-Forschung im engeren Sinn hinaus. Ernesto Grassi führt dazu aus: “Die meisten Kommentatoren der ‘Poetik’ stellen keine Erwägungen darüber an, in welchem Sinn Aristoteles Praxis von Poiesis abhebt.” (Ders., Die Theorie des Schönen in der Antike. A. a. O., S. 166). Grassi bringt hier implizit zum Ausdruck, daß Fragen der poetischen Gattungen und ihre immanenten Strukturprobleme paradigmatisch das literaturwissenschaftliche Interesse beherrschen. Produktionsästhetischen Gesichtspunkten wird demgegenüber nur ein untergeordnetes Augenmerk geschenkt.
Aristoteles, Die Nikomachische Ethik. Übersetzt und herausgegeben von Olof Gigon. 3. Aufl. München 1978. Auch hier wird nach der einschlägigen Numenerung oben im Text zitiert.
W. Schadewaldt, Natur - Technik - Kunst. Drei Beiträge zum Selbstverständnis der Technik in unserer Zeit. Göttingen/Berlin/Frankfurt/M. 1960, S. 24.
Ebd.
H. Blumenberg, “Nachahmung der Natur”. Zur Vorgeschichte der Idee des schöpferischen Menschen. In: Studium Generale 5/1957, S. 266–283; Zitat: S. 266.
H. Kuhn, Artikel: Asthetik. In: W. - H. Friedrich/W. Killy (Hg.), Das Fischer Lexikon. Literatur II, 1. Teil, a. a. O., S. 48–58; Zitat: S. 52.
J. Ritter, Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel. Frankfurt/M. 1977, S. 59.
Vgl. hier grunds. H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode. A. a. O., S. 299.
Aristoteles, Poetik. Griechisch und deutsch. Aus dem Griechischen. Übersetzung v. W. Schönherr. Leipzig 1979. Auch hier wird nach der einschlägigen Numerierung oben im Text zitiert.
F. Tomberg, Nachahmung als Prinzip der Kunst. Phil. Diss. Berlin 1963; ders., Mimesis der Praxis und abstrakte Kunst. Ein Versuch über die Mimesistheorie. Neuwied u. Berlin 1968.
F. Tomberg, Nachahmung als Prinzip der Kunst. A. a. O., S. 58.
“Darstellungswerke zeigen Lebens-und Erfolgsmöglichkeiten des Menschen, die Weinen und Lachen, Betroffenheit und Freude auslösen, weil sie erfahren haben, was der Mensch sein kann und was ihm widerfahren kann.” (W. Oelmüller, Zu einem Diskurs über Kunst und Schönes…, a. a. O., S. 42.).
F. Tomberg, Mimesis der Praxis… A. a. O., S. 20.
Vgl. H. R. Jauß, Asthetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Bd. 1: Versuche im Feld der ästhetischen Erfahrung. München 1977, bes. S. 77 ff.
Vgl. A. Koller, Die Mimesis in der Antike. A. a. O., S. 57, bzw. S. 108 ff.
Vgl. dazu weiter unten Kap. 5, 6 und 7.
M. Naumann/D. Schlenstedt/K. Barck U.A., Gesellschaft -Literatur - Lesen. Literaturrezeption in theoretischer Sicht. 2. Aufl. Berlin u. Weimar 1975, S. 182.
Ebd., S. 185.
Im Bereich der Volkspoesie herrscht bis in die Gegenwart hinein das kollektive Schaffen von Erzähler und Zuhörer. Thomson liefert empirische Belege dieser Verschmelzung von literarischer Produktion und Rezeption aus den Dörfern Irlands. (G. Thomson, Frühgeschichte Griechenlands…, a. a. O., S. 391 ff.) Das Verhältnis besteht ebenso bei der mündlichen Überlieferung von Märchen. Max Lüthi benutzt hier den Terminus “Märchenbiologie”. Die sog. ursprüngliche Kommunikationssituation trifft für die Tradierung von Märchen nach wie vor zu, auch wenn natürlich ein anderer gesellschaftlicher Gesamtzusammenhang zu berück-sichti en ist. Entscheidend für die Relation Produktion/Rezeption ist die von Luthi als auch von der dort zitierten Literatur angeführte These, Variation und Erweiterung der Erzählung gehorchen den Erwartungen und der direkten Einflußnahme des Publikums. (Vgl. M. Lüthi, Märchen. 6. Aufl. Stuttgart 1976, S. 89 ff.) - Ihren variablen Charakter büßt die Volksdichtung allerdings dann ein, wenn an die Stelle eines lebendigen Erzählen technische Medien als Überlieferungsträger auftreten.
Naumann/Schlenstedt/Barck U.A., Gesellschaft - Literatur - Lesen…, a. a. O., S. 183.
M. Fuhrmann, Einführung in die antike Dichtungstheorie. A. a. O., S. 13. Die von Fuhrmann aufgezeigte Identität der Analyse des Tatsächlichen mit der Formulierung verbindlicher Regeln ist innerhalb der gegenwärtigen Aristoteles-Rezeption nicht unumstritten. Stellvertretend für viele argumentiert J. Schillemeit, Formvollendung stehe in keinem Bezug zu möglicher Regelformulierung oder zur Erlernbarkeit literarischen Schaffens. Der Methode nach abstrahiert die “Poetik” aus “der Gesamtheit der vorliegenden Tragödien das Wesen der Tragödie selbst, dieses verstanden als die Form, auf welche die Entwicklung der Tragödie von ihren ersten, noch rohen Anfängen her zustrebte. An dieser Form mißt sich die Masse der vorhandenen Werke. Sie zielt also in erster Linie auf Erkenntnis und gewinnt damit zugleich die Möglichkeit eines in der Sache gegründeten Urteils. Sie will also weder Unterricht im Dichten erteilen noch die Regeln, nach denen die Dichter sich zu richten hätten, zusammenstellen.” (J. Schillemeit, Artikel: Poetik. In: W. -H. Friedrich/W. Killy (Hg.), Das Fischer Lexikon. Literatur II, 2. Teil. A. a. 0., S. 422–442; Zitat: S. 425.) Mit der einseitigen Insistenz auf Er-kenntnis- und Urteilsfähigkeit werden die rezeptiven Fähigkeiten gegenüber den produktiven totalisiert. Produktive Fähigkeiten als Potentialität können auf der Basis dieser Interpretation der aristotelischen Poetik nicht ersichtlich werden. - Wenn argumentiert wird, die Poetik “will” weder unterrichten noch regulative Produktionsprinzipien zusammenstellen, so unterstellt das eine subjektive Intention des Aristoteles. Diese gerät zur Werkaussage an sich. Selbst wenn eine solche Intention bestanden hätte, so bleibt dennoch die Frage nach der objektiven Funktion unbeantwortet. Wenn durch die Methode der Abstraktion das Wesen einer Gattung bestimmt wird, also das Muster einer literarischen Form, dann kann dieses - unabhängig von der subjektiven Intention des Abstrahierenden - Kriterien formaler Nachgestaltung an die Hand liefern.
M. Fuhrmann, Einführung in die antike Dichtungstheorie. A. a. O., S. 12.
Die Gegenüberstellung: genial/temperamentvoll übersetzt O. Gigon mit “große Begabung oder große Leidenschaft (a. a. O., 5.48); Fuhrmann führt ”talentiert“ und ”besessen“ an (a. a. O., S. 37). Aufschlußreich ist die oben benutzte Zitation gerade hinsichtlich des Adjektivs genial. Nicht die ”geniale“, sondern die ”temperamentvolle Natur wird mit Ekstase verbunden, so daß der Bezug von Genie (genial) und Enthusiasmus gerade nicht herleitbar ist.
M. Fuhrmann, Einführung in die antike Dichtungstheorie. A. a. O., S. 37. Vgl. ebenso S. 72 ff. - E. Zilsel verweist auf eine weitere Naturanlage, die Aristoteles den Dichtern ebenso wie den Philosophen und Politikern zuschreibt: die Melancholie. (Den., Die Entstehung des Geniebegriffs. A. a. O., S. 91).
Vgl. K. Ulmer, Wahrheit, Kunst und Natur bei Aristoteles. Ein Beitrag zur Aufklärung der metaphysischen Herkunft der modernen Technik. Tübingen 1953, S. 157.
J. Ritter, Metaphysik und Politik. A. a. O., S. 80.
G. Lukäcs, Die Eigenart des Ästhetischen. 1. Halbband. Neuwied u. Berlin 1963, S. 307.
Diese Qualität der poetischen mimesis, über eine bloße Nachahmung der Wirklichkeit hinaus- zugehen, arbeitet besonders F. Tomberg heraus. Vgl., ders., Mimesis der Praxis…, a. a. O.
Vgl. hingegen exemplarisch die Ausführungen Fuhrmanns, die aristotelische Poetik hinsicht-lich ihrer konkreten Auswirkungen auf die Neuzeit (italienische Spätrenaissance, französische Klassik, deutsche Dichtungstheorien) darzustellen. (Ders., Einführung in die antike Dichtungstheorie. A. a. O., S. 185 ff.).
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Rudloff, H. (1991). Zur Rekonstruktion eines antiken produktionsästhetischen Konflikts. In: Produktionsästhetik und Produktionsdidaktik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11154-2_2
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