Zusammenfassung
Wenn in der Bundesrepublik in der Vergangenheit vom „Rechtspopulismus“ die Rede war, dann richtete sich der Blick fast immer nach „draußen“. Teils sorgenvoll, teils mitleidig durfte der Beobachter hierzulande registrieren, wie sich ein neuartiger Typus von Parteien in den westlichen Demokratien breit machte. Die Namen ihrer Führer waren bald in aller Munde: Le Pen, Bossi, Berlusconi, Haider. Die Rechtsparteien in der Bundesrepublik fristeten demgegenüber ein Schattendasein. Zwar konnten die neugegründeten Republikaner unter der Ägide Franz Schönhubers von 1989 bis 1992 bei Landtags-und Europawahlen einzelne spektakuläre Wahlerfolge erzielen. Von einer dauerhaften Etablierung blieb die Partei aber ebenso weit entfernt wie ihre rechtsextremen Mitkonkurrenten DVU und NPD oder andere Neuerscheinungen, die sich an einer gemäßigteren Version des Rechtspopulismus versuchten (Statt-Partei, Bund Freier Bürger). Die Bundesrepublik schien gegen das Phänomen offenbar immun.
Überarbeitete und aktualisierte Fassung von: Frank Decker, Perspektiven des Rechtspopulismus in Deutschland am Beispiel der „Schill-Partei“, APuZ 52 (2002) B21, S. 22-31.
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Literatur
Hans-Georg Betz, Radical Right-Wing Populism in Western Europe, New York 1994; Herbert Kitschelt/Anthony McGann, The Radical Right in Western Europe. A Comparative Analysis, Ann Arbor 1995; Paul Taggart, The New Populism and the New Politics. New Protest Parties in Sweden in a Comparative Perspective, Houndmills/London 1996; Hans-Georg Betz/Stefan Immerfall (Hgg.), The New Politics of the Right. Neo-Populist Parties and Movements in Established Democracies, New York 1998; Michael Minkenberg, Die neue radikale Rechte im Vergleich. USA, Frankreich, Deutschland, Opladen 1998; Frank Decker, Parteien unter Druck. Der neue Rechtspopulismus in den westlichen Demokratien, Opladen 2000; Dietmar Loch/Wilhelm Heitmeyer (Hgg.), Schattenseiten der Globalisierung. Rechtsradikalismus, Rechtspopulismus und separatistischer Regionalismus in westlichen Demokratien, Frankfurt a.M. 2001.
Vgl. Oskar Niedermayer, Sozialstruktur, politische Orientierungen und die Unterstützung extrem rechter Parteien in Europa, in: ZParl 21 (1990) 4, S. 564–582. Zur Relativierung der Modemisierungsverliererthese vgl. Lothar Höbelt, Haiders Wähler oder die Legende von den Modernisierungsverlierern, in: Ders. (Hg.), Republik im Wandel, München 2001, S. 94–111.
Hans-Georg Betz (Fußnote 1), S. 172f.
Vgl. Rudd Koopmans, A Burning Question. Explaining the Rise of Racist and Extreme Right Violence in Western Europe, Berlin 1995 (Wissenschaftszentrum Berlin, FS III 95101).
Vgl. Harald Bergsdorf, Rechtsextreme Parteien in Deutschland und Frankreich: durch das Fernsehen bekämpft oder befördert?, in: ZParl 29 (1998) 3, S. 449–459.
Vgl. Angelo Panebianco, Political Parties. Organization and Power, Cambridge 1988, S. 143 ff.
Vgl. Roger Karapin, Radical-Right and Neo-Fascist Parties in Western Europe, in: Comparative Politics 30 (1998) 2, S. 225.
Vgl. statt vieler Hans Herbert von Arnim, Das System. Die Machenschaften der Macht, München 2001.
Zu den Gründen des PDS-Erfolgs in den neuen Bundesländern vgl. Franz Walter/Tobias Dürr, Die Heimatlosigkeit der Macht. Wie die Politik in Deutschland ihren Boden verlor, Berlin 2000, S. 179ff.
Frank Decker (Fußnote 1), S. 166f.; vgl. auch Roger Karapin, Explaining Far-Right Electoral Successes in Germany. The Politicization of Immigration-Related Issues, in: German Politics and Society 16 (1998), S. 24–61.
Zu den Republikanern liegen inzwischen mehrere monografische Darstellungen vor. Vgl. u.a. Richard Stöss, Die „Republikaner“, 2. Aufl., Köln 1990; Hans Gerd Jaschke, Die Republikaner. Profile einer Rechtsaußen-Partei, 3. Aufl., Bonn 1994; Bernd Neubacher, NPD, DVU-Liste D, Die Republikaner. Ein Vergleich ihrer Ziele, Organisationen und Wirkungsfelder, Köln 1996; Katharina Behrend, NPD — REP. Die Rolle nationalistischer Bewegungen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel von NPD und Republikaner im historischen Vergleich, Regensburg 1996; Britta Obszeminks, Nachbarn am rechten Rand. Republikaner und Freiheitliche Partei Österreichs im Vergleich, Münster 1999; Harald Bergsdorf, Ungleiche Geschwister. Die deutschen Republikaner (REP) im Vergleich zum französischen Front National (FN), Frankfurt a.M. u.a. 2000.
Zur Statt-Partei vgl. Frank Decker, Die Hamburger Statt Partei. Ursprünge und Entwicklung einer bürgerlichen Wählerbewegung, in: Jahrbuch für Politik 4 (1994), S. 249–294; Jürgen Hoffmann, Statt Partei. Das Scheitern einer bürgerlichen Protestpartei, in: Winand Gellner/Hans-Joachim Veen (Hgg.), Umbruch und Wandel in westeuropäischen Parteiensystemen, Frankfurt a.M. u.a. 1995, S. 195–221.
Vgl. Frank Decker (Fußnote 1), S. 177ff.
Dass Hamburg als Stadtstaat auch in institutioneller Hinsicht günstige Rahmenbedingungen für potenzielle Neuankömmlinge bietet, sei hier nur am Rande erwähnt: Erstens ist es durch die Überschaubarkeit des politischen Raums mit keinen großen Schwierigkeiten verbunden, landesweit bekannt zu werden und eine halbwegs funktionierende Parteiorganisation aufzubauen. Zweitens führt das Hamburger reine Verhältniswahlrecht dazu, dass sich die öffentliche Wahrnehmung auf den Spitzenkandidaten konzentriert. Weil es keine Wahlkreise gibt, sind bekannte und vorzeigbare Lokalgrößen — zumindest im ersten Anlauf — nicht erforderlich. Diesen Vorteil machte sich 1993 bereits die Statt-Partei zu Nutze.
Zur Bürgerschaftswahl 1997 vgl. Wolfram Brunner/Dieter Walz, Die Hamburger Bürgerschaftswahl vom 21. September 1997: SPD verliert, Voscherau tritt ab, Rot-Grün koaliert, in: ZParl 29 (1998) 2, S. 275–289.
Vgl. Harald Bergsdorf, Gegner oder Partner? Schill als Problem der Volksparteien, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 49 (2002) 3, S. 161f.
Vgl. Marco Carini/Andreas Speit, Ronald Schill. Der Rechtssprecher, Hamburg 2002, S. 13ff.; vgl. auch: Markus Klein/Dieter Ohr, Der Richter und sein Wähler. Ronald B. Schills Wahlerfolg als Beispiel extremer Personalisierung der Politik, in: ZParl 33 (2002) 1, S. 65E
Daran konnten weder der gegen Schill angestrengte Prozess wegen Rechtsbeugung etwas ändern noch die Berichte von Kollegen, wonach der Amtsrichter bei seiner Arbeit nicht gerade durch Fleiß aufgefallen sei. Im Gegenteil: Die Vorwürfe verliehen Schill zusätzliche Glaubwürdigkeit und erleichterten es ihm, sich als einsamer Vorkämpfer von Law and Order zu stilisieren.
Vgl. Marco Carini/Andreas Speit (Fußnote 17), S. 68£; Markus Klein/Dieter Ohr (Fußnote 17), S. 74f, und Patrick Horst, Die Hamburger Bürgerschaftswahl vom 23. September 2001: Schillerndem „Bürger-Block“ gelingt der Machtwechsel, in: ZParl 33 (2002) 1, S. 50ff.
Joachim Raschke, Weltoffenes Hamburg mit aufgeregt-verängstigten Bürgern, in: FR, 21.9.2001.
Zur Wahrnehmung Schills durch die Hamburger Bevölkerung vgl. Markus Klein/Dieter Ohr (Fußnote 17), S. 66ff.
Vgl. Marco Carini/Andreas Speit (Fußnote 17), S. 167ff.
„Fünf potenzielle Außenminister gibt es schon“, in: FAZ, 16.7.2002; „Der Widerstand gegen Ronald Schill wächst”, in: Die Welt, 25.6.2002; „Bundestagswahl: Tritt Schill nun doch an?“, in: Hamburger Abendblatt, 24.5.2002.
„Mit dem Taxi holte Schill seine Mitglieder an die Urne“, in: Die Welt, 8.7.2002; „Schill Partei: Vorerst kein Landesverband”, in: Kieler Nachrichten, 5.7.2002; „Wachsen oder wuchern“, in: Der Spiegel Nr. 25, 17.6.2002, S. 42; „Schill-Partei tritt auf der Stelle”, in: SZ, 1./2.6.2002; „Schill-Partei in Schwierigkeiten“, in: FAZ, 1.6.2002.
„Chaotische Gründerzeit“, in: SZ, 15.7.2002; „Mitglieder verlassen aus Protest die SchillPartei”, in: Ostsee-Zeitung, 10.7.2002; „Gründung der Schill-Partei in Schwerin gescheitert“, in: FAZ, 8.7.2002.
„Schill-Partei politisch schon am Ende?“, in: Lübecker Nachrichten, 13.8.2002; „Kandidaten der NPD sind auch in Schill-Partei aktiv”, in: FR, 10.8.2002; „Die Thüringer SchillPartei hat eine rechte Vergangenheit“, in: Thüringer Allgemeine, 23.7.2002. Vgl. auch Deutscher Bundestag Drucksache 14/7772 vom 5.12.2001. Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS. Berichte über Rechtsextremismus im Umfeld der,Schill-Partei’ und Marco Carini/Andreas Speit (Fußnote 17), S. 149ff.
Vgl. Klaus Hansen, Ronald Schill und die neue Rechte, in: Nation und Europa. Deutsche Monatshefte 52 (2002) 1, S. 11, wo es ganz unverstellt heißt: „Schill muss wissen, wo sein Potenzial liegt. Mit Abgrenzerei und Furcht vor,belasteten’ Mitstreitern wird er es nicht dauerhaft erschließen können. Wenn die CDU nichts dabei findet, einen ehemaligen Nationaldemokraten zum Oberbürgermeister wählen zu lassen [gemeint ist Gert Hoffmann in Braunschweig, F.D.], braucht sich die Schill-Partei im Umgang mit anderen,Ehemaligen’ nicht einschüchtern zu lassen. Tut sie es dennoch, wird sie scheitern — wegen zu dünner Personaldecke.“
„Rechts geht’s los“, in: SZ, 19.2.2002; „Schill will auch in NRW antreten”, in: SZ, 14.2.2002.
„Siedler: Wir wollen endlich mitreden“, in: Harburger Rundschau, 25.2.2002.
„Linker Flügel will mehr Mitsprache“, in: Hamburger Abendblatt, 26.11.2001; „Schill klar als Parteichef bestätigt”, in: SZ, 25.10.2001.
„Die Stunde der Querulanten“, in: SZ, 6./7.7.2002; „Schonfrist für Schill — wie lange hält der Frieden?”, in: Hamburger Abendblatt, 4.9.2002. Mit einer als unbotmäßig empfundenen Rede vor dem Deutschen Bundestag, an deren Ende ihm das Wort entzogen wurde, hatte Schill die Hamburger Koalition Anfang September 2002 in ihre bis dahin schwerste Krise gestürzt.
Im September 2002 verfügt die Schill-Partei nach eigenen Angaben über bundesweit 7.100 Mitglieder, davon entfallen 1.200 auf den Landesverband Hamburg.
Vgl. Frank Decker (Fußnote 1), S. 240ff.
Vgl. Joachim Raschke/Ralf Tils, CSU des Nordens. Profil und bundespolitische Perspektiven der Schill-Partei, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 47 (2002) 1, S. 50f
Für eine chronologische Aufstellung vgl. Marco Carini/Andreas Speit (Fußnote 17), S. 118ff.
Auch in der Folge produzierte die Partei immer wieder Negativschlagzeilen, so im Juli/August 2002 durch ihren Bürgerschaftsabgeordneten und Bundesgeschäftsführer Wolfgang Barth-Völkel, der in einem Zeitungsinterview die Errichtung von Internierungslagern für an Aids und TBC erkrankte Zuwanderer verlangt hatte. „Parteifreund will Barth- Völkel“ anzeigen”, in: Hamburger Abendblatt, 31.7.2002; „Vorstoß der Schill-Partei löst Empörung aus“, in: FR, 30.7.2002. Für einen weiteren Eklat sorgte Schill selbst Ende August 2002 mit seinem bereits erwähnten Auftritt im Bundestag.
Das relativ gute Abschneiden der SPD darf darüber nicht hinweg täuschen; es rührt einerseits aus der Schwäche der Grünen, andererseits daher, dass die Sozialdemokraten bereits bei den Wahlen von 1993 und 1997 einen Teil ihrer Wähler an die rechtsextremen Parteien verloren hatten. Von diesen votierten nun die meisten für Schill. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V., Wahl in Hamburg. Eine Analyse der Bürgerschaftswahl vom 23. September 2001, Mannheim 2001 (Berichte der Forschungsgruppe Wahlen e.V., Nr. 105) und Patrick Horst (Fußnote 19), S. 57.
Vgl. Frank Decker (Fußnote 1), S. 108ff.
„Schill will mit Zuwanderung Stimmen holen“, in: Handelsblatt, 25.6.2002.
Es ist müßig zu spekulieren, wie groß der Anteil Edmund Stoibers daran war. Eine Durchsetzung des Gesetzes im Bundesrat mit Hilfe von Unionsvertretern hätte den frisch gebackenen Kanzlerkandidaten zweifellos desavouiert, der aus seiner Skepsis gegen den von Teilen der CDU favorisierten Einigungskurs keinen Hehl gemacht hatte. Eine Einigung wäre aber auch unter anderen personellen Vorzeichen schwierig gewesen, da sie den Sozialdemokraten im heraufziehenden Wahlkampf mehr genutzt hätte als der Union. Dass sich eine geschickt angelegte Obstruktionspolitik auszahlt, hatte Oskar Lafontaine vier Jahre zuvor bewiesen, als er die Verhinderung der von der Kohl-Regierung geplanten Steuerreform durch die SPD-Ministerpräsidenten organisierte.
Vgl. Frank Bösch, Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU, München 2002, S. 266ff.
Vgl. Hans-Otto Kleinmann, Geschichte der CDU 1945–1982, Stuttgart 1993, S. 398ff.
„Über Sachsen-Anhalt in den Reichstag“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 20.1.2002, S. 4. „Berauscht vom Erfolg”, in: Der Spiegel Nr. 47, 19.11.2001, S. 52f. Vgl. auch Matthias Krupa, Partei ohne Unterleib, in: Die Zeit, Nr. 48/2001, S. 11 sowie Joachim Raschke/Ralf Tils (Fußnote 34), S. 54f.
Zur Wahl in Sachsen-Anhalt vgl. Michael Schmitz, Die „Schill-Partei“. Analyse der „Partei Rechtsstaatlicher Offensive” nach den Landtagswahlen in Hamburg und Sachsen-Anhalt, Sankt Augustin 2002 (Arbeitspapier Nr. 66 der Konrad-Adenauer-Stiftung), S. 18f.
„Meinungsforscher glauben nicht an Erfolg der Schill-Partei“, in: Die Welt, 25.6.2002.
Bei der Bundestagswahl am 22. September 2002 fiel die Schill-Partei mit 0,8 Prozent der Zweitstimmen auf das Niveau einer Splitterpartei zurück, bei der zeitgleich stattfindenden Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern landete sie bei enttäuschenden 1,7 Prozent. Selbst in ihrem „Stammland“ Hamburg konnte die Partei bei der Bundestagswahl nur noch 4,2 Prozent der Stimmen erzielen, was gegenüber ihrem Bürgerschaftswahlergebnis einen Rückgang um 78,4 Prozent (!) bedeutete. Die Partei schnitt im Norden und Osten der Republik besser ab als im Süden und Westen, konnte aber in keinem Bundesland (außer Hamburg) die Zweiprozentmarke überspringen.
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Decker, F. (2003). Rechtspopulismus in der Bundesrepublik Deutschland: Die Schill-Partei. In: Werz, N. (eds) Populismus. Analysen, vol 79. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11110-8_13
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