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Über das Studium der politischen Ideen in philosophisch-historischer Absicht

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Politische Theoriengeschichte

Part of the book series: Politische Vierteljahresschrift Sonderhefte ((PVS,volume 15))

Zusammenfassung

‚Politische Ideen‘, ‚politische Theorie‘, ‚politische Philosophie‘, ‚politisches Denken‘, ‚Staatswissenschaft‘ oder ‚politische Wissenschaft‘ als Gegenstände geschichtlicher Forschung, theoretischer Reflexion und akademischer Lehre sind wissenschaftsgeschichtlich ein Produkt des 19. Jahrhunderts. In der jeweiligen Begrifflichkeit, der materialen Gestalt und fachspezifischen Zuordnung spiegeln sich die verschiedenen westlichen Wissenschaftskulturen wieder. Erst die Reorganisation des Faches Politische Wissenschaft im Zuge der Reform der universitären Wissenschaftsorganisation in den USA (durch Implantation der deutsch-preußischen Konzeption der Einheit von Lehre und Forschung in das traditionelle College-System) erhob die Geschichte der politischen Ideen zusammen mit der politischen Theorie in den Rang einer Teildisziplin des Faches. Nach diesem Vorbild konnte noch 1949 die UNESCO einen Katalog der Lehrgegenstände empfehlen, an dessen Anfang die Teildisziplin der Politischen Theorie und der Geschichte der politischen Ideen stand.1 Die Begründung lieferte der Generaldirektor der UNESCO, James Torres Bodet: Die Geschichte der politischen Ideen vermittelt dem Studium der Politik unverzichtbare Einsichten. Die Analyse und noch mehr das Verständnis der heutigen Wirklichkeit ist nicht möglich ohne die Kenntnis der „grandes oeuvres de la litérature politique qui jalonnent la route de l’humanité. L’examen approfondi de la penseé politique, l’étude impartial des divers aspects de la théorie politique forment le soubassement sur lequel peuvent aujourd’hui s’appuyer les efforts tendant de developper la science politique en une science d’observation politique ayant comme objet la réalité politique contemporaine.“2 In ihrer vagen Allgemeinheit ist diese Bemerkung für das Selbstverständnis der Politischen Wissenschaft charakteristisch. Es lassen sich aber zwei Aspekte in diesem Argument für das Studium der Geschichte der politischen Ideen entdecken: Die moderne wissenschaftliche Analyse der Politik muß aus der historischen Tiefendimension herauswachsen und diese Tiefendimension erschließt das Studium der ‚großen Werke der politischen Literatur‘, welche die Entwicklung der ‚Menschheit‘ markieren. Einer solchen Verbindung von politischer Theorie und politischer Ideengeschichte lag jedoch weniger eine ‚wissenschaftstheoretische‘ Einsicht zugrunde, sie entstammt vielmehr einer geschichtlich gewachsenen Konvention westlicher — also vorwiegend angelsächsischer und französischer — Wissenschaftskultur. Die Konvention, wie die politische Wissenschaft insgesamt, lebt von der Selbstevidenz des politischen Selbstverständnisses westlicher politischer Kulturen. John G. Gunnell hat diese Zusammenhänge in seinem Buch Political Theory erst jüngst für den nordamerikanischen Fall in seinem Versuch einer “genealogy of the history of political theory” nachgezeichnet und zum Anlaß einer kritischen Analyse genommen, die allerdings zu sehr im wissenschaftlichen Binnenraum verbleibt und Wissenschaft als Ereignis der geschichtlich-kulturellen Welt vernachlässigt. Mit Blick auf die USA bestätigt Gunnell die politikwissenschaftliche Konvention der Verklammerung von politischer Theorie und einer Geschichte dieser Theorie, wie sie noch der Lehrkatalog der UNESCO postuliert hatte. Theoriegeschichtliche Studien, so Gunnell, “were conceived as directly relevant to contemporary problems and political values as well as to the development as an empirical political science usually viewed as having practical applications”.3 Diese Sicht habe sich mit der Überzeugung verbunden, “that there was a distinct and major Western Tradition of political theory comprised of the classic texts of political literature and that this tradition was the primary framework for interpreting particular works ... ”.4 Schon um 1930 herrschte “the idea that there was a political tradition of political theory that was relevant for understanding contemporary politics and that had evolved continuously from the time of ancient Greece to become sufficiently well-defined to be a standard subject of college text books and academic research in political science ....”5 Gunnells kritische Betrachtung gilt vorrangig diesem Problem der Tradition und der folgenreichen Erhebung dieses wissenschaftlichen Konstrukts zum paradigmatischen Rahmen politik-wissenschaftlicher Lehren und Forschungen. Ich werde hiervon später noch zu handeln haben. Vorerst ist es notwendig, die Genealogie der Geschichte der politischen Theorie ein wenig genauer zu untersuchen, als dies Gunnell und andere Autoren getan haben, um eine geschichtliche Ortsbestimmung des Studiums der politischen Ideen, unseres Gegenstandes, zu geben. Gunnell bemerkt richtig in seiner Betrachtung von William A. Dunnings einflußreicher A History of Political Theories (1902–20), mit der die Kanonisierung einer theoregeschichtlichen ‚Tradition‘ sich im Lehr- und Forschungsbetrieb etablierte, daß dieser Darstellung eine Geschichtsinterpretation zugrunde lag: “this interpretation was largely devoted to demonstrating that modern political institutions and political science in the West were the culmination of an evolutionary process that began with the ancient Greeks.”6 Von ihren Anfängen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an charakterisiert die Literatur der Theoriegeschichte “its sense of contributing to, and explaining the development of political science and Western political values.” Sie wollte weiterhin die Ziele eines universalen politischen Wissens und Begründung rationalen politischen Handelns liefern.7

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Anmerkungen

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Gebhardt, J. (1984). Über das Studium der politischen Ideen in philosophisch-historischer Absicht. In: Bermbach, U. (eds) Politische Theoriengeschichte. Politische Vierteljahresschrift Sonderhefte, vol 15. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11103-0_6

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