Zusammenfassung
Wenn ich diesem Beitrag den provokativen Titel „zur Normalität der (jugendlichen) Gewalt“ gebe, so möchte ich damit einen Perspektivenwechsel vorschlagen: Was in den Gewalthandlungen der letzten Jahre manifest wird, muß als etwas entziffert werden, das in den alltäglichen sozialen, kulturellen und politischen Verhältnisses unseres Landes wurzelt und sich in Gruppenund individuelle Gewaltdispositionen übersetzt. Darin, daß diese Gewaltsamkeit aus der sozialen Latenz heraustritt, liegt eine Chance. Verstehen sie mich recht: Manches, was sich zeigt, bliebe besser verborgen, und es wäre zu wünschen, daß alle gewaltsamen Übergriffe der letzten Jahre nicht erfolgt wären. Aber wenn die Gewalt gegen ethnisch Fremde, gegen fremde Andere und auch Gleichgesinnte der „gemeinsamen“ Kultur — zum Teil sogar deutlicher gegen diese (vgl. Richter 1992, S. 225) — nicht einfach aus dem Nichts entsteht, sondern ihre Entstehungs- und wie auch immer verbogene „Bildungs“-Geschichte in den alltäglichen sozialen Verhältnissen hat, dann beinhaltet die manifest werdende Gewalt die Aufforderung, über die latenten sozialen Wurzeln nachzudenken. Die jugendliche Gewalt, als Symptom einer tieferliegenden „sozialen Pathologie“, muß zum Nachdenken über die Gewaltförmigkeit des Sozialen selbst führen.
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Helsper, W. (1995). Zur „Normalität“ jugendlicher Gewalt: Sozialisationstheoretische Reflexionen zum Verhältnis von Anerkennung und Gewalt. In: Helsper, W., Wenzel, H. (eds) Pädagogik und Gewalt. Studien zur Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, vol 5. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10986-0_7
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