Zusammenfassung
Neben Anthony Giddens und neuerdings auch Scott Lash ist Ulrich Beck der prominenteste Vertreter einer Theorie der reflexiven Modernisierung (Beck/Giddens/Lash 1996). Seine Bücher und Aufsätze haben seit Mitte der 80er Jahre die kritische sozialwissenschaftliche Diskussion außerordentlich belebt und mit ihren zugespitzten Thesen eingeschliffene Denkgewohnheiten herausgefordert. Das Paradigma der reflexiven Modernisierung wirkt vor allem deswegen so provozierend, weil es das alte Fundament der arrivierten Theorien, die Verknüpfung von Moderne und Industrialismus, problematisiert und dekonstruiert. Geradezu vernichtend fällt das Becksche Urteil über sein eigenes Fach aus: Dieses verharre — trotz vereinzelter Innovationen — in einem „unproduktiven Konsens“ 1, der es daran hindere, „die großen gesellschaftlichen Umbrüche und Herausforderungen überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn sie in einer phantasievollen, die ganze Disziplin erfassenden Anstrengung kritisch zu begleiten.“ Das „dunkle Gefühl“ sei kaum mehr zu unterdrücken, „daß die Wirklichkeitswissenschaft Soziologie im Glanze ihrer Empirie die soziale Wirklichkeit nicht mehr versteht.“ (Beck 1991: 168 f.) Selbst neue Begriffschöpfungen bleiben zumeist den eingefahrenen Formen sozialwissenschaftlichen Denkens (Beck 1994: 26 f.) und empirischen Forschens verhaftet und werden daher von der Rasanz und Ungewißheit der gesellschaftlichen Entwicklung schnell überholt. Um dem zu entkommen, versucht Beck in seiner Gesellschaftstheorie die Dimensionen der Reflexivität — vor allem anhand des Risikos, des Zweifels und der Ungewißheit2 — kategorial einzufangen. Seine macht- und herrschaftstheoretischen Überlegungen erschließen sich dabei eher implizit sowohl aus der Analyse der gesellschaftlichen Umbrüche (Arbeitsgesellschaft, Klassenbeziehungen, Familienstrukturen, Individualisierungsschübe, ökologische Gefahren, welthistorische Zäsur von 1989 etc.) und des veränderten Charakters von Politik als auch aus der normativ-handlungsstrategischen Interpretation von gesellschaftlichen Widersprüchen und Konflikten.
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Literatur
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Bieling, HJ. (1998). Macht und Herrschaft in der ‚Risikogesellschaft‘. In: Imbusch, P. (eds) Macht und Herrschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10691-3_15
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