Zusammenfassung
Was dem Bildungsbürger sein Schiller und Goethe, war für lange Zeit dem Kommunalpolitiker sein Stein und Gneist. Der große Reformer Freiherr vom Stein1 und der bekannte Verfassungsrechtler Rudolf von Gneist2 repräsentierten die Tradition der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland Oftmals wird die kommunale Selbstverwaltung in unsere nicht gerade große Liste freiheitlicher Traditionen in deutschen Landen eingereiht, und zwar an vorderer Stelle. Meist geschieht dies jedoch in quasi einbalsamierter Form, denn von den Veränderungen, die die kommunale Selbstverwaltung in der nunmehr fast 200jährigen Geschichte durchlaufen hat, ist in Feiertagsreden nur wenig zu erfahren. Doch das Thema sollte nicht nur für Festreden aktuell sein.3 In fünf Längsschnitten werden im folgenden Kontinuitäten und Veränderungen im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung bis zum Ende des Dritten Reichs dargelegt. (Für die Entwicklung nach 1945 vgl. die einschlägigen Beiträge in diesem Band, insbesondere Franz-Ludwig Knemeyer zu Gemeindeverfassungen und Hellmut Wollmann zum Um- und Neubau der Kommunalstrukturen in Ostdeutschland.)
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Carl Freiherr vom und zum Stein, 1757–1831. Für Hinweise und Kritik danke ich Christian Engeli und Marc Hansmann.
Rudolf von Gneist, 1816 —1895, deutscher liberaler Rechtslehrer und Politiker, entwickelte das Konzept der Selbstverwaltung und propagierte vor allem das System sogenannter unpolitischer Ehrenämter.
Einen Überblick über die Stadtgeschichtsforschung bietet Horst Matzerath, Stand und Leistung der modernen Stadtgeschichtsforschung, in: Joachim Jens Hesse (Hrsg.), Kommunalwissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 1989.
Christian Engeli/Wolfgang Haus, Quellen zum modernen Gemeindeverfassungsrecht in Deutschland, Stuttgart u. a. 1975, S. 19.
Wolfgang Hofmann, Die Bielefelder Stadtverordneten. Ein Beitrag zu bürgerlicher Selbstverwaltung und sozialem Wandel 1850 bis 1914, Lübeck und Hamburg 1964, S. 80; vgl. allg. auch ders., Aufgaben und Struktur der kommunalen Selbstverwaltung in der Zeit der Hochindustrialisierung, in: Kurt G. A. Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3: Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie, Stuttgart 1984, S. 608.
So basierte das sog. Elberfelder System, daß in den 1850er Jahren zur Organisation der Armenpflege entwickelt wurde, auf dem Prinzip bürgerlicher ehrenamtlicher Tätigkeit. Vgl. Jürgen Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt 1985, S. 178.
Siehe Adelheid von Saldern, Die Gemeinde in Theorie und Praxis der deutschen Arbeiterorganisationen 1863–1920, in: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz (IWK), 12 (1976) 3, S. 295–353.
Vgl. dazu Jürgen Reulecke, Stadtbürgertum und bürgerliche Sozialreform im 19. Jahrhundert in Preußen, in: Lothar Gall (Hrsg.), Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert, München 1990, S. 194.
Wolfgang Hofmann, Aufgaben (Anm. 5), S. 619.
Friedrich Lenger, Bürgertum und Stadtverwaltung in rheinischen Großstädten des 19. Jahrhunderts, in: Lothar Gall (Anm. 8), S. 115 ff., 167.
Vgl. allg. Frank Bajohr, Vom Honoratiorentum zur Technokratie. Ambivalenzen städtischer Daseinsvorsorge und Leistungsverwaltung im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: ders. u. a. (Hrsg.), Zivilisation und Barbarei. Die widersprüchlichen Potentiale der Moderne, Hamburg 1991.
Vgl. Wilhelm Ribhegge, Die Systemfunktion der Gemeinden. Zur deutschen Kornmunalgeschichte seit 1918, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 47/73.
So urteilt der Historiker Otto Bösch in seinem Buch »Geschichte der Berliner Kommunalwirtschaft in der Weimarer Epoche«, Berlin 1960, S. 192.
In der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 wurde festgelegt, daß der Beauftragte der NSDAP »im Benehmen mit dem Bürgermeister« die Gemeinderäte berufe. »Bei der Berufung hat er auf nationale Zuverlässigkeit, Eignung und Leumund zu achten und Persönlichkeiten zu berücksichtigen, deren Wirkungskreis der Gemeinde ihre besondere Eigenart oder Bedeutung gibt oder das gemeindliche Leben wesentlich beeinflußt.« Auch der Bürgermeister konnte nicht mehr frei gewählt werden. Im § 33 hieß es: »Zur Sicherung des Einklangs der Gemeindeverwaltung mit der Partei wirkt der Beauftragte der NSDAP… bei der Berufung und Abberufung des Bürgermeister… mit.« In: Christian Engeli/Wolfgang Haus (Anm. 4), S. 683, 686.
Christian Engeli/Wolfgang Haus (Anm. 4), S. 15.
Dazu Wolfgang R. Krabbe, Kommunalpolitik und Industrialisierung, Stuttgart u. a. 1985.
Allerdings war die infrastruktuelle Ausstattung nach Qualität und Zeitpunkt ihrer Einführung unterschiedlich, je nach sozialer Zusammensetzung der Stadtviertel. Arbeiter-quartiere blieben benachteiligt. Siehe den Überblick bei Adelheid von Saldern, Häuserleben. Zur Geschichte städtischen Arbeiterwohnens vom Kaiserreich bis heute, Bonn 1995, S. 65 ff.
Das Heimatrecht beschränkte etwaige Versorgungsansprüche, die im Rahmen des Armenrechts gestellt werden konnten, auf die jeweilige Heimatstadt. Dadurch wurde der Zuzug in eine andere Stadt von vornherein begrenzt.
Zwei Beispiele für unterschiedliche Befunde: Adelheid von Saldern, Vom Einwohner zum Büger. Zur Emanzipation der städtischen Unterschicht Göttingens 1890–1920, S. 425ff; Heinrich Pohl, Die Münchener Arbeiterbewegung, München u. a. 1992.
Horst Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, Stuttgart u. a. 1970, S. 369.
Rudolf Hartog, Stadterweiterungen im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1962, S. 120. Allerdings diente beispielsweise die Bauzonenordnung auch dazu, die sozialräumliche Trennung von Klassen und Schichten zu legitimieren.
Horst Matzerath (Anm. 20), S. 99, 112.
Im Jahre 1867 stammten beispielsweise in Nordhausen 67 Prozent der Gesamteinnahmen aus der städtischen Akzise.
So war z. B. der Schuldenstand der Stadt Karlsruhe im Jahre 1913 etwa 1,5 mal so hoch wie das Gesamtbudget, während 1980 die Schulden der Stadt noch nicht einmal die Hälfte des Gesamtbudgets ausmachten. Gerhard Seiler, Änderungen in der kommunalen Finanzautonomie - Beispiel Karlsruhe, in: Bernhard Kirchgässner/Jörg Schadt (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung - Idee und Wirklichkeit, Sigmaringen 1983, S. 83.
Fritz Blaich, Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Wirtschaftspolitik während der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932. Dargestellt am Beispiel der Stadt Ludwigshafen am Rhein, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, ( 1970 ) 9, S. 99.
Wilhelm Ribhegge (Anm. 12), S. 14; Wolfgang Haus, Staatskommissare und Selbstverwaltung 1930–1933, in: der städtetag, 1956, S. 97.
Dies formulierte der Münchner Oberbürgermeister Scharnagel 1933, zit. nach Peter Steinborn, Grundlagen und Grundzüge Münchner Kommunalpolitik in den Jahren der Weimarer Republik, München 1968, S. 517; vgl. auch Wolfgang Haus (Anm. 26 ), S. 97.
Stefan Leibfried/Florian Tennstedt (Hrsg.), Politik der Armut und der Spaltung des Sozialstaats, Frankfurt a. M. 1985, S. 33.
Horst Matzerath (Anm. 20), S. 370.
Handwerk und Industrie sprachen während der Zwanziger Jahre von einer Art »kalten Sozialisierung«. Carl Böhret, Aktionen gegen die »kalte Sozialisierung« 1926–1930. Ein Beitrag zum Wirken ökonomischer Einflußverbände in der Weimarer Republik, Berlin 1966.
Jeremy Leaman: Local Government and State-form Crises in Germany, in: W. R.Lee/Eve Rosenhaft, The State and Social Change in Germany, 1880–1980, New York u. a. 1989, S. 270.
Siehe Horst Matzerath (Anm. 20), S. 370, 355. So wurde die Biersteuer den Gemeinden weggenommen sowie Teile der Grunderwerbsteuer. Auch wurden die kommunalen Versorgungsbetriebe körperschaftsteuerpflichtig.
Dazu siehe in historischer Perspektive Jeremy Leaman (Anm. 31), S. 271 ff.
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 1999 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
von Saldern, A. (1999). Rückblicke. Zur Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland. In: Wollmann, H., Roth, R. (eds) Kommunalpolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10504-6_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-10504-6_2
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-2210-3
Online ISBN: 978-3-663-10504-6
eBook Packages: Springer Book Archive