Zusammenfassung
Der Begriff Individualisierung gehört seit langem zum festen Bestandteil soziologischer Terminologie. Im Kern bezeichnet er die Herauslösung des Einzelnen aus traditionalen Sozialbeziehungen. Stand, Klasse, Familie, Nation stellen immer weniger alternativlose Kollektive dar, in die der Einzelne hineingeboren wird, um dort ein Leben lang zu verbleiben. An ihre Stelle treten selbst gewählte soziale Bindungen, die auch wieder abgewählt werden können. Wurden dem Einzelnen einstmals die meisten Entscheidungen über die Gestaltung seines Lebenslaufs abgenommen, muss er nun immer mehr Entscheidungen selber treffen. An die Stelle verbindlicher Vorgaben durch Traditionen, Bräuche und Routinen treten eine Fülle von Optionen, zwischen denen der Einzelne zu wählen hat. Es gibt kaum eine soziologische Theorie, die diesen Prozess — unter wechselnden historischen Vorzeichen — nicht beschrieben hätte. Doch seit Becks (1986; 1983) Neuauflage der Individualisierungsthese wird nicht nur innerhalb der Soziologie, sondern auch weit über die akademischen Grenzen hinaus heftig über Ursachen und Folgen der Individualisierung debattiert. In der Öffentlichkeit ist Individualisierung dabei schnell zur Generalformel avanciert, mit der man verschiedenartigste soziale Probleme erklären kann. Erklärt ist damit zwar nicht eines der angesprochenen Probleme, aber man verfügt zumindest über eine Formel, einen Hinweis darauf, wo der Feind zu suchen ist.
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Literatur
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Schroer, M. (2000). Negative, positive und ambivalente Individualisierung — erwartbare und überraschende Allianzen. In: Kron, T. (eds) Individualisierung und soziologische Theorie. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10334-9_2
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