Zusammenfassung
Es ist leicht und zugleich schwer, von einem so mächtigen und reichen Werk wie ‘Geschichte und Klassenbewußtsein’ zu sprechen. Die Umstände des Zustandekommens dieses Werks, die Auseinandersetzungen nach seinem Erscheinen sind allgemein bekannt. Seine enorme Wirkung ist in der Fachliteratur breit dokumentiert und man kennt auch sein späteres Schicksal, die Tatsache, daß der Verfasser sich wiederholt zur Selbstkritik gezwungen sah. Man kennt schließlich Lukács’ spätere, als letztes Wort verstandene Einschätzung sowie die Arbeit, mit der er die Mängel von ‘Geschichte und Klassenbewußtsein’ beseitigen sollte: die ‘Ontologie’. “Was bedürfen wir weiter Zeugnis?”1 — so könnte man auch hier fragen. Die Sache scheint aber viel komplizierter zu sein. Hat man doch gerade von Lukács gelernt, daß die echte Bewertung eines Schöpfers Künstlers oder Philosophen nach seinen tatsächlichen Leistungen, nicht nach seiner Selbsteinschätzung erfolgen soll? Und obwohl Diskontinuitäten zwischen den verschiedenen Phasen im Leben von Lukács unbestreitbar sind, scheint die Anwesenheit der Kontinuität ebensowenig zweifelhaft zu sein. “Jeder wesentliche Mensch”, schreibt Lukács von seinem früh verstorbenen Jugendfreund Leo Popper, “hat nur einen Gedanken; ja és fragt sich, ob der Gedanke überhaupt einen Plural haben kann...”2
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Anmerkungen
Mt 26, 65
“Leo Popper (1886–1911) Ein Nachruf.” Pester Lloyd 18. Dezember 1911.
Geschichte und Klassenbewußtsein. In: Georg Lukács Werke, Bd. 2, Neuwied/Berlin: Luchterhand, 1968, S. 41.
Vgl. ebenda, S. 18, 20, 22, 25–26.
“Dadurch aber ist für das Proletariat — als Klasse betrachtet — das selbständig gewordene, vergegenständlichte Gegenüberstehen der eigenen Arbeit objektiv aufgehoben.” In der Abhandlung: “Der Funktionswechsel des historischen Materialismus”, ebenda, S. 426.
Lukács spricht in der Ontologie einerseits darüber, daß “der früher bloß naturhaft existierende Gegenstand eine Vergegenständlichung erfahrt, d.h. eine gesellschaftliche Brauchbarkeit erlangt”, andererseits schreibt er über solche “unschuldige” Verdinglichungen, von denen sozusagen erst später ein gradliniger Weg zur Entfremdung führt. (Bis jetzt gibt és keine deutsche Veröffentlichung der systematischen Kapitel der Lukács’sehen Ontologie.) Vgl. A társadalmi let ontologiajarol. Bd. 2, Budapest: Magvetö, 1976. S. 570 bzw. 652 ff. Auf die unexakte Kategorienbehandlung der Ontologie haben sonst auch die Mitarbeiter von Lukács die Aufmerksamkeit gelenkt, vgl. Fehér-Heller-Markus-Vajda, “Notes on Lukács’ Ontology”. Telos, 1976, S. 160–180.
Lukács schreibt beispielsweise, daß “Rosa Luxemburg nichts anderes getan hat, als das Fragment von Marx in seinem Sinne zu Ende zu denken und seinem Geiste gemäß zu ergänzen”. Im zitierten Band der Luchterhand-Ausgabe, S. 203, in der Abhandlung: “Rosa Luxemburg als Marxist”.
Lukács hat die Anwesenheit der Erscheinungen der Verdinglichung in den menschlichen Verhältnissen nachdrücklich hervorgehoben, so hat er beispielsweise auf den Umstand hingewiesen, daß diese sogar in die Zellen der bürgerlichen Gesellschaft, in die Familie eindringen. (Obwohl gerade innerhalb der Zellen andere Gesetzmäßigkeiten zur Geltung kommen sollten, als in ihrer Umgebung.) Vgl. “Die Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats”, ebenda, S. 275–276ff.
Marx, Das Kapital. Bd. 1. Karl Marx — Friedrich Engels, Werke, Bd. 23, Berlin: Dietz Verlag, 1962, S. 231.
Ebenda, S. 674–675.
Ebenda, S. 765.
Lukács schreibt z.B., daß “die Menschheit — durch das Klassenbewußtsein des zur Herrschaft berufenen Proletariats — ihre Geschichte bewußt in die eigenen Hände nimmt”. (“Der Funktionswechsel des historischen Materialismus”, Bd. 2 der Luchterhand-Reihe, S. 428). Seine Ausführungen berühren tiefere Zusammenhänge, wo er feststellt: die klassische deutsche Philosophie habe gezeigt, daß die echte, die neue, die “zum erstenmal zum Vorschein gelangte Substanz” die Geschichte ist, und daß das Subjekt der Geschichte zwar jenes “wir” ist, “dessen Handlung die Geschichte wirklich ist”. Vgl. “Die Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats”, ebenda, S. 325, 328.
Vgl. ebenda, S. 21.
S. besonders seine Abhandlung “Alte und neue Kultur”. In: Georg Lukács, Taktik und Ethik. Politische Aufsätze, Bd. 1 (1918–1920). Darmstadt/Neuwied: Luchterhand, 1975, S. 132–151. In diesem Zusammenhang sind seine Studien im oben zitierten Band der Luchterhand-Gesamtausgabe ebenso in Betracht zu ziehen, S. 79ff. S. auch meine Studie “Culture et civilisation chez le jeune Lukács”, in: Philosophy and Culture. Ed. by J. Lukács, F. Tökei. Budapest: Akadémiaif Kiadó, 1983, S. 293–309.
Paul Tillich, “Die sozialistische Entscheidung”. (Erstveröffentlichung: 1933) In: Christentum und soziale Gestaltung. Frühe Schriften zum religiösen Sozialismus. Gesammelte Werke, Bd. 2, Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1962, S. 307–308, 310, 315.
Die Ausführungen des ‘Kapitals’ über den Fetischcharakter der Ware bzw. die historische Tendenz der kapitalistischen Akkumulation zeigen, daß Marx mit der Hegeischen “Ausdrucksweise” gar nicht nur “kokettiert” hat.
“Rosa Luxemburg als Marxist”, Luchterhand, Bd. 2, S. 214.
Mt 7, 22–23
“Was ist orthodoxer Marxismus?”, Luchterhand, Bd. 2, S. 68.
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Lendvai, F.L. (1987). Zur Problematik von Geschichte und Klassenbewußtsein. In: Bermbach, U., Trautmann, G. (eds) Georg Lukács. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10145-1_10
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