Zusammenfassung
Wer die Mediendebatte über biomedizinische Themen wie die Präimplantationsdiagnostik, die embryonale Stammzellforschung, aber auch das Humangenomprojekt und die Biopatentierung in der letzten Zeit verfolgt hat, erhielt den Eindruck, dass die Verständigung zwischen Vertretern divergierender Positionen unmöglich sei. Die Pluralität von Interessen, Bewertungen, Überzeugungen, Welt- und Menschenbildern scheint der gesellschaftlichen Verständigung über die Forschung und Anwendung biomedizinischer Techniken entgegen zu stehen. Auch die Bürgergruppe der Bürgerkonferenz betont in der Präambel ihres Votums zur Gendiagnostik die Unterschiedlichkeit der Wertvorstellungen und ethischen Grundhaltungen ihrer Mitglieder, allerdings ohne die Differenzen genauer zu benennen. Als gemeinsame normative Grundlage wird die Unantastbarkeit der Menschenwürde genannt, weshalb der Mensch „kein formbares Objekt von Wünschen und Vorstellungen anderer sein“ könne. Diese klare, gemeinsame moralische Grundhaltung erstaunt angesichts der ausgesprochen kontroversen Diskussion über den inhaltlichen Gehalt und den Geltungsanspruch der ‚Menschenwürde‘ unter Ethikern. Während in der ethischen Fachdiskussion in Frage gestellt wird, ob die ‚Menschenwürde‘ überhaupt ein sinnvoller Bezugspunkt für die ethische Urteilsbildung ist oder nicht viel mehr eine ‚Leerformel‘ darstellt, die je nach Kontext beliebig eingesetzt werden kann, scheint die Bürgergruppe hier keine Probleme zu sehen. Sie teilt damit offensichtlich die kantianische Position, die die ‚Würde‘ des Menschen im Sinne von ‚Wert an sich‘ zu sein und nicht bloß ‚Wert für etwas anderes‘ zu haben versteht, und darin das Verbot der Instrumentalisierung des Menschen begründet sieht (vgl. zu dieser Kontroverse die Beiträge in Kettner 2002).
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Literatur
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Graumann, S. (2003). Die Bürgerkonferenz als Möglichkeit der Selbstbestimmung im gesellschaftlichen Kontext. In: Schicktanz, S., Naumann, J. (eds) Bürgerkonferenz: Streitfall Gendiagnostik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09456-2_8
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