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Ein Hitlerjunge aus gutem Haus. Narrativer Aufbau und Dekonstruktion einer Lebensgeschichte

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Biographien in Deutschland
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Zusammenfassung

Peter Treumann, 1921 in Wien geboren, führt uns zu Beginn seiner lebensgeschichtlichen Erzählungl in seine frühe Kindheit Anfang der 1920er Jahre, in das Haus Wachaustr. 282, einen 1924 errichteten Gemeindebau des Roten Wien; dieses Haus und die umliegenden Straßen und Gassen liegen in einem Stadtviertel nahe dem Prater, dessen erwerbstätige Bevölkerung überwiegend im örtlichen Elektrizitätswerk und im nahen Frachthafen der Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft beschäftigt ist. Im Haus Wachaustr. 28 wohnt zu dieser Zeit, so erinnert sich Peter Treumann, »ein richtiges Mischpublikum«: »ein Hafenkapitän von der DDSG, es gab Hafenarbeiter, Hilfsarbeiter, es gab einen Prokuristen, im dritten Stock wohnten Brandstätters, einfache Leute, darüber ein ungarischer Jude und Vertrauensmann der Sozialisten, und so ging das weiter. [...] Vis-à-vis, in einem Kellerlokal, hatte ein Bürstenbinder sein Geschäft, Serva war sein Name, ein polnischer Jude, eingewandert, glaube ich, 1919, mit Schnürsenkeln im Hausiererkoffer, klein, unscheinbar, aber er war mir einer der liebsten Menschen, die ich da hatte.« (2/13–14)

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Literatur

  1. Mit Peter Treumann habe ich von Oktober 1990 bis Herbst 1991 15 narrative lebensgeschichtliche Interviews in der Länge von jeweils drei Stunden geführt. Die Tonaufnahmen der Interviews befinden sich in meinem Besitz. Um die persönlichen Rechte meines Interviewpartners und seiner Angehörigen zu schützen, habe ich seinen Familiennamen geändert. Die wörtlichen Zitate aus den Interviews werden, zwischen runden Klammern, zunächst mit der Zahl des Gesprächs und nach dem Schrägstrich mit der Seitenzahl des Transkripts angegeben. Auslassungen innerhalb der Zitate werden mit 1…] markiert.

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  2. Eine kurze Verbindungsstraße zwischen der Vorgartenstraße und der Engertstrasse im 2. Wiener Gemeindebezirk.

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  3. Vgl. Reinhard Sieder, Gassenkinder, in: Aufrisse, Zeitschrift für politische Bildung, 5 (1984) 4, 8 ff.

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  4. Peter Treumann betont, daß sie graue und nicht weiße Stutzen getragen hätten, wie in der Literatur vielfach behauptet, denn letzteres wäre einem »Parteiausweis« gleichgekommen und hätte den Regeln der Konspiration widersprochen. Da jedoch auch die von ihm beschriebene Quasi-Uniform leicht erkennbar sein mußte, liegt die Deutung nahe, daß hier die »ideale« Kleidung eines illegalen Hitlerjungen beschrieben wird, die jedoch im Alltag vermutlich selten in genau dieser Zusammenstellung getragen wurde.

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  5. Die nach Ländern organisierten und vor allem von Mussolini mit Geld und Waffenlieferungen unterstützten Heimwehren bildeten zunächst eine para-polizeiliche Assistenztruppe des »Ständestaates« unter Dollfuß und Schuschnigg, wurden später durch die Gründung der »Vaterländischen Front«, eine faschistische Massenorganisation, tendenziell entmachtet, bis sie 1936 von Schuschnigg aufgelöst wurden.

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  6. Vgl. Hans Safrian und Reinhard Sieder, Gassenkinder–Straßenkämpfer. Zur politischen Sozialisation einer Arbeitergeneration in Wien 1900 bis 1938, in: Lutz Niethammer und Alexander von Plato, Hrsg., »Wir kriegen jetzt andere Zeiten«. Auf der Suche nach der Erfahrung des Volkes in nachfaschistischen Ländern, Berlin und Bonn 1985, 117–151.

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  7. Vgl. Anson Rabinbach, Vom Roten Wien zum Bürgerkrieg, Wien 1989, 174 ff.

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  8. Vgl. dazu Gerhard Jagschitz, Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich, Graz u. a., 1976; aus nationalsozialistischer Perspektive: Die Erhebung der österreichischen Nationalsozialisten im Juli 1934. Akten der Historischen Kommission des Reichsführers SS, Wien 1984.

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  9. Dr. Drexel war in der hier nicht mehr behandelten Nachkriegszeit Chefredakteur bei den Nürnberger Nachrichten, wo Peter Treumann eine journalistische Berufskarriere begann. Drexel wurde - als ehemaliger Kommunist und Jude, der das Konzentrationslager Auschwitz überlebt hatte, für Treumann zu einem »väterlichen Freund«, mit dem er die NS-Vergangenheit »stunden-und nächtelang diskutierte«.

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  10. Wiener Ausdruck für Polizisten, die zu einem großen Teil vom Land kamen und deshalb nach einer kleinen Bezirksstadt im niederösterreichischen Weinviertel namens Mistelbach benannt wurden. Infolge ihrer früheren Arbeit in der Landwirtschaft galten sie als besonders kräftig.

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  11. Zum antisemitischen Rassen-Diskurs und der zentralen Bedeutung des Phantasmas vom »arischen Schänder jüdischer Mädchen« vgl. Johanna Gehmacher, Antisemitismus und die Krise des Geschlechterverhältnisses, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 3 (1992) 4,425 ff

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  12. Goi bzw. Gojim (hebr.), bedeutet für die Juden »Heide« bzw. »Nichtjude«; der katholisch getaufte Peter Treumann versteht die Bezeichnung als Synonym für die überwiegende Mehrzahl der Nicht-Juden in Österreich, die Christen.

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  13. Die Verbindung von asexueller »Kameradschaft« zwischen den Burschen und Mädchen ist keine »Erfindung« der Nationalsozialisten, sondern taucht in der deutschen Jugendbewegung um den Ersten Weltkrieg auf und läßt sich in den 1920er Jahren auch in sozialistischen Jugendeliten finden. »Kameradschaftlichkeit« war dort wie da ein Synonym für »Keuschheit«; vgl. Ulrich Linse, »Geschlechtsnot der Jugend«, über Jugendbewegung und Sexualität, in: Thomas Koebner u.a., Hrsg., »Mit uns zieht die neue Zeit. Der Mythos Jugend«, Frankfurt am Main 1985, 245 ff.; vgl. auch Safrian und Sieder, Gassenkinder - Straßenkämpfer, wie Anm. 5, besonders den Exkurs zur »obdachlosen Erotik«, 130 ff.

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  14. Johanna Gehmacher fand in ihren Untersuchungen über die Wiener »Nationalsozialistische Jugend Österreichs«, daß schon die erste Adressierung österreichischer Jugendlicher in einem NS-Flugblatt diesen Zusammenhang des adoleszenten Geschlechterproblems und des Antisemitismus angesprochen hat. Eine der ersten Aktionen der NSJ habe sich gegen Vorträge des jüdischen Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld gerichtet. »Die geschlechtliche Differenz tritt als (sexueller) Angriff des »Juden« auf das »deutsche Mädchen« in Erscheinung. […] Die »deutschen Mädchen« erscheinen als Achillesferse des »deutschen Volkes«, an der die »jüdische Zersetzung«, die »Rassenverschlechterung« ansetzen kann.« Johanna Gehmacher, Nationalsozialistische Jugendorganisationen in Österreich. Eine Untersuchung zum Geschlecht in der Politik, Wien 1992, phil. Diss. (MS), 75 ff.

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  15. Ein Hinweis darauf ist nicht zuletzt der Spottname, den die nationalsozialistischen Jugendlichen in Wien den Jugendlichen, die in der »Staatsjugend« des »christlichen Ständestaates« organisiert waren, zu geben pflegten: »Kerzlschlucker«.

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  16. Vgl. Christian Gerbel, Alexander Mejstrik und Reinhard Sieder, Die »Schlurfs«. Verweigerung und Opposition von Wiener Arbeiterjugendlichen im »Dritten Reich«, in: Emmerich Talos u.a., Hrsg., NS-Herrschaft in Österreich 1938–1945, Wien 1988, 243268. - Der Begriff »Schlurf« war in Wien seit den frühen 1930er Jahren ein verbreitetes Schimpfwort für jugendliche »Nichtstuer« und »Herumtreiber«. In den folgenden Jahren wurde er immer spezifischer auf Jugendliche bezogen, die sich auf eine bestimmte Art kleideten und bewegten. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten inÖsterreich im März 1938 wurde der Begriff in das Vokabular der Disziplinierungs- und Kontrollinstanzen (Schulverwaltung, Polizei, Jugendfürsorge und Justiz) übernommen.

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  17. Vgl. Gerbel, Mejstrik und Sieder, Die »Schlurfs«, wie Anm. 12, 261.

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  18. Archiv der Republik, Gestapo Wien an Bürckel, 14.12.1938, RKfWÖ 165.

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  19. Zum strukturellen Aufbau von Geschichten vgl. Wolfram Fischer, Struktur und Funktion erzählter Lebensgeschichten, in: Martin Kohli, Hrsg., Soziologie des Lebenslaufs, Darmstadt und Neuwied 1978, 31 1 ff.

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  20. Vgl. Pierre Bourdieu, Die biographische Illusion, in: BIOS, Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History 1990/1, 75 ff., hier 77. Bourdieu spricht allerdings nur vom Eigennamen, der über die Taufe vergeben wird. Hier aber haben wir es auch mit Namen für soziale Gruppen (»Schlurfs«, »Nazis«, »Gois« etc.) zu tun, und hier wird der Akt der Benennung zu einer expliziten und brisanten sozialen Handlung: zu einer Handlung im sozialen Konflikt. Während der Eigenname in der Regel außer Streit steht, steht der Name einer sozialen Gruppe immer wieder auf dem Spiel.

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  21. Erik H. Erikson, Identität und Lebenszyklus, Frankfurt am Main 1966, 124.

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  22. Vgl. dazu genauer: Reinhard Sieder, Auf dem Weg zu einer neuen Kulturgeschichte? in: Geschichte und Gesellschaft, 20, im Druck.

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  23. Bourdieu, Die biographische Illusion, wie Anm. 16.

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  24. Unter dem erzählerischen Artefakt vom »gelungenen Leben« verstehe ich eine Erzählung, in der es dem Erzähler aus seiner Perspektive gelungen ist, eine ihm kohärent erscheinende Komposition von Geschichten und Beschreibungen zu liefern. Die dabei gezogene Lebensbilanz muß nicht unbedingt positiv sein. Vgl. Christian Gerbel und Reinhard Sieder, Erzählungen sind nicht nur »wahr«. Abstraktionen, Typisierungen und Geltungsansprüche in Interviewtexten, in: Gerhard Botz u.a., Hrsg., »Quantität und Qualität«. Zur Praxis der Methoden der Historischen Sozialwissenschaft, Frankfurt am Main und New York, 1988, 189 ff., hier 208.

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Sieder, R. (1995). Ein Hitlerjunge aus gutem Haus. Narrativer Aufbau und Dekonstruktion einer Lebensgeschichte. In: Fischer-Rosenthal, W., Alheit, P. (eds) Biographien in Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09434-0_19

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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