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Das Leben ist das Privatleben

Die Zentralität von Privatleben und Beruf im Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen

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Ankunft im Erwachsenenleben

Zusammenfassung

Der Alltag moderner Arbeitsgesellschaften ist ein Pendelschlag zwischen Haus und Betrieb: Jeden Morgen wechseln wir vom Frühstücks- zum Arbeitstisch, jeden Abend den Beruf mit der Freizeit. Mit dem täglichen Wechsel der Lebensbereiche werden zugleich zwei Linien des Lebenslaufs gezogen, das private und das berufliche Leben. Aber weder der tägliche Pendelschlag noch die lebenslange Parallele implizieren eine Gleichwertigkeit beider „Lebensbereiche“. Wir gehen „hinaus“ in den Beruf und kehren „heim“ in die Wohnung, selbst wenn niemand dort auf uns wartet. Offensichtlich liegt uns das private Leben näher als das berufliche — „näher“ zum Zentrum der Person.1 Warum?

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Literatur

  1. Die „Priorität der Privatsphäre“ (Habich/Spellerberg 1992: 555; Böhnke 2000: 443) ist in den Wohlfahrtssurveys zwischen 1980 und 1998 extensiv belegt: In jeder Umfrage rangiert die „Familie” vor der „Arbeit“ und die Einschätzung der Familie als „sehr wichtig” nimmt in Westdeutschland zwischen 1980 und 1998 kontinuierlich von 68% auf 80% zu (Weick 2000: 518). Weitere Belege bei Hondrich/Schumacher (1988: 8487). — „Was würden Sie bevorzugen: Beruflich sehr erfolgreich zu sein, aber nur ein mittelmäßiges und langweiliges Privatleben zu haben — oder im Privatleben sehr glücklich zu sein, aber nur einen mittelmäßigen und langweiligen Beruf zu haben?“ 76% der Westdeutschen bevorzugen, vor diese Alternative des EMNID-Instituts gestellt, 1990 wie 1994 das Privatleben (Umfrage and Analyse 1994 Heft 1/2: 64).

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  2. Zwischen 1979 und 1996 glauben in 7 Befragungen konstant rund 70% der Westdeutschen daran, dass „man eine Familie braucht, um wirklich glücklich zu sein“ — wobei mit „der Familie” das private Leben ohne und mit Partner oder Kindern gemeint ist (Meulemann 1998a: 259).

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  3. In den verschiedenen Lebensbereichen kann man Selbstbestimmung mit der Formel „Selbstverwirklichung durch…“ explizieren. Im Beruf — aber oft auch in Freizeit und Familie — will ich mich durch Leistung selbst verwirklichen — je nach den Chancen, die mein Beruf mir bietet oder die sich mir in meiner Freizeit bieten. In der Politik will ich mich durch Teilhabe selbst verwirklichen — je nach den Chancen, die andere mir lassen. Im Sport will ich mich durch sportliche Leistung, im Hobby durch Kreativität selbst verwirklichen. Die Interpretation der Selbstverwirklichung durch einen bestimmten Wert variiert mit sozialen Zugehörigkeiten. So steigt z.B. die eingeschätzte Wichtigkeit von Arbeit und die Zustimmung zu Leistung als Element beruflicher Bezahlung mit der sozialen Schichtzugehörigkeit an (Meulemann 1998b: 120–123); „Selbstverwirklichung durch berufliche Leistung” ist eher eine Devise für höhere Schichten.

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  4. Im Sozioökonomischen Panel wird die Wichtigkeit der Lebensbereiche für Partnerschaft und Elternschaft getrennt erfragt. 1995 liegt die Einschätzung der Partnerschaft als „sehr wichtig“ mit 68% deutlich über der der Elternschaft mit 44% (Weick 1997b: 475).

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  5. Schopenhauers Bild von den „frierenden Stachelschweinen“ kennzeichnet das Privatleben korrekt, aber seine moderne Form nicht zureichend. Die Kälte des Alleinlebens treibt die Menschen zusammen, und die Stacheln der wärmenden anderen treiben sie wieder auseinander. Aber nicht nur die Kälte des Alleinlebens treibt die Menschen zusammen, sondern auch der Wunsch nach gemeinsamer Selbstbestimmung mit anderen — nach der Bestätigung, der „Nomisierung” durch „signifikante andere“ (Berger/Kellner: 1965).

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  6. Das zeigen nicht nur die steigenden Scheidungsziffern (Engstler 1998: 88–94), sondern auch Einstellungsunterschiede zwischen Angehörigen verschiedener privater Lebensformen: Nicht nur Verheiratete, sondern auch Verwitwete, also „schuldlos“ Alleinstehende, schätzen die Familie als Quelle des „wirklichen Glücks” deutlich mehr als Geschiedene, Ledige oder in einer Lebensgemeinschaft Lebende (Meulemann 1998a: 262 ).

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  7. Ein Indikator für die Zuweisung hoher Selbstverwirklichungschancen zu Lebensbereichen ist der Überschuss des gewünschten über den tatsächlich eingenommenen „Raum“, also Zeit und Wichtigkeit (Hondrich/Schumacher 1988: 81–99). Im Bevölkerungsquerschnitt beträgt dieser Überschuß bei Partnerschaft, Freundschaft, Elternschaft, Freizeit und Bildung rund einen Punkt auf einer 7stufigen Skala, beim Beruf hingegen 0,1. Die vier genannten privaten Bereiche nehmen auch die höchsten Rangplätze des „Raumes” an: Was die höchste Zentralität hat, soll also auch am meisten Zentralität gewinnen. Bei den Erwerbstätigen haben die privaten Lebensbereiche ungefähr den gleichen Überschuß, aber der Beruf hat einen negativen Überschuss (-1,2): Erwerbstätige wollen in starkem Maße weniger „Raum“ für den Beruf in ihrem Leben. Auch die Hausfrauen,die verständlicherweise der Hausarbeit weniger (-1,3) und der Berufsarbeit mehr (1,4) „Raum” geben möchten, wollen mehr (wiederum rund einen Skalenpunkt) Raum für die genannten privaten Lebensbereiche. In allen Bevölkerungsgruppen werden also dem privaten Leben mehr Selbstverwirklichungschancen zugewiesen als dem beruflichen.

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  8. Die Rangfolge bildet eine „Halbordnung“, die oben und unten festgelegt ist, in der Mitte aber variieren kann (Borg/Staufenbiel 1997: 149).

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  9. Die Gegenthese, dass der Misserfolg die Zentralität steigere, weil durch den Mangel das Ersehnte um so mehr Gewicht bekommt, kann natürlich nicht ausgeschlossen werden. Sie wurde hier nicht zugrunde gelegt, weil sie voraussetzungsvoller ist: Es wird angenommen, dass Erfahrungen nicht nur bewusst gemacht, sondern auch mit dem Ziel der Veränderung bearbeitet werden. — Empirische Belege lassen sich für beide Thesen finden: So schätzen im westdeutschen Wohlfahrtssurvey 1993 Berufstätige die Arbeit wichtiger ein als Arbeitslose, 1998 aber dreht sich der Zusammenhang um (Böhnke 2000: 445).

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  10. In den westdeutschen Wohlfahrtssurveys schätzen 1993 und 1998 Erwerbstätige die Arbeit wichtiger ein als Personen in der Ausbildung und Rentner (Böhnke 2000: 445 ).

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  11. Dass beruflicher Misserfolg nicht durch erhöhte Wichtigkeit der Familie kompensiert wird, zeigt der westdeutsche Wohlfahrtssurvey: Arbeitslose finden zwar 1993 die Familie um 6 Prozentpunkte häufiger „sehr wichtig“ als Erwerbstätige, 1998 aber um 10 Prozentpunkte seltener (Böhnke 2000: 445). Umgekehrt finden sich bei Hondrich/ Schumacher (1988: 149) Indizien dafür, dass der private Misserfolg der Scheidung durch erhöhtes berufliches Engagement kompensiert wird.

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  12. Der ALLBUS ist eine von Bund und Ländern über die GFSIS (Gesellschaft sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen) finanzierte Umfrage, die vom ZUMA (Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen, Mannheim) und vom Zentralarchiv für empirische Sozialforschung (Köln) realisiert wurde. Dokumentation und Daten sind beim Zentralarchiv für empirische Sozialforschung erhältlich. Die genannten Institutionen tragen keine Verantwortung für die Verwendung der Daten in diesem Beitrag.

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  13. Das „und“ im ALLBUS bedeutet wie immer im alltäglichen Sprachgebrauch „und/ oder”, während das „mit“ in unserer Befragung die Konjunktion beider Elemente ausdrückt.

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  14. Allerdings differenzieren die Kohorte wie die Bevölkerung schärfer an der Peripherie (Rang 3), indem in der Bevölkerung Verwandtschaft, Politik und Religion und in der Kohorte Politik, Verwandtschaft und Religion einander mit deutlichen Abständen folgen. Im Vergleich mit der Bevölkerung rückt also unsere Kohorte die Verwandtschaft noch hinter die Politik. Wie die Bevölkerung aber schiebt die Kohorte die Religion an die äußerste Peripherie. Das überrascht insofern, als die Prägekraft der Religion auf den Lebenslauf stärker sein sollte als die der Politik, und sie daher näher zum Zentrum rücken sollte. Die Spuren der Politik im persönlichen Leben wollen entdeckt werden, aber jeder Mensch stößt früher oder später auf die religiöse Frage nach dem Woher und Wohin des persönlichen Lebens. Folgen politischer Entscheidungen auf das persönliche Leben sind nicht immer auf den ersten Blick spürbar, oft nur dann, wenn man sich um das Verständnis der Zusammenhänge bemüht. Antworten auf die religiöse Frage und moralische Leitlinien werden jedoch „gebraucht“, sobald man im täglichen Leben innehält oder persönliche Lebensentscheidungen treffen muss. Aber offenbar werden die Dinge anders gesehen: Die Politik wird als interessante Erweiterung der privaten Lebensperspektive geschätzt; und die Religion wird nicht als Hilfe der Lebensführung, sondern als Einschränkung der Selbstverwirklichung gewertet. Deshalb wird ihr keine Prägekraft auf den Lebenslauf zugestanden.

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  15. Allerdings kann der Zentralitätsgewinn der Religion wegen der Trennung der Vorgaben Religion und Kirche im 43. Lebensjahr nicht ohne weitere Überlegungen als Gewinn gewertet werden. Während die 30jährigen „Religion und Kirche“ mit 3.0 bewerteten, bewerten die 43jährigen „Religion” mit 3.1 und „Kirche“ (in Abbildung 7.2 nicht dargestellt) mit 2.2. Wenn man die Bewertungen der 43jährigen mittelt, ergibt sich also ein Zentralitätsverlust von Religion und Kirche. Aber die Distanz zwischen Religion und Kirche von fast einem Skalenpunkt im untersten Wertebereich zeigt, dass der Kirche eher Indifferenz als Abneigung entgegengebracht wird. Antworten auf die religiöse Frage nach dem Sinn des Lebens und der Welt werden im Privaten gesucht, dem öffentlichen Angebot steht man gleichgültig gegenüber. Die Verbindung zwischen Religion und Kirche ist nicht mehr selbstverständlich. Dann aber ist es wahrscheinlich, dass schon im 30. Lebensjahr unter „Religion und Kirche” nur Religion verstanden wurde. Die beiden Angaben der 43jährigen sollten nicht gemittelt und die Zunahme des Wertes kann tatsächlich als Zentralitätssgewinn verstanden werden. — Kirche kann darüber hinaus als öffentlicher und Religion — verstanden als kirchenunabhlingiges religiöses Denken und Handeln — als privater Lebensraum aufgefasst werden, so dass sich die größere Zentralität der Religion aus ihrer privaten Qualität ergibt. Im Widerspruch zur Ordnung in Tabelle 7.1 liegt dann ein privater Lebensbereich an der Peripherie. Offenbar ist die Position der Religion im Leben der Person durch einen Widerspruch charakterisiert: Sie ist privat und trotzdem peripher — eben weil sie die Selbstbestimmung einschränkt. — Für alle Lebensbereiche sind die Differenzen im t-Test auf dem 0,1%-Niveau signifikant von Null verschieden — mit Ausnahme des Anstiegs bei der Elternschaft (p=.11)

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  16. Die Ergebnisse für Männer und Frauen werden im folgenden nicht mehr ausgewiesen; entsprechende Abbildungen sind aber im ausführlichen Projektbericht enthalten.

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  17. Auch im Bevölkerungsquerschnitt (Hondrich/Schumacher 1988: 92) und in einer Befragung junger Frauen und ihrer Partner in Nordrhein-Westfalen 1981 (Simm 1991: 325–329) weisen „Hausfrauen“ der Elternschaft um einen halben Skalenpunkte mehr „Raum” zu als der Partnerschaft.

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  18. % der Berufsaussteiger sind Frauen. Aber der Zentralitätsgewinn der Elternschaft beim Berufsausstieg gilt auch für die Minderheit der Männer.

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Meulemann, H. (2001). Das Leben ist das Privatleben. In: Meulemann, H., Birkelbach, K., Hellwig, JO. (eds) Ankunft im Erwachsenenleben. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09269-8_7

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