Zusammenfassung
Der Prozeß des Berufseinstieges beginnt nicht erst mit dem eigentlichen Arbeitsbeginn, sondern wesentliche “Weichen” werden schon einige Zeit vor dem Eintritt ins Unternehmen gestellt: Erwartungen und Bilder über Berufstätigkeit, Arbeit, bestimmte Organisationen werden in der Familie, der Ausbildung (und damit auch in der universitären Ausbildung) vermittelt und gebildet. Aber auch die Segmentierung der Arbeitsmärkte, gesellschaftliche Werthaltungen, selektive erwartungsbildende Informationen über Berufswege uä spielen eine Rolle (vgl Neuberger 1994, 71; Bammé/ua 1983).32 In diesem Kapitel soll aufgezeigt werden, mit welchen Faktoren und Interaktionspartnern sich der einzelne im Vorfeld seiner Berufstätigkeit auseinandersetzt. Die Auseinandersetzung führt zur Entwicklung eines bestimmten Selbstbildes und legt damit fest, mit welcher “Geschichtlichkeit”, mit welchen biographischen 33 Voraussetzungen der einzelne in die Organisation kommt (vgl Krappmann 1975, 43ff).
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Literatur
Es ist unumstritten, daß antizipatorische Sozialisation persönlichkeitsfördernde, aber auch -deformierende Auswirkungen besitzt. Allerdings gibt es innerhalb der Sozialisationsforschung auch Strömungen, die die Arbeitstätigkeit als Bestimmungsfaktor für die Persönlichkeitsentwicklung als wesentlich bedeutsamer als die vorberufliche Sozialisation einschätzen (vgl Heinz 1980, 500ff).
Biographie wird als beständiger Rahmen von Handlungsorientierungen verstanden.
Eine Bedrohung der Identität kann zB durch Arbeitssituationen entstehen, die wenig Handlungsspielraum besitzen, kaum Sozialkontakte gestatten, Qualifikationsanwendungen verhindern .
Der Begriff “antizipatorische Sozialisation „ wird in dieser Arbeit als “ Überbegriff’ für diese Phase verwendet, während Sozialisation in/für den Beruf vor allem auf familiäre und schulische Sozialisation bezogen wird.
Allerdings wird von einigen Autoren ein zunehmender, im Laufe eines Lebens auch öfters stattfindender Wandel von Lebensweisen und Institutionen und damit auch von Arbeit und Beruf festgestellt (vgl Wenzel 1995, 113ff).
Zur Bewertung ihrer Bedeutsamkeit können Kriterien wie Glaubwürdigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Machtposition/Status, Kontinuität zwischen den verschiedenen Instanzen herangezogen werden (vgl Jablin 1987,682).
Die Ausführungen in den nächsten Kapiteln werden mit den in den Interviews erhobenen Erfahrungen ergänzt. Dazu ist allerdings einschränkend zu bemerken: Die Auswirkungen antizipatorischer Sozialisation lassen sich nur schwer und wenn, dann nur indirekt feststellen. Ein wesentlicher Grund liegt in der Zeit, die seit dieser Phase vergangen ist. Die Verläufe wurden in dieser Arbeit nicht fortlaufend, sondern nur retrospektiv erhoben, dh die betroffenen Personen wurden nicht schon am Ende der Schulzeit, sondern viele Jahre später “beobachtet” bzw nach ihren Interpretation befragt. Retrospektiv läßt sich nur schwer sagen, welche Faktoren welchen Einfluß ausgeübt haben, wie diese zusammen gespielt haben. Damit können nur Vermutungen über diese Phänomene angestellt werden.
Allerdings dürften sich die Grenzen zwischen den einzelnen Schichten in den letzten Jahren durch die steigende Bildungsbeteiligung stark verschoben haben. So geht Bartscher (1995, 74f) bspw davon aus, daß durch die Öffnung der Hochschulen gegenüber verschiedenen sozialen Schichten, diese ihrer Funktion als Selektionsinstanz für “passende, loyale” Führungskräfte nicht mehr nachkommt. Bildungsabschlüsse sind nicht mehr knapp. Darum orientieren sich Organisationen zunehmend an extrafunktionalen Qualifikationen, die überwiegend im Sozialmilieu der Ober- und Mittelschicht vermittelt werden. Die Zuweisung von Lebenschancen erfolgt also doch noch nach herkunftsbezogenen Kriterien?!
Vgl Neuberger (1994, 93ff), der dies als Sozialcharakter der Arbeit bezeichnet, dh die Gestaltung der Arbeitsbedingungen sind typisch, allgemein und verbindlich; es erfolgt eine Spezialisierung auf eine stark begrenzte Tätigkeit, die dauernd ausgehalten werden muß; Gleichgültigkeit gegenüber der konkreten Arbeitsaufgabe, Beschränkung der Verantwortlichkeit, Konkurrenzorientierung entstehen.
Im Gegensatz zur familiären Sozialisation beruhen Internalisierungsprozesse kaum auf gefühlsbezogener Identifikation (vgl Traxler 1982, 55).
Kontrollbewußtsein wird verstanden als die kausalen Vorstellungen des einzelnen darüber, wie er sich selbst in Beziehung zur Umwelt sowie Teilbereichen seiner Umwelt sieht (vgl Hoff/Lempert/Lappe 1991, 19).
Sie bietet aber zumindest in Ansätzen die Chance, diese (betrieblichen) Strukturen zu hinterfragen. In wieweit diese Möglichkeit genützt wird, bleibt offen.
Dies hängt sicherlich auch mit der persönlichen Betroffenheit zusammen sowie mit der Erfahrung, daß viele Absolventinnen im Personalbereich beschäftigt sein möchten und dort mit ihrer Berufstätigkeit auch beginnen. Sie stellen auch einen hohen Anteil bei den interviewten Absolventen (10 Frauen, 5 Männer) dar.
Manche Autoren bezeichnen “androgyn” als die Verbindung von weiblichen und männlichen Eigen-schaften. Sie verweisen darauf, daß beide Geschlechter (besonders Führungskräfte) über beide “Pole” (zB Empathie und Qualifikation) verfügen müßten (vgl bspw Cockburn 1988, 25Iff).
Die unterschiedliche Bewertung von männlich und weiblich läßt sich darin verdeutlichen, daß noch kein Manager stolz darauf ist, als weiblicher Mann bezeichnet zu werden (vgl Parkin/Hearn 1987, 327). Die Frau scheint also doch “mehr” Geschlecht zu haben als der Mann?!
Diese Tendenzen und Bewertungen in unserer Gesellschaft sind gekennzeichnet durch Dominanz des Öffentlichen über das Private, der Produktion über die Reproduktion, der bezahlten Arbeit über die häusliche und unbezahlte Arbeit (vgl Parkin/Haern 1987, 327). Durch die geschlechtsspezifische Bewertung entsteht eine tendenziell hierarchische Struktur der Arbeitsplätze, die ständigen Neudefinitionen, Unterteilungen und Fragmentierungen ausgesetzt sind (vgl Cockburn 1988, 228).
Vgl dazu die Rollenbezeichnungen für “ Personalisten” bei Neuberger ( 1991 ).
Damit zusammen hängen auch Eigenschaften des angestrebten Berufes und deren Sichtbarkeit, dh Informationen über das Berufsziel und deren Wahrnehmung sowie Interpretation, damit Identifikationsmög lichkeiten gegeben sind.
Dabei ist zu beachten, daß noch mehr als bei früheren Lebensabschnitten der einzelne nicht nur die subjektive Wahrnehmung und psychische Verarbeitung, sondern auch die Gestaltung und Wahl der eigenen Umwelt beeinflußt (vgl Hoff/Lempert/Lappe 1991, 65).
Qualifizierungs- und Sozialisationsprozesse sind eng miteinander verbunden. Eine Unterscheidung ergibt sich in dem Sinn, daß Qualifizierung das handelnde Aneignen ist, während Sozialisation die Internalisie-rung aktiv ausgeübter Tätigkeiten ist; Identitätsbildung ist dann gegenstands- und interaktionsbezogenes Handeln (vgl Huber 1980, 518).
Dadurch wird bspw das schon in der Schule erlebte Aufteilen von Wissen noch verstärkt. Es stellt sich später dann auch im Unternehmen als ganz selbstverständlich dar, daß verschiedene “Funktionen” (Disziplinen) “nebeneinander” arbeiten.
Auf der sozialen Ebene ist die Beziehung idR anonymer und distanzierter.
Diese kommen zwar aus der Lehrersozialisationsforschung., dürften aber durch die Komplexität der Berufstätigkeit auch auf die Personalwirtschaftsausbildung zutreffen.
Ein Grund liegt möglicherweise in der Einschätzung von “Theorie” als wenig hilfreich in der zukünftigen Handlungspraxis.
Eine ausführliche Darstellung des Konzepts des reflektierten Praktikers erfolgt in Kap 6.
Vgl dazu Auer/Laske ( 1997).
“Praxis”, Betrieb, Arbeit . werden ständig thematisiert; jeder Studierende besitzt Erfahrungen in diesem Bereich.
Diese sind auf Österreich durchaus übertragbar.
Dies hängt vielleicht damit zusammen, daß das Institut die Studienrichtung Wirtschaftspädagogik betreut, und damit Susanne während ihres ganzen Studiums immer wieder mit diesem Institut konfrontiert ist.
Zwischen diesen Subsystemen können Spannungen, Widersprüche, Überforderungen usw auftreten, die sowohl positive wie negative Effekte haben können.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, was der Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen in unserer Gesellschaft konkret impliziert.
Angesichts von Massenuniversitäten, Leistungsdruck, Sparpaket uä ist allerdings die Frage zu stellen, in-wieweit dieser Freiraum noch gegeben ist
Damit besitzt ein Studium durchaus Ähnlichkeiten mit dem Beginn der Arbeitstätigkeit. Allerdings sind dort die Handlungen mit anderen Konsequenzen verbunden, ist der Interaktionszusammenhang meist stabiler, aber auch repressiver.
Berufswahltheorien beziehen sich idR auf die individuelle Übereinstimmung von Selbstbild und beruflichen Anforderungen, bieten aber meist wenig Information über die Arbeitsplatzwahl.
Allerdings muß berücksichtigt werden, daß angesichts der Dynamik der Veränderungen (vor allem auch in der Berufswelt) eine lebenslängliche Planung immer schwieriger wird.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, daß in den wenigen Untersuchungen, die es zum Suchverhalten gibt, die Gruppe der “Neueinsteiger” keine Berücksichtigung findet (vgl Rastetter 1996, 157).
Vgl zu den Möglichkeiten des Hochschulmarketing Rastetter ( 1996, 128ff).
Es gibt auch Stellensucher, die sich auf möglichst viele Stellen bewerben, einerseits um Bewerbungsver-fahren zu “testen” (Erfahrungen zu sammeln), andererseits weil sich die Arbeitsmarktsituation als relativ schwierig für Akademiker darstellt. Sie gehen davon aus, daß bei den zahlreichen Bewerbungen die Chance für eine Stellenzusage steigt.
Erste Entscheidungen (und damit Diagnoseprozesse) werden schon bei der Suche nach Stellenangeboten gefällt. Der individuelle Entscheidungsprozeß beginnt mit dem ersten Tag der Suche.71 Das Auswahlverfahren ist oft mehr ein Ablehnungsverfahren, da die meisten Bewerber zurückgewiesen werden (vgl Rastetter 1996, 303). Dies kann destabilisierende Wirkungen haben und auch zu einer Veränderung im Selbstbild des einzelnen führen (vgl Fisher 1986, 121). Dies kann zu der “Strategie” führen, daß der einzelne seine Suche nur auf jene Stellen einschränkt, bei denen er eine realistische Einstellungschance sieht, um möglichst wenig Enttäuschung zu erleben (vgl Rastetter 1996, 155f)
Allerdings kommt die “Rückmeldefunktion” von Auswahlgesprächen kaum zum Tragen (vgl Rastetter 1996, 304).
Allerdings weiß jeder Akteure, mit welcher Zielsetzung solche offiziellen Informationen von Organisationen gestaltet werden, und wie sie deshalb einzuschätzen sind.
Aber auch das Unternehmen bildet Erwartungen über das zukünftige neue Mitglied und von diesem werdenzT unrealistische Informationen an die Organisationen vermittelt, was zu Konflikten führen kann.
Es ist anzunehmen, daß die zunehmenden Absolventenzahlen zu einer Verlängerung der Zeitspanne zwischen Studienabschluß und der ersten Berufstätigkeit führen. Der Prozeß des Berufsbeginn wird mühsamer und erfolgt über verschiedene “Umwege” (vgl Bartscher 1995, 92ff). Es kann auch dazu führen, daß Arbeitssuchende das erstbeste Angebot annehmen aus Angst vor Ablehnung. Damit wird die Frage bedeutsam, welche Bedeutung Art und Dauer der Übergangsphase für den weiteren Berufsweg haben.
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Welte, H. (1999). “Anticipatory Socialization”: Beeinflussende Faktoren vor dem Eintritt in eine Organisation. In: Der Berufseinstieg von Wirtschaftsakademikern. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-08209-5_3
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-08209-5_3
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