Zusammenfassung
Das ‚emphatische‘ Öffentlichkeitsmodell spricht der Öffentlichkeit eine Schiedsrichterfunktion in sozialen Konflikten zu und sieht im öffentlichen Konfliktaustrag die Chance einer rationalen und humanen Transformierung sozialer Konflikte in gesamtgesellschaftliche Konsense. Die Rationalitäts- und Konsenserwartungen dieses ‚emphatischen‘ Öffentlichkeitsmodells stützen sich vorrangig auf prozedurale Kriterien, wie etwa die Maximalinklusion aller gesellschaftlich relevanten Kräfte, ein weitgehendes Informierungsgebot und eine verständigungsorientierte Kommunikation als originärer Modus öffentlicher Kommunikationsprozesse. Vor dem Hintergrund eines konsensorientierten Öffentlichkeitsmodells erscheinen langanhaltende Konflikte ausschließlich als defizitäre Erscheinungen, die vor allem auf Fehlleistungen publizistischer Kommunikationsprozesse zurückgeführt werden. Um die Frage nach der Angemessenheit der Rationalitäts- und Integrationserwartungen des ‚emphatischen‘ Öffentlichkeitsmodells beantworten zu können, richten wir unser Augenmerk auf die Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas, die den anspruchsvollen theoretischen Unterbau dieses Öffentlichkeitsmodells formuliert hat (vgl. Kap. 9). Habermas‘ Anliegen ist der Entwurf einer modernen Kritischen Theorie, die die heuristischen Potentiale des systemtheoretischen Paradigmas zu nutzen in der Lage ist, zugleich aber dessen affirmativen Charakter durch die Ausweisung eines kritischen Maßstabes zu überwinden versucht (vgl. Kap. 9.1).
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Minch (1991: 89) spricht gar vom „Tribunal der Öffentlichkeit“ und Liminski (1988: 42) im Anschluß an Noelle-Neumann von einer „Urteilsinstanz“.
„Die verständigungsorientierte Kommunikation ist [..] der Inbegriff von Humankommunikation und bildet so auch einen kritischen Maßstab, an dem nicht-verständigungsorientierte Kommunikation als defizitäre Form identifiziert werden kann.“ (Lang 1993: 215)
„Während Systemrationalität sich einzig an der Selbsterhaltung und -erweiterung von Systemen bemißt, orientiert sich kommunikative Rationalität an der diskursiv erzielten Verständigung in der Lebenswelt.“ (Steinbach-Gröbl 1990: 219)
Vgl. auch Habermas 1982b: 573: Lang 1993: 216; Becker 1994.
„Bildung einer rational begründbaren Meinung des einzelnen zu bestimmten gesellschaftlichen Tatbeständen und Herstellung eines demokratisch-orientierten öffentlichen Konsensus über diese Tatbestände.“ (Holzer 1971: 37 f.)
Entsprechende Schlußfolgerungen aus empirischen Analysen der massenmedialen Berichterstattung sind inzwischen Legion (vgl. Kap. 2.4.2).
Vgl. insbesondere Fritscher (1989: 61 ff.), der die gemeinsamen Orientierungen der autopoietischen Systemtheorie und der kritischen Theorie Habermasscher Provenienz systematisch herausarbeitet.
Mit der Ausweisung formaler Voraussetzungen und Bedingungen rationaler Verständigung soll schließlich der Universalitätsanspruch kommunikativer Rationalität, also deren Gültigkeit über die Grenzen inkommensurabler Lebensformen (oder: ‘Sprachspiele’) hinweg, begründet werden (vgl. Wellmer 1986: 75 f.).
Entsprechend heißt es bei Habermas: „Der Begriff des ‘kommunikativen Handelns’ lenkt die Aufmerksamkeit auf die Bindungsenergien der Sprache, auch auf den eingewöhnten Hintergrundkonsens, den wechselseitigen Vertrauensvorschuß und die gewissermaßen naive Verständigungsbereitschaft, mit der wir in der kommunikativen Alltagspraxis rechnen.“ (Habermas 1993: ZB3)
Vgl. zu den weiteren Voraussetzungen und Bedingungen von Diskursen Habermas 1982a: 48 ff.; Vowe 1984: 146 f.; Christoph 1985: 338; Steinbach-Grbbl 1990: 217; Keuth 1993: 156 ff.
Vgl. zu den verschiedenen Komponenten der Lebenswelt Habermas 1982b: 209; Beyme 1992: 266.
Vgl. Taylor 1986: 44; Beyme 1992: 266; Nissen 1992b: 95.
Imperative identifizieren sich selbst, stehen nicht notwendig in einem umfassenden teleologischen Handlungszusammenhang und sind wesentlich offen deklariert (vgl. Wagner/Zipprian 1988: 399; Wenzel/Hochmuth 1989: 248).
Entsprechend heißt es bei Habermas. „Der Hörer versteht einen Imperativ, wenn er weiß, was er tun oder lassen müsse, um den von S erwünschten Zustand >p< herbeizuführen; damit weiß er auch, wie er seine Handlungen an die Handlungen von S anschließen könnte.“ (Habermas 1982a: 403; kursiv im Original)
Unter einer Logik der Argumentation verstehen wir mit Miller diejenigen kommunikativen und kognitiven Verfahren, „die in einem Konflikt angewandt werden, um die relevanten und unmittelbar geltenden, nicht weiter zu hinterfragenden Aussagen zu ermitteln“ (Miller 1992: 46).
Die Kennzeichnung von Argumenten als kommunikative Komplexe impliziert ihre NichtReduzierbarkeit auf den Mitteilungsaspekt. Entscheidend für das Zustandekommen eines Arguments ist mithin der Verstehensakt (vgl. auch Lueken 1992: 219). Vgl. allgemein zur Emergenz der Kommunikation Kap. 4.1.1.
Als Gültigkeitskriterien für (deduktive) Argumente nennt Lumer: (a) Ein Argument besteht aus mindestens zwei Urteilen (i.e. These und Prämisse) und einem Argumentationsindikator, (b) die Prämisse impliziert logisch die These und (c) die Prämisse muß wahr sein (vgl. Lumer 1990: 44–45).
Vgl. auch Richter 1989: 106.
„Für mich steht die Eigenqualität des Wahrnehmens, zum Beispiel das im Vergleich zum Sprechen und Denken hohe Tempo, im Vordergrund, weil mich der Bezug zum Problem der Komplexität und damit die funktionale Unersetzlichkeit des Wahrnehmens interessiert.“ (Luhmann 1971: 303, Anm. 18) Vgl. ferner Loenhoff 1992: 43; McCarthy 1993: 323.
Das von dem kritischen Rationalisten Albert formulierte Begründungs-oder Münchhausen-Trilemma besagt, daß jeder Versuch einer zureichenden Begründung in einen logischen Zirkel, einen unendlichen Regreß oder einen dogmatischen Abbruch der Argumentation führen muß (vgl. Asouzu 1984: 8; Keuth 1993: 204).
Wie Keuth nachweisen kann, hilft hier auch Habermas’ Konzept einer ‘kontrafaktischen Unterstellung einer idealen Sprechsituation’ nicht weiter (vgl. Keuth 1993: 151–162).
Kritisch äußert sich allerdings Schneider zur umstandslosen Etikettierung Kuhns als ‘Relativist’. Die Popularität dieser Identifizierung Kuhns führt Schneider auf eine einseitige Rezeption von Kuhns Arbeiten zurück (vgl. Schneider 1991: 117 ff.).
Vgl. Hauck (1992: 517) und Lueken (1992: 275), die zur gleichen Schlußfolgerung gelangen.
„Je öffentlicher öffentliche Kommunikation, d.h. je größer das Publikum, um so stärker ist das Übergewicht von Laien, also von Nicht-Experten im Hinblick auf die Themen, um die es jeweils geht.“ (Neidhardt 1994b: 13; kursiv im Original)
Im Mittelpunkt des Effizienzmotivs steht die Vermeidung von Reibungsverlusten, die — durch klimatische Probleme, durch interne Kommunikationsschwierigkeiten, mangelnde Arbeitszufriedenheit und Motivationsbarrieren bedingt — einer optimalen Ausnutzung des Rationalitätspotentials diskursiver Verständigungsprozesse im Wege stehen (vgl. Sarcinelli 1990: 34).
Rights and permissions
Copyright information
© 1997 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Hug, D.M. (1997). Öffentlichkeit als Dritte im Konflikt (I). In: Konflikte und Öffentlichkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-07729-9_10
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-07729-9_10
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-12942-6
Online ISBN: 978-3-663-07729-9
eBook Packages: Springer Book Archive