Zusammenfassung
Auf der Ebene ihrer autopoietischen Operationen ist die moderne Gesellschaft in ihren Grundlagen auf funktionale Differenzierung, Codierung und Programmierung festgelegt. Auf der Ebene der Selbstbeobachtung kann dies gesehen und kritisch beurteilt werden. Da diese Gesellschaft jedoch unfähig ist, sich selbst in sich selbst zu repräsentieren, fehlt ihr eine normative Sinngebung, für die man durchgehenden Konsens, wenn nicht gewinnen, so doch voraussetzen könnte. Daher kann eine Selbstbeobachtung nicht in der Art von Propheten von bestimmten Positionen aus an Wesentliches erinnern und den Verfall beklagen. Offenbar werden statt dessen AngstThemen gewählt1, und zwar als Ersatz für die Differenz von Norm und Abweichung. Das führt zu einem neuen Stil von Moral, die sich auf ein gemeinsames Interesse an Angstminderung gründet und nicht mehr auf Normen, bei denen man nur die Abweichung zu vermeiden (oder einzustellen oder zu bereuen) hätte, um angstfrei leben zu können.
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Referenzen
Da es hier nur um Kommunikation geht, klammern wir die Komponente der emotionalen Aufgeregtheit hier und im folgenden aus und behandeln nur (den Ausdruck von) Besorgtheit (worry). Zur Unterscheidung dieser beiden Komponenten des (psychologischen) Angstbegriffs vgl. Ralf Schwarzer, Streß, Angst und Hilflosigkeit: Die Bedeutung von Kognitionen und Emotionen bei der Regulation von Belastungssituationen, Stuttgart 1981, S. 87 ff.; ders.
Da es hier nur um Kommunikation geht, klammern wir die Komponente der emotionalen Aufgeregtheit hier und im folgenden aus und behandeln nur (den Ausdruck von) Besorgtheit (worry). Zur Unterscheidung dieser beiden Komponenten des (psychologischen) Angstbegriffs vgl. Ralf Schwarzer, Worry and Emotionality as Separate Components in Test Anxiety, International Review of Applied Psychology 33 (1984), S. 205–220. Die Unterscheidung ist im sog. Test Anxiety Research ausgearbeitet worden. Weitere Beiträge dazu in den Jahrbüchern Advances in Test Anxiety Research (ab 1982).
Vgl. Anthony, Earl of Shaftesbury, Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times, 2. Aufl., o. O. 1714, Nachdruck Farnborough, Hants., UK 1968, Bd. I, S. 16. Daß an diesem Punkte die theoretische Konstruktion eines Thomas Hobbes kollabiert, ist leicht einzusehen.
Siehe mit dieser Absicht z. B. William W. Lowrance, Of Acceptable Risk: Science and the Determination of Safety, Los Altos, Cal. 1976.
Vgl. als Fallstudien Dorothy Nelkin, The Role of Experts on a Nuclear Siting Controversy, Bulletin of the Atomic Scientists 30 (1974), S. 29–36;
Helga Nowotny, Kernenergie: Gefahr oder Notwendigkeit: Anatomie eines Konflikts, Frankfurt 1979; ferner aus der umfangreichen Literatur etwa
Dorothy Nelkin/Michael Pollak, The Politics of Participation and the Nuclear Debate in Sweden, the Netherlands and Austria, Public Policy 25 (1977), S. 333–357;
Edgar Michael Wenz (Hrsg.), Wissenschaftsgerichtshöfe: Mittler zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, Frankfurt 1983.
Ein guter Indikator: Gerade gute Schulzensuren können bei schulkonformer Einstellung mit mehr Unsicherheit der Selbstbewertung und mit mehr Leistungsangst korrelieren als durchschnittliche. Vgl. Helmut Fend, Selbstbezogene Kognition und institutionelle Bewertungsprozesse im Bildungswesen: Verschonen schulische Bewertungsprozesse den „Kern der Persönlichkeit“?, Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie 4 (1984), S. 251–270. Angesichts gegenteiliger Forschungsergebnisse, vor allem im Hinblick auf leistungsmindernde Effekte von Angst (vgl. Schwarzer, a. a. O., 1981, S. 100 ff.) und dem Befund, daß dies bei Hochintelligenten stärker der Fall ist als bei anderen (vgl. Henk M. van der Ploeg, Worry, Emotionality, Intelligence, and Academic Performance in Male and Female Dutch Secondary School Children, Advance in Test Anxiety Research 3 (1984), S. 201–210), muß die Forschung zu dieser Frage jedoch als unabgeschlossen betrachtet werden.
Vgl. Heinz von Foerster, Observing Systems, Seaside, Cal. 1981, insb. den Beitrag „Objects: Tokens for (Eigen-)Behavior, S. 274 ff.
Jedenfalls haben empirische Forschungen, die dieser Frage nachgegangen sind, zu sehr zu inkonsistenten Ergebnissen geführt. Vgl. Kenneth L. Higbee, Fifteen Years of Fear Arousal: Research on Threat Appeals 1953–1968, Psychological Bulletin 72 (1969), S. 426–444;
Werner D. Fröhlich, Perspektiven der Angstforschung, in: Enzyklopädie der Psychologie, C IV, Psychologie der Motivation, Bd. 2, Hrsg. von Hans Thomas, Göttingen 1983, S. 110–320 (178 ff.).
Vgl. z. B. Franz L. Neumann, Angst und Politik, Tübingen 1954.
Werner Fröhlich, Angst: Gefahrensignale und ihre psychologische Bedeutung, München 1982, S. 27.
So jedenfalls William C. Clark, Witches, Floods, and WonderDrugs: Historical Perspectives on Risk Management, in: Richard C. Schwing/Walter A. Albers, Jr. (Hrsg.), Societal Risk Assessment: How Safe is Safe Enough? New York 1980, S. 287–313. Ähnliches scheint auch für andere Angstbereiche, z. B. für Prüfungsangst zu gelten. Siehe die Ergebnisse bei D. Gertmann et al., Erste Ergebnisse einer Fragebogenuntersuchung zur Prüfungsvorbereitung im Fach Psychologie, in: Brigitte Eckstein (Hrsg.), Hochschulprüfungen: Rückmeldung oder Repression, Hamburg 1971, S. 54–59.
Vgl. für einen Überblick William D. Rowe, An Anatomy of Risk, New York 1977, S. 119 ff., 300 ff.; für eine (umstrittene) quantitative Einschätzung Chauncey Starr, Social Benefit Versus Technological Risk: What is Our Society Willing to Pay for, Science 165 (1969), S. 1232–1238. Diese „double standard“-Hypothese scheint sich empirisch zu halten, auch wenn man zunehmend auf das Hineinspielen anderer Faktoren achtet. Vgl. hierzu Paul Slovic/Baruch Fischhoff/ Sarah Lichtenstein, Facts and Fears: Understanding Perceived Risk, in: Schwing/Albers, a. a. O., S. 181–214 (196, 205 ff.).
Zu Wandel und Adäquität von Risikoperzeptionen in politischer Perspektive etwa Meinolf Dierkes, Perzeption und Akzeptanz technologischer Risiken und die Entwicklung neuer Konsensstrategien, in: Jürgen von Kruedener/Klaus von Schubert (Hrsg.), Technikfolgen und sozialer Wandel: Zur politischen Steuerbarkeit der Technik, Köln 1981, S. 125– 141; ferner mit ausführlichen Literaturberichten und eigenen empirischen Untersuchungen Ortwin Renn, Wahrnehmung und Akzeptanz technischer Risiken, 6 Bde., Jülich 1981.
Bei Angst vor atomaren Katastrophen fällt im übrigen auf, daß sie bewußt (!) kontrainduktiv angesetzt ist, d. h. nicht aus der bisherigen Unfallstatistik Risikoabschätzungen gewinnt, sondern sozusagen frei und haltlos projiziert. Dazu eindrucksvoll im Vergleich zu anderen Risikowahrnehmungen Slovic et al., a. a. O. (1980), S. 193.
Hier ist im übrigen bemerkenswert, daß die Befürchtungen zunehmen, während die Gefahren deutlich abnehmen: ein Fall der oben behandelten Selbstinduktion angstbezogener Kommunikation. In diesem Angstfeld ist auch jener „double standard“ unfreiwillig/freiwillig besonders gut zu beobachten: Man fürchtet sich vor der Nahrungsmittelchemie mehr als vor eigener falscher Ernährung, während man in Wirklichkeit allen Anlaß hätte, es umgekehrt zu sehen.
Im Sinne der Allport Schule. Vgl. insb. Richard L. Schanck, A Study of a Community and Its Groups and Institutions Conceived of as Behaviors of Individuals, Princeton, N. J. 1932; Ragnar Rommetveit, Social Norms and Roles: Explorations in the Psychology of Enduring Social Pressures With Empirical Contributions from Inquiries into Religious Attitudes and Sex Roles of Adolescents from Some Districts in Western Norway, Oslo 1955.
Zur Moral und zur Logik des Warnens vgl. Lars Clausen/Wolf R. Dombrowsky, Warnpraxis und Warnlogik, Zeitschrift für Soziologie 13 (1984), S. 293–307.
Vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme, a. a. O., S. 638 ff.
Siehe auch Niklas Luhmann, The Self-Description of Society: Crisis Fashion and Sociological Theory, International Journal of Comparative Sociology 25 (1984), S. 59–72.
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Luhmann, N. (2004). Angst, Moral und Theorie. In: Ökologische Kommunikation. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-05746-8_19
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