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Der Stellenwert der „Ermittlung“ im Gedächtnis von Auschwitz

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Zusammenfassung

Nicht im Lichte des späteren Werkes von Peter Weiss, sondern im Hinblick auf die Entwicklung der Rahmenbedingungen des Gedächtnisses von Auschwitz möchte ich in diesem Beitrag eine neue Lektüre der „Ermittlung“ versuchen. „Rahmenbedingungen des Gedächtnisses“ meint dabei die Gesamtheit philosophisch-ideologischer Voraussetzungen, die bestimmen, auf welche Weise historische Erfahrungen und Ereignisse zum Zwekke öffentlicher Vermittlung in eine adäquate Form gebracht werden. Diese Rahmenbedingungen sind für die Gesamtheit der Träger dieses Gedächtnisses, d.h. die Gruppierungen (z.B. die Vereinigungen ehemaliger Häftlinge) und die Institutionen (Museen usw.), die sich dieser Vermittlung widmen, niemals identisch gewesen; es steht jedoch außer Zweifel, daß zu gewissen Perioden bestimmte Strömungen eine hegemoniale Stellung einnahmen und daß seit zwei Jahrzehnten eine Kehrtwende stattfindet.

Dabei war Weiss der beste Besucher, den man sich wünschen kann, denn er sah kein fertiges, starres Mahnmal. Er endet mit der Bemerkung, daß „es“ noch nicht vorbei sei, und so hat er mit der ihm eigenen Konsequenz die Judenverfolgung mit anderen Massenverbrechen verglichen, was ihm viele übel genommen haben. Aber ich weiß gar nicht, wie man anders an die Sache herankommen soll als durch Vergleiche.

Ruth Klüger: weiter leben

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Anmerkungen

  1. James Edward Young: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation. Aus dem Amerikanischen von Christa Schuenke. Frankfurt am Main 1992. Künftig im laufenden Text mit der Sigle Y zitiert.

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  2. Vgl. Y 112. Young kommt zu dem Schluß, die „Ermittlung“ biete in dieser Hinsicht „ein Paradebeispiel für die Kunst der ideologischen Auslöschung“ (Y 134).

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  3. Vgl. Franciszek Piper: Estimating the Number of Deportees to and Victims of the Auschwitz-Birkenau Camp. In: Yad Vashem Studies 21 (1991), S. 41–103.

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  4. Vgl. Bernd Naumann: Auschwitz. Bericht über die Strafsache gegen Mulka und andere vor dem Schwurgericht Frankfurt. Frankfurt am Main, Bonn 1965 (künftig im laufenden Text mit der Sigle N zitiert), S. 11. Weiss nennt Naumann als Quelle in: Notizbücher 1960–1971. Frankfurt am Main 1982 (künftig mit der Sigle NB zitiert), S. 391. Weiss konnte die zweibändige Arbeit von Hermann Langbein: Der Auschwitzprozeß. Eine Dokumentation. Wien/Frankfurt am Main/Zürich 1965 (künftig zitiert mit der Sigle L), die nach der Abfassung der „Ermittlung“ erschien, nicht benutzen; es ist aber unabdingbar, sich auf sie zu beziehen.

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  5. Gerald Reitlinger: The Final Solution. London 1953. Man schätzt gegenwärtig, daß der Anteil der getöteten Juden mit mindestens 960.000 Toten (davon 865.000 nicht Erfaßten) im Verhältnis zu den anderen Opfern bei ungefähr 90 % liegt.

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  6. Ich zitiere die „Ermittlung“ mit der Sigle E nach folgender Ausgabe: Stücke I. Frankfurt am Main 1976, S. 257–449.

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  7. Vgl. zu den Polen N 55 und E 357 sowie N 327 und E 378; zu den Sinti und Roma N 370 und E 385 sowie L 362 und E 387 und sogar für einen anonym gewordenen sowjetischen Politkommissar N 227 und E 406. Es versteht sich von selbst, daß die Auslassungen jüdischer Identitäten zahlreicher sind. Eine vollständige Liste findet sich bei Rolf D. Krause: Faschismus als Theorie und Erfahrung. „Die Ermittlung“ und ihr Autor Peter Weiss. Frankfurt am Main/ Bern 1982, S. 632 f. Gern erkläre ich, wieviel ich Krauses großartiger gelehrter Arbeit verdanke.

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  8. Vgl. zu dieser „Reduzierung“ der Juden auf „Verfolgte“, die auch von Young beanstandet wird: „Denn Weiss spricht in seinem Stück nicht von Juden, ja kaum einmal von Opfern, sondern gebraucht statt dessen den juristischen Ausdruck Verfolgte“ (Y 123). NB 256: „Masse immer contra Einzelner - Einzelner Jude Außenseiter - [...] - Nur noch 2 menschliche Typen: Verfolger u Verfolgte“.

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  9. Peter Weiss: Meine Ortschaft. In: P.W.: Rapporte. Frankfurt am Main 1968, S. 113–124; hier S. 114 (Hervorhebung von mir, J.M.Ch.).

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  10. Ruth Klüger hat sich in bezug auf diese Frage nicht getäuscht: „Gewiß, es zieht auch welche, die ohne Touristenneugier und Sensationslust kommen, zu den alten Lagern, aber wer dort etwas zu finden meint, hat es wohl schon im Gepäck mitgebracht. So einer war Peter Weiss, als er einen Aufsatz schrieb, in dem er, nach einem Besuch in Auschwitz, das Lager als ‘seine Ortschaft’ bezeichnet, weil er als Jude verurteilt war, dort zu sterben“ (Ruth Klüger. weiter leben. Eine Jugend. Göttingen 1992. S. 75, Hervorhebung von mir, J.M.Ch.).

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  11. Bekanntlich war sein Vater, der nach den Nürnberger Gesetzen Halbjude war, zum Christentum übergetreten und zeigte offenbar alle Merkmale eines Juden mit schlechtem Gewissen. Vgl. NB 254: „Mein Vater im Purgatorio: seine Bemühungen, sich zu assimilieren, sein ‘Antisemitismus’ aus Furcht, als jüdischer Emigrant erniedrigt zu werden -“.

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  12. Peter Weiss: Abschied on den Eltern. Erzählung. Frankfurt am Main 1961, S. 73. Vgl. auch NB 310: „Ja, ich ging auf diesen Straßen, wurde mitgerissen von diesem Taumel, diesem Geschrei, vom Wunsch, zusammenzugehören mit den Jubelnden -/ aber ich ging auch dort, plötzlich herausgerissen, angepöbelt, bedroht -/ Beide Möglichkeiten waren gegeben - aus beiden Möglichkeiten hattest du etwas zu machen“.

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  13. Vgl. hierzu den aufschlußreichen Beitrag von Irene Heidelberger-Leonard: Jüdisches Bewußtsein im Werk von Peter Weiss. In: Michael Hofmann (Hrsg.): Literatur, Ästhetik, Geschichte. Neue Zugänge zu Peter Weiss. St. Ingbert 1992, S. 49–64.

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  14. Vgl. N 321: „Aber sie seien ja auch täglich belehrt worden, von Schulungsoffizieren, über die Gründe der ganzen Judenvernichtung. Sie hätten gefragt, warum die Juden getötet würden, und es sei geantwortet Worden, weil sie Brunnen vergifteten, Sabotage trieben und Brücken sprengten“ (Hervorhebung von mir, J.M.Ch.).

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  15. Vgl. N 58: „Es können 150 bis 200 gewesen sein. Immerhin vier Lastwagen voll. Es waren Juden und Polen. Auch Frauen? - Auch, jawohl! Auch Kinder? - Im Jahr 41 kamen noch keine Kinder nach Auschwitz. (Hervorhebung von mir, J.M.Ch.)“

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  16. Krause (Faschismus als Theorie und Erfahrung, S. 634) stellt die Hypothese auf, daß es Weiss darum gegangen sei, einer spontanen Reaktion in Deutschland vorzubeugen, die darin bestand, das Schicksal der russischen Gefangenen in Deutschland mit dem der deutschen Gefangenen in Rußland auf eine Stufe zu stellen.

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  17. Vgl. Hannah Arendt: Der Auschwitzprozeß. In: Dies.: Nach Auschwitz. Berlin 1989, S. 99–136.

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  18. Die Tatsache, daß das Gericht sich geweigert hatte, ein Gutachten von Professor Jürgen Kuczynski über die „Verflechtung der wirtschaftlichen Unternehmen mit der Leitung der Konzentrationslager“ anzuhören (vgl. L 941), konnte Weiss nur in dieser Überzeugung bestärken.

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  19. Vgl. NB 328: „Das schreckliche Gefühl: wofür sind sie gestorben? - wurde nach ihnen eine bessere Welt errichtet?“ Dies schrieb Weiss nach seiner Rückkehr aus Auschwitz am 15. Dezember 1964. Vgl. zur Sinnlosigkeit des Todes der ermordeten Juden auch E 336 und Weiss: Meine Ortschaft, S. 123.

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  20. Vgl. NB 397: „weint vor Verzweiflung über diesen Mord an 6 Millionen - der nie wieder gutzumachen ist - Haß gegen sie, die daran beteiligt waren u. die in Deutschland wieder oben sind“.

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  21. Vgl. Peter Weiss: In Gegensätzen denken. Ein Lesebuch. Ausgewählt von Rainer Gerlach und Matthias Richter. Frankfurt am Main 1986, S. 181 f. „Einmal warf er einen jüdischen Häftling zu Boden/ und aus einer vorbeigehenden Kolonne griff er sich einen heraus/ einen mit dem Buchstaben R im Winkel/ Töte den Juden dann bekommst du eine Zigarre rief er/ und der russische Bursche sah auf das Opfer/ und dann ins Gesicht des Henkers/ und spie ihm in die Augen/ Als Adolf Rey den Revolver zog/ schlug ihm der Russe die Waffe aus der Hand/ Da war er schon überwältigt und wurde in den/ Bunker geworfen/ im Totenblock 11“. Festzuhalten ist, daß hier das Wort „Jude“ erscheint. Diese Episode wird tatsächlich wiedergegeben von Alexej Lebdjev in: Auschwitz. Zeugnisse und Berichte. Hrsg. v. H.G. Adler u.a. Frankfurt am Main 1962, S. 260–262. Es ist auch nicht unwichtig, daß „ die Judenbraut“ (NB 272) Lili Tofler anstelle eines antifaschistischen Kämpfers die „Heldin“ des Stückes ist.

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  22. Das Stück enthält Beschreibungen, welche die Korrumpierung der „Prominenten“*, aber auch die fehlende Solidarität unter den „normalen“ Häftlingen belegen. Vgl. zum Beispiel die schreckliche Schilderung des Zeugen 5 im „Gesang vom Lager“ (E 287–289). Es ist festzuhalten, daß Weiss sich in bezug auf die letzteren nicht so sehr auf die Zeugenaussagen des Prozesses, sondern hauptsächlich auf die Dissertation eines Überlebenden von Auschwitz gestützt hat. Vgl. Elie A. Cohen: Human Behavior in the Concentration Camp. New York 1953.

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  23. Vgl. zum Beispiel E 289 und 300.

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  24. Vgl. E 302.

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© 1994 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen

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Chaumont, JM. (1994). Der Stellenwert der „Ermittlung“ im Gedächtnis von Auschwitz. In: Heidelberger-Leonard, I. (eds) Peter Weiss. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-05721-5_6

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