Zusammenfassung
Das Geschick, das Max Webers Begriff und Theorie der Bürokratie bei ihrer Rezeption durch — zumeist amerikanische — Organisationssoziologen zuteil wurde, hat, als Abschnitt aus der Wissenschaftsgeschichte betrachtet, gewisse exemplarische Züge. Fast alle wesentlichen Werke der Organisationssoziologie beziehen sich ausdrücklich auf Weber, dem man allgemein einen bevorzugten Platz unter den Begründern dieses Arbeitsgebietes zuweist. Dabei hat sich die Organisationssoziologie jedoch gar nicht unmittelbar anknüpfend an Weber, angeregt durch ihn und in Weiterführung seiner Analyse der Bürokratie entwickelt, sondern später und aus anderen Wurzeln. Erst rückblickend stellte man fest, daß Webers Bürokratiebegriff bereits eine ziemlich vollständige Liste der Definitionskriterien einer Organisation im modernen soziologischen Sprachgebrauch enthält, wie Weber auch in seiner Behandlung von Bürokratie nahezu alle sozialen Gebilde erwähnte, die man heute unter dem Terminus Organisation zusammenfaßt. Die Illusion der Übereinstimmung war so groß, daß zeitweise der Unterschied zwischen den Begriffen Bürokratie und Organisation verwischt wurde. Bei genauerem Zusehen mußte sich diese Illusion allerdings als solche enthüllen. Das Ergebnis war eine vielfältige Kritik an Weber, dem u. a. vorgeworfen wurde, sein Bürokratiebegriff entstelle die Wirklichkeit, er sei eine nur begrenzt verwendbare historische Kategorie, er sei eine in sich unstimmige Theorie oder er vernachlässige empirisch wichtige Variationen.
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Anmerkungen
Max Weber. Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1947, S. 6–8.
Friedrich Tenbruck etwa meint, Weber sei auf das Feld der Methodologie nur vorübergehend gleichsam „abgedrängt“ worden; vgl. Friedrich Tenbruck, Die Genesis der Methodologie Max Webers, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1959, Bd. 11, S. 573 bis 630.
Reinhard Bendix war es möglich, in seiner Darstellung von Max Webers historischen und zeitgeschichtlichen Analysen auf jede methodologische Diskussion zu verzichten; vgl. Reinhard Bendix, Max Weber — An Intellectual Portrait, New York 1960.
Am klarsten ist der rationale Richtigkeitstypus dargestellt in: Uber einige Kategorien der verstehenden Soziologie, in: Max Weber, Soziologie — Weltgeschichtliche Analysen — Politik, Stuttgart 1956, vor allem S. 102–109, wiewohl die traditionellen Zitate bei der Darstellung des Idealtypus in: Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher Erkenntnis, a. a. O., stehen.
Diese Kritik wird selbst von Peter M. Blau und W. Richard Scott, Formal Organizations, San Francisco 1962, noch vorgebracht (vgl. S. 35), wiewohl die Autoren andererseits erkannt haben, daß Weber „tends to view elements as ,bureaucratic‘ to the extent that they contribute to administrative efficiency“ (S. 34). Z
Besonders klar ist dieses kritische Argument ausgedrückt bei Antklas Lunmann, Lweck — Herrschaft — System: Grundbegriffe und Prämissen Max Webers, in: Der Staat 1964, Bd. 3, S. 129–158;
vgl. aber auch Alvin W. Gouldner, Organizational Analysis, in: R. K. Merton u. a., Hrsg., Sociology Today, New York 1959, S. 400–428.
Vgl. Victor A. Thompson, Administrative Objectives for Development Administration, in: Administrative Science Quarterly 1964, Bd. 9, S. 91–108. 9 3
C. J. Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, Berlin, Göttingen und Heicdemerg
C.J. Friedrich, Some Observations on Weber’s Analysis of Bureaucracy, in: Rt. K. Merron u. a., Hrsg., Reader in Bureaucracy, Glencoe, Ill., 1952, S. 27–33. Für Friedrich wird der einzig richtige Bürokratiebegriff als empirischer Gattungsbegriff induktiv gewonnen; die Webers Idealtypus zugrunde liegende Absicht hat er anscheinend gar nicht verstanden.
Daß Weber sich sehr genau darüber im klaren war, von wie vielen bedingenden IFaktoren ein Urteil „rational“ bzw. „zweckmäßig“ abhängt und daß es deshalb immer nur auf konkrete Umstände relativiert aussprechbar ist, zeigen seine Ausführungen im Aufsatz: Der Sinn der „Wertfreiheit“ der Sozialwissenschaften, a. a. O., vor allem S. 283–303. M
Vielleicht die beste dieser Arbeiten ist T. Burns und G. M. Stalker, The Management or Innovation, London 1961;
vgl. aber auch Eugene Litwak, Models of Bureaucracy which Permit Conflict, in: American Journal of Sociology 1961, Bd. 67, S. 177–184;
A. L. Stinchcombe, Bureaucratic and Craft Administration of Production — A Comparative Study, in: Administrative Science Quarterly 1959, Bd. 4, S. 168–187; R. G. Francis und R. C. Stone, Service and Procedure in Bureaucracy, Minneapolis 1956.
Diese Kritik findet sich bereits in Talcott Parsons’ Einführung zu Max Weber, THie Theory of Social and Economic Organization, Glencoe, Ill., 1947, S. 58–60, wurde mehrfach wiederholt und ist die zentrale These des Buches von R. V. Presthus, The Organizational Society, New York 1962.
Eine fehlende Korrelation stellt Stinchcombe, a. a. O., fest, eine negative Korrelation Stanley H. Udy, Bureaucracy and Rationality in Weber’s Organization Theory, in: American Sociological Review 1959, Bd. 24, S. 791–795.
Siehe hierzu Renate Mayntz, Soziologie der Organisation, Reinbeck bei Hamburg 1963, S. 86–88.
Stellvertretend für viele sei hier lediglich eins der neuesten IBcher genannt, in dem dieser Anspruch besonders ausdrücklich erhoben wird: Theodore Caplow, Principles of Organization, New York 1964. Bereits im Vorwort (S. V) wird behauptet, daß „human organizations are a class of natural phenomena the attributes of which are not time bound or culture bound . . .“, und „ ... a single theoretical model . . . can be used to analyze organizations of any type or size, regardless of their cultural or historical location, and to generate useful predictions“.
Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, a. a. U., S. 126.
Diese Kritik ist z. B. der Ausgangspunkt für Herbert A. Simon in seinem Buch: Administrative Behavior, New York 1950; das Argument wird auch berührt von Michel Crozier, De la bureaucratie comme système d’organisation, in: Europäisches Archiv für Soziologie 1961, Bd. 2.
Vgl. z. B. den Übersichtsbericht und die ausführliche Bibliographie von S. N. Eisenstadt,
Bureaucracy and Bureaucratization — A Trend Report, in: Current Sociology 1958, Bd. 7. 18 So Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964, S. 99.
Vgl. hierzu etwa F. E. Emery und E. L. Trist, Socio-technical Systems, in: C. W. Churchman und M. Verhulst, Hrsg., Management Sciences, Models and Tedhniques, Bd. 2, London 1960, für die die Existenz von Vorgesetztenrollen die notwendige Folge unvollständiger „men-task relations“ ist; oder S. Beer, Love and the Computer, in: Metra 1964, Bd. 3, der verlangt, Entscheidungsprozesse sollten ins System der Organisation hineinprogrammiert werden, um die Intervention von Managern überflüssig zu machen. 20
Luhmann, Funktionen und Folgen a. a. O.. S. 210.
Talcott Parsons, The Analysis of Formal Organizations, in: Structure and Process in Modern Societies, Glencoe, Ill., 1960.
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Mayntz, R. (1965). Max Webers Idealtypus der Bürokratie und die Organisationssoziologie. In: Fijalkowski, J. (eds) Politologie und Soziologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-02843-7_9
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