Zusammenfassung
Eine der tragenden Thesen dieser Arbeit ist die Behauptung des Überdauerns formaler Prinzipien ehemalig inhaltlich orientierter Instinktleistungen, sozusagen der Ausdruck von deren neurologischem primären Substrat. Im Prozeß der Distanzierung von der »alten« Natur, d. h. von der unmittelbar auf körperliche Anpassung drängenden Realität, vergrößern sich die Leistungen des ZNS, werden die direkten Instinktleistungen, bis auf wenige fundamentale, zurückgedrängt, bleiben deren archaische Leitreste. Dabei dupliziert sich der Prozeß der Distanzierung: Einerseits »hält man sich den Feind vom Leibe«, legt zuerst einmal räumliche Distanz zwischen sich und die deutlichsten Exponenten des Anpassungsdruckes; andererseits entsteht ein innerer Dialog zwischen den archaischeren, gefühlsmäßigeren, auf den Leitungsanspruch pochenden alten Teilen des ZNS und seinen neueren Teilen, die zu höherer analytischer Leistung befähigt sind. Count hatte darauf hingewiesen, daß schon die sich im Ablegen des periodisch festgelegten Sexuallebens ankündigende Pansexualität vermutlich eine Verfeinerung der Psyche der höheren Säuger erbracht habe. Die Tatsache und die durch die Situation aufgezwungene Beobachtung der Gleichzeitigkeit mehrerer psychischer (hier noch: instinktgeleiteter) Zustände der sozialen Umgebung mußte die höheren, aber auch älteren Schichten des ZNS permanent ansprechen und »bilden«. Diese größere Lebendigkeit jüngerer Teile der Psyche und die breitere Ansprechbarkeit der älteren Teile führt zu innerem Dialog, zur steigenden Selbst-Gewißheit, endlich zum Selbstbewußtsein und zur langsamen Ablösung von der inhaltlichen Orientierung durch die alten Instinkte. Die Stabilisierung der Distanz konnte dann auch endlich die Distanz zur instinkthaften Antwort auf die Provokationen der »alten« Natur schaffen. Es bleiben nur jene Tendenzen übrig, für die der Herzschlag in seiner Kontinuität und alle früheren und späteren Ordnungsleistungen der Physis der Säuger Modell waren. Sie abzulegen war anatomisch-morphologisch unmöglich, und wäre wenig zweckmäßig gewesen, da die Stabilisierungsleistung auf Ordnungstendenzen und weitere formale Orientierungen angewiesen war. Die Distanzierung mußte »organisiert« werden.
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Literatur
Diese Prozesse werden durch Ergebnisse von Untersuchungen gestörter Familien noch unterstrichen; siehe neuerdings: Bateson, Jackson, Laing, Lidz, Wynne u. a., Schizophrenie und Familie, Frankfurt 1969.
Das ist kein Metaphysikum, sondern nur der Ausdruck des Auf-der-Welt-Seins!
Siehe hierzu M. Mauss über »Techniques du corps«, in (ders.): »Sociologie et Anthropologie«, Paris 1950.
Siehe hierzu wiederum H. Popitz, Prozesse der Machtbildung, Tübingen 1968.
Siehe auch Norbert Elias und Eric Dunning: Zur Dynamik von Sportgruppen — unter besonderer Berücksichtigung von Fußballgruppen, in: Kleingruppenforschung und Gruppe im Sport, 10. Sonderheft 1966 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Zur Problematik durchgeordneter Gesellschaften oder Subkulturen, s. Wolf Lepenies, Melancholie und Gesellschaft, Frankfurt 1969.
In Mecklenburg wurde der fragende Fremde vor nicht langer Zeit gefragt: »Sie sind wohl nicht von hier?«, was — ohne daß es der Fragende bemerken konnte, zur großen Freude der Ortsansässigen auch hieß: »Sie sind wohl etwas blöd!«
Siehe modellhaft hierzu, Heinrich Popitz, Prozesse der Machtbildung, Tübingen 1968.
Diesen Gewinn zu verteidigen war auch immer Adornos Ziel.192 Diese Auffassung unterscheidet sich von der für Marx vorgetragenen bei Alfred Schmidt Der Begriff der Natur…, op. Cit., S. 33.
Siehe hierzu Joseph Niedermann, Kultur. Werden und Wandlungen des Begriffs und seine Ersatzbegriffe Firenze 1941.
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Claessens, D. (1970). Die Legitimation menschlichen Verhaltens; Das Problem der Geltung. In: Instinkt Psyche Geltung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-02593-1_4
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