Zusammenfassung
Im folgenden soll versucht werden, die Funktionswandlungen der betrieblichen Sozialpolitik, insbesondere den Verfall ihrer Abwehr- und Herrschaftsfunktionen und die Entstehung ihrer Kooperationsfunktion, aber auch das Hervortreten ihrer ökonomischen Funktionen, als Begleiterscheinungen und Folgen von Veränderungen in der Herrschaftsstruktur des Industriebetriebes und seiner Stellung innerhalb der industriellen Gesellschaft darzustellen und zu erklären. Dabei wollen wir von der bereits erwähnten These Helmut Schelskys 407 ausgehen, daß das Herrschaftsverhältnis im Industriebetrieb des 19. Jahrhunderts ein „bloßes Machtverhältnis“, d. h. „eine Über- und Unterordnung ohne Legitimität“ und Stabilität gewesen ist. Das soll natürlich nicht heißen, daß es ein völlig illegitimes Herrschaftsverhältnis gewesen sei. Das Bürgertum und die Unternehmerschaft waren von der Legitimität dieses Herrschaftsverhältnisses überzeugt; sie beruhte für sie auf der Rechtmäßigkeit des Arbeitsvertrages, auf dem Eigentum an den Produktionsmitteln und, wie wir gesehen haben, auf dem Schutz und der Fürsorge, die die Unternehmer ihren Betriebsangehörigen angedeihen ließen. Indessen wurden diese Legitimitätsprinzipien von den Arbeitern, vor allem von den in der sozialistischen Arbeiterbewegung organisierten, nicht anerkannt oder doch zumindest in Zweifel gezogen. In dieser Phase befand sich die betriebliche Herrschaft mit den Worten von Guglielmo Ferrero im Zustand der „Vorlegitimität“408. Dieser ist dadurch charakterisiert, daß in ihm zwar die Herrschenden die Legitimitätsprinzipien achten müssen, die Beherrschten sie jedoch nicht anerkennen und im „Zustand eines zumindest latenten Ungehorsams“ verharren.
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Literatur
Vgl. dazu u. a. H. v. Beckerath,Großindustrie und Gesellschaftsordnung, Tübingen und Zürich 1954; R. Rahrendorf,Soziale Klassen und Klassenkonflikt, a. a. 0.,; Th. Geiger,Die Klassengesellschaft im Schmelztiegel, Köln und Hagen 1949; H. Schelsky,Industrie- und Betriebssoziologie, a. a. O.
Vgl. P. R. Hofstätter,Einführung in die Sozialpsychologie, Stuttgart-Wien 1954, S. 120 ff.
Vgl. G. Schmoller,Uber Wesen und Verfassung der großen Unternehmungen, a. a. O., S. 394 ff.; ders., Uber die Entwicklung des Großbetriebes und die soziale Klassenbildung, a. a. O.; E. Abbe,Sozialpolitische Schriften, Jena 1906; W. Rathenau,Vom Aktienwesen, in: Gesammelte Schriften, Bd. 5, Berlin 1918.
Vgl. dazu H. Dersch,Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und die Haftungsbegrenzung aus § 898 RVO, in: H C. Paulssen,Hrsg., Sozialpolitik, Arbeits- und Sozialrecht, a. a. O., S. 203–211; P. Gros,Rechtliche Bindung des Arbeitgebers an betriebliche Sozialleistungen, ebd., S. 227–246; W. Siebert,Bindung und Verpflichtung des Arbeitgebers bei Ruhegeldzahlungen durch eine Pensions-oder Unterstützungskasse, ebd. S. 247–264.
In diesem Sinne hat Heinz Hartmann die formale und die funktionale Autorität der Betriebsführung einander gegenübergestellt und schon in den fünfziger Jahren von einer Funktionalisierung des deutschen Management gesprochen. Siehe H. Hartmann,Authority and Organization in German Management, a. a. O., S. 271. Vgl. auch H. P. Bahrdt,Industriebürokratie, Stuttgart 1958.
A. Gehlen,Soziologische Aspekte des Eigentumsproblems in der Industriegesellschaft, in: Eigentum und Eigentümer in unserer Gesellschaftsordnung, hrsg. von der WalterRaymond-Stiftung, Köln-Opladen 1960, S. 164–184, S. 171.
H. Achinger, J. Höffner, H. Muthesius, L. Neundörfer,Neuordnung der sozialen Leistungen, Köln 1955.
L. Brentano,Schriften des Vereins für Sozialpolitik (Verhandlungen), Bd. 47, Leipzig 1890, S. 125 f.
Vgl. J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied 1962.
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Reichwein, R. (1965). Strukturwandlungen des Industriebetriebes und der Industriellen Gesellschaft. In: Funktionswandlungen der betrieblichen Sozialpolitik. Dortmunder Schriften zur Sozialforschung, vol 26. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-02469-9_5
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