Zusammenfassung
Es gibt wohl kaum einen anderen Religions- und Kulturbereich als den islamischen, wo es im gleichen Maße gerechtfertigt wäre, das Attribut zum alles deckenden Sammelbegriff zu erheben und von „dem Islamischen“ schlechthin zu sprechen. Nirgendwo sonst in irgendeinem kulturo-religiösen Bezugssystem durchdringen sich das Weltliche und das Jenseitige so intensiv und ununterbrochen wie im Islam. Im gleichen Maße, wie der Islam einen Lösungsversuch für die transzendentalen Fragen der sich zu ihm bekennenden Menschen darstellt, ist er auch Rezeptur für die Bewältigung des Irdischen, des Sozialen, des Zusammenlebens der Gläubigen untereinander 1. Und es läßt sich gar nicht so einfach entscheiden, ob denn nun die sozialen Verhaltensregeln des Islam im Dienste der späteren Paradiesgewinnung für die Gläubigen nach deren Tode stehen, oder ob die islamischen Aussagen über die Art und Weise, wie der Gläubige zu seinem Seelenheil gelangen kann, nicht in erster Linie eine soziale Ordnungsfunktion haben, so daß den Verhaltensvorschriften für den Alltag hierdurch ein transzendentaler und damit unanfechtbarer Nachdruck eingeräumt werden kann. Vermutlich ist eine kausal konzipierte Antwort auf diese Frage nach dem Ei und der Henne gar nicht zu geben; am allerwenigsten scheinen aber die Moslems selbst in der Lage zu sein, sich dieser Analyse auszusetzen. Moslems haben eine auch wieder in der religiösen Ethik wurzelnde Scheu, sich und ihre Welt analysierenden Betrachtungen preiszugeben.
Ce signe de la nation potentielle, ou de l’humain en réserve, l’Islam le garde. Mais sous quelle espèce d’institution?
Jacques Berque
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Literatur
Diese theologisch motivierte Strukturierung des Sozialen im Islam ist der wesentliche Grund dafür, daß die islamischen Gesellschaftsreformer bis auf den heutigen Tag immer wieder versuchen, eine Synthese zwischen Islam und moderner Sozialordnung zu schaffen. Vgl. auch hierzu Wolfgang Slim Freund, Islam und arabischer Sozialismus, in: Außenpolitik 1/1971, S. 49–60.
Da die „umma“ das islamozentrische Ordnungsgefüge ist, das die traditionelle islamische Gesellschaft strukturiert, steht die Moschee — architektonisch gesehen — im Zentrum jeder islamischen Dorf-oder Stadtgemeinschaft. Vgl. Ekkehart Hedi Eckert, op. cit., S. 479.
Vgl. etwa Pierre Rondot, l’Islam et les musulmans d’aujourd’-hui, 2 Bd., Paris 1958.
Vgl. hierzu Jürgen Gräbener, Vodou und Gesellschaft in Haiti, in: Internationales Jahrbuch für Religionssoziologie (Religionen im sozialen Wandel) VI/1970, 158–176
Frantz Thébaud, Katholizismus, Vaudou und Ideologie im soziokulturellen Entwicklungsprozeß der Republik Haiti, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft Nr. 13/1969 ( Aspekte der Entwicklungssoziologie ), S. 122–135.
Shmuel N. Eisenstadt, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Eine analytische und vergleichende Darstellung, Teil I, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1/1970, S. 19.
Dto., Teil II, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 2/1970, S. 273.
Uwe Simson, Typische ideologische Reaktionen arabischer Intellektueller auf das Entwicklungsgefälle, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft Nr. 13/1969 ( Aspekte der Entwicklungssoziologie ), S. 136–162.
Benjamin Lee Whorf, Sprache, Denken, Wirklichkeit, Hamburg 1963, S. 12.
Vgl. G. E. v. Grunebaum, Der Islam, in: G. Mann und A. Nitschke, Eds., Propyläen Weltgeschichte, Band 5, Frankfurt 1963, S. 21–179, besonders S. 23–34.
G. E. von Grunebaum ist ein profilierter Verfechter dieser These, insbesondere in seinem Buch „Der Islam im Mittelalter“, Zürich und Stuttgart 1963.
Charles A. Ferguson, Myths about Arabic, in: Josua A. Fishman, Eds., Readings in the Sociology of Language, Den Haag 1968, S. 380/381.
Sigrid Hunke, Allahs Sonne über dem Abendland, Stuttgart 1960.
Bassam Tibi, Eds., Die arabische Linke, Frankfurt am Main 1969, hier: Bassam Tibi, Skizze einer Geschichte des Sozialismus in den arabischen Ländern, S. 7–41.
Herbert Lathy, In Gegenwart der Geschichte, Köln und Berlin 1967, S. 39–100.
Hans-Josef Helmer, Religion und Wirtschaft. Die neuere Kritik der Weberthese. Dissertation, Köln 1970, 619 Seiten.
Maxime Rodinson, Islam et Capitalisme, Paris 1966, S. 127 ff.
Roman Jakobson, Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze, Frankfurt am Main 1969.
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Freund, W.S. (1971). Religionssoziologische und sprachstrukturelle Aspekte des Entwicklungsproblems in der islamischen Welt. In: Religion und Sozialer Wandel Und andere Arbeiten / Religion and Social Change And other Essays. Internationales Jahrbuch für Religionssoziologie / International Yearbook for the Sociology of Religion, vol 7. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01713-4_5
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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