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Zusammenfassung

Die Familien, die ihre Kinder auf die PriWaKi schickten, verstanden sich, wie im ersten Teil dieser Arbeit gezeigt worden ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen als deutsche Familien, bis ihnen der Nationalsozialismus mit brutalen Methoden diese Zugehörigkeit absprach. Viele der Erziehungsbemühungen an der PriWaKi können als unfreiwillige pädagogische Experimente zum Aufbau von Ersatz-Identität betrachtet werden. Das Problem der Identitätssuche war jedoch kein grundsätzlich neues in der Geschichte der deutschen Juden, sondern bei genauer Betrachtung eher ein permanentes, seit sie sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts angeschickt hatten, das Ghetto oder später das Stetl des Ostens und damit die orthodoxe Glaubens- und Lebenswelt zu verlassen. Selbst für die Juden im heutigen Deutschland existiert das Identitätsproblem weiter.167 Bei dem Übergang von eher statischen, traditionsgeprägten Gemeinschaften in eine moderne industrielle Gesellschaft mußte es zwangsläufig Übergangs- und Orientierungsprobleme geben. Das Verlassen der traditionsgebundenen kulturellen und sozialen Welt mochte erleichtern und ein Gefühl neuer Freiheiten und sozialer Möglichkeiten eröffnen, es brachte häufig aber auch ein schlechtes Gewissen über den Verrat an den Überzeugungen und Werten der Vorfahren mit sich. Eine soziale und persönliche Identitätskrise entstand vor allem dann, wenn die erhofften und angestrebten neuen Standards nicht erreicht wurden. Auch bei den Juden, die im 18. und 19. Jahrhundert die Ghettos in Deutschland und später die orthodoxen Gemeinschaften des polnischen Stetls verließen, gab es solche Identitätskrisen — die Romane und Erzählungen von Isaac B. Singer etwa liefern dafür plastische Beispiele.168

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Literatur

  1. Dazu sind inzwischen zahlreiche Bücher und Schriften erschienen, z.B.: Broder, Lang 1979; Fleischmann 1980; Brumlik u.a. 1988; Blasius, Diner 1991; Wojak 1985.

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  2. Ein Beispiel ist die Figur des Euser Heschel in Isaac B. Singers Roman: Die Familie Moschkat (1986).

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  3. Vgl. dazu A. Bein, Bd. II, 1980, S. 328–331. Der Begriff wurde von M. Buber verwendet. Er schrieb am 10. März 1939 in der jüdischen Weltrundschau einen Aufsatz mit dem Titel: „Das Ende der deutsch-jüdischen Symbiose“. Darin heißt es: „Denn die Symbiose von deutschem und jüdischem Wesen, wie ich sie in den vier Jahrzehnten, die ich in Deutschland verbrachte, erlebt habe, war seit der spanischen Zeit die erste und einzige, die die höchste Bestätigung empfangen hat, welche die Geschichte zu erteilen hat, die Bestätigung durch die Fruchtbarkeit. (…) Das war kein parasitäres Dasein; ganzes Menschentum wurde eingesetzt und trug seine Frucht. Aber tiefer noch als durch individuelle Leistung wird die Symbiose durch ein eigentümliches Zusammenwirken deutschen und jüdischen Geistes beglaubigt.” (Zit. in Bein 1980, S. 329)

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  4. Vgl. etwa die Erfahrungen von S. Maimon um 1789 in Berlin; dok. in Ehmann u.a. 1988, S. 69 f. Vgl. auch Meisl 1919.

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  5. Vgl. dazu A. Bein 1985, Bd. 1, 255ff., Bd. 2, 213ff. u. 246 (Heine-Zitat).

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  6. Trotz des zunehmenden Antisemitismus ab den 1870er Jahren und der Entstehung des organisierten Zionismus wurde diese Meinung auch von nüchternen Experten des Judentums, wie z.B. A. Ruppin (1920), bis zum Ersten Weltkrieg vertreten.

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  7. Vgl. dazu Tenorth 1988, S. 203; Blankertz 1982, S. 69ff. u. S. 214.

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  8. Das Frankfurter Philanthropin wurde 1803 als sozialpädagogische Einrichtung für jüdische Waisenkinder gegründet, geriet aber bald in das Fahrwasser der jüdischen Aufklärungspädagogik. Schulträger wurde die jüdische Gemeinde. Als erster Schulleiter wurde 1806 Michael Hess berufen, ein weitgehend assimilierter JeschiwaAbsolvent aus Fürth. In seiner Autobiographie beschreibt Hess die Faszination und den Sog, den die moderne Bildung damals auf die Jeschiwa-Studenten in Deutschland ausübte: „Ein unbestimmter Drang nach Erkenntnis und Wissen bemächtigte sich vieler Jünglinge, die ihre Geisteskräfte nur an talmudischen Studien geübt hatten, und ohne Wegweiser, bloß dem inneren Drange folgend, wurden hebräische und deutsche Werke, Sprachlehren, Lehrbücher der Mathematik, philosophische und poetische Erzeugnisse, ohne Auswahl und mit einem wahren Heißhunger verschlungen.“ (Michael Hess, zitiert in Kurzweil 1987, S. 55) Hess kannte die Schriften Pestalozzis, der Philanthropinisten und auch die Pädagogik der Berliner Freischule.

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  9. „Derech Erez“ heißt wörtlich „Weg des Landes”; gemeint ist die nichtreligiöse Kultur.

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  10. Hirsch, Bd. 1, 1908, S. 262; zit. in Kurzweil 1987, S. 75. Hirsch meinte mit „Derech Erez“ durchaus auch die Bildung in deutscher Kultur, denn er war von Schillers Werken begeistert, doch mied er auch in der weltlichen Bildung die Fixierung auf das Deutschtum, sondern er wollte ein übernationales humanistisches Menschentum erreichen. Sein personales Erziehungsziel war der „Jisroel-Mensch”, der „eine symbiotische Verbindung von allgemeinem Menschentum und gesetzestreuem Judentum darstellte“. (Kurzweil 1987, S. 76)

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  11. Siehe Zentralwohlfahrtsstelle 1933, auch Röcher 1992, S. 95. In Berlin gründete noch 1919 die neo-orthodoxe Austrittsgemeinde Adass Jisroel eine eigene höhere Schule, die auch die Abiturberechtigung erhielt.

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  12. Die philanthropinistisch ausgerichteten Freischulen und auch die privaten konservativen Schulen nach dem Programm der „Thora im Derech Erez“ hatten überwiegend das Niveau von lateinlosen Bürger-und Realschulen; oft mit Französisch als Fremdsprache neben Deutsch und Hebräisch. Auch dadurch wurden vor allem schulgeldzahlende Eltern zur Anmeldung ihrer Kinder bewegt.

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  13. Hierbei gab es allerdings große regionale und länderspezifische Unterschiede. Zu Bayern vgl. Prestel 1994, zu Hessen vgl. Berding, Schimpf 1991, zu Hamburg vgl. Pritzlaff 1994, zu Berlin und Preußen vgl. auch Fehrs 1993.

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  14. Schatzker 1988, S. 19. Zur Identitätskrise der Elterngeneration der PriWaKi-Schülerinnen vgl. ders., S. 22.

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  15. Auch Zwi Erich Kurzweil bezweifelt die These Schatzkers, daß die jüdische Schule im 19. Jahrundert vor allem eine „Sozialisationsagentur zum Deutschtum“ gewesen sei und die nichtjüdischen Schulen wegen des Antisemitismus der „Rücksozialisierung zum Judentum” gedient hätten. Die jüdischen Schulen mögen der Assimilation vielleicht zu wenig entgegengesetzt haben, was aber noch nicht heißen muß, daß damit auch eine aktive Förderung der Assimilation verbunden war. Das jüdische Milieu — es gab nur jüdische Kinder und Lehrer — war an diesen Schulen zweifellos noch sozialisationswirksam. Kurzweil vertritt nachdrücklich den Standpunkt, daß jüdische Schulen zur Erhaltung des Judentums „absolut notwendig“ gewesen seien, „weil nur die jüdische Schule die Chance bietet, eine jüdische Identität weiter zu entwickeln…” (Kurzweil 1987, S. 121)

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  16. Hier wird auch das Motiv für die Bildung jüdischer Vereinigungen deutlich vorgestellt. Die sozialen Zusammenschlüsse und Einrichtungen der deutschen Juden dienten nicht nur der Renaissance des Judentums, sondern wichtig war „vor allem in ihren jugendlichen Kreisen das beglückende Gesinnungserlebnis der Gemeinschaftsbildung. Je stärker ihre deutsche Volkszugehörigkeit von außen bestritten wurde, um so innigere Einkehr hielten sie bei ihrer Liebe zur deutschen Heimat, zur deutschen Sprache und zum deutschen Geistesgut, um so bewußter wurde ihnen die schon fast unproblematische Ganzheit ihrer deutschen und ihrer jüdischen Wesensart.“ (Reichmann 1974, S. 29)

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  17. Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, zu dem auch PriWaKi-Väter gehörten, schrieb am 27. Oktober 1933 in seinem Verbandsorgan „Der Schild“: „Kameraden! Es geht um Deutschlands Ehre und Lebensraum. Da übertönt in uns e i n Gefühl alles andere. In altsoldatischer Disziplin stehen wir mit unserem deutschen Vaterlande bis zum Letzten!” (Zit. in Ehmann u.a., 1988, S. 274) Dies war subjektiv ehrlich und leidenschaftlich ernst gemeint. Faßt man jedoch die Situation 10 Jahre später ins Auge, so erscheint dieser Aufruf als eine grotesk-makabre Ironie, z.B. im Hinblick auf den „Lebensraum“, in dem ja gerade die Juden keinen Platz hatten und deshalb vernichtet worden sind.

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  18. In der Weimarer Republik heirateten in den größeren Städten 20 bis 30 v.H. nichtjüdische Partner, ihre Kinder wurden zu drei Vierteln nicht Juden.

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  19. Als illustrierendes Beispiel mag eine Bemerkung von Bernhard Dernburg, einem ehemaligen Staatssekretär im Reichskolonialamt, dienen, die er gegenüber dem ZVfD-Sekretär Kurt Blumenfeld machte, als dieser Ende der 20er Jahre auch nichtjüdische Förderer für sein Pro-Palästina-Komitee anwarb. Dernburg, dessen Familie schon in der zweiten Generation christlich war, erwiderte Blumenfeld: „Mich können Sie, wenn es Ihnen paßt, ruhig zu den Juden rechnen — die Nichtjuden glauben sowieso, daß ich zu Ihnen gehöre.“ (Zit. in K. Blumenfeld 1961, S. 177)

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  20. Wenn wir den Selbsthaß nur an der verweigerten sozialen Integration festmachen, werden wir allerdings Theodor Lessings Ansatz nicht ganz gerecht, denn dieser nimmt noch tiefergehende Wurzeln an. Danach gründet der Selbsthaß schon in der jüdischen Religion, derzufolge es für den Menschen kein schuldloses Leben geben kann. Danach wäre der Selbsthaß ein andauerndes Los der Juden und kein zeitlich und sozial eingeschränktes Spezifikum. In dieser Arbeit konstatieren wir Selbsthaß jedoch nur, wenn sich ein Entstehungszusammenhang mit der eingeschränkten sozialen Akzeptanz durch die nichtjüdische soziale Umwelt herleiten oder vermuten läßt. Auch P. Gay (1989) hält die Darstellung von Th. Lessing für übertrieben, ohne allerdings die weite Verbreitung von Selbsthaß in Abrede zu stellen.

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  21. Möglicherweise ist dieses Urteil auch zu sehr von zionistischer Kritik bestimmt. Vielleicht haben weniger ideologische oder psychologische Motive, sondern eher praktische Gründe die Eltern davon abgehalten, ihre Kinder auf jüdische Schulen zu schicken. Das müßte weitere Forschung klären.

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  22. Vgl. dazu auch Th. Lessing 1984, S. 30. Oft war der Selbsthaß als „jüdischer Antisemitismus“ auch gegen die Ostjuden als Verkörperung des Jüdischen gerichtet. (Vgl. Gay 1989)

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  23. Zeugnisse, Schulstempel, Briefköpfe etc. trugen weiterhin den Aufdruck „Private Waldschule Kaliski“. Das Namensattribut,jüdisch” wurde erst ab Dezember 1936 und nur dort benutzt, wo die staatliche Schulaufsicht kontrollierte.

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  24. Vgl. Blumenfeld 1962, S. 29. Auch ein anderes biographisches Beispiel zeigt, daß Assimilation das Problem des Jüdischseins psychologisch nicht beseitigen konnte. Reinhard Bendix (geb. 1916 in Berlin), der aus einer assimilierten Familie stammte, die aus der jüdischen Religionsgemeinschaft ausgetreten war, und der selber im Gegensatz zu Blumenfeld assimiliert geblieben ist, schreibt über das Verhältnis zum Judentum in seiner Familie: „Als kleiner Junge und auch als Halbwüchsiger war ich mir nicht bewußt, Jude zu sein. Ich wuchs mit Zitaten aus den deutschen Klassikern, nicht aus der Bibel oder dem Talmud auf. Was meine Schwester betraf, war jüdische Assimilation nicht einmal ein Problem und ich war es kaum gewohnt, daß meine Eltern darüber sprachen. Sie glaubten, dieses Problem aus der Welt geschafft zu haben. Uns Kindern hatte man deutsche und nicht,jüdisch klingende Namen gegeben, und man schärfte uns ein, alles zu unterlassen, was angeblich,jüdische Manieren’ waren.“ (Bendix 1985, S. 219)

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  25. Dies Inferioritätsgefühl beruhte, wie bereits erwähnt, auf dem vermeintlichen Zuspätkommen Deutschlands als Nation. Die Selbstbehauptung im europäischen Kontext wurde schon unter Wilhelm II und besonders nach dem Rücktritt Bismarcks zum aggressiven Akt. Diese Mischung von Unsicherheit und Aggression bestimmte die politische Entwicklung Deutschlands maßgeblich mit und führte zunächst zum Ersten Weltkrieg und schließlich zum „Dritten Reich“.

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  26. Theodor Lessing meinte (ebenso wie Gunther Stent im Gespräch 1989): „Es lebt kein Mensch aus jüdischem Blut, bei dem wir nicht wenigstens Ansätze zum,jüdischen Selbsthasse` fänden.“ (1984, S. 40) Vergleiche dazu auch A. Bein, 1980, Bd. 2, S. 219–221. Hier wird über weitere Aspekte und über Arbeiten zum jüdischen Selbsthaß berichtet, der als verbreitetes Phänomen gelten kann, wenn man nicht nur seine auffälligen Formen registriert. Ebenso P. Gay 1989, S. 210ff.

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  27. Zitiert in A. Ehmann u.a. 1988, S. 288. Das Wort,Rischeskopf stammt aus dem Jiddischen und bezeichnet einen fanatischen Antisemiten.

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  28. Die Lehrpläne wurden entwickelt vom Erziehungsausschuß der „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“, wobei ein Kompromiß gefunden werden mußte zwischen Liberalen, Konservativen und Zionisten. Die Lehrpläne mußten von den Schulen selbst an die Bedingungen einer höheren Lehranstalt angepaßt werden, denn für diese sind keine eigenen Lehrpläne entwickelt worden. Zu den Erziehungszielen und Inhalten der Lehrpläne vgl. Weiss 1991, S. 48f. und 157ff.

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  29. Josef Walk schreibt noch in seinem 1991 erschienenen Buch unter Bezug auf die Schutz-Selver-Diskussion über jüdische Privatschulen: „Bei allem Verständnis für die ökonomischen Beweggründe der aus ihrer Berufslaufbahn geworfenen Lehrer, die sich eine neue Existenz aufbauen wollten, kann man einige geschäftstüchtige Schulmänner nicht von der Schuld freisprechen, mit Propagandamethoden gearbeitet zu haben, die oft,bedenkliche Formen` annahmen. In der auch publizistisch geführten Diskussion:,Gemeindeschule oder Privatschule?’ stand das moralische Recht auf Seiten der Verfechter eines der öffentlichen Kontrolle unterworfenen Schulwesens, welches die Interessen der jüdischen Gemeinschaft und die Bedürfnisse der jüdischen Erziehung allen anderen Beweggründen voranzustellen bereit war.“ (Walk 1991, S. 112)

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  30. Die Bekehrung zum praktischen Zionismus vor 1933 hing von einem Zusammenwirken verschiedener sozialer Faktoren ab, wie der Autor in einer Fallstudie über eine deutsche zionistische Jugendgruppe feststellen konnte. (Vgl. Fölling, Melzer 1989, S. 148ff.) Diese Konstellation sozialer Faktoren war mit pädagogischen Mitteln allein nicht herstellbar, sondern Bildung diente eher der Festigung und Vertiefung von bereits gewonnenen Grundüberzeugungen. Die oben erwähnte zionistische Gruppe nannte sich „Kibbuz Cheruth“, was etwa die Bedeutung von „Kommune Freiheit” hatte und gehörte zum „Brith Haolim“ („Bund der Aufsteigenden”). Einer der führenden Köpfe in diesem Bund war Hugo Rosenthal, der schon 1924 nach Palästina ausgewandert war und 1929 vorübergehend nach Deutschland zurückkam. 1933 übernahm er das Landschulheim Herrlingen und baute es zu einer bewußt jüdischen Schule mit starken zionistischen Elementen auf. Diese Schule kann noch am ehesten als eine „wesensjüdische“ höhere Schule für Kinder aus zumeist liberalen Elternhäusern angesehen werden. Jüdischer als die PriWaKi scheinen aber auch das Landschulheim Caputh bei Potsdam und vor allem das des Predigers Hirsch in Coburg gewesen zu sein. Letzteres blieb jedoch eine Volksschule. Vgl. dazu Feidel-Mertz in Schachne 1989, S. 225ff. Die Religiösen betrieben keine Landschulheime.

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  31. Fast exakt die gleichen Erfahrungen wie in der PriWaKi wurden auf dem Auswandererlehrgut Groß-Breesen in der Nähe von Breslau gemacht, das eines der wenigen nichtzionistischen Vorbereitungszentren für die landwirtschaftliche Arbeit und Auswanderung war. Es wurde von der Reichsvertretung und auch auf Betreiben von Leo Baeck 1936 eingerichtet und nahm hauptsächlich 15- bis 17jährige Jugendliche auf. Obschon durch die enge Gruppenbindung und den Internatsbetrieb gute pädagogische Möglichkeiten vorhanden waren, waren die Bemühungen wenig erfolgreich, lebendige und positive Beziehungen zum Judentum herzustellen: „Die Ursachen dafür lagen in erster Linie in der Herkunft und der elterlichen Erziehung der Lehrgangsteilnehmer. Die Mehrzahl von ihnen entstammte assimilierten Familien des deutschjüdischen Bürgertums, die entweder einer liberalen oder einer Reformgemeinde angehörten, wenn sie nicht gänzlich unreligiös waren. Auch in den deutsch-jüdischen Jugendbünden hatten die Breesener, mit wenigen Ausnahmen, keine tiefgehende religiöse Bindung entwickelt. Wer aber lediglich als,Schicksalsjude` nach Breesen kam, also ohne innere Überzeugung oder Verpflichtung dem Judentum gegenüber, der gewann dort keine andere Einstellung. Schon die Tatsache, daß alle eine nichtzionistische Ausbildungsstätte einer Hachscharastelle vorgezogen hatten, war bezeichnend für ihre Einstellung zum Judentum und prägte sowohl die Zusammensetzung als auch die gesamte Haltung der Gemeinschaft.“ (Angress 1985, S. 62) Die interessant gestalteten Gottesdienste hatten keine religiösen Wirkungen, sondern „die gleiche Wirkung wie das Lesen von Dramen mit verteilten Rollen, die abendlichen Konzerte, Debatten in den Lebenskundestunden und die gemeinsame Landarbeit. Die Jungen und Mädchen wurden überzeugte Breesener statt bewußte Juden mit Ausnahme der wenigen, die schon vor ihrer Ankunft religiös gebunden waren.” (Ebenda, S. 63) Ähnlich war es an der PriWaKi. Aufschlußreich ist auch ein Vergleich mit dem Landschulheim Herrlingen, das sehr viel jüdischer war, sowohl durch ein modernes, an den Vorstellungen von Martin Buber ausgerichtetes Religionsverständnis, als auch durch die ausgeprägte zionistische Einstellung seines Leiters Hugo Rosenthal. Die Erziehung zum jüdischen Bewußtsein scheint hier auf den ersten Blick sehr viel erfolgreicher gewesen zu sein als an der PriWaKi, denn von den 13 Schülerinnen, die (in Schachne 1989) vor einigen Jahren über die Schule geschrieben haben, sind immerhin 7 in Israel geblieben. Auch wenn dies eine nichtrepräsentative Zufallsauswahl ist, ist sie doch auch ein Indiz für die stärkere jüdische und zionistische Erziehung in Herrlingen. Unter den Berichten finden sich einige Beispiele, die den Einfluß der jüdischen Erziehung auch für Kinder aus weitgehend assimilierten Elternhäusern bestätigen. (Vgl. z. B. Ilse Flatow in ebenda, S. 104ff.) Doch gibt es auch mehrere Beispiele dafür, daß dieser Einfluß nur als ein vorübergehender angesehen wurde, der nicht zu einem dauerhaften „Wesensjudentum“ geführt hat. (Vgl. ebenda, S. 56, S. 115) Die Schülerin Leah Shaw, damals Lia Hermann, die zunächst in Herrlingen und dann an der PriWaKi war, schreibt rückblickend über den Erfolg der jüdischen Erziehung: „Ich fand es wunderbar, mehr über Judaismus zu lernen und an den religiösen Festen teilzunehmen. Es schien mir, als ob ich den richtigen Weg endlich gefunden hätte… Nachdem ich Herrlingen verlassen hatte und nicht mehr unter dem Eindruck dieses Milieus stand, gab ich allerdings die Religion sehr schnell auf. (…) Mein jüdisches Wissen und der gründliche Unterricht in der hebräischen Sprache halfen mir sehr viel, als ich nach Palästina kam. Ich hatte nie irgendwelche Schwierigkeiten in Hebräisch, weder mündlich noch schriftlich. Trotz all dieser günstigen Vorbedingungen für ein Einwurzeln in die jüdische Kultur in Palästina ging ich doch mehr meinen Interessen an der englischen Sprache und Kultur nach, ein Interesse, das in mir, nach den Jahren im Landschulheim, in der,Waldschule Kaliski’ geweckt worden war. Mir scheint, daß ich auf diese Weise doch den,Assimilations-Trip’ machte, der mir in Hitlers Deutschland versagt wurde. (…) Ich war bereits von starken assimilatorischen Verhaltensmustern geprägt, bevor ich nach Herrlingen kam. So konnten jüdische Werte und,Jüdischheit` nur als ein gewisser,Lack` wirken, den ich wieder verlor, als ich die Schule verlassen hatte.” (Zit. in Schachne 1989, S. 117f.) Da die jüdische Erziehung an der PriWaKi weniger intensiv war als in Herrlingen, war der Übergangscharakter des dort eventuell erworbenen jüdischen Bewußtseins bei den assimilierten Schülern eher die Regel als die Ausnahme. Dies wird auch durch unsere Befragungen belegt.

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  32. Notiz von Michael Daxner zur Reunion der britischen Alumni in London 1990. Zur Akkulturation der aus Deutschland geflüchteten Juden in Großbritannien vgl. Eva Reichmann 1974, S. 152ff.

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  33. Reichmann 1974, S. 160. Bei den erwähnten britischen Juden handelt es sich zumeist um Ostjuden, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts dort eingewandert waren und sich weniger assimiliert hatten.

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  34. Zur Situation der Juden in den USA vgl. Birnbaum 1992.

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  35. Das Ehepaar Friedlander lebt seit einigen Jahren in Florida. Viele argentinische Juden haben einen zweiten Paß.

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  36. Marianne Friedlander, Brief vom 19.5.1991. Vgl. auch Harprecht, Klaus: Die deutschen Juden in Buenos Aires, In: Frankfurter Allgemeine Magazin vom 14.12.1990. Die Integration ist also nicht so verlaufen wie in den USA oder gar in Großbritannien. Es wird der Satz kolportiert, „ein deutscher Jude in Argentinien sei ein Mensch, der deutsch denke, sein Herz in Israel und sein Konto in der Schweiz habe.“ (Ebenda, S. 32)

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  37. Es gibt in Buenos Aires zwei deutsche höhere Schulen, d.h. deutsch-spanischsprachige Schulen unter deutscher Leitung und mit deutschen Lehrern: die Pestalozzi-Schule und das Goethe-Gymnasium. Die Pestalozzi-Schule wurde (und wird) fast ausschließlich von jüdischen Kindern deutscher Abstammung und von argentinischen Kindern besucht, das Goethe-Gymnasium von nichtjüdischen deutschen und argentinischen Kindern. (Vgl. Harprecht 1990)

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  38. Die Schwierigkeiten der Eltern sind öfter von den Befragten erwähnt worden. Viele — vor allem die in Deutschland so angesehenen Ärzte und Juristen — konnten ihre Berufe nicht mehr ausüben und kaum noch umlernen. Die Mütter mußten häufiger mit Dienstboten-Tätigkeiten die Familie ernähren. Die Probleme eines älteren Juristen mit hohen beruflichen und ethischen Ansprüchen und stark ausgeprägtem „deutschen“ Denken auch während der Verfolgung in Deutschland sowie seine Krisen durch den nicht mehr zu kompensierenden Verlust seines geliebten Berufes werden sehr genau dargestellt in Bendix 1985.

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  39. Wie schon in der Einleitung dargestellt, ist soziale Identität nur als Teilidentität zu verstehen, die zwar die soziokulturelle und personale Identität mitprägt, aber mit diesen nicht identisch ist. Letztere bleiben trotz gemeinsamer Erlebnisse und zeitgleicher biographischer Brüche doch weitgehend spezifisch und individuell, wie die Darstellung ausgewählter Familien-Geschichten und Biographien (auch die der Lehrer) gezeigt haben sollte.

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  40. „marginal man“ ist ein Begriff des Chicagoer Soziologen Robert Park und bezeichnet Randexistenz, Außenseitertum und partielle Gruppenzugehörigkeit und die daraus entstehende Randpersönlichkeit. Nach den Erfahrungen des deutsch-jüdischen Emigranten und Soziologen Reinhard Bendix war und ist dieser Zustand für Juden weder in Deutschland noch im Emigrationsland wirklich zu beheben; jedenfalls nicht für seine Generation. (Vgl. Bendix 1985, S. 23ff. und 327)

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  41. Dieser Eindruck kann täuschen. Vielleicht haben die Frauen die Verletzungen auch nur stärker verinnerlicht, während die Männer ihren berechtigten Zorn offener äußern.

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Fölling, W. (1995). Auf der Suche nach Identität. In: Zwischen deutscher und jüdischer Identität. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01395-2_9

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