Zusammenfassung
Die seit ca. 10 Jahren in vielfältigen Formulierungen wie z. B. „Menschenwürde im Betrieb“, „Verbesserung der Lebensqualität in der Arbeit“ oder „Menschengerechte Gestaltung der Arbeitswelt“ vorgetragene Forderung nach mehr Arbeitsqualität in Organisationen scheint ein fester Bestandteil der gesellschaftspolitischen Diskussion in der BRD geworden zu sein.
Aus Gründen der Vereinheitlichung wurde — statt der juristisch korrekten Abkürzung „BetrVG“ — die Abkürzung BVG gewählt (die Herausgeber).
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Referenzen
Vgl. statt vieler Vetter 1974; Balduin 1972, 139 ff.
Vgl. das Aktionsprogramm des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung und des Bundesministers für Forschung und Technologie: „Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens“.
Vgl. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 1974.
Zu dem Ansatz, Arbeit als Bedürfnisbefriedigungsbeeinträchtigung zu verstehen, sowie zu dessen Konsequenzen für die Kostenrechnung vgl. Steinmann et al. 1975, 71 f., 80 ff.
Als Initiatoren dieses Ansatzes in der BRD, der auch mit „Mitbestimmung am Arbeitsplatz“ umschrieben werden kann, können H. Symanowski, H. Matthöfer und F. Vilmar gelten. Zu Programm und kontroverser Diskussion dieses Ansatzes vgl. Vilmar 1971. Kennzeichnend für die Argumentation seiner Protagonisten in der BRD ist u. a. die weitgehende Vernachlässigung der mit einer sozialen Umstrukturierung der Arbeitsplätze verbundenen technischen Probleme.
Diese Bemühungen stehen ganz in der Tradition einer technizistisch orientierten Arbeitswissenschaft. Zu einer kritischen Analyse traditioneller arbeitswissenschaftlicher Ansätze zur Herstellung menschengerechter Arbeitsbedingungen vgL Ulich/Groskurth/Bruggemann 1973, 8–63.
Hinweise in diesem Zusammenhang auf § 618 BGB, § 62 HGB oder § 120 a GewO, die den Arbeitgeber bereits seit langem zu Schutz von Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer verpflichten, greifen zu kurz, da diese Vorschriften allein auf den klassischen Unfallschutz abzielen, den Menschen aber sonst als beliebig an die technischen Notwendigkeiten anpaßbaren Produktionfaktor ansehen. Weiter darf die praktische Relevanz der von Zöllner (1973, 214) als Anspruchsgrundlage für die Durchsetzung menschengerechter Arbeitsverhältnisse herangezogenen Art. 1 und 2 GG bezweifelt werden.
Als die §§ 90, 91 BVG ergänzende gesetzliche und tarifliche Regelungen können das Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die Arbeitsstättenverordnung und Arbeitsstättenrichtlinien sowie der Lohnrahmentarifvertrag der Metallindustrie für Nordwürttemberg/Nordbaden vom 20.10.73 gelten.
Die begrenzte Reichweite der §§ 90, 91 BVG ergibt sich daraus, daß sie nur bei Veränderungen (§ 90) der bereits bestehenden Arbeitsbedingungen eingreifen und der Betriebsrat bei deren Planung nur ein Mitwirkungsrecht (Recht auf Unterrichtung und Beratung) hat. Dem entspricht dann auch das bloß reagierende Mitbestimmungsrecht nach § 91. Hiernach kann der Betriebsrat Maßnahmen zur Abhilfe, Milderung oder zum Ausgleich von besonderen Belastungen fordern, sofern sie durch eben diese Änderungen der Arbeitsplätze usw. den Arbeitnehmern erwachsen sind und den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Arbeitsgestaltung offensichtlich widersprechen. Auslegungen des § 91, die dessen Regelungsansprüche auch auf bereits bestehende, nicht geänderte Arbeitsbedingungen ausdehen wollen (vgl. Gnade/Kehrmann/Schneider 1972, § 91 Anm. 5; Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 13.12.1972 — 2 VB 30/72), sind indessen mit dem Wortlaut des Gesetzes inkompatibel. Dieser Regelungslücke sollte allerdings unter dem Gesichtspunkt der Humanisierung der Arbeit vom Gesetzgeber abgeholfen werden.
Wie problembeladen diese Vorschriften von Juristen bereits während des Gesetzgebungsverfahrens eingeschätzt wurden, zeigen Bemerkungen, die den § 91 als „Paradebeispiel fur eine verfehlte Aneinanderreihung kaum justitiabler Rechtsbegriffe“ (Dütz 1971, 678) bezeichnen oder bezweifeln, ob die Atbeitswissenschaft „nach ihrem heutigen Stand in der Lage ist, insoweit (d. h. menschengerechte Gestaltung der Arbeit, Einf. d. Verf.) rechtlich zuverlässige Auskünfte zu erteilen“ (Galperin 1971, 44).
Entscheidender Einfluß auf die Durchsetzung menschengerechter Arbeitsplätze dürfte der faktischen Machtverteilung zwischen Kapital und Arbeit auf der Unternehmens- und Betriebsebene zukommen.
Vgl. § 31 Nr.1 ArbstättVO, § 1 Betr.-ÄrzteG, § 6 Nr. 3.1. LTV der Metallindustrie fur Nordwürttemberg/Nordbaden v. 20.10.73.
Zur Begründung und Kennzeichnung dieser doppelten Aufgabenstellung von Wissenschaft vgl. allgemein Lorenzen 1974, 133 ff. und zur Rechtfertigungsbedürftigkeit des faktischen Wissenschaftsbetriebs vgL Lorenz 1973, 79–90.
So ergab z. B. eine Untersuchung des Instituts fur Sozialforschung und Sozialwirtschaft (1976), daß es in der betrieblichen Praxis sowohl an relevantem arbeitswissenschaftlichen Wissen (S. 2), wie auch an betrieblicher Problemlösungskapazität zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen fehlt (S. 4).
Vgl. zu diesem Problem auch die Begründung zum Entwurf eines Betriebsverfassungsgesetzes (Bundestags-Drucksache VI/1786, 49 ff.) oder die schriftlichen Berichte des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung (zur Bundestags-Drucksache VI/2729, 4 f.). Deren Formulierungen sind leider ebenso auslegungsbedürftig wie der Gesetzestext.
Mit dieser Festlegung wird nun nicht die Möglichkeit und — bei einer anderen Interessenorientierung — Notwendigkeit, Arbeit auch unter technischem oder wirtschaftlichem Aspekt zu untersuchen, bestritten. Da aber die technisch-wirtschaftliche Rationalität von Arbeit nicht das Anliegen der §§ 90, 91 BVG ist, kann diesem Problemfeld auch nur mittelbar Bedeutung zukommen. Weiter ist mit der getroffenen Aufgabenzuweisung nicht vorentschieden, wie in der aktuellen Situation Arbeit menschengerecht gestaltet sein son, da z. B. aus der Tatsache, daß Arbeitswissenschaft sich die soziale bzw. gesellschaftliche Dimension von Arbeit mit zum Gegenstand macht, nichts über deren konkrete Gestaltung folgt.
Zur Genese und Analyse artikulierter Auffassungen von Arbeitswissenschaft vgl. ausführlich Welteke 1972, 655 ff.; Prigge 1975, 256 ff.
VgL z. B. das Memorandum der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft 1973 zu „Arbeitswissenschaft in der Gesetzgebung“ oder die „Entschließung zur Fortentwicklung einer interdisziplinären Arbeitswissenschaft“ (1974; wiederabgedruckt bei Fürstenberg 1975 b, 140–144).
Zu den Bemühungen um ein Konzept einer interdisziplinär begründeten Arbeitswissenschaft vgl. Fürstenberg 1975 b, 61 ff..
Die Explikationsbemüühungen zu „gesichert“ reichen von der lapidaren Feststellung, daß als gesichert diejenigen arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse gelten sollten, „die von den Fachleuten des jeweiligen arbeitswissenschaftlichen Bereichs anerkannt sind“ (Gesellschaft füür Arbeitswissenschaft 1973, Pkt. 5), weiter über die Behauptung, daß man die von einem Wissenschaftler oder Praktiker mit wissenschaftlichen Hilfsmitteln an den Tag geförderten Erkenntnisse, „unabhängig davon, ob diese Ergebnisse mit einem geringen oder größeren Unsicherheitsfaktor behaftet sind“ (Schaefer 1973, 62), als gesichert bezeichnen müsse und „fünf Kategorien gesicherter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse“ (Birkwald/Pornschlegel 1973, 96 f.) bis zu der Forderung, nur „dasjenige als gesichert anzusehen, was methodisch erforscht, mit sicheren Erkenntnissen erprobt und auch Allgemeingültigkeit in der Fachwelt erworben hat“ (Natzel 1972, 8). Vgl. weiter auch Rüühl 1973, 149 ff. sowie den Überblick bei Weil 1973, 29 ff. — In juristischen Kommentaren wird i.d.R. auf den Konsens der Fachwelt und die praktische Bewährung der „Erkenntnisse“ abgestellt. Vgl. Fitting/Auffahrt/Kaiser 1972, § 90 Anm. 11; Dietz/Richardi 1973, § 90 Anm. 15 und Fabricius/Kraft/Thiele/Wiese 1973, § 90 Anm. 16.
Der entscheidende Unterschied zwischen einer Ursache-Wirkungs- und Grund-Folge-Relation ist, daß Ursache und Wirkung voneinander logisch unabhängig sind bzw. sein müssen, wenn man sie im klassischen Sinne als solche bezeichnen möchte, wohingegen die Intention mit der Handlung (Folge), dessen Grund sie ja sein soll, logisch verknüpft ist. Will man nämlich die Fragen beantworten, ob ein Aktor eine gewisse Intention hat und ob er genau das Tun zeigt, das durch diese Intention „verursacht“ ist, so erweist sich, daß man die eine Frage nicht beantworten kann, ohne auch die andere zu beantworten; die Intention kann dann auch nicht Ursache des Tuns sein (vgl. Wright 1974, Lorenzen/Schwemmer 1973, 216 f.). 22 Von einer herrschaftsfreien Dialogsituation soll die Rede sein, wenn eine „unvoreingenommene“, „zwanglose“ und „nicht-persuasive“ Beratung möglich ist. Die Beratung ist unvoreingenommen, wenn die Beteiligten bereit sind, ihre Vormeinungen in Frage zu stellen und im Sinne eines vernünftig gebildeten Konsenses aufzugeben oder zu modifizieren; sie ist zwanglos, wenn keine Sanktionen die Akzeptanz oder Verweigerung der Zustimmung zu Begründungen bestimmen, und sie ist nicht-persuasiv, wenn diese Redehandlungen nicht wider besseres Wissen erfolgen. Vgl. Kambartel 1974, 66 ff. 23 Als „vernünftiger Konsens“ soll das Ergebnis einer transsubjektiv geführten Beratung bezeichnet werden. Das Transsubjektivitätsprinzip fordert dazu auf, in Dialogen nur verallgemeinerungsfähige Argumente vorzutragen, alle Argumente zu begründen und nur „stichhaltig“ begründete Argumente zu übernehmen (vgl. Kambartel 1974, 54 ff.). 24 In diesem Sinne läßt sich die in der arbeitswissenschaftlichen und arbeitsrechtlichen Literatur aufgestellte Forderung (vgl. oben S. 35) verstehen, daß zur Auszeichnung von Wissen als „gesichert“ neben der methodischen Herstellung die Anerkennung der Fachkreise treten müsse.
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Gerum, E. (1978). „Gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit“ (§§ 90,91 BVG) als Problem wissenschaftlicher Beratung der Praxis. In: Bartölke, K., Kappler, E., Laske, S., Nieder, N. (eds) Arbeitsqualität in Organisationen. Wirtschaftswissenschaft als Sozialwissenschaft, vol 2. Gabler Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-00161-4_2
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-00161-4_2
Publisher Name: Gabler Verlag, Wiesbaden
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