FormalPara Zusammenfassung

Die Gesundheit der Umwelt und der Menschheit sind untrennbar miteinander verknüpft. Klimawandel und Umweltverschmutzungen wirken sich negativ auf Gesundheit aus und der Gesundheitssektor hat die Aufgabe, dies abzufangen. Gleichzeitig hat der Gesundheitssektor selbst diverse Auswirkungen auf die Umwelt. Dazu zählen unter anderem die Freisetzung von Treibhausgasemissionen, Feinstaub und Luftschadstoffen, aber auch reaktiver Stickstoff und Arzneimittelrückstände im Wasser sowie der Verbrauch knappen Wassers. Diese Umweltauswirkungen entstehen einerseits direkt durch die Aktivitäten von Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen oder durch deren Abfälle. Andererseits entstehen sie indirekt entlang internationaler Lieferketten von z. B. Medizinprodukten und Medikamenten. Während die Wissensbasis zu Treibhausgasemissionen durch den Gesundheitssektor langsam wächst, ist zu anderen Umweltauswirkungen immer noch sehr wenig bekannt. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über den aktuellen Wissensstand und diskutiert deren Auswirkungen für die medizinische Versorgung.

Environmental and human health are inextricably linked. Climate change and environmental pollution have negative effects on health and the health sector is responsible for addressing these effects. At the same time, the health sector itself has diverse impacts on the environment. These include the emission of greenhouse gases, particulate matter and air pollutants as well as reactive nitrogen and pharmaceutical residues in water and the consumption of scarce water. On the one hand, these environmental impacts arise directly from the activities of hospitals and other healthcare facilities or from their waste. On the other hand, they occur indirectly along international supply chains of, for example, medical devices and pharmaceuticals. While the knowledge base on greenhouse gas emissions from the healthcare sector is slowly growing, very little is still known about other environmental impacts. This chapter provides an overview of the current state of knowledge and discusses their implications for healthcare.

1 Einleitung

„Wir Menschen sind als Lebewesen untrennbarer Teil der Natur und trotz aller technischen Errungenschaften letztlich von ihr abhängig“, so formuliert es der „Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen“ (2021). Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, wurde 2015 das Konzept der „planetaren Gesundheit“ (planetary health) formuliert (Whitmee et al. 2015). Es handelt sich um ein transdisziplinäres Konzept, das die Gesundheit der Menschen in enger Verknüpfung mit der Gesundheit der Erde sieht.

In der heutigen geochronologischen Epoche, dem Anthropozän, werden biologische, geologische und atmosphärische Systeme der Erde entscheidend durch die Menschheit beeinflusst (Whitmee et al. 2015). Diese Einflüsse tragen dazu bei, dass planetare Grenzen – oder auch Belastungsgrenzen der Erde – ausgereizt und überschritten werden. Ein Überschreiten dieser Grenzen gefährdet die Stabilität der Ökosysteme der Erde und dadurch die Menschheit. Zu den neun definierten planetaren Grenzen zählen beispielsweise die Landnutzung (veränderte Landschaften durch Siedlungsbau und Landwirtschaft), neue Substanzen (Einbringung neuer Substanzen in die Umwelt, z. B. Flammschutzmittel, Plastik), Zustand der Biosphäre (Arten und genetische Vielfalt; Ökosystem-Funktionen) und der Klimawandel.

Sechs der neun planetaren Grenzen gelten aktuell als überschritten, dazu zählen auch die zuvor genannten planetaren Grenzen. Die drei weiteren planetaren Grenzen wurden bis jetzt noch nicht überschritten, jedoch zeichnet sich eine Tendenz in diese Richtung ab (Richardson et al. 2023).

Das Überschreiten planetarer Grenzen, insbesondere mit Hinblick auf den Klimawandel, hat enorme Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Diese Auswirkungen zeigen sich einerseits auf Ebene der individuellen Gesundheit (z. B. hitzebedingte Todesfälle, Infektionen mit klimasensiblen Erkrankungen wie dem West-Nile-Fieber), was wiederum die Vulnerabilität der betroffenen Person erhöht; andererseits zeigen sich die Auswirkungen auf Systemebene, z. B. durch eine gesteigerte Inanspruchnahme des Gesundheitssystems und damit verbundene Herausforderungen (Romanello et al. 2022).

Die enge Verknüpfung des Klimawandels und anderer Umweltveränderungen mit der menschlichen Gesundheit unterstreicht die Notwendigkeit, ambitionierte Klima- und Umweltschutzziele zu setzen und diese einzuhalten. Als globales Ziel wurde 2015 im Rahmen des Abkommens von Paris eine Beschränkung der Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf „deutlich unter 2 °C“, mit Anstrengungen für eine Beschränkung auf 1,5 °C beschlossen. Auf europäischer Ebene wird eine Klimaneutralität bis 2050 (European Commission 2023) verfolgt, während sich Deutschland ein noch ambitionierteres Ziel steckt: Klimaneutralität bis 2045 (Bundesregierung 2023). Auch für andere Umweltschutzziele, wie den Erhalt von Biodiversität, gibt es wichtige internationale Abkommen, z. B. das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD). 2022 wurde durch den „Globalen Rahmen für Biodiversität“ ein Fahrplan für die gemeinsame Umsetzung der Konvention bis 2030 festgelegt (BMZ 2023).

Der Gesundheitssektor spielt eine wichtige Rolle für die Erreichung dieser Ziele. Die Aktivitäten des Gesundheitssektors wirken sich direkt auf die Umwelt aus, z. B. durch Emissionen von Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen oder durch die von ihm erzeugten Abfälle. Noch wichtiger sind jedoch die indirekten Umweltauswirkungen, die entlang der komplexen internationalen Lieferketten für die Beschaffung von z. B. medizinischen Geräten, Verbrauchsmaterialien und Medikamenten entstehen. Etwa 5 % der weltweiten Treibhausgasemissionen (Romanello et al. 2022) und einen ähnlichen Anteil an toxischen Luftschadstoffen (Lenzen et al. 2020) verantwortet der Gesundheitssektor. Das medizinische Gebot des „Nicht-Schadens“ („primum non nocere“) verpflichtet den Gesundheitssektor in besonderer Weise, die Erde als Lebensgrundlage der Menschheit zu schützen. Für nicht mehr abwendbare Folgen gilt es die von Umweltveränderungen betroffenen Bevölkerungsgruppen bei der Anpassung zu unterstützen (Romanello et al. 2022). Deutschland hat sich gemeinsam mit ca. 70 anderen Ländern (Stand: 18.07.2023) im Rahmen der 26. Weltklimakonferenz mit dem Beitritt zum „COP26 Health Programm“ zu dem Ziel eines klimaresilienten sowie nachhaltigen und klimafreundlichen Gesundheitssystems bekannt (Alliance for Transformative Action on Climate and Health, ATACH; WHO 2023).

Die Verpflichtung zur Erreichung dieser Ziele wird auch durch diverse Vertretungen von Angehörigen der Gesundheitsberufe betont (European Doctors 2023; Global Climate and Health Forum 2018). Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, beschreibt es wie folgt: „Gesundheit und Wohlergehen der Menschen hängen ganz wesentlich vom Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen ab. Klimaschutz ist deshalb immer auch Gesundheitsschutz. Es ist unsere ärztliche Pflicht, auf diese Zusammenhänge aufmerksam zu machen und uns für die Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele einzusetzen.“ (Reinhardt o. J.).

Um die Umweltauswirkungen des Gesundheitssektors zu reduzieren und somit zum Erreichen nationaler und internationaler Ziele beizutragen, ist es wichtig, die Auswirkungen zu kennen. Folglich werden in diesem Beitrag unterschiedliche Umweltauswirkungen des Gesundheitssektors beschrieben, wobei der Schwerpunkt auf Treibhausgasemissionen liegt. Dies rührt daher, dass dies die am besten untersuchte Umweltauswirkung ist. Zusätzlich werden Initiativen vorgestellt, die sich für die Untersuchung der Umweltauswirkungen engagieren. Abschließend wird diskutiert, was die präsentierten Daten für den Gesundheitssektor jetzt und in Zukunft bedeuten.

2 Umweltindikatoren für nachhaltige Gesundheitsversorgung

Die Umweltauswirkungen des Gesundheitssektors gehen über den direkten Betrieb in den Einrichtungen hinaus. Viele der mit dem Gesundheitssektor verbundenen Umweltauswirkungen sind indirekter Natur und entstehen in internationalen Versorgungsketten, die die Produktion, den Transport und die Entsorgung von medizinischen Gütern und Dienstleistungen umfassen. Um die Umweltauswirkungen des Sektors umfassend zu bewerten, stützen sich Wissenschaft und Politik zunehmend auf verbrauchsbasierte Indikatoren, bei denen die Umweltauswirkungen dem wirtschaftlichen Endkonsum zugerechnet werden, wie z. B. verschiedene Umweltfußabdrücke (environmental footprints) (Pichler 2023). Diese Indikatoren messen das gesamte Ausmaß der Umweltauswirkungen des Konsums im Gesundheitssektor und berücksichtigen den gesamten Lebenszyklus von Produkten und Dienstleistungen. Umweltfußabdrücke (darunter auch der Treibhausgas-Fußabdruck) sind gewichtsbasierte Indikatoren, bei denen die Umweltauswirkungen in t / kg angegeben werden (z. B. t CO2-Äquivalente; Lenzen et al. 2020). Im Gegensatz dazu ist der ökologische Fußabdruck ein flächenbasierter Indikator, bei dem der Ressourcenverbrauch oder die Abfallproduktion pro Flächeneinheit (z. B. Hektar) angegeben wird (Hammond 2007). Durch die Anwendung eines verbrauchsbasierten Ansatzes ist es möglich, die umfassenderen Umweltauswirkungen der Gesundheitsversorgung zu ermitteln und anzugehen und gleichzeitig nachhaltige und umweltbewusste Praktiken zu fördern.

Die derzeit einzige Möglichkeit, vollständige und konsistente sektorale Umweltfußabdrücke zu schätzen, ist die Verwendung sogenannter umwelterweiterter (environmentally-extended) multiregionaler Input-Output-Modelle (EE-MRIO). Input-Output-Modelle sind spezielle Arten von ökonomischen Modellen, die die Ströme von Gütern und Dienstleistungen zwischen verschiedenen Sektoren innerhalb einer Volkswirtschaft oder über den internationalen Handel zwischen verschiedenen Volkswirtschaften verfolgen. EE-MRIO-Modelle erweitern Input-Output-Modelle um Umweltdaten. Dadurch können sie die Umweltauswirkungen der Produktion und des Konsums von Gütern und Dienstleistungen berechnen. Sowohl die ökonomischen Input-Output-Daten als auch die Umweltdaten basieren auf den jeweiligen nationalen Statistiken. Hieraus ergibt sich in der Praxis auch die größte Einschränkung für die Genauigkeit der Schätzung. Die sektorale Auflösung der Datenquellen ist in den meisten Ländern sehr begrenzt und in einigen Ländern sind überhaupt keine Daten verfügbar und müssen aus anderen Quellen geschätzt werden.

Im Folgenden werden einige Umweltindikatoren vorgestellt, für die in der wissenschaftlichen Literatur Ergebnisse aus nationalen und internationalen Gesundheitssystemen vorliegen. Die Beschreibung umfasst jeweils die Relevanz des Indikators für die Umwelt und für die menschliche Gesundheit. In den darauffolgenden zwei Kapiteln werden erst Studienergebnisse für den Indikator „Treibhausgasemissionen“ und anschließend für die weiteren Indikatoren dargestellt.

2.1 Treibhausgasemissionen

Umweltrelevanz: Zu den Treibhausgasen (THG) gehören nach dem Kyoto-Protokoll Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Distickstoffoxid (N2O), Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), Schwefelhexafluorid (SF6), Perfluorkohlenstoffe (PFC) und Stickstofftrifluorid (NF3). Diese Gase haben weitreichende Auswirkungen auf die globale Erwärmung, da sie Wärme in der Atmosphäre zurückhalten und so zur Erwärmung beitragen (Umweltbundesamt 2021). Um freigesetzte Mengen und Konzentrationen verschiedener Treibhausgase in der Atmosphäre hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Temperatur an der Erdoberfläche zu vergleichen, wird das Konzept der „CO2-Äquivalente“ (CO2e) angewandt. Dabei wird die Menge eines Treibhausgases in die entsprechende CO2-Menge umgerechnet, die in einem bestimmten Zeitraum die gleiche Erwärmung verursacht. Der Gesundheitssektor trägt zu diesen Emissionen nicht nur durch den Energieverbrauch in den Einrichtungen bei, sondern auch durch indirekte Emissionen aus der gesamten Versorgungskette, einschließlich Produktion, Transport und Abfallwirtschaft (Health Care Without Harm 2019; Pichler et al. 2019).

Auswirkungen auf die Gesundheit: Erhöhte THG-Emissionen führen zu klimabedingten Gesundheitsrisiken wie extremen Wetterereignissen, Hitzewellen und Luftverschmutzung. Zu den gesundheitlichen Auswirkungen zählen hitzebedingte Erkrankungen, Atemwegsprobleme, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die Ausbreitung von Infektionskrankheiten aufgrund veränderter Klimamuster und erhöhter Luftschadstoffe. Diese Ereignisse können auch indirekte negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben, wenn sie die Infrastruktur beschädigen, die Nahrungsmittelproduktion unterbrechen, Menschen zur Flucht zwingen oder die sozialen Determinanten von Gesundheit durch wachsende wirtschaftliche Ungleichheit verschlechtern (Romanello et al. 2022).

In der Regel wird bei der Bilanzierung von Umweltfußabdrücken nur zwischen direkten und indirekten Effekten unterschieden. Erstere umfassen alle Auswirkungen, die direkt im bilanzierten System entstehen (z. B. Verbrennung von Brennstoffen im Krankenhaus), letztere jene, die außerhalb des Systems entlang wirtschaftlicher Vorleistungsketten entstehen (z. B. bei der Produktion medizinischer Güter). Insbesondere bei der Bilanzierung von THG-Emissionen hat sich jedoch eine weitere Unterteilung der indirekten Emissionen durchgesetzt, bei der die indirekten Emissionen aus der Erzeugung der eingekauften Energie gesondert betrachtet werden. Diese Klassifizierung nach drei Scopes gemäß dem Greenhouse Gas (GHG) Protocol wird häufig zur Berechnung der THG-Emissionen von Organisation oder Sektoren verwendet (World Business Council for Sustainable Development & World Resource Institute 2015).

  • Scope-1-Emissionen sind direkte Emissionen aus eigenen oder von der Organisation kontrollierten Quellen. Beispielsweise würden Emissionen aus der Verbrennung von Brennstoffen im Heizkessel eines Krankenhauses oder von krankenhauseigenen Fahrzeugen als Scope-1-Emissionen gelten.

  • Scope-2-Emissionen sind indirekte Emissionen aus der Erzeugung von gekauftem oder bezogenem Strom, Wärme oder Dampf. Bezieht ein Krankenhaus beispielsweise Strom von einem Energieversorger, werden die Emissionen aus den Kraftwerken des Energieversorgers als Scope-2-Emissionen betrachtet.

  • Scope-3-Emissionen sind alle anderen indirekten Emissionen, die in der Lieferkette einer Organisation entstehen. Beispielsweise würden Emissionen aus dem Transport von Gütern und Dienstleistungen zu oder von einem Krankenhaus oder Emissionen aus der Entsorgung des vom Krankenhaus erzeugten Abfalls als Scope-3-Emissionen gelten. Besonders in Dienstleistungssektoren wie dem Gesundheitssektor machen Scope-3-Emissionen den größten Anteil aus.

Die Unterscheidung nach Scopes ermöglicht Organisationen eine bessere Überwachung ihrer THG-Emissionen und erleichtert die Identifizierung und Priorisierung von Möglichkeiten zur Emissionsreduzierung.

2.2 Feinstaub (particulate matter, PM)

Umweltrelevanz: Während des Lebenszyklus von Gesundheitsprodukten und -dienstleistungen wird Feinstaub freigesetzt, z. B. durch Transporte, bei Produktionsprozessen oder Verbrennungsprozessen zur Energieerzeugung zum Betrieb der Industrieanlagen oder bei der Verbrennung ungenutzter Materialien bzw. Abfälle (Manisalidis et al. 2020). Feinstaub beeinflusst die Luftqualität sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene.

Auswirkungen auf die Gesundheit: Unter den umweltbedingten Risikofaktoren ist Feinstaub für die höchste Krankheitslast verantwortlich und steht an siebter Stelle aller Risikofaktoren (Murray et al. 2020). Unterschieden werden Feinstaubpartikel nach ihrem Durchmesser, wobei Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 µm (PM2.5) die größten Auswirkungen auf die Gesundheit haben (Manisalidis et al. 2020). Schätzungen des Lancet Countdown zufolge war PM2.5 im Jahr 2020 weltweit an 4,2 Mio. Todesfällen beteiligt, wovon 1,2 Mio. Todesfälle direkt in Verbindung mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe standen (Romanello et al. 2022). Feinstaub kann u. a. Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z. B. Asthma bronchiale) verursachen und bereits bestehende chronische Erkrankungen verschlimmern. Darüber hinaus wird eine erhöhte Feinstaubexposition mit einer geringeren Lebenserwartung und einer vorzeitigen Sterblichkeit in Verbindung gebracht. Besonders betroffen von den negativen Auswirkungen sind schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen, z. B. Ungeborene, Kinder und chronisch kranke Menschen (Manisalidis et al. 2020).

2.3 Luftschadstoffe (Stickoxide und Schwefeldioxid)

Umweltrelevanz: Der Betrieb von Gesundheitseinrichtungen sowie die Versorgungskette des Gesundheitssektors tragen zur Freisetzung von Stickoxiden (NOx) und Schwefeldioxid (SO2) bei, insbesondere bei der Energieerzeugung und im Verkehr. Auf regionaler und globaler Ebene beeinflussen diese Schadstoffe die Luftqualität und das Klima sowie die Bildung von saurem Regen (Manisalidis et al. 2020).

Auswirkungen auf die Gesundheit: Das Einatmen von NOx und SO2 kann zu Reizungen der Atemwege führen, Atemwegserkrankungen auslösen bzw. verschlimmern und den Zustand bei bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen verschlechtern, was zu Gesundheitsproblemen beiträgt und die Gesundheitssysteme zusätzlich belastet (Manisalidis et al. 2020).

2.4 Reaktiver Stickstoff im Wasser

Umweltrelevanz: Hauptsächlich indirekte Stickstoff-Emissionen aus der Versorgungskette des Gesundheitssektors tragen zum Eintrag von reaktivem Stickstoff in Gewässer bei und verursachen Eutrophierung, Sauerstoffmangel und Schädigung aquatischer Ökosysteme. Ein hoher Anteil der Wasserverschmutzung durch reaktiven Stickstoff ist auf die Landwirtschaft zurückzuführen, z. B. durch Abflüsse von Düngemitteln, Erosion nährstoffreicher Sedimente oder Abwassereinleitungen in die Umwelt (Erisman et al. 2013; Manisalidis et al. 2020).

Auswirkungen auf die Gesundheit: Wasserquellen mit einer hohen Konzentration an reaktivem Stickstoff können zu durch Wasser übertragenen Krankheiten, Magen-Darm-Erkrankungen und anderen Gesundheitsproblemen führen, die sich auf die öffentliche Gesundheit auswirken und Gesundheitsressourcen beanspruchen (Erisman et al. 2013).

2.5 Verbrauch von knappem Wasser

Umweltrelevanz: Die Produktion von Gütern für den Gesundheitssektor braucht Wasser. Wasserknappheit verringert die Artenvielfalt, beeinträchtigt Lebensräume, schädigt Wasserlebewesen und schwächt die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen, was den Klimawandel und die Bodendegradation verschärft.

Auswirkungen auf die Gesundheit: Bedingt durch die globale Erwärmung werden Dürren häufiger, die mit Wasserknappheit einhergehen. Dies beeinträchtigt die menschliche Gesundheit durch eine verminderte Ernährungssicherheit, niedrigere Trinkwasserzufuhr, schlechtere hygienische Bedingungen, erhöhte Gefahr für Waldbrände, höhere Übertragungsraten von Infektionskrankheiten sowie psychische Probleme. Besonders betroffen sind marginalisierte und vulnerable Bevölkerungsgruppen (Romanello et al. 2022).

2.6 Arzneimittelrückstände im Wasser

Umweltrelevanz: Rückstände von Arzneimittelwirkstoffen, ihren Metaboliten sowie Transformationsprodukten gelangen insbesondere über städtische Abwässer, aber auch über Krankenhäuser, Tierzucht und Arzneimittelproduktionsstätten in Gewässer. Dadurch kommt es zu einer Beeinträchtigung von Lebensräumen und Lebewesen. Das Schmerzmittel Diclofenac führt beispielsweise bei Fischen zu einer Schädigung von Leber und Nieren (aus der Beek et al. 2015).

Auswirkungen auf die Gesundheit: Aktuell werden die Arzneimittelrückstände im Wasser nicht als gesundheitsgefährdend eingestuft (aus der Beek et al. 2015). Aufgrund der zunehmenden Alterung der Bevölkerung ist jedoch von einem steigenden Verbrauch an Arzneimitteln auszugehen und damit verbunden auch mit einer steigenden Umweltbelastung. Folglich kann es in Zukunft zu einer veränderten Bewertung gesundheitlicher Auswirkungen kommen (Umweltbundesamt 2022).

3 Treibhausgasemissionen durch den Gesundheitssektor

3.1 Geographische und zeitliche Perspektive

3.1.1 Global

Verschiedene Studien schätzen den Anteil des Gesundheitssektors an den globalen THG-Emissionen auf etwa 5 % (Health Care Without Harm 2019; Lenzen et al. 2020; Pichler et al. 2019; Romanello et al. 2022). Dieser Anteil ist in der Vergangenheit kontinuierlich gestiegen, wie die Ergebnisse des Lancet Countdown (Romanello et al. 2022) zeigen, der jährlich aktualisierte Schätzungen auf globaler und nationaler Ebene veröffentlicht. Absolut gesehen lagen die THG-Emissionen des Gesundheitssektors 2019 global bei 2,7 Gt CO2e. Das ist etwa doppelt so viel wie die THG-Emissionen des gesamten Luftverkehrs (Ritchie et al. 2020). Die Höhe der gesundheitsbezogenen THG-Emissionen ist jedoch von Land zu Land sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen sehr unterschiedlich. Etwa die Hälfte (53 %) des absoluten globalen THG-Fußabdrucks des Gesundheitssektors 2019 entfällt auf die beiden größten Emittenten: China und die Vereinigten Staaten. Die zehn größten Emittenten sind für knapp drei Viertel (73 %) des globalen THG-Fußabdrucks des Gesundheitssektors verantwortlich (Romanello et al. 2022). Die Pro-Kopf-THG-Emissionen des Gesundheitssektors unterscheiden sich deutlich zwischen verschiedenen Ländern (siehe Fig. 17.1). Im Jahr 2019 war der Gesundheitssektor der Vereinigten Staaten der größte Pro-Kopf-Emittent und verursachte ca. 51-mal mehr Emissionen pro Kopf als der Gesundheitssektor in Indien (Romanello et al. 2022).

Abb. 17.1
figure 1

Ländervergleich der THG-Emissionen pro Kopf im Gesundheitssektor. (Quelle: Romanello et al. 2022)

Direkte Emissionen aus Gesundheitseinrichtungen und eigenen Fahrzeugen machen 17 % des Gesamtfußabdrucks des Sektors aus (Scope 1), während indirekte Emissionen aus eingekauften Energiequellen wie Strom, Dampf, Kühlung und Heizung 12 % ausmachen (Scope 2). Der größte Teil der Emissionen, nämlich 71 %, wird der Lieferkette des Gesundheitssektors (Scope 3) zugeschrieben, die die Produktion, den Transport und die Entsorgung von Gütern und Dienstleistungen umfasst, darunter Arzneimittel, Chemikalien, Lebensmittel, landwirtschaftliche Produkte, medizinische Geräte, Instrumente sowie Krankenhausausrüstung (Health Care Without Harm 2019). International entstehen durchschnittlich zwischen 50 und 75 % der Emissionen des Gesundheitssektors, einschließlich der Emissionen aus der Lieferkette, im Inland und der Rest außerhalb des Landes, in dem das Gesundheitsprodukt letztendlich verbraucht wird. Der Verbrauch fossiler Brennstoffe, insbesondere deren Verbrennung, macht weit mehr als die Hälfte des THG-Fußabdrucks des Gesundheitssektors aus, wenn dieser über alle drei Scopes gemessen wird (Health Care Without Harm 2019; Pichler et al. 2019).

3.1.2 Deutschland

Ein sektorales Monitoring der THG-Emissionen oder anderer Umweltwirkungen des Gesundheitssektors existiert in Deutschland nicht (Quitmann et al. 2021). Systematische Berechnungen auf Basis nationaler statistischer Daten liegen lediglich für die THG-Emissionen aus einem Projekt im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (Pichler et al. 2023) sowie für den Ressourcenverbrauch aus einer Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes vor (siehe Sect. 17.4.2 Deutschland; Ostertag et al. 2021).

Die THG-Emissionen des deutschen Gesundheitssektors beliefen sich 2019 auf 68 Mio. t CO2e, was etwa 6 % des gesamten deutschen THG-Fußabdrucks oder etwa 0,8 t CO2e pro Kopf entspricht. Die Gesundheitsausgaben stiegen zwischen 2008 und 2019 mit durchschnittlich 5 % pro Jahr deutlich schneller als das BIP (3,3 %). Die Emissionen des Gesundheitssektors stiegen im gleichen Zeitraum von rund 65 Mio. t CO2e auf 68 Mio. t CO2e. Die Klassifikation der Emissionen kann nach Entstehungsort (direkt, indirekt) oder Scopes gemäß des GHG-Protocols erfolgen (siehe Sect. 17.2.1 Treibhausgasemissionen). Bei der Betrachtung der Emissionen nach Entstehungsort lag der Anteil der direkten Emissionen (Scope 1) 2019 bei rund 9 % (rund 6 Mio. t CO2e). Die deutsche Vorkette mit rund 26 Mio. t CO2e und die ausländische Vorkette mit rund 36 Mio. t CO2e waren für mehr als die Hälfte des THG-Fußabdrucks des deutschen Gesundheitssektors verantwortlich. Nach den Scopes des GHG Protocols stammen etwa 10 % der Gesamtemissionen aus dem Einkauf von Energie (Scope 2) und etwas mehr als 80 % aus dem Einkauf anderer Waren und Dienstleistungen (z. B. Arzneimittel und medizinische Geräte). Die Scope-1-Emissionen sind identisch mit den direkten Emissionen der Klassifikation nach Entstehungsort (Pichler et al. 2023).

3.1.3 Zeitliche Entwicklung

Die globalen THG-Emissionen aus dem Gesundheitssektor steigen: Allein zwischen 2007 und 2019 sind die globalen THG-Emissionen des Gesundheitssektors um fast 70 % von 1,6 auf 2,7 Gt CO2e gestiegen. Somit war der Gesundheitssektor im Jahr 2019 für ca. 5,2 % der globalen THG-Emissionen verantwortlich (siehe Fig. 17.2; Romanello et al. 2022). Nichtsdestotrotz gibt es einige Länder, in denen die Emissionen aus dem Gesundheitssektor trotz steigender Ausgaben sinken (Pichler et al. 2019). Diese sogenannte absolute Entkopplung von Gesundheitsausgaben und Emissionen ist notwendig, um Netto-Null-Ziele im Gesundheitssektor zu erreichen. Bisher ist dies nur in Ländern der Fall, die ausgehend von einem relativ hohen Emissionsniveau ihre Emissionen durch verbesserte Energie- und Treibhausgaseffizienz etwas reduzieren konnten. Im Allgemeinen sind diese Reduktionen nicht auf Klimaschutzmaßnahmen im Gesundheitssektor selbst zurückzuführen, sondern auf Maßnahmen in der Volkswirtschaft insgesamt, insbesondere auf die fortschreitende Dekarbonisierung des Energiesystems. Etwa die Hälfte der THG-Emissionen eines nationalen Gesundheitssektors hängt außer von der Höhe der Gesundheitsausgaben maßgeblich von der Energieeffizienz der Volkswirtschaft und der THG-Intensität des nationalen Energiesektors ab. Diese beiden Faktoren bestimmen nicht nur die Höhe der direkten (Scope 1) und energiebezogenen (Scope 2) Emissionen des Gesundheitssektors, sondern auch einen großen Teil der Scope-3-Emissionen, da die heimische Vorleistungskette im Durchschnitt einen Großteil dieser Emissionen ausmacht (Health Care Without Harm 2019; Pichler et al. 2019).

Abb. 17.2
figure 2

Zeitliche Entwicklung der absoluten THG-Emissionen (a) des globalen Gesundheitssektors und seines Anteils an den gesamten globalen THG-Emissionen (b) zwischen 2007 und 2019. (Quelle: Romanello et al. 2022)

3.2 Treibhausgasemissionen durch verschiedene Ebenen des Gesundheitssektors

Im vorherigen Abschnitt wurden Treibhausgasemissionen des Gesundheitssektors allgemein auf globaler und deutscher Ebene adressiert (siehe Sect. 17.3 Treibhausgasemissionen durch den Gesundheitssektor). Der folgende Abschnitt legt den Fokus auf THG-Emissionen durch verschiedene Ebenen der Gesundheitsversorgung, zu denen bereits detailliertere Daten vorliegen. Zu Beginn werden unterschiedliche Gesundheitseinrichtungen in den Blick genommen: Krankenhäuser, ambulante Pflegedienste und Arztpraxen. Anschließend werden THG-Emissionen entlang von Behandlungspfaden betrachtet und auf die Gruppe der Medizinprodukte und Arzneimittel geblickt.

3.2.1 Gesundheitseinrichtungen

Detaillierte Kenntnisse darüber, wo wie viele THG-Emissionen entstehen, sind essentiell für die Durchführung effektiver Klimaschutzmaßnahmen im Gesundheitssektor. Angehörige der Gesundheitsberufe scheinen jedoch nur eingeschränkt über die Umweltauswirkungen des Gesundheitssektors Bescheid zu wissen, wie Studien nahelegen (Quitmann et al. 2023; Ryan et al. 2020). Das EU-geförderte Projekt „CLIRE – Climate friendly health and care“ formulierte vier Schritte, um die Klimaauswirkungen von Gesundheitseinrichtungen zu reduzieren (siehe Fig. 17.3): Zu Beginn steht die Erfassung der Klimaauswirkungen einer Gesundheitseinrichtung (1), gefolgt von der genauen Untersuchung der Ergebnisse und der Identifikation von Hotspots (2), also der Bereiche oder Prozesse mit besonders starken Klimaauswirkungen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse gilt es Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen (3), die anschließend evaluiert werden sollten (4) (CLIRE 2016). Bei Schritt 1 und 2 sollten sich die Systemgrenzen der Bilanz bewusst gemacht werden, also die Frage, welche möglichen THG-Emissionsquellen (nicht) eingeschlossen wurden.

Abb. 17.3
figure 3

Vier Schritte zur Reduktion der Klimaauswirkungen von Gesundheitseinrichtungen. (Nach CLIRE 2016)

3.2.1.1 Krankenhäuser

Krankenhäuser spielen eine zentrale Rolle im deutschen Gesundheitssystem: Über 16 Mio. Fälle wurden 2021 in Krankenhäusern behandelt (Destatis 2022) und 24 % der deutschen Gesundheitsausgaben fließen an Krankenhäusern (Destatis 2023). Der folgende Abschnitt gibt einen Einblick in THG-Bilanzen von Krankenhäusern und in welchen Bereichen entlang der drei Scopes des GHG Protocols (siehe Sect. 17.2.1 Treibhausgasemissionen) THG-Hotspots liegen.

Die Datenverfügbarkeit zu THG-Emissionen durch deutsche Krankenhäuser ist gering und methodisch heterogen. Nur wenige Krankenhäuser erstellen und veröffentlichen freiwillig THG-Bilanzen. 2020 konnten vier relevante Lücken hinsichtlich der THG-Bilanzen deutscher Krankenhäuser in einer systematischen Übersichtsarbeit identifiziert werden (Quitmann et al. 2021):

(1) Lediglich ein geringer Teil der Krankenhäuser (12 % der Krankenhäuser [n = 232]) veröffentlichte bis Juli 2020 eine THG-Bilanz. Die Bilanzen von 62 Krankenhäusern erfüllten die Einschlusskriterien der Untersuchung und wurden genauer analysiert, wobei folgende weitere Lücken identifiziert werden konnten: (2) Die THG-Bilanzen der Krankenhäuser schlossen Emissionen aus Scope 1 und 2 nur unvollständig ein. Während Strom von 90 % eingeschlossen wurde, wurden z. B. Erdgasverbrauch (77 %) oder Anästhesiegase (2 %) seltener berücksichtigt. (3) Scope 3 wurde von keiner der Bilanzen eingeschlossen, obwohl es für den überwiegenden Anteil der THG-Emissionen verantwortlich ist, wie am Beispiel des Heidelberger Universitätsklinikums erläutert wird. (4) Häufig wurde lediglich CO2 in der THG-Bilanz berücksichtigt und andere Treibhausgase gemäß dem Kyoto-Protokoll, wie zum Beispiel Methan (CH4), ausgeschlossen. Diese Lücken führen dazu, dass selbst die existierenden THG-Bilanzen von Krankenhäusern nur ein sehr unvollständiges Bild abgeben.

Ökologische Nachhaltigkeit und Klimaschutz in Krankenhäusern ist jedoch ein Feld, das in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen hat. Mittlerweile liegen erste THG-Bilanzen von deutschen Krankenhäusern vor, die Scope 3 berücksichtigen. Seit Juli 2023 bietet der KliMeG-Rechner eine kostenfreie und anwendungsfreundliche Möglichkeit, THG-Bilanzen für Gesundheitseinrichtungen zu berechnen (s. Sect. 17.5). Im Folgenden werden Daten zu THG-Emissionen für das Uniklinikum Heidelberg (Fallstudie 1) und für schweizerische Krankenhäuer (Fallstudie 2) vorgestellt. Anhand der beiden Fallstudien soll demonstriert werden, wie die Auswahl der Systemgrenzen bei THG-Bilanzen deren Vergleichbarkeit einschränken kann. Im Kapitel 19 „Klimaschutz in Kliniken: Praxisbeispiele für Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen“ im vorliegenden Krankenhaus-Report 2024 werden Möglichkeiten für Klimaschutzmaßnahmen für Krankenhäuser präsentiert und diskutiert.

Fallstudie 1: Uniklinikum Heidelberg

Im Rahmen des Forschungsprojekts KliOL (Klimaschutz in Kliniken durch Optimierung der Lieferketten), das von der „Nationalen Klimaschutz Initiative“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert wird, wurde eine umfangreiche THG-Bilanz für das Uniklinikum Heidelberg (UKHD) erstellt (Heidelberg Institute of Global Health & Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) 2023). Das UKHD ist mit knapp 2.600 Betten und über 14.000 Mitarbeitenden eines der größten Krankenhäuser Deutschlands (Universitätsklinikum Heidelberg 2023). Neben der klinischen Versorgung ist das UKHD auch im Bereich der Forschung und Lehre aktiv.

Insgesamt emittierte das UKHD im Jahr 2019 ca. 230.000 t CO2e (siehe Fig. 17.4). Während Scope 1 (Anästhesiegase und direkte Energiebezogene Emissionen durch Heizöl, Erdgas und Diesel) und Scope 2 (Strom, Fernwärme, Fernkälte) lediglich ein Viertel der Emissionen verantworten, entstand der große Anteil in Scope 3, also durch vor- und nachgelagerte Prozesse (Franke et al. 2022).

Abb. 17.4
figure 4

Treibhausgasbilanz des Uniklinikum Heidelbergs (UKHD) für 2019; die angegebenen Werte sind in t CO2e, Zahlen in Klammern in %

In Scope 3 spielten insbesondere Medizinprodukte (24 %; jeweils bezogen auf die Gesamtemissionen), Medikamente (13 %) und Mobilität (Transporte der Mitarbeitenden, Patientinnen und Patientinnen, Besuchenden sowie Geschäftsreisen; 13 %) eine große Rolle. Des Weiteren entstanden Emissionen durch den Gebäudebestand („graue Emissionen“) und die Instandhaltung von Technik. Der Einkauf von Lebensmitteln für Mitarbeitende und Patientinnen und Patienten, von anderen Materialien (z. B. Bürobedarf) und von externen Dienstleistungen trug ebenfalls zu den THG-Emissionen bei. Weitere Posten, die in der Bilanz berücksichtigt wurden, waren Abfälle und Abwasser sowie die Vorketten von Energieträgern aus Scope 1 und 2, also Emissionen, die durch die Förderung und den Transport von Energieträgern entstehen. Gemäß dem GHG Protocol werden bei Abfällen für die Berechnung der THG-Emissionen einerseits die Emissionen aus Transporten zum Ort der Verwertung, andererseits die direkten Emissionen aus der Verbrennung von Abfällen ohne eine energetische Nutzung berücksichtigt. Emissionen aus der Entsorgung anderer Abfälle werden nicht dem Krankenhaus zugeschrieben.

Methodisch handelt es sich um eine sogenannte Hybridbilanz. Ein Teil der Emissionen wurde über einen finanzbasierten Ansatz berechnet (z. B. Medizinprodukte und Medikamente), ein anderer Teil über einen verbrauchsbasierten Ansatz (z. B. Anästhesiegase, Strom). Grundsätzlich werden für die THG-Bilanzierung jeweils Aktivitätsdaten (in der Bezugseinheit z. B. €, kg, L) mit Emissionsfaktoren (CO2e pro Bezugseinheit) multipliziert. Beim finanzbasierten Ansatz werden Aktivitätsdaten in Euro ausgewählt, wohingegen beim verbrauchsbasierten Ansatz auf Verbräuche (z. B. in kg oder L) zurückgegriffen wird.

Fallstudie 2: Schweizer Krankenhäuser der Akutversorgung

Für 33 Schweizer Krankenhäuser der Akutversorgung wurden Lebenszyklusanalysen durchgeführt, die u. a. auch die THG-Emissionen umfassten. In dieser Studie waren die Hotspots das Heizen (26 %; jeweils bezogen auf die Gesamtemissionen), gefolgt von der Speiseversorgung (17 %), der Gebäudeinfrastruktur (15 %) und Medikamenten (12 %). Medizinische und hauswirtschaftliche Produkte verantworteten hingegen lediglich 7 % der Gesamtemissionen (Keller et al. 2021). Weitere Posten, die in der Studie berücksichtigt wurden, waren Strom (9 %), Abfall und Abwasser (5 %), elektronische Geräte (3 %), Wäscherei und Wasserverbrauch (2 %), Textilien (2 %), Papierverbrauch und Drucken (2 %) sowie große medizinische Ausrüstung (1 %).

Eingeschränkte Vergleichbarkeit von THG-Bilanzen

Beispiel Uniklinikum Heidelberg – Schweizer Krankenhäuser: Vergleicht man die zuvor präsentierten THG-Bilanzen des Uniklinikums Heidelberg (UKHD) und schweizerischen Krankenhäusern, fällt insbesondere bei den Medizinprodukten ein großer Unterschied auf. Während am UKHD Medizinprodukte knapp ein Viertel der THG-Emissionen ausmachen, sind medizinische und hauswirtschaftliche Produkte bei den untersuchten schweizerischen Krankenhäusern lediglich für 5 % der THG-Emissionen verantwortlich. Ein Aspekt, der diese Differenz erklären kann, ist die Wahl der Systemgrenzen bei den jeweiligen Studien, also die Entscheidung, welche Emissionsquellen (nicht) berücksichtigt werden. Für die Bilanz des UKHDs wurden jegliche Medizinprodukte über einen finanzbasierten Ansatz eingeschlossen (Ausgaben für Medizinprodukte in Euro), wohingegen in der schweizerischen Studie lediglich ausgewählte Medizinprodukte (z. B. Schuhüberzieher, Verbände, chirurgische Einweginstrumente aus Metall) berücksichtigt wurden. Des Weiteren kann dieser Unterschied in den Bilanzen durch unterschiedliche Methodiken (finanz- vs. verbrauchsbasierter Ansatz) erklärt werden. Auch können eventuell tatsächliche Differenzen in der THG-Intensität der eingekauften Medizinprodukte oder Differenzen in der Menge der verbrauchten Medizinprodukte zu den unterschiedlichen Ergebnissen beigetragen haben. Inwieweit diese beiden Aspekte den Unterschied erklären, kann bei den vorliegenden Studien aufgrund unterschiedlicher Berechnungsmethodiken nicht beurteilt werden. Um die Vergleichbarkeit von THG-Bilanzen verschiedener Krankenhäuser zu erleichtern, sollten die gewählten Systemgrenzen kenntlich gemacht und idealerweise einheitlich gezogen werden.

3.2.1.2 Ambulante Pflegedienste

Fünf Millionen pflegebedürftige Menschen leben in Deutschland, davon wird gute eine Million durch ambulante Pflege- und Betreuungsdienste zu Hause versorgt (Destatis 2021). Dies ist also ein wichtiger Teil des deutschen Gesundheitssektors. Ein niedersächsischer mittelgroßer ambulanter Pflegedienst mit 132 Patientinnen und Patienten wurde hinsichtlich seiner THG-Emissionen untersucht (Keil und Grün 2022). Dabei wird der gesamte Ausstoß auf 282 kg CO2e pro pflegebedürftige Person und Jahr berechnet. Die größte THG-Emissionsquelle für den Pflegedienst ist das Benzin für die Autos. 69 % der Gesamtemissionen entstehen durch das Verbrennen des Kraftstoffs und weitere 18 % durch die Produktion des Benzins. Hingegen ist der Stromverbrauch der Verwaltung nur mit 3 % und die Wärmeversorgung der Verwaltungsgebäude durch Gas mit 9 % der Gesamtemissionen zu benennen.

Die Mobilität ist folglich mit über 85 % der Gesamtemissionen der THG-Emissionshotspot und bietet sich für Reduktionsmaßnahmen an. Durch die Umstellung der Flotte von Benzin auf Dieselmotoren würden die THG-Emissionen bereits um 7 % der Gesamtemissionen sinken, was ca. 20 kg CO2e pro pflegebedürftige Person und Jahr entspricht. Ein deutlich höheres Einsparpotenzial entstünde wenn die Verbrennermotoren durch Elektroautos ersetzt würden. Hier könnten zwischen 26 und 30 % der Gesamtemissionen eingespart werden. Allerdings wird bei der Umstellung der Flotte die Relevanz einer ganzheitlichen Lebenszyklusbetrachtung deutlich. Da Elektroautos einen vergleichsweise hohen THG-Ausstoß in der Produktion haben, würde das Weglassen dieses Prozesses das Ergebnis verzerren und ein Reduktionpotenzial von ca. 50 % angeben, sodass die tatsächlichen Reduktionsmöglichkeiten überschätzt würden.

In die Berechnung wurden alle Produkte einbezogen, die von dem ambulanten Pflegedienst selbst erworben wurden, d. h. beispielsweise wurden von den Pflegebedürftigen beschaffte Medikamente nicht dem Pflegedienst zugeschrieben. Laut einer englischen Studie machen diese allerdings 10 % der THG-Emissionen der ambulanten Pflege und 60 % der Primärversorgung aus (Tennison et al. 2021). Bei der Nutzung von Daten der präsentierten Studie sollte diese Auswahl der Systemgrenzen als Einschränkung der Ergebnisse mitbedacht werden.

3.2.1.3 Arztpraxen

Für die ambulante medizinische Versorgung in Deutschland spielen die knapp 65.000 Arztpraxen eine Schlüsselrolle (Statista 2021). Zehn schweizerische Praxen wurden in einer Studie untersucht; aus diesen Daten wurden Ergebnisse für eine Durchschnittspraxis erstellt (Nicolet et al. 2022). Pro Behandlung wurden dabei 4,8 kg CO2e ausgestoßen, davon 55,5 % durch die Mobilität von Angestellten, Patientinnen und Patienten sowie Kurierdiensten. Weitere relevante THG-Emissionsquellen waren die Wärmeversorgung (30 %) sowie medizinische (5,5 %) und nicht-medizinische (4 %) Produkte (Nicolet et al. 2022). Ähnlich wie bei der Studie des ambulanten Pflegedienstes wurden die Systemgrenzen so gewählt, dass verschriebene Medikamente aus der Analyse ausgeschlossen und die THG-Emissionen durch die Medikamente den Patientinnen und Patienten zugeschrieben wurden. In einer Studie von Tennison et al. (2021) für England wurden sowohl andere Systemgrenzen als auch ein anderer methodischer Ansatz gewählt. Diese Studie kam zu dem Ergebnis, dass ein Besuch in einer hausärztlichen Praxis durchschnittlich 66 kg CO2e verursacht. Auch dieses Beispiel zeigt erneut die eingeschränkte Vergleichbarkeit verschiedener Studien.

3.2.2 Prozesse und Produkte in Gesundheitseinrichtungen

3.2.2.1 THG-Emissionen durch ausgewählte Behandlungspfade/Prozeduren

Nachdem in Sect. 17.3.2 bereits auf die THG-Emissionen eines gesamten Krankenhauses eingegangen wurde, sollen nun die Vielzahl verschiedener Prozesse, die in einem Krankenhaus stattfinden, beleuchtet werden. Diese reichen von den medizinischen Untersuchungen, Behandlungen und Operationen über die Versorgung während des Aufenthalts bis zur Reinigung und Verwaltung der Gebäude. Die Betrachtung der Prozessebene ermöglicht einen Einblick in die Krankenhausstruktur und die Identifikation von Verbesserungspotenzialen in der Qualität und der ökologischen Nachhaltigkeit. So können Prozessalternativen wie zum Beispiel unterschiedliche Behandlungsmethoden miteinander verglichen werden. Es können auch einzelne Prozesse im Detail analysiert werden, um Reduktionspotenziale oder den Wirkungsgrad von möglichen THG-Einsparmaßnahmen zu identifizieren.

Der Vergleich einzelner Behandlungen mit ihren Alternativen kann zwar THG-Emissionsreduktion verdeutlichen, z. B. kann eine Echokardiografie im Vergleich zu einem MRT die THG-Emissionen bei der Diagnose von Erkrankungen der Herzkranzgefäße um einen Faktor von 84 reduzieren (Marwick und Buonocore 2011) oder die Nutzung roboterassistierter Laparoskopie die THG-Emission um 40 % steigern (Thiel et al. 2015; Woods et al. 2015). Allerdings ist diese Nutzung von vergleichenden Daten von Behandlungsprozessen stark limitiert, da die Auswahl der Behandlung immer auf Basis der medizinischen Ausgangslage geschehen sollte und Umweltdaten erst bei medizinisch gleichwertigen Eingriffen relevant werden. Zudem kommt es gerade bei Großgeräten wie CT und MRT auch auf die Anzahl der Geräte und deren Auslastung an, da die Produktion und der Betrieb der Geräte bereits viele THG-Emissionen bzw. viel Strom verbrauchen. Insofern ist es gerade für MRTs umweltschonend, wenige Geräte mit hoher Auslastung zu betreiben und eher weniger sinnvoll, viele Geräte vorzuhalten, die dann nur wenig ausgelastet sind (Woolen et al. 2022).

Daher gewinnt die zweite Möglichkeit bei der Prozessbetrachtung an Relevanz: Die Analyse einzelner Prozesse, die Darstellung der THG-Emissionsquellen und die Identifikation von einzelnen Einsparmaßnahmen. Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020 identifiziert als die drei größten THG-Emissionsquellen bei Operationen den Energieverbrauch, die Beschaffung aller genutzter Produkte, und die Anfahrt für Patientinnen und Patienten und Mitarbeitende (Rizan et al. 2020). Die untersuchten Studien zeigen allerdings auch die unterschiedliche Relevanz verschiedener Produktgruppen: Bei einer Hysterektomie (laparoskopisch oder robotergestützt) machen chirurgische Einweginstrumente ungefähr 80–90 % der THG-Emissionen durch die Produktion der genutzten Güter aus (Thiel et al. 2015). Bei einer Kataraktoperation machen die Medizinprodukte 60 % und Pharmazeutika weitere 30 % der Emissionen durch die Beschaffung aus (Morris et al. 2013). Betrachtet man nur die Emissionen durch die Produktion und Entsorgung der genutzten Produkte, machen hier ca. 23 % der Produkte über 80 % der THG-Emissionen aus (Rizan et al. 2023). Es würde sich also lohnen, für diese Produkte nachhaltigere Lösungen zu entwickeln. Ein weiteres Ergebnis dieser Studie ist, dass Einwegprodukte rund zwei Drittel der THG-Emissionen verursachen. Auch hier legt die Analyse auf Prozessebene Reduktionsmöglichkeiten offen, z. B. indem ökologisch nachhaltigere Mehrwegprodukte (siehe Sect. 17.3.2 THG-Emissionen durch verschiedene Ebenen des Gesundheitssektors – Medizinprodukte) genutzt werden. Die Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Studien ist allerdings aufgrund von methodischen Unterschieden stark eingeschränkt und nicht zu empfehlen. Eine wichtige Limitation ist auch hier die unterschiedliche Wahl der Systemgrenzen, das heißt, der Kriterien, nach denen Unterprozesse und Produkte in die Analyse einbezogen werden. Dies trifft beispielsweise auf die Mobilität der Mitarbeitenden und Patientinnen und Patienten und auf Kapitalgüter zu (größere Maschinen, die mit einer mehrjährigen Investition verbunden sind), da diese nicht in alle zitierten Studien einbezogen wurden.

In Deutschland bieten sich zur Analyse auf Prozessebene die Behandlungspfade anhand der diagnosebezogenen Gruppen („Diagnosis-related groups“, DRG) an, die Patientinnen und Patienten mittels der Diagnose in Gruppen einteilen. Mit Berechnungen der THG-Emissionen dieser standardisierten Einteilungen könnten, neben der individuellen Analyse des Prozesses, auch Best-Practice-Beispiele aus anderen Krankenhäusern identifiziert werden, die für den gleichen Behandlungspfad einen geringeren THG-Emissionsausstoß vorweisen können. Zudem könnten, ähnlich der Vergütungsrechnung nach DRGs, durchschnittliche THG-Emissionen für jede DRG durch Referenzkrankenhäuser berechnet werden, die für einen Vergleich herangezogen werden. Da die Referenzkrankenhäuser detailliert die Kosten für jede aufgetretene DRG erfassen, könnten diese genutzt werden, um Datenlücken zu schließen. Dies erhöht zwar die Datenunsicherheit, ermöglicht aber eine umfassende Analyse der THG-Emissionen. Zhang et al. (2022) haben dieses Verfahren zur Erfassung von THG-Emissionen durch die Behandlung von akuter dekompensierter Herzinsuffizienz genutzt. Die Ergebnisse zeigen, dass ein Großteil der THG-Emissionen (74 %) auf der Normalstation entstehen. Als Hauptemissionsquelle (87 %) wird die Strom- und Wärmeerzeugung genannt. Auch bei diesem Ergebnis müssen die Systemgrenzen beachtet werden, da die Mobilität der Mitarbeitenden und der Patientinnen und Patienten nicht berücksichtigt worden sind. Hier könnte sich also weiteres Reduktionspotenzial ergeben.

Leider gibt es noch keine umfassende Analyse der Prozessebene der Behandlungspfade, doch die Analyse kleinerer Prozesse, vor allem von Operationen, zeigt, dass die Mobilität, die genutzte Energie und Einwegprodukte einen Schwerpunkt der THG-Emissionen ausmachen. Dies unterscheidet sich leicht von den Ergebnissen auf Organisationsebene (siehe Sect. 17.3.2 Krankenhäuser), da Medikamente einen sehr großen Anteil der Emissionen ausmachen. Dies lässt sich damit begründet, dass viele Medikamente zu Therapiezwecken vor oder nach einer OP eingesetzt werden. Damit machen sie nur einen vergleichsweise geringeren Anteil am Materialeinsatz im OP-Saal aus. Lebenszyklusanalysen von DRGs sind eine Möglichkeit, standardisierte Pfade und Prozesse zu analysieren. Es müssten allerdings standardisierte Berechnungsmethoden entwickelt werden bzw. es müsste sich auf solche geeinigt werden, wie z. B. die Einbeziehung der Mobilität und von Kapitalgütern in die Berechnung.

3.2.2.2 Medizinprodukte

Medizinprodukte tragen relevant zu den THG-Emissionen des Gesundheitssektors bei (Tennison et al. 2021). Folglich können Entscheidungen auf der Produktebene einen wichtigen Baustein der Gesamtstrategie darstellen, um Gesundheitseinrichtungen ökologisch nachhaltiger aufzustellen. Dabei können Produkte und ihre Alternativen auf Nachhaltigkeitsaspekte geprüft und diese Informationen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Eine Informationsquelle über die Nachhaltigkeit von Produkten sind Lebenszyklusanalysen (englisch Life-Cycle Assessments, LCA). Die Betrachtung über den Lebenszyklus ist ganzheitlich und umfasst sowohl die Produktion des untersuchten Produkts und aller Vorprodukte als auch die Nutzung und die Entsorgung. Als Endpunkte einer Lebenszyklusanalyse gelten Umweltauswirkungen (z. B. Auswirkung auf die Klimaerwärmung durch THG-Emissionen oder Wasserverbrauch). Die produktspezifischen Daten können zu verschiedenen Zwecken genutzt werden. Zwei dieser Zwecke sind die Produkt(weiter-)entwicklung z. B. unter Nachhaltigkeitsaspekten sowie der Vergleich von alternativen Produkten in der Beschaffung.

Durch die Identifikation möglicher Hotspots können Alternativen mit geringeren Klima- und Umweltauswirkungen identifiziert werden. Bei medizinischen Geräten sind Optimierungspotenziale vor allem in der Nutzung umweltfreundlicher Materialien, der Reduktion der Maße und Volumen, der Optimierung der Lebensdauer und des Recyclingpotenzials sowie der Energieeffizienz in der Nutzung relevant (Sousa et al. 2021). Ein weiterer wichtiger Faktor für medizinische Geräte und pharmazeutische Produkte ist die Weiterentwicklung und Nutzung von nachhaltigen, energiearmen Produktionstechniken. Allerdings haben Krankenhäuser oft wenig Mitspracherecht oder Einfluss auf die (Weiter-)Entwicklung der von ihnen genutzten Güter.

Deswegen ist die Einbeziehung von umweltrelevanten Daten – sofern diese vorliegen – in die Entscheidungsfindung zwischen zwei Produkten beim Einkauf eine Möglichkeit für ein Krankenhaus, ökologisch nachhaltig zu handeln. Eine typische Möglichkeit ist die Entscheidung, Mehrwegprodukte anstelle von Einwegprodukten zu verwenden. Der ökologische Vorteil von Mehrwegprodukten ist ein oftmals geringerer Material-, Produktions- und Transportbedarf und damit verbunden reduzierte Umweltauswirkungen. In der Gesundheitsversorgung gelten allerdings strenge Hygieneregeln für wiederverwendbare Produkte, um Kontaminationen auszuschließen. Das Sterilisieren von Produkten durch Autoklavieren ist jedoch sehr energieintensiv, da Verunreinigungen durch stark erhitzten Wasserdampf entfernt werden. Um evidenzbasiert die Entscheidung zwischen medizinischen Einweg- und Mehrwegprodukten zu unterstützen, sollten also Lebenszyklusanalysen genutzt werden. Insbesondere mit fortschreitender Energiewende und bei Eigenproduktion von Strom aus erneuerbaren Quellen durch die aufbereitende Stelle ist die Umweltbilanz für Mehrwegprodukte meist besser als für Einwegprodukte (McGain et al. 2017; Umweltbundesamt 2023).

Bei wiederverwendbaren Produkten reduziert sich der Treibhausgasausstoß eines Produktes durchschnittlich um 38 bis 64 %, wobei die genaue Reduktion je nach Produktgruppe variiert. Mit einer Reduktion von 64 % des Treibhausgasausstoßes haben nicht-invasive Produkte wie z. B. Behälter für Scharfabfälle oder Blutdruckmanschetten das größte relative Potenzial. Danach folgen invasive Medizinprodukte mit einem relativen Einsparpotenzial von 47 % und Schutzbekleidung mit einem relativen Potential von 39 % (Keil et al. 2022). Aber auch bei der Benutzung von wiederverwendbaren Produkten gibt es Faktoren, die das Einsparpotenzial beeinflussen. Wenn der Autoklav zur Sterilisierung voll beladen wird statt nur teilweise, wie in den Ausgangsfällen angenommen, verteilt sich der Energieaufwand auf mehrere Produkte und sinkt pro Produkt. Ein weiterer Weg, die THG-Emissionen zu senken, ist es, die wiederverwendbaren Produkte so oft wie zulässig zu verwenden. Werden z. B. Vaginalspekula 50-mal statt 20-mal verwendet, werden 3 % mehr Treibhausgase eingespart (insgesamt werden in diesem Fall 70 % der THG-Emissionen gegenüber dem Einwegprodukt eingespart; Donahue et al. 2020). Bei Larynxmasken wird ein ähnlicher Effekt berichtet: Wenn sie 100-mal statt 40-mal verwendet werden, verstärkt sich die Reduktion um ein Fünftel (Eckelman et al. 2012). Hier sollte allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Häufigkeit der Anwendungen nur nach einer eingehenden Prüfung erhöht darf, um Qualitätsverluste zu verhindern. Berücksichtigt man weitere Umweltauswirkungen wie zum Beispiel den verursachten Landverbrauch, die Toxizität oder die Abfallmenge, bestätigt sich hier die Tendenz, die schon bei den Treibhausgasemissionen zu erkennen war (Keil et al. 2022). Mit wiederverwendbaren Produkten werden die Umweltauswirkungen reduziert. Nur der Wasserbedarf steigt bei der Nutzung von wiederverwendbaren Produkten gegenüber Einwegprodukten aufgrund der Wiederaufbereitung an. Eine weitere Möglichkeit, falls die Nutzung von Mehrwegprodukten nicht möglich ist, ist die Prüfung von Einwegprodukten aus unterschiedlichen Materialien. Zum Beispiel kann sich bei Vaginalspekula der Treibhausgasausstoß abhängig von der Stahlsorte um 12 % verringern (Donahue et al. 2020).

Bei der Nutzung von veröffentlichten LCA-Daten gibt es allerdings einige Limitationen. Die vorgestellten Zahlen und viele weitere veröffentlichte Studien stammen meist aus Studien, die sich nicht auf Deutschland beziehen. Deshalb sollten diese Studien nur mit Vorsicht genutzt werden. Ein Beispiel für diesen Fall ist die Studie von McGain et al. (2017). Dort werden die finanziellen und ökologischen Auswirkungen von Einweg- und Mehrweg-Anästhesieequipment berichtet. Als geographischer Bezug wird Australien genutzt und für den Treibhausgasausstoß ein Anstieg von 9 % bei der Nutzung wiederverwendbarer Produkte berichtet. Werden allerdings entweder die USA oder Europa als Bezugspunkte ausgewählt, ändert sich die Empfehlung, da die Option mit wiederverwendbaren Produkten nun eine Reduktion von 48 % bzw. 84 % bedeutet. Die Änderungen sind auf den unterschiedlichen Strommix (die Zusammenstellung der Energiequellen zur Stromproduktion) zwischen den Regionen zurückzuführen. Des Weiteren gibt es einige methodische Entscheidungen in der Erstellung eines LCA, die Einfluss auf die Ergebnisse und deren Vergleichbarkeit haben können. Hierunter fallen neben der Auswahl der Systemgrenzen der Umgang mit recyclebaren Materialien oder die Art der Datenerfassung. Entscheidungen auf der Produktebene, oft im Einkauf getroffen, sollten einen Anteil an einer Nachhaltigkeitsstrategie im Krankenhaus haben. Vor allem zur Nutzung von Mehrwegprodukten gibt es überzeugende Evidenz, aber auch bei der weiteren Materialauswahl und den Nutzungs- und Reinigungsvorgängen der Produkte können Reduktionspotenziale realisiert werden. Die veröffentlichten Daten sollten allerdings immer kritisch auf Qualität und Passung für die Entscheidung geprüft werden, bevor sie als Grundlage genutzt werden.

3.2.2.3 Medikamente

Nach der Analyse des Nationalen Gesundheitsdiensts (NHS) in England tragen Medikamente und Chemikalien mit ca. 32 % zu den Treibhausgasemissionen des NHS bei (Tennison et al. 2021). Belkhir und Elmeligi (2019) analysierten Berichte von 15 großen Pharmaunternehmen über deren THG-Emissionen (in CO2e) aus Scope 1 und 2. Diese Pharmaunternehmen repräsentierten ca. 60 % des Umsatzes des gesamten globalen Pharmasektors. Basierend auf diesen Daten schätzen die Autoren, dass die Pharmaindustrie im Jahr 2015 ca. 52 Mio. t CO2e verursachte, mehr als die THG-Emissionen der Automobilindustrie im gleichen Jahr. Es wurde erkennbar, dass sich zwischen den Unternehmen große Unterschiede bezüglich ihrer THG-Intensität zeigten, die als THG-Emissionen pro Millionen Euro Umsatz errechnet wurde. Bei einigen Unternehmen lag diese bereits im Zielbereich der Anforderungen, die zum Erreichen der US-amerikanischen Klimaziele bis 2025 notwendig sind, während andere diese noch bei weitem nicht erreichten (Belkhir und Elmeligi 2019). Ungeachtet verschiedener Produktpaletten lässt dies darauf schließen, dass deutliche Einsparungen bei der Produktionsseite von Medikamenten möglich sind. Weitere Einsparungen sollten zudem auf der Verbrauchsseite stattfinden: Die Nachfrage nach Medikamenten kann durch die Vorbeugung von Erkrankungen, die Erhöhung der Medikamentenadhärenz sowie die leitliniengerechte Verschreibungspraxis, die Über- und Unterversorgung vermeidet und auch gleichwertige nicht-medikamentöse Therapieoptionen miteinbezieht, begrenzt werden (MacNeill et al. 2021). Bei Anwendung dieser Maßnahmen sind auch weitere Co-Benefits möglich, wie die Reduktion unerwünschter Arzneimittelwirkungen durch Absetzten nicht-indizierter Medikamente (Deprescribing; Reeve et al. 2014).

Eine Sonderrolle in der Treibhausgaswirksamkeit von Arzneimitteln nehmen inhalative Medikamente ein. Diese werden je nach Bilanzierung als Scope-1-Emissionen des Gesundheitssektors gesehen, da die in Dosieraerosolen verwendeten Trägergase (Hydrofluoralkane) zum Transport in die Lunge stark treibhauswirksam sind. So ist das häufig verwendete Norfluran 1.300-mal so stark treibhauswirksam wie CO2 (Pritchard 2020). Dies erklärt, dass inhalative Medikamente im englischen NHS ca. 3,5 % der THG-Emissionen ausmachen (Starup-Hansen et al. 2020). Als Alternative zu Dosieraerosolen können Trockenpulverinhalatoren verschrieben werden, die den gleichen Wirkstoff ohne Trägergas in die Lunge bringen (Starup-Hansen et al. 2020). Jedoch sind diese aufgrund bestimmter Anwendungsvoraussetzungen nicht für alle Patientengruppen geeignet. Hier ist ein leitliniengerechtes Handeln der Ärzteschaft gefragt, um eine medizinisch sichere und klimabewusste Therapieentscheidung bei der Neueinstellung und Umstellung von Patientinnen und Patienten mit Lungenerkrankungen zu treffen (DEGAM 2022). Gleichzeitig sind auch Trägergase in Entwicklung, die den Einsatz von Dosieraerosolen mit deutlich reduzierter Treibhausgaswirksamkeit ermöglichen sollen (Pernigotti et al. 2021). Hier ist es wichtig, dass die neuen Trägergase nach Zulassung schnell und flächendeckend den Markt durchdringen, um auch die Treibhausgaswirksamkeit der verbliebenen Dosieraerosol-Verschreibungen zu reduzieren.

4 Weitere Umweltauswirkungen durch den Gesundheitssektor

4.1 Global

Bisher gibt es abgesehen von THG-Emissionen nur wenig Evidenz zu Umweltauswirkungen des globalen Gesundheitssektors (Lenzen et al. 2020). Lenzen et al. untersuchten die in Sect. 17.2 beschriebenen Umweltindikatoren. Relativ gesehen waren im Jahr 2015 die Anteile des Gesundheitssektors an den globalen Emissionen für Feinstaub (2,8 %), an den Luftschadstoffen Stickoxide (3,4 %) und Schwefeldioxid (3,6 %) sowie an reaktivem Stickstoff im Wasser (1,8 %) und am Verbrauch knappen Wassers (1,5 %) geringer als bei den THG-Emissionen. Table 17.1 fasst die beschriebenen Umweltindikatoren zusammen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass viele dieser Auswirkungen viel stärker regional konzentriert sind, meist in wirtschaftlich schwachen Regionen, und lokal erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit haben können.

Tab. 17.1 Ausgewählte Indikatoren für die Umweltauswirkungen des globalen Gesundheitssektors im Jahr 2015. (Quelle: Lenzen et al. 2020)

Betrachtet man die Entwicklung der verschiedenen Umweltauswirkungen des globalen Gesundheitssektors für den Zeitraum 2000 bis 2015, zeigt sich für alle Indikatoren ein Anstieg, wie Fig. 17.5 zeigt.

Abb. 17.5
figure 5

Entwicklung der Umweltauswirkungen des globalen Gesundheitssektors zwischen 2000 und 2015. (Quelle: Lenzen et al. 2020)

Ein weiterer Umweltindikator, den wir in diesem Kapitel beleuchten möchten, sind Arzneimittelrückstände im Wasser. Um diese global zu untersuchten, wurde 2016 eine Literaturübersichtsarbeit im Auftrag des Umweltbundesamtes durchgeführt. 16 Wirkstoffe wurden über alle Weltregionen hinweg im Oberflächen-, Grund- und Trinkwasser nachgewiesen. Besonders häufig war das Schmerzmittel Diclofenac zu finden, wobei es sich oft um ökotoxikologisch relevante Konzentrationen handelte. Umweltproben wurden insgesamt auf 713 verschiedene Wirkstoffe untersucht, von denen 631 nachweisbar waren (aus der Beek et al. 2015).

4.2 Deutschland

Für Deutschland liegen keine Untersuchungen der in Sect. 17.2 beschriebenen Umweltindikatoren vor. Im Rahmen einer Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes wurde jedoch der Rohstoffverbrauch des deutschen Gesundheitssektors untersucht. 2016 lag er bei 107 Mio. t, was einer Steigerung von 80 % gegenüber 1995 entspricht. Folgende Rohstoffe wurden berücksichtigt: Biomasse (30 Megatonnen), fossile Energieträger (25 Megatonnen), Metallerze (5 Megatonnen) und nichtmetallische Mineralien (47 Megatonnen). Rund 5 % des gesamten Rohstoffverbrauchs in Deutschland entfallen damit direkt oder indirekt auf Dienstleistungen des Gesundheitssektors. Etwa ein Drittel der eingesetzten Rohstoffe stammt aus Deutschland, zwei Drittel werden importiert (Ostertag et al. 2021).

5 Initiativen für die Untersuchung von Umweltauswirkungen des Gesundheitssektors

Neben nationalen und internationalen wissenschaftlichen Studien gibt es mehrere Initiativen zur internationalen Harmonisierung und Systematisierung der Umweltberichterstattung im Gesundheitssektor. Diese Initiativen adressieren meist nicht nur die Entwicklung von Indikatoren, sondern auch Aspekte des Capacity Building, um Länder bei der Umweltberichterstattung im Gesundheitssektor zu unterstützen.

Der „Lancet Countdown“ verfolgt die Auswirkungen des Gesundheitswesens auf die Umwelt anhand folgender Indikatoren: Treibhausgasemissionen, Nutzung erneuerbarer Energien, Abfallrecycling und Umweltberichterstattung. Die Arbeit von „The Lancet Countdown“ trägt dazu bei, das Bewusstsein für die Umweltauswirkungen des Gesundheitssektors zu schärfen und Möglichkeiten zur Reduzierung von Emissionen zu identifizieren. Des Weiteren werden auch wertvolle Informationen für Personen mit politischer Entscheidungsbefugnis, Gesundheitsdienstleistende und andere Interessengruppen geliefert, die sich für eine ökologisch nachhaltigere Gestaltung des Gesundheitssektors einsetzen (Lancet Countdown 2019).

Die „Lancet Commission on Sustainable Health Care (LCSH)“ ist eine Expertengruppe, die daran arbeitet, das globale Gesundheitssystem nachhaltiger zu gestalten. Die Ziele der LCSH sind die Sicherstellung des Zugangs zu qualitativ hochwertiger, bezahlbarer und nachhaltiger Gesundheitsversorgung für alle Menschen, der Schutz der Umwelt, die Eindämmung des Klimawandels sowie die Förderung von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit. Zu den Aktivitäten des LCSH gehören Forschung, insbesondere die Entwicklung von Umweltindikatoren, politische Lobbyarbeit, Bildung und der Aufbau von Partnerschaften (Yale School of Public Health 2023).

Die ATACH-Gruppe (Alliance for Transformative Action on Climate Change and Health) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist eine Allianz, deren Ziel es ist, die Umsetzung der gesundheitspolitischen Verpflichtungen der 26. UN-Klimakonferenz (COP26) zu klimaresistenten und nachhaltigen Gesundheitssystemen zu beschleunigen. Die Gruppe bringt WHO-Mitgliedstaaten, andere Stakeholder und Fachorganisationen zusammen, um Wissen auszutauschen, Kapazitäten aufzubauen und Instrumente und Ressourcen zu entwickeln, die die Länder beim Aufbau klimaresistenter und nachhaltiger Gesundheitssysteme unterstützen. Zu den Zielen der Gruppe gehören die Förderung der Integration von Klimawandel und Gesundheit in nationale, regionale und globale Pläne, die Unterstützung von Ländern bei der Entwicklung und Umsetzung klimaresistenter und nachhaltiger Gesundheitssysteme, der Aufbau von Kapazitäten für Maßnahmen im Bereich Klimawandel und Gesundheit, der Austausch von Wissen und bewährten Verfahren sowie die Mobilisierung von Ressourcen (World Health Organization 2023).

Die „OECD Working Group on Climate Change and Health Indicators“ (CCH) ist eine sich im Aufbau befindende Gruppe von Fachleuten aus OECD-Mitgliedsländern, die gemeinsam an der Entwicklung und Anwendung von Indikatoren zur Messung der gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels arbeiten werden. Ziel der CCH ist es, das Bewusstsein für die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels zu schärfen, politische Entscheidungen zu unterstützen und die Forschung zu den gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels zu fördern (Organisation for Economic Cooperation and Development 2021).

Die Nicht-Regierungsorganisation „Health Care Without Harm“ (HCWH) unterstützt Gesundheitseinrichtungen dabei, ihre THG-Emissionen zu reduzieren und bis 2050 klimaneutral zu werden. 2019 veröffentlichte HCWH einen umfassenden Bericht, in dem die THG-Emissionen des globalen Gesundheitssektors untersucht wurden (Health Care Without Harm 2019). Das „Global Green and Healthy Hospitals Network“ bildet als Teil von HCWH ein Netzwerk für Gesundheitseinrichtungen, die versuchen ihre Umweltauswirkungen zu reduzieren. Der „Climate Impact Checkup“ ist ein THG-Rechner, der die Einrichtungen dabei unterstützt, ihre THG-Emissionen zu erfassen. Außerdem stellt das Netzwerk seinen Mitgliedern Ressourcen und Unterstützung zur Verfügung und setzt sich für eine Politik ein, die eine ökologisch nachhaltige Gesundheitsversorgung fördert (Health Care Without Harm 2023).

„HealthcareLCA“ ist eine zentrale, öffentlich zugängliche Datenbank für Umweltverträglichkeitsprüfungen innerhalb des Gesundheitssektors, die fortlaufend erweitert wird. Aktuell enthält die Datenbank Umweltverträglichkeitsprüfungen für mehr als 1.500 Produkte oder Prozesse des Gesundheitssektors aus über 200 Datenquellen (Stand: August 2023). Die Fallstudien stammen aus über 80 Ländern, wobei Großbritannien, die USA und Australien den größten Anteil haben. Es liegen insbesondere Fallstudien zu den Fachgebieten Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin sowie Infektiologie und Pulmologie vor (HealthcareLCA 2023).

Das „Kompetenznetzwerk für klimaresiliente Medizin und Gesundheitseinrichtungen“ (KliMeG) ist eine Allianz von Gesundheitseinrichtungen, die gemeinsam ökologisch nachhaltige und klimaresiliente Gesundheitsversorgung sowie eine gesamtgesellschaftliche Transformation vorantreiben will. Um zur innerdeutschen Harmonisierung von THG-Bilanzen von Krankenhäusern beizutragen, wird seit Juli 2023 ein kostenfreier THG-Rechner für Gesundheitseinrichtungen zur Verfügung gestellt. Dieser „KliMeG-Rechner“ funktioniert über ecocockpitFootnote 1, ein webbasiertes Programm, das von der Effizienz-Agentur NRW entwickelt wurde. Ein begleitendes Handbuch (PDF) führt Anwenderinnen und Anwender durch die Bilanzierung und eine Excel-Datei unterstützt komplexere Nebenrechnungen, die für die Bilanzierung notwendig sind. Methodisch handelt es sich um einen für Deutschland angepassten Hybridrechner. Das bedeutet, dass die THG-Emissionen zum Teil über einen finanzbasierten und zum Teil über einen verbrauchsbasierten Ansatz berechnet werden. Der KliMeG-Rechner wurde durch die Forschungsprojekte CAFOGES und KliOL entwickelt (Universität Freiburg 2023; Heidelberg Institute of Global Health & Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) 2023).

6 Diskussion

6.1 Erkenntnisse zu Umweltauswirkungen

In den letzten Jahren hat sich die Studienlage zu den Umweltauswirkungen der internationalen Gesundheitsversorgung deutlich verbessert, wobei der Schwerpunkt bisher vor allem auf den THG-Emissionen lag (Health Care Without Harm 2019; Pichler et al. 2019; Romanello et al. 2022). Neuere Studien decken jedoch zunehmend ein breiteres Spektrum von Umweltauswirkungen ab, die wiederum Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben (Eckelman et al. 2018; Ostertag et al. 2021; Lenzen et al. 2020; Malik et al. 2021; Steenmeijer et al. 2022). Auch bezogen auf Deutschland nehmen die Erkenntnisse hinsichtlich der Umweltauswirkungen zu, allerdings ist aktuell noch wenig bekannt. Insgesamt zeigt sich jedoch, dass der Gesundheitssektor negative Umweltauswirkungen und dadurch Gesundheitsauswirkungen hat (z. B. durch Treibhausgasemissionen, Feinstaub oder Luftschadstoffe).

6.2 Zielgruppenspezifische Betrachtungsebenen und eingeschränkte Vergleichbarkeit von Studien

Neben der übergeordneten Ebene des gesamten Gesundheitssektors können dessen Umweltauswirkungen auf verschiedenen Ebenen gemessen werden, wie dieser Beitrag zeigt. Hierbei liegen aktuell insbesondere Daten zu THG-Emissionen vor. Die Betrachtungsweisen auf verschiedenen Ebenen sind nicht trennscharf voneinander abzugrenzen. So bilden die Studien zu Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäusern, Arztpraxen und ambulanten Pflegediensten jeweils in sich geschlossene Betrachtungsweisen ab. Diese überschneiden sich jedoch mit anderen Betrachtungsweisen, z. B. der Betrachtung einzelner Prozesse in einem Krankenhaus oder der Betrachtung von Medikamenten und Medizinprodukten, die in allen Einrichtungen und bei vielen Prozessen verwendet werden. Es ist sehr wichtig, die Methodik und Systemgrenzen der jeweiligen Studien zu kennen und zu beachten, wie in Sect. 17.3.2 verdeutlicht wurde.

Grundsätzlich haben die verschiedenen Betrachtungsweisen ihre Berechtigung. Wichtig ist es, die Daten zielgruppenspezifisch aufzubereiten. Für die Gesundheitspolitik ist sicher eine umfassende Betrachtung des Gesundheitssektors insgesamt wichtig, um Prioritäten zu setzen. Für eine chirurgische Chefärztin ist eine prozessbasierte Darstellung der Emissionen verschiedener OP-Verfahren vermutlich am nützlichsten, während die Leitung einer Gesundheitseinrichtung von einrichtungsbasierten Daten profitiert. In der Kommunikation der Daten sollte jedoch immer auf die Systemgrenzen sowie auf Stärken und Schwächen der verwendeten Methodik verwiesen werden.

6.3 Rolle von Wissenschaft, Industrie und Politik bei der Erfassung von Umweltauswirkungen

Obwohl die Anzahl der Studien zu den Umweltauswirkungen des Gesundheitssektors zunimmt, bestehen weiterhin relevante Datenlücken (McAlister et al. 2022). Beispielweise ist es für die Leitung von Gesundheitseinrichtungen im Bereich der Medikamente und Medizinprodukte aktuell schwierig bis unmöglich, verlässliche Daten zu Umweltauswirkungen einzelner Produkte zu erhalten und sich für nachhaltigere Alternativen zu entscheiden. Die Wissenschaft kann unterstützen, Methoden zur Erfassung der Umweltauswirkungen weiterzuentwickeln und zu vereinheitlichen. Sie kann die dies aufgrund der Vielzahl an Prozessen und Produkten im Gesundheitssektor jedoch nicht allein leisten. Vielmehr bräuchte es gesetzliche Rahmenbedingungen, die die Industrie zur Erfassung und Minimierung von Treibhausgasemissionen und anderen Umweltauswirkungen ihrer Produkte verpflichten. Außerdem könnten Lebenszyklusanalysen als verpflichtender Teil in Health Technology Assessments (HTA) integriert werden (McAlister et al. 2022). Um das Problem der Arzneimittelrückstände im Wasser zu adressieren, könnten unter anderem zulassungsrelevante Umweltrisikoprüfungen sowie technologische Maßnahmen in Kläranlagen zur Erhöhung der Eliminationsraten helfen (aus der Beek et al. 2015; Baltruks et al. 2023). Neben den Umweltauswirkungen müssen natürlich stets die Auswirkungen auf die Patientenversorgung berücksichtigt werden, beispielsweise wenn verschiedene Operationsverfahren verglichen werden. In der Kommunikation zu Klimaschutzmaßnahmen im Gesundheitsbereich sollte stets auf die Auswirkungen der Maßnahmen auf die Umwelt und die Patientenversorgung eingegangen werden, da Krankenhaus-Stakeholder in einer Interviewstudie die Sorge betonten, Klimaschutzmaßnahmen könnten das Wohl der Patientinnen und Patienten gefährden (Quitmann et al. 2023).

6.4 Handeln unter Unsicherheit nötig und möglich

Auch wenn die Datenlange in vielen Bereichen noch begrenzt ist, bietet der aktuelle Wissensstand genug Möglichkeiten, um unverzüglich mit der Reduktion der Umweltauswirkungen des Gesundheitssektors zu beginnen (McAlister et al. 2022). Die Dringlichkeit der Klimakrise und anderer Umweltprobleme sowie deren Risiken für die Gesundheit der Menschen weltweit rechtfertigt ein Handeln auch unter Restunsicherheiten. Ein Beispiel: Auch wenn in der Wissenschaft noch um die genaue Methodik und vergleichbare Systemgrenzen bei der THG-Bilanzierung von Gesundheitseinrichtung gerungen wird, zeichnen sich einige Hotspots in der Gesundheitsversorgung deutlich ab, so z. B. die THG-Emissionen durch Medikamente, Medizinprodukte, Energie-bezogene Emissionen sowie Mobilität (Franke et al. 2022; Tennison et al. 2021; Weisz et al. 2020). Auch die Speisenversorgung ist trotz ihres eher geringen Anteils im Gesundheitssektor relevant, weil mit einer ökologisch nachhaltigen Speisenversorgung gesundheitliche Co-Benefits für Patientinnen und Patienten und Mitarbeitende einhergehen und Gesundheitseinrichtungen eine Vorbildfunktion einnehmen. Als gesundheitliche Co-Benefits bezeichnet man positive Effekte für die individuelle oder allgemeine Gesundheit, die durch Klimaschutzmaßnahmen entstehen (Herrmann et al. 2019).

6.5 Der Weg zu einem umweltfreundlichen Gesundheitssektor

Bei der Dekarbonisierung des Gesundheitssektors ist die Energiewende ein wichtiger Faktor (s. Sect. 17.3.1.3). Gerade in Ländern mit hohen Emissionen pro Kilowattstunde Strom, wie in Deutschland aufgrund des hohen Anteils an Kohleverstromung, wird eine Dekarbonisierung des Energiesystems zur Emissionsreduktion im Gesundheitssektor beitragen. Dies Reduktion reicht jedoch nicht aus.

Der Gesundheitssektor selbst kann vor allem auf drei Ebenen eine Reduktion der Umweltauswirkungen erreichen (MacNeill et al. 2021): Erstens sollte der Bedarf für Gesundheitsdienstleistungen reduziert werden. Eine sehr wichtige Rolle dabei spielt dabei die Gesundheitsförderung und Prävention inklusive einer guten Versorgung chronisch kranker Patientinnen und Patienten, um Ressourcen- und THG-intensive Hospitalisierung zu vermeiden. Zwar ist die Förderung und der Erhalt von Gesundheit auch jetzt schon ein Baustein der Versorgung, es fehlen jedoch einerseits der Regelungsrahmen, der Anreize setzt, und andererseits zum Teil auch die Institutionen, um Prävention verstärkt umzusetzen (Bödeker und Moebus 2020). Zweitens sollten Unter- und Überversorgung vermieden werden, um keine unnötigen Ressourcen zu verbrauchen und Patientinnen und Patienten bestmöglich zu behandeln. Drittens müssen dann die Umweltauswirkungen der verbleibenden, notwendigen Gesundheitsdienstleistungen minimiert werden. Dies kann beispielsweise durch eine gute Vernetzung und Organisation, Dekarbonisierung des Transports, Einsatz von Telemedizin, neuen Filtertechniken in der Anästhesie sowie einer Kreislaufwirtschaft bei Medizinprodukten erfolgen (Chap. 19).

Es gilt also Gesundheit und Gesundheitsversorgung neu zu denken. Das Prinzip des „Nicht-Schadens“ sollte nicht nur direkt auf Patientinnen und Patienten im Gesundheitssystem, sondern auch auf die Erde als Ganzes angewendet werden, damit die Grundlagen für ein gesundes Leben auf der Erde erhalten bleiben (Baltruks et al. 2022).